H. Duchhardt: Frieden im Europa der Vormoderne

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Titel
Frieden im Europa der Vormoderne. Ausgewählte Aufsätze 1979–2011. Herausgegeben und eingeleitet von Martin Espenhorst


Autor(en)
Duchhardt, Heinz
Erschienen
Paderborn 2011: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
XIV, 209 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido Braun, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bonn

Heinz Duchhardt zählt unstrittig zu den führenden deutschen Frühneuzeit-Historikern und auch weltweit zu den exzellentesten Kennern der internationalen Beziehungen in der Vormoderne. Viele seiner Arbeiten waren in den vergangenen drei Jahrzehnten Wegmarken der Forschungsgeschichte. Neben unzähligen Spezialstudien – insbesondere zu Frieden, Friedensvermittlung und Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit – bereichert er seit etlichen Jahren Forschung und Lehre mit zuverlässigen, detailreichen, zugleich gut lesbaren und eingängigen Überblicks- und Handbuchdarstellungen: etwa durch seine herausragende internationale Geschichte des 18. Jahrhunderts „Balance of Power und Pentarchie 1700–1785“ oder durch seinen mehrfach aufgelegten, nicht zuletzt von Studierenden sehr geschätzten Band zu „Barock und Aufklärung“ in der Reihe „Oldenbourg Grundriss der Geschichte“.1 Doch nicht nur als Autor, sondern auch als Herausgeber vieler wegweisender Sammelbände, die sich von den Hugenotten über das Absolutismus-Paradigma bis zu den frühneuzeitlichen Friedenskongressen zentralen Themen der Vormoderne zuwenden, als Wissenschaftsorganisator sowie, damit verbunden, als Initiator und Leiter bedeutender Forschungsprojekte hat sich Duchhardt – langjähriger Direktor des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz, ferner Stiftungsratsvorsitzender der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland – um die Frühneuzeit-Forschung in höchstem Maße verdient gemacht.

Zu seinen Schwerpunkten zählte von Beginn an die historische Friedensforschung, die er auch zu Zeiten betrieb, in denen sie keineswegs Konjunktur hatte. Zu einer Öffnung der klassischen Geschichte der internationalen Beziehungen hin zu einer internationalen Geschichte neuen Typs haben Duchhardts Studien wesentliche Beiträge geliefert. Angesichts dieser herausragenden Lebensleistung erscheint es äußerst erfreulich, dass zum 65. Geburtstag des Autors einige seiner wichtigen Aufsätze der letzten drei Jahrzehnte – mit einer kurzen Einführung von Martin Espenhorst versehen – nun in einem Band vereint nachgedruckt werden. Der Titel verrät bereits die inhaltliche Kohärenz: „Frieden im Europa der Vormoderne“. Um dieses Sujet kreisen alle Beiträge des Buches, das also keinen Gesamtüberblick über die Themenvielfalt der Forschungen Heinz Duchhardts bietet, sondern den Fokus bewusst auf die zentrale Problematik seines Œuvres richtet: die historische Friedensforschung.

Die 15 Beiträge widmen sich näherhin den Themenkomplexen „Friedenswahrung“, „Friedensverträge“, „Friedensordnung“ und „Erinnerungskultur“, die den vier Sektionen entsprechen, in denen die Texte angeordnet sind. Dabei werden immer wieder bestimmte Grundfragen angeschnitten, die sich wie ein roter Faden durch die Beiträge ziehen, wie die Frage nach dem Verhältnis von Frieden, Machtpolitik und Recht sowie nach den übergreifenden Friedens- und Ordnungskonzepten, die in der Frühen Neuzeit entwickelt wurden. Der chronologische Schwerpunkt liegt auf dem 17. und 18. Jahrhundert. Mehrfach kommt Duchhardt in verschiedenen Kontexten auf den Westfälischen Frieden zurück. Dies ist ganz unstrittig der Dreh- und Angelpunkt seiner im vorliegenden Band publizierten Beiträge. Im Westfälischen Frieden lässt sich darüber hinausgehend sicherlich ein Kernstück der frühneuzeitlichen Friedenskonzeptionen erblicken. Nicht ohne Grund wurde der Westfälische Friedenskongress als „Archetypus“ des neuzeitlichen Kongresswesens bezeichnet.2

Dabei spricht es sehr für die sachliche, geradezu nüchterne Argumentationsweise Duchhardts, dass er die Bedeutung des Westfälischