J. Altenberend (Hrsg.): St. Jodokus 1511-2011

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Titel
St. Jodokus 1511-2011. Beiträge zur Geschichte des Franziskanerklosters und der Pfarrgemeinde St. Jodokus Bielefeld


Herausgeber
Altenberend, Johannes; Holtkotte, Josef
Erschienen
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Helbich, Institut für vergleichende Städtegeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Mit der Aufgabe der nur wenige Jahre existierenden Niederlassung der Franziskaner auf dem vor den Toren Bielefelds gelegenen Jostberg und ihrem Umzug in die Bielefelder Altstadt im Jahr 1511 beginnt die „eigentliche“ Geschichte des Franziskanerklosters und der heutigen katholischen Pfarrgemeinde St. Jodokus in der ostwestfälischen Metropole. Der anlässlich der 500. Wiederkehr dieses Gründungsdatums von Johannes Altenberend und Pfarrer Josef Holtkotte herausgegebene, gut 430 Seiten starke Sammelband vereint von Fachwissenschaftlern verfasste Aufsätze zu verschiedenen Themen rund um die Jodokuskirche sowie Kurzbeiträge zum heutigen Gemeindeleben. Der wissenschaftliche Teil gliedert sich in einen historischen Abschnitt zur Geschichte des Klosters und der späteren St. Jodokus-Gemeinde (S. 13–194) sowie in einen kunsthistorisch orientierten Block zu Kunstwerken und Sakralgegenständen (S. 195–286).

Im Einführungsaufsatz geht Heinrich Rüthing auf den Ordensheiligen Franz von Assisi sowie auf die Ausbreitung und das Wirken der franziskanischen Ordenszweige der Minoriten, Observanten und Kapuziner in Westfalen ein. Sehr anschaulich ist, trotz zwei fehlerhafter Symbole für Hamm und Brilon, die beigefügte Karte, die Schwerpunkte der Ordensniederlassungen insbesondere im Bereich nördlich des Hellweges erkennen lässt. Im Folgenden beschreibt Michael Zozmann die Frühgeschichte des Klosters bis zu seiner Verlegung vom Jostberg in die Stadt im Jahr 1511. Maßgeblich für die Gründung eines Klosters war demnach eine schon bestehende Wallfahrt auf den Jostberg, um eine bessere Betreuung der Pilger zu gewährleisten, wobei der Orden diese Aufgabe zunächst nur widerwillig und auf Druck des Landesherrn übernahm. Dass die Vorbehalte des Ordens hinsichtlich der ungünstigen Lage für ein Franziskanerkloster nicht unbegründet waren, zeigt der nur wenige Jahre später erfolgte Umzug vom Berg in die Stadt. Anknüpfend an Zozmann geht Heinrich Rüthing auf die weitere Geschichte des jetzt innerstädtischen Klosters bis zu seiner Auflösung 1829 ein, insbesondere auf die Beziehungen zwischen Kloster, Stadt und Landesherrn. Trotz bestehender konfessioneller Gräben sei das Verhältnis zwischen den katholischen Brüdern und den Landesfürsten (seit 1614/66 die reformierten brandenburgischen Kurfürsten) gut gewesen, wohingegen Konflikte mit der ebenfalls weitgehend protestantischen Stadt nicht ausblieben.

Diesem ersten historischen Teil folgt ein denkmalpflegerischer Blick auf die Baugeschichte von Kirche und Kloster (Marion Niemeyer und Peter Barthold). Die beiden Autoren können dabei neue Erkenntnisse aus den aktuellen Bauuntersuchungen der Jahre 2008 bis 2011 präsentieren und noch zahlreich vorhandene originäre Bausubstanz nachweisen. Johannes Altenberend nimmt sich im anschließenden Beitrag der Aufgabe an, die ehemalige Bibliothek des Klosters anhand der Inventarisierung des Bestandes im Zuge der Säkularisierung sowie anhand von Bibliothekskatalogen und Besitzvermerken zu rekonstruieren. Auf den ersten Blick aus der Rahmen fallen die Betrachtungen von Alfred Menzel zur Marienkirche in der Bielefelder Neustadt, die vertraglich von 1672 bis 1818 simultan von Lutheranern und Katholiken genutzt wurde, bis diese 1810/18 gänzlich an die evangelische Gemeinde kam. Der Aufsatz passt aber insofern in diesen Band, als sich ein weiter hinten folgender Beitrag (Joachim Wibbing, S. 171–176) der 1921 wiederaufgenommenen Fronleichnamsprozession widmet, die im 16. Jahrhundert nach der Kritik Hermann Hamelmanns, damals Prediger an der Marienkirche, als städtischer Umgang eingestellt worden war und in der Folgezeit nur noch auf dem Gelände des Klosters stattfand.

