B. Christ (u.a.) (Hrsg.): Obama and the Paradigm Shift

Titel
Obama and the Paradigm Shift. Measuring Change


Herausgeber
Christ, Birte; Greta Olson
Reihe
American Studies – A Monograph Series, volume 225
Erschienen
Anzahl Seiten
298 S.
Preis
42 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anke Ortlepp, Amerika-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität

Der von Birte Christ und Greta Olson vorgelegte Sammelband präsentiert die Ergebnisse einer Tagung, die im Juli 2011 an der Universität Gießen stattfand, an der beide Herausgeberinnen lehren. Ziel des Bandes ist es, Bilanz zu ziehen und der Frage nachzugehen, ob sich während der dieser Tage zu Ende gehenden (ersten) Amtszeit Barack Obamas in politischer, gesellschaftspolitischer wie kultureller Hinsicht Paradigmenwechsel vollzogen haben, welche die Gesellschaft der Vereinigten Staaten auf Dauer prägen und zugleich auf westliche Gesellschaften wie insbesondere die deutsche wirken werden. Während der Band sich auf der einen Seite einer dezidiert transnationalen Perspektive verschreibt, die jedoch nur einige Beiträge liefern, veranschlagt er auf der anderen Seite einen breitgefassten Begriff historischen Wandels. Es soll darum gehen, „substantive shifts“ aufzuspüren und diesen vor allem in den Bereichen nachzugehen, auf die in der Amtszeit des ersten afro-amerikanischen Präsidenten, der demokratische Parteizugehörigkeit hat, maßgebliche Auswirkungen zu erwarten waren: die politische Kultur in Washington und jenseits der Hauptstadt, politische Mitbestimmungsprozesse sowie die Verhandlung von ethnischen Identitäten und Geschlechternormen.

Die Beitragenden – Amerikanist/inn/en aus Deutschland und den USA mit verschiedenen fachlichen Ausrichtungen – gelangen zu abweichenden Einschätzungen. Wohingegen einige wie Greta Olson und Michaela Hampf tiefgreifenden Wandel diagnostizieren, erinnern andere wie Thomas Holt, Andreas Falke und Allyson Hobbs an langfristige Wandlungsprozesse, in deren Kontinuität aktuelle Entwicklungen zu deuten seien. Die Polyphonie der Einschätzungen ist zum einen auf die Breite der betrachteten Untersuchungsgegenstände zurückzuführen, die von den Oberarmen Michelle Obamas bis zu Verschwörungstheorien reichen. Zum anderen ist sie den diversen fachlichen und methodischen Zugriffen geschuldet, die unterschiedliche Wandlungsparameter benennen und deren Signifikanz in verschiedener Weise beurteilen. Hier hätte ein Katalog von Leitfragen dazu beitragen können, dem Band, dessen Einzelbeiträge einander mit einer bestenfalls schemenhaft erkennbaren Binnenstruktur folgen, stärkere inhaltliche Kohärenz zu verleihen.

Dessen ungeachtet präsentieren die Aufsätze interessante Themen und liefern anregende Analysen, auch wenn ihre Qualität und ihr Umfang schwanken. Relativ einhellig sehen die Autorinnen und Autoren in der Neuaushandlung ethnischer Identitäten, im Überdenken von Konzepten von „race“ und der Infragestellung von Geschlechternormen das größte Potential für einen paradigmatischen Wandel, der durch die Wahl eines afro-amerikanischen Präsidenten und seiner Vorzeigefamilie ausgelöst und zugleich verkörpert wurde. Während Thomas Holt einen „paradigm shift in America’s racialized social order” bereits früher, Mitte der 1990er-Jahre veranschlagt, zugleich die Widerstandsfähigkeit wie Subversivkraft von Rassismus beschreibt und Obama in die Geschichte der Bürgerrechtsbewegung einschreibt, so erkennt er doch die Symbolkraft der Wahl Obamas an, die zugleich Abschluss und Neuanfang sein könne und für die Veränderungen der amerikanischen Gesellschaft stehe, auch wenn strukturelle Probleme wie Armut fortbestünden (S. 35). Einem intersektionalen Ansatz verpflichtet, zeigt Michaela Hampf mit Blick auf Michelle Obama, dass die First Lady in Auseinandersetzung mit stereotypen Vorstellungen von afro-amerikanischer Weiblichkeit zu einer selbstbewussten Artikulation ihres Geschlechter-, ethnischen sowie Klassenhintergrunds gelangt ist, deren wichtiger Bestandteil eine in der Vergangenheit als deviant konstruierte Körperlichkeit ist, die von Obama entlang ihrer eigenen Vorlieben (Mode, Körperkultur) zur Schau getragen wird. Damit gilt Obama nicht allein als stilprägend, wie Hampf zeigt, sondern auch jenseits der Gruppe junger Afro-Amerikanerinnen als Rollenvorbild und Modell einer neuen Weiblichkeit. Diese Funktion einer Ikone der neuen „global power femininity“ kann Birte Christ bei ihrer Analyse der Darstellung Michelle Obamas in deutschen Medien nicht erkennen (S. 169). Gabriele Dietze und Great Olson hingegen sehen auch im Hinblick auf Barack Obama Wendepunkte in der Repräsentation und Performanz von Männlichkeit, Körperlichkeit, Rassen- sowie Klassenzugehörigkeit, die bis in den Wahlkampf zurückreichen und transnationale Ausstrahlungskraft haben. Auf diese transnationale Wirkung weist Helen Bond hin, die die Ergebnisse einer internationalen Studie zusammenfasst, die die Vorbildfunktion Obamas für Kinder und Jugendliche in den USA, Sierra Leone, China, Russland und Jamaica untersucht. Gleich dem Titel des Aufsatzes kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass sich Kinder weltweit durch Obamas Präsidentschaft dazu inspiriert fühlen, nach oben hin geschlossene „Glasdächer zum Bersten“ zu bringen.

