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Titel
„In Treue fest“. Eine Studie über ausgewählte Polizeigewerkschaften und Polizeigewerkschafter in der Weimarer Republik


Autor(en)
Reuter, Manfred
Reihe
Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Polizeigeschichte e.V. 14
Erschienen
Frankfurt am Main 2012: Verlag für Polizeiwissenschaft
Anzahl Seiten
132 S.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kurt Schilde, Stiftung Topographie des Terrors, Berlin

Die Geschichte der deutschen Polizei in der Zeit des Nationalsozialismus, die Beteiligung von Polizisten an NS-Verbrechen und die Entstehung des Bundeskriminalamtes gehörten in den vergangenen Jahren zu den relativ gut erforschten Themen.1 Im Gegensatz dazu ist die Geschichte der Polizeigewerkschaften weitgehend ein Desiderat geblieben.2 Hier schließt die Studie „In Treue fest“ über ausgewählte Polizeigewerkschaften und Polizeigewerkschafter in der Weimarer Republik eine Lücke.

Deren Autor Manfred Reuter ist bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen „auf Behördenebene in diversen Führungspositionen der mittleren Führungsebene“ (S. 8) beschäftigt. Nach dem Abschluss einer politikwissenschaftlichen Dissertation über die Polizei in Nordrhein-Westfalen an der FernUniversität Hagen hat er sich vorgenommen, „Licht in die Terra incognita der Polizeigewerkschaftshistorie zu bringen“ (ebd.). Als Politikwissenschaftler will er zwar „keine historische Abhandlung“ (ebd.) verfasst haben, gibt aber einen guten Überblick über die Gründungs- und Etablierungsphasen der deutschen Polizeigewerkschaften. Ausgangs- und Endpunkt der Arbeit, die im Wesentlichen auf der Auswertung vorhandener Literatur, von ihm als „Sekundäranalyse“ bezeichnet, sind „politologisch relevante Kategorien“ (ebd.).

Reuter unterscheidet sechs wesentliche Strukturierungsmerkmale: Polizeiideologie, -begriff, -funktion und -organisation sowie innere und äußere Herrschaftsordnung. Diesem Ansatz folgend fragt er, wie Polizei gerechtfertigt wird, was polizeiliche Aufgaben sind, und er thematisiert ihre Organisation. Dabei geht er in mehreren Schritten vor. Zunächst gibt er einen allgemeinen Überblick über die Geschichte von Polizei, Polizeigewerkschaften und Polizeigewerkschaftern vom Kaiserreich bis zum „Dritten Reich“ (der Autor benutzt keine distanzierenden Anführungszeichen). Nachdem er jeweils die benutzte Literatur genannt hat, zeichnet er die Entwicklung vom Hilfsverein über den Kameradenverein im Kaiserreich, die Gewerkschaften in der Weimarer Zeit und den Kameradschaftsbund in der NS-Zeit teilweise differenziert nach. Es gelingt ihm, die historische Unübersichtlichkeit von – oft stark personenorientierten – Bünden, Verbänden und Gewerkschaften auf nationaler und internationaler Ebene nachzuzeichnen und übersichtlich zu ordnen. Diese fundierte Beschreibung ist der wesentliche Nutzen des schmalen Bandes für den Historiker.

Nach dem Überblick wendet er sich der Geschichte des Verbandes Preußischer Polizeibeamter e.V. zu. Dieser ist wegen der herausragenden Bedeutung der Persönlichkeit Ernst Schraders in der Regel als „Schrader-Verband“ bezeichnet worden und als Vorläufer der Gewerkschaft der Polizei im Deutschen Gewerkschaftsbund anzusehen.

Reuter verfolgt den komplizierten Entwicklungsgang auf dem Weg zur Gewerkschaft auf nationaler Ebene in die Reichsgewerkschaft Deutscher Polizeibeamten, die Integration der Polizeibeamten in den Deutschen Beamtenbund und der Geschichte der Gewerkschaft als Bestandteil der Internationalen Vereinigung der Polizeibeamten. Diese Gewerkschaften haben sich nach und nach von militärischen Traditionen verabschiedet und nach dem Ersten Weltkrieg ein eindeutiges Bekenntnis zur demokratisch-republikanischen Staatsform abgelegt. Sie haben sich als „Bollwerk der Republik“ (S. 41) verstanden, bis mit dem „Preußenschlag“ 1932 die demokratische Entwicklung endete. Der Schrader-Verband unterlag einem Wechselspiel von Anpassung und Selbstbehauptung, Rechtfertigung und Eingeständnis von Irrtümern, bis er 1933 aufgelöst wurde. Die Mitglieder wurden dem nationalsozialistischen Kameradschaftsbund Deutscher Polizeibeamter angeschlossen.

In einem weiteren Schritt wird biografisch auf drei Protagonisten des Schrader-Verbandes eingegangen und in kurzen Portraits vorgestellt: Neben dem 1877 geborenen „Stammvater“ (S. 86) Ernst Schrader, der 1933 in das Konzentrationslager Oranienburg eingewiesen wird und 1936 an den Folgen eines Krebsleidens stirbt, geht es um den 1933 von Nazis ermordeten Emil Winkler (geboren 1882 und Sekretär des Schrader-Verbandes und der Internationalen) und den auf Druck von nationalsozialistisch gesinnten Offizieren des Verbandes als letzter Vorsitzender des Schrader-Verbandes zurückgetretenen Magnus Heimannsberg (1882–1962). Dieser letzte Vorsitzende des Schrader-Verbandes wurde 1948 Polizeipräsident von Wiesbaden. Von allen drei – und weiteren – Polizeigewerkschaftern gibt es noch keine fundierten Biografien.

Die ausführliche Zusammenfassung ist auf die eingangs erwähnten Fragestellungen fokussiert: Die Polizei hat sich von einem Herrschaftsinstrument des kaiserlichen Obrigkeitsstaates über ein „formales Herrschaftsinstrument des Volkes im demokratischen Staat“ (S. 107f.) zum Repressionsorgan des NS-Staates entwickelt. Im Ausblick wird zum wiederholten Male von dem Licht gesprochen, welches Reuter ins Dunkle einer sozialwissenschaftlichen Terra incognita bringen will. Abschließend gibt er einige Anregungen für eine sozialwissenschaftliche Fundierung der Polizeigewerkschaftsforschung und appelliert an Sozialwissenschaftler und Studierende, „sich mit dieser Materie im Rahmen von Hausarbeiten, Abschlussarbeiten, Dissertationen usw. zu befassen“ (S. 122). Diese Forderung kann auf andere Wissenschaftsdisziplinen wie die Geschichtswissenschaft ausgeweitet werden.

Anmerkungen:
1 Vgl. Kurt Schilde: Rezension zu: Schulte, Wolfgang (Hrsg.): Die Polizei im NS-Staat. Beiträge eines internationalen Symposiums an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Frankfurt am Main 2009, in: H-Soz-u-Kult, 14.01.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-1-028> (16.08.2012) sowie ders.: Rezension zu: Dierl, Florian; Hausleitner, Mariana; Hölzl, Martin; Mix, Andreas (Hrsg.): Ordnung und Vernichtung. Die Polizei im NS-Staat. Eine Ausstellung der Deutschen Hochschule der Polizei, Münster, und des Deutschen Historischen Museums, Berlin. 1. April bis 31. Juli 2011. Dresden 2011, in: H-Soz-u-Kult, 02.06.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-2-181> (16.08.2012); Wigbert Benz: Rezension zu: Baumann, Imanuel; Reinke, Herbert; Stephan, Andrej; Wagner, Patrick: Schatten der Vergangenheit. Das BKA und seine Gründungsgeneration in der frühen Bundesrepublik. Köln 2011, in: H-Soz-u-Kult, 30.04.2012, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-2-080> (16.08.2012).
2 Abgesehen von Beiträgen von „Polizeipraktikern“ wie z.B. Friedrich Gniesmer, Der Weg zur und mit der GdP, in: Gewerkschaft der Polizei (Hrsg.), Die deutsche Polizei. Ihre Geschichte, ihre Gewerkschaft, Daten, Fakten, Meinungen, 1950–1980. 30 Jahre Gewerkschaft der Polizei, Hilden 1980, S. 1–58; Klaus Hübner, Vergessen, verdrängen – verloren. Das Schicksal von Emil Winkler (1882–1933), in: Wolfgang Dicke (Redaktion), „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“. Polizeigewerkschaften in Europa, Hilden 2004, S. 4–11. Hübner war Polizeibeamter, Gewerkschaftsfunktionär und von 1969 bis 1987 Polizeipräsident in Berlin.

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