: The Policies and Politics of Pope Pius XII. Between Diplomacy and Morality. New York 2011 : Peter Lang Publishing/New York, ISBN 978-1-4331-0521-0 205 S. € 31,43

Graf Strachwitz, Rupert (Hrsg.): Christentum und Nationalsozialismus. Andechser Betrachtungen. München 2011 : P. Kirchheim Verlag, ISBN 978-3-87410-124-0 146 S. € 15,95

Rezensiert für H-Soz-Kult von
René Schlott, Justus-Liebig-Universität Gießen

Auch fast fünfzig Jahre nach der durch Rolf Hochhuths „Stellvertreter“ ausgelösten Debatte um das Pontifikat Pius’ XII. (1939–1958) bleibt der Pacelli-Papst das Zentrum zeitgeschichtlicher Kirchenforschung und der Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Abhandlungen.

Der vorliegende Sammelband umfasst vier Beiträge eines Vortragszyklus zum Verhältnis von katholischer Kirche und Nationalsozialismus im Kloster Andechs, die zum Teil bereits an anderer Stelle erschienen sind. Den Band eröffnet dem Tagungsort entsprechend ein lokalgeschichtlicher Beitrag, in dem Altabt Odilo Lechner über die Geschichte der Benediktinerabtei Sankt Bonifaz in der Zeit von 1933 bis 1945 berichtet, in deren Münchener Stiftsbibliothek Hans Scholl 1942 die Schriften christlicher Theologen zur Frage des Tyrannenmordes studierte. Die übrigen Beiträge dreier namhafter Kirchenhistoriker widmen sich der Politik der Päpste Pius XI. (1922–1939) und Pius XII. gegenüber der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland.

Unter Nutzung der seit 2003 bzw. 2006 neuzugänglichen vatikanischen Aktenbestände zum Pontifikat Pius’ XI. zeichnet Thomas Brechenmacher luzide und konzis die Entstehung und den Inhalt der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ vom 14. März 1937 nach, an deren Formulierung Eugenio Pacelli, der spätere Pius XII. als Kardinalstaatssekretär entscheidend beteiligt war. Brechenmacher bezeichnet das Lehrschreiben, das er in einen längerfristigen kirchenpolitischen und dogmatischen Handlungsstrang einbettet, als „Höhe- und Wendepunkt“ (S. 33) einer päpstlichen Politik der Konfrontation ohne Bruch (S. 64). Jüngst hat ihm Hubert Wolf in dieser Einschätzung allerdings widersprochen, als er keinen „Wendepunkt“ sondern lediglich ein „Strohfeuer“ in der öffentlichkeitswirksamen Papstaktion sah, da ihr keine weiteren derartigen Initiativen folgten.1

Georg Denzler und Winfried Becker beschäftigen sich mit dem bis heute vieldiskutierten und umstrittenen Verhalten Pius’ XII. gegenüber der Shoah. Denzler misst den Pacelli-Papst dabei an dem in dessen Antrittsenzyklika „Summi Pontificatus“ vom 20. Oktober 1939 formulierten Ziel der „Widerlegung der menschlichen Irrtümer und Vergehen“ ohne sich von „irdischen Rücksichten […] beeinflussen“ oder durch „Furcht [davon ] abhalten“ zu lassen (S. 77) und fragt rhetorisch ob der Pontifex womöglich ein „verhinderter Heiliger“ (S. 75) sei. Doch geht es gegenwärtig im Vatikan noch nicht um die Kanonisation Pius’ XII. (wie Denzler auch auf S. 96 meint), sondern vorerst nur um seine Beatifikation. Leider fehlen alle Quellenangaben in dem mit zahlreichen Zitaten versehenen Beitrag, in den ein falsches Wahldatum für Pius XII. geraten ist (S. 79, richtig ist der 2. März 1939). In seinem thematischen Kontext scheint die Verwendung „judenstämmig“ (S. 89) für Daniel Goldhagen zudem deplatziert und der Leser fragt sich nach dem Erkenntnis(mehr)wert dieser Information.

Winfried Becker erläutert unter Heranziehung der einschlägigen Literatur die Gründe für das Ausbleiben einer expliziten Verurteilung des Völkermordes an den europäischen Juden durch den Papst. Der Autor stellt richtig, dass Pius XII. nicht erst seit Hochhuths „Stellvertreter“ 1963 seine Zurückhaltung vorgeworfen wurde und er gibt zahlreiche Beispiele für die implizite Anklage der nationalsozialistischen Verbrechen in Papstreden und -verlautbarungen an. (Wenngleich Pius XII. 1955 die vier- und nicht wie angegeben die dreihundertjährige Wiederkehr des Augsburger Religionsfriedens [S. 135] würdigte.) Dieses päpstliche Sprechverhalten wurde zuletzt als „uneigentliche Rede“ charakterisiert.2

Der fortdauernden Kontroverse um Pius XII., etwas martialisch auch als „The Pius War“ bezeichnet3, widmet sich auch eine Studie des US-amerikanischen Kirchenhistorikers Frank J. Coppa, der das Dilemma des Pacelli-Papstes bereits im Untertitel andeutet: „Between Diplomacy and Morality“.

