A. Curvelo u.a. (Hrsg.): Portugal und das Heilige Römische Reich

Cover
Titel
Portugal und das Heilige Römische Reich (16.–18. Jahrhundert). Portugal e o Sacro Império (séculos XVI-XVIII)


Herausgeber
Curvelo, Alexandra; Simões, Madalena
Reihe
Studien zur Geschichte und Kultur der iberischen und iberoamerikanischen Länder 15
Erschienen
Münster 2011: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Teresa Pinheiro, Institut für Europäische Studien, Technische Universität Chemnitz

Die europäische Überseeexpansion brachte nicht nur Europa anderen Kontinenten näher. Sie sorgte auch für eine Intensivierung der innereuropäischen Beziehungen. Dabei galten Portugal und Spanien als privilegierte Partner, versprachen sich doch Wissenschaftler, Missionare, Kaufleute oder Abenteurer aus Mittel- und Nordeuropa vom Kontakt zu den iberischen Königreichen Möglichkeiten, am Kolonialgeschehen in Übersee teilzuhaben.

Mit besonderer Aufmerksamkeit widmete sich die einschlägige Forschung den Beziehungen zwischen Portugal und Deutschland im Kontext des Kolonialismus.1 An diese fruchtbare Forschungsrichtung knüpft auch der hier zu besprechende Sammelband an, der den Beziehungen zwischen Portugal und dem Heiligen Römischen Reich vom 16. bis zum 18. Jahrhundert gewidmet ist. Er versammelt Beiträge aus einem Kolloquium, das im Jahre 2009 unter dem Titel an der Universität Hamburg stattgefunden hat. Ziel war, „sich ergänzende und verwandte Perspektiven in Hinblick auf eine sich überschneidende Geschichte in der Neuzeit, konkret der europäischen Überseeexpansion (16.–18. Jahrhundert), kennen zu lernen und zu diskutieren“ (S. 9).

Dieser Einblick in die Entstehungsgeschichte des Bandes ist insofern wichtig, als er auf die eigentliche inhaltliche Richtung hinweist, die der unpräzise Titel des Bandes eher verbirgt. Denn die dort enthaltene thematische Öffnung weist auf die allgemeinen Beziehungen zwischen Portugal und dem Heiligen Römischen Reich vom 16. bis 18. Jahrhundert hin, um die wenigen Beiträge zu umfassen, die nicht auf die Überseegeschichte fokussieren. Auf die besondere Rolle Hamburgs in diesen Beziehungen, die im Kolloquium, wie in vielen der Beiträge, thematisiert sind, geht der Titel nicht ein. Die geringe Präzision des Titels ist symptomatisch für den Versuch, zu disparate Themen zu versammeln. Damit geht leider die inhaltliche Kohäsion verloren.

Dennoch versammelt der Band Beiträge von anerkannten Spezialisten und Spezialistinnen für die deutsch-portugiesischen Beziehungen im Kolonialzeitalter. Die 15 Aufsätze sind in vier Sektionen aufgeteilt, die unterschiedlichen Perspektiven eines deutsch-portugiesischen Austausches Rechnung tragen: politische Beziehungen, die Verbreitung von Informationen über Portugal und das portugiesische Weltreich, Portugal und Hamburg, künstlerische Verbindungen. Die erste Sektion – „Politische Beziehungen“ – beginnt mit einem Aufsatz von Horst Pietschmann. Der Autor plädiert darin für eine epochale Umdeutung des Terminus „Europäische Expansion“, der die atlantische Expansion vom 13. bis zum beginnenden 16. Jahrhundert umfassen solle. Diese Periodisierung lenke die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass die europäische Expansion nicht, wie vor allem in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft oft angenommen wird, mit Kolumbus’ Landung auf den Antillen begann (und lässt die Frage aufkommen, warum das Buch den Untersuchungszeitraum erst mit dem 16. Jahrhundert beginnen lässt).

Die weiteren Beiträge dieser Sektion bieten sehr aufschlussreiche Fallstudien. Klaus Rühl widmet sich der Darstellung des Todes des Infanten D. Duarte in portugiesischen Trauerpredigten des 17. Jahrhunderts. D. Duarte kämpfte als Soldat im Dreißigjährigen Krieg auf deutschem Boden auf der Seite des kaiserlichen Heeres. Als die Nachricht der Unabhängigkeit Portugals 1640 in Deutschland ankommt, wird Duarte gefangen genommen. Trotz langer diplomatischer Bemühungen stirbt er im Gefängnis. In einer sehr umsichtigen Quellenanalyse führt uns der Autor, ausgehend vom individuellen Schicksal des Infanten, durch das komplexe Dickicht der politischen Beziehungen zwischen Portugal und Kastilien. Pedro Cardim untersucht in seinem Beitrag „Hamburg und die deutschsprachige Welt“ (der in der Sektion „Portugal und Hamburg“ besser zur Geltung käme) die Darstellung Hamburgs und der deutschen Lebenswelt in den Schriften des portugiesischen Jesuiten António Vieira. Deutschland wird dort als Ursprungsort des Protestantismus und damit auch als Urheber von Krieg und Kirchenspaltung gesehen. Cardim zufolge setzt Vieira hiermit „der ‚Schwarzen Legende‘ Nordeuropas eine durch und durch negative Vision des protestantischen Universums entgegen“ (S. 64). Auch der Beitrag von Susana Münch Miranda verbindet eine enge Textanalyse mit dem breiten Kontext der deutsch-portugiesischen Beziehungen. Die Autorin untersucht den Briefwechsel von António Freitas Branco, der im Auftrag des portugiesischen Königshofs nach Deutschland entsandt wurde, um über potentielle Gemahlinnen für den König Pedro II. zu berichten. Die Untersuchung verdeutlicht, dass die Bemühungen von Freitas Branco für die Wahl von Maria Sophia von Pfalz-Neuburg zur Königin entscheidend waren. Der letzte Beitrag dieser Sektion befasst sich mit den Hilfeleistungen Hamburgs für Lissabon nach dem Erbeben von 1755 (und wäre ebenfalls in der Sektion „Portugal und Hamburg“ besser aufgehoben gewesen). Anhand von Archivalien der Stadt Hamburg rekonstruiert Martin Warnke diesen frühen Fall von Katastrophenhilfe.