Betrachter des politischen Systems und der politischen Kultur sind weniger geneigt, der Amtszeit Barack Obamas eine seismische Wirkung zuzusprechen. Jenseits beachtlicher Erfolge bei der Wählermobilisierung und einzelner politischer Sacherfolge wie der Durchsetzung der Gesundheitsreform sei es Präsident Obama, so Andreas Falke, nicht gelungen, das Land zu einen, auf die an die „culture wars“ der 1990er-Jahre erinnernden Debatten mäßigend einzuwirken oder dem Prinzip der Überparteilichkeit neue Durchschlagskraft zu verleihen. Hingegen zeigt er, dass sich die politischen Gräben, an denen vor allem an den extremen Flügeln der republikanischen Partei kräftig geschaufelt wird (Tea Party Movement), weiter vertieft haben. Ebenso hat sich an der Qualität von Verschwörungstheorien, wie Michael Butter erläutert, kaum etwas verändert, auch wenn vielen Beobachtern mit der weniger auf das Amt denn auf die Person Barack Obamas abzielenden Infragestellung seiner amerikanischen Staatsbürgerschaft ein neues Niveau der persönlichen Diffamierung erreicht zu sein schien. Lediglich Jörn Ahrends gelangt zu einer Einschätzung, die der Figur Obamas zunächst Potential bei der Realisierung einer post-demokratischen Ordnung beimisst, in der sich die Praktiken der politischen Kommunikation und des politischen Handelns zugunsten der Basis verändern. Seine Verkörperung des politischen Establishments als Präsident der Vereinigten Staaten, die im Widerspruch zu seinem Image als charismatische popkulturelle Ikone der grassroots stehe, so Ahrends, mache seine Gratwanderung zwischen politischer und sozialer Realität jedoch problematisch und auf Dauer unglaubwürdig.

Abschließend liest Sabine Sielke das poetische Versprechen, das dem Amt des Präsidenten und seinen Machtbefugnissen innewohne, und wägt es gegen die prosaischen Realitäten des Regierungsalltags ab, die im gegenwärtigen politischen Klima in den Vereinigten Staaten kaum Hoffnung auf tiefgreifende gesellschafts- und kulturpolitische Veränderungen mache, auch wenn das Schlagwort „post-racism“ in aller Munde sei. Dies sei jedoch nur bedingt USA-spezifisch: „More generally, I do not deem paradigm shifts possible in any (political) culture, even if what happens in some places in North Africa right now may amount to a fundamental transformation” (S. 271). Auch Allyson Hobbs bezieht einen durch Skepsis geprägten Standpunkt. Sicher gebe es „images of progress und momentum“ und Barack Obama bei der Arbeit zuzuschauen erfülle vor allem viele Afro-Amerikaner mit Stolz und Genugtuung. Seine Wahl sei jedoch kein „unmistakable paradigm shift or a happy ending“, wenn man das Fortbestehen von „stark racial disparities in education, wealth, and income, and complex structural inequalities in housing and employment“ bedenke (S. 291). Daher sei es sinnvoll, die Wandlungsprozesse als stoßweisen Paradigmenwechsel zu fassen.

Angesichts der heutigen Präsidentschaftswahlen am 6. November 2012 kommt der Band zur rechten Zeit. Er regt zum Nachdenken an und liefert viele Interpretationsansätze, die Beobachter/inne/n helfen werden, die Ergebnisse der Wahl, wie auch immer sie ausfallen mögen, einzuordnen. Trotz einiger Redundanzen und Längen, die ein sorgfältigeres Lektorat des rasch produzierten Bandes hätten beheben können, empfiehlt sich die Lektüre.

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