Coppa stellt stärker als andere Autoren/innen die zahlreichen Gemeinsamkeiten im Lebenslauf der Päpste Benedikt XV. (1914–1922) und Pius XII. sowie den Einfluss von Pietro Gasparri, Kardinalstaatssekretär von 1914 bis 1930 und im Konklave 1922 selbst einer der Papstfavoriten, auf die kirchliche Karriere und die diplomatische Prägung der Persönlichkeit Eugenios Pacellis heraus. Allerdings wirkt seine oft wiederholte Gegenüberstellung von Pius XI., als einem impulsiven, energischen Papst, der aus Protest gegen die Rassepolitik des „Dritten Reiches“ und Italiens auch die offene Konfrontation mit den beiden Regimen suchte, und von Eugenio Pacelli respektive Pius XII., als einem diplomatischen, zurückhaltenden Pontifex, der in der Tradition Benedikts XV. und Gasparris jeden Bruch vermeiden wollte und ganz auf die Unparteilichkeit des Heiligen Stuhles setzte, allzu schematisch. Diese „Schwarz-Weiß-Malerei“ lässt Grautöne vermissen: Denn es war Pacelli, der den Enzyklikaentwurf des Münchener Kardinals Michael von Faulhaber gegen die fortgesetzten Konkordatsverletzungen durch das Deutsche Reich verschärfte und etwa Faulhabers Eingangsworte „Mit großer Sorge“ zu „Mit brennender Sorge“ redigierte.

Nicht immer nimmt Coppa diese aktuellen aus den zuletzt geöffneten vatikanischen Aktenbeständen eruierten Forschungserkenntnisse wahr. Etwa auch nicht in der Frage eines inzwischen widerlegten Junktims zwischen der Zustimmung der Zentrumspartei zum Ermächtigungsgesetz, der Rücknahme der NS-Verurteilung durch die deutschen Bischöfe und dem Verhandlungsangebot der Reichsregierung zu einem Konkordat im März/April 1933.4 Coppa, der sonst meist recht ausgewogen die Persönlichkeit Pacellis beurteilt, verschweigt nicht dessen Schattenseiten: Seinen zum Teil in Briefen der Münchener Nuntiaturzeit zum Ausdruck gekommenen subtilen „anti-Judaism“ (S. 42f.) sieht er ganz in der kirchlichen Lehrtradition der Zeit vor dem II. Vatikanischen Konzil.

Ein gründlicheres Lektorat wäre dem Buch zu wünschen gewesen. Nicht nur zahlreiche wortgleiche Wiederholungen in verschiedenen Kapiteln und viele Redundanzen, sondern auch häufige Rechtschreibfehler, die oft fehlende Interpunktion und sachliche Fehler5 hätten so vermieden werden können.

Eine gründlich überarbeitete deutsche Übersetzung des Buches von Coppa wäre trotzdem wünschenswert, da es eine vergleichsweise ausgewogene Position in die gerade im deutschen Sprachraum polarisierte und polarisierende Debatte um Pius XII. bringt, zu dessen Leben und Werk eine wissenschaftliche Biographie noch immer aussteht.6 Auch nach der Lektüre der beiden vorliegenden Bände kann man sich daher Coppa nur anschließen, wenn er selbst an einem Desiderat festhält: „An objective account of this Pope’s role during World War II, his actions and failures during the conflict, and response to the Holocaust, is long overdue.“ (S. 134)

Anmerkungen:
1 Hubert Wolf, „Wechsel in der Kampftaktik“? 75 Jahre nach der Enzyklika „Mit brennender Sorge“, in: Stimmen der Zeit 230 (2012), S. 214–252, hier S. 250.
2 Hubert Wolf, Der Papst als Mediator? Die Friedensinitiative Benedikts XV. von 1917 und Nuntius Pacelli, in: Gerd Althoff (Hrsg.), Frieden stiften. Vermittlung und Konfliktlösung vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2011, S. 167–220, hier S. 193.
3 Joseph Bottum / David G. Dalin (Hrsg.), The Pius War. Responses to the critics of Pius XII, New York 2004.
4 Siehe zuletzt: Hubert Wolf, Reichskonkordat für Ermächtigungsgesetz? Zur Historisierung der Scholder-Repgen-Kontroverse über das Verhältnis des Vatikans zum Nationalsozialismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 60 (2012), S. 169–200.
5 So war der letzte vor Pius XII. in der Stadt Rom geborene Pontifex nicht der berühmte Mittelalterpapst Innozenz III. oder Innozenz XIII., wie auf S. 113 angegeben, sondern Clemens X. (1670–1676).
6 Gespannt darf man im Hinblick auf die oft zugunsten von Pius XII. angeführten Papstaktionen „im Verborgenen“ auf Erkenntnisse sein, die die Auswertung des Nachlasses des Papstvertrauten Pancratius Pfeiffer verspricht. Angekündigt ist hierzu eine Monographie von Stefan Samerski für Dezember 2012 beim Schöningh-Verlag mit dem etwas unglücklichen Titel: Pancratius Pfeiffer, der verlängerte Arm von Pius XII. Der Salvatorianergeneral und die deutsche Besatzung Roms 1943/44.

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