Der zweite historische Block (S. 117–194) befasst sich mit der Geschichte der katholischen St. Jodokus-Gemeinde im 19. und 20. Jahrhundert. Arnold Otto beleuchtet zunächst die Person des 1889–1909 amtierenden Pfarrers Christian Bartels. Dessen Engagement für das katholische Kranken- und Bildungswesen schlägt die Brücke zum folgenden Beitrag von Kerstin Stockhecke, die die Beziehungen zwischen der Jodokusgemeinde und der evangelischen „Anstalt für Epileptische“ (Bethel) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts untersucht. Die katholische Gemeinde zwischen Kaiserreich und Nachkriegszeit sowie insbesondere die katholische Tageszeitung „Der Turm“ (erschienen 1920–1934) stehen im Mittelpunkt der Betrachtungen von Martin Klein, der anschaulich die engen Beziehungen von Kirche, Politik und Medien in dieser Zeit darstellt. Die zwei folgenden Beiträge desselben Autors beschäftigen sich mit dem katholischen Vereinswesen (Winfriedhaus) sowie dem in der Weimarer Republik neu entstandenen katholischen Wohngebiet an der Oststraße („Vatikan“) im Osten Bielefelds. Der letzte größere Beitrag dieses Blocks befasst sich mit einem lokalen katholischen „Märtyrer“ der NS-Zeit, dem Messdiener Udo Hallau. Anhand der Akten aus den Opferanerkennungsverfahren der Nachkriegszeit versucht Andreas Leutzsch, diesen Kriminalfall (und auch die spätere „Hochstilisierung“ Hallaus als Märtyrer) kritisch aufzuarbeiten, wobei er – vielleicht aufgrund der Quellenlage – hinsichtlich der Täterfrage zu keinem endgültigen Ergebnis kommt.

Den Abschnitt zur meist nicht originären sakralen Ausstattung und den Kunstgegenständen in St. Jodokus eröffnet ein Beitrag von Ursula Pütz zur „Schwarzen Madonna“, einem der ältesten Kunstwerke der Stadt (um 1240), das vermutlich einst in der Bielefelder Marienkirche stand. Ebenfalls aus fremder Provenienz stammen eine barocke Pietà und der „Christus an der Geißelsäule“ (1912), die Christoph Stiegemann im Kontext von Passion und „compassio“ untersucht. Zwei eher unscheinbaren Werken widmet sich Heinrich Rüthing in zwei Kurzbeiträgen, zum einen dem kürzlich freigelegten, unvollendeten Fragment einer spätmittelalterlichen Christusdarstellung im Westflügel des Klosters, und zum anderen einem als Spolie im Kirchenschiff verbauten Stein, auf dem ein „stiller Beter“ eingeritzt ist und der als Teil eines Sühnevertrages möglicherweise einst auf dem Jostberg im Gelände des Klosters aufgestellt worden war. Anhand der zu einem Retabel zusammengefügten, 1962 erworbenen Ikonenbilder des russischen Künstlers Alexey Saweljew erläutert Theodor Ahrens die Bedeutung von Bildern und Ikonen für die Ostkirche. In diesem Zusammenhang geht er auch auf das über dem Altar hängende zypriotische Ikonenkreuz (18. Jahrhundert) ein. Weitere Beiträge beschäftigen sich mit den aus verschiedenen Verehrungskontexten stammenden Reliquien (Christian Popp), den wenigen nachweislich aus der Klosterzeit stammenden Kirchengeräten (Ulrike Hauser), der Orgelgeschichte von St. Jodokus (Andreas Kamm), den Glocken (Harald Propach), dem letzten von einst drei barocken Kronleuchtern (Andreas Kamm) sowie einer bildlichen Darstellung des Klosters aus der Zeit kurz nach dessen Auflösung (Johannes Altenberend).

Alles in allem geben die Beiträge ein umfassendes Bild von Geschichte und Kunst des ehemaligen Klosters wie auch der heutigen katholischen Gemeinde – letzteres insbesondere durch die Kurzbeiträge im Anschluss an den wissenschaftlichen Teil, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Allerdings hätten einige Aspekte durchaus eine vertiefte Betrachtung verdient. So hätten beispielsweise die archäologischen Untersuchungen auf dem Jostberg, die im Beitrag von Zozmann zumindest erwähnt werden, in einem eigenen Aufsatz genauer ausgeführt werden können. Dasselbe gilt für das Verhältnis zwischen der katholischen „Insel“ St. Jodokus und den innerstädtischen evangelischen Stadtkirchen seit der Reformation, das in den Beiträgen leider nur am Rande thematisiert wird.

Nichtsdestotrotz ist der durch den Bielefelder Verlag für Regionalgeschichte aufwendig gestaltete Band eine Bereicherung für die Bielefelder Stadt- und die westfälische Regionalgeschichte ebenso wie für die vergleichende lokale Kirchengeschichtsschreibung. Lobend erwähnt sei hier auch die hohe Qualität der zahlreichen Abbildungen, welche die Texte perfekt ergänzen. Es ist zu hoffen, dass auch in Zukunft weiterhin solche Bände erscheinen können, die sowohl den Fachwissenschaftler wie auch den interessierten Laien gleichermaßen ansprechen.

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