Die Beiträge des zweiten Kapitels – „Die Verbreitung von Informationen über Portugal und das portugiesische Weltreich“ – befassen sich mit der Rezeption von Nachrichten aus den portugiesischen Überseekolonien im deutschsprachigen Raum. Zwei der Artikel untersuchen Augenzeugenberichte von Mitteleuropäern in Brasilien – des Hessen Hans Staden im Beitrag von Markus Klaus Schäffauer und des gebürtigen Luxemburger Jesuiten João Felipe Bettendorff im Beitrag von Joachim Michael. Der Aufsatz von Marília dos Santos Lopes widmet sich den Relationes Curiosae, die zwischen 1681 und 1691 in Hamburg gedruckt wurden und das hanseatische Publikum mit Nachrichten aus der Neuen Welt versorgten. Ana Maria Ramalheira geht in ihrem Beitrag auf die Darstellung der Schlacht von Al-qasr Al-kebir in deutsch-sprachigen Flugschriften ein, in der ca. 3.000 deutsche Söldner kämpften.

Die dritte Sektion – „Portugal und Hamburg“ – enthält drei Beiträge, die der Beziehung zwischen Portugal und Hamburg in der Frühen Neuzeit nachgehen. Florbela Frade verfolgt das Schicksal der neu-christlichen portugiesischen Familien Milão-Dinis, die in Hamburg Zuflucht vor der Inquisition fanden. Der Präsenz portugiesischer Juden in Hamburg ist der Beitrag des großen Spezialisten für die Hamburger Sepharden, Michael Studemund-Halévy, gewidmet. Der Autor sieht in den philosophischen und theologischen Schriften der Sepharden in Hamburg (wie auch in Amsterdam und Livorno) den Ausdruck einer aufgeklärten jüdischen Literatur. Der Beitrag von Jorun Poettering geht in die umgekehrte Richtung. Der Autor begleitet Hamburger Kaufmannslehrlinge im Lissabon des 17. Jahrhunderts. Ausgehend von Dokumenten der Inquisition und von privaten Briefwechseln zeichnet er ein sehr differenziertes Bild der Schicksale und Erfahrungen der jungen protestantischen Hamburger im katholischen Portugal.

Die Beiträge des letzten Abschnittes – „Künstlerische Beziehungen“ – setzen sich mit der Rezeption des portugiesischen Überseereichs in der deutschsprachigen Publizistik auseinander. Alexandra Curvelo thematisiert das Verhältnis zwischen Bild und Text in deutschsprachigen Druckerzeugnissen der Frühen Neuzeit. Carla Alferes Pinto erzählt die Geschichte der Errichtung und späteren Zerstörung der Kirche des Heiligen Bartholomäus und leistet damit einen Beitrag zur Kenntnis der künstlerischen Präsenz Portugals im indischen Kochi. Alexandre Pais behandelt den Import portugiesischer Fayencen im Hamburg des 17. Jahrhunderts.

Der Band bietet Einblicke in viele Facetten der Beziehungen zwischen dem portugiesischen und dem deutschen Sprachraum. Er ist in erster Linie für das Fachpublikum gedacht, das die Fallstudien in die umfassendere Forschung zur iberischen Expansionsgeschichte und den deutsch-portugiesischen Beziehungen einzubetten vermag. Kenntnisse der portugiesischen und der deutschen Sprache werden vorausgesetzt, denn das Buch ist zur Hälfte auf Deutsch und auf Portugiesisch verfasst. Kurze Zusammenfassungen am Ende der Beiträge in der jeweils anderen Sprache geben zumindest Hinweise zu Thema und Ergebnissen der Untersuchungen. Die hohe Qualität der einzelnen Beiträge kompensiert die geringe Kohärenz des Bandes. Letztere ist freilich ein häufiger Nebeneffekt von aus Tagungen hervorgehenden Bänden. Dennoch hätten eine umfassendere Einleitung und Querverweise zwischen den einzelnen Beiträgen dem Band als Ganzes eine andere Qualität geben können.

Anmerkung:
1 Fernando Clara (Hrsg.), Outros horizontes: encontros luso-alemães em contextos coloniais, Lissabon 2009; Anabela Mendes / Gabriela Fragoso (Hrsg.), Garcia de Orta e Alexander von Humboldt: errâncias, investigações e diálogos entre culturas, Lissabon 2008; João Barrento / Klaus Pörtl (Hrsg.), Verflechtungen: Deutschland und Portugal, Frankfurt am Main 2002; Jürgen Pohle, Deutschland und die überseeische Expansion Portugals im 15. und 16. Jahrhundert, Münster 2000; Helmut Siepmann (Hrsg.), Portugal, Indien und Deutschland, Lissabon 2000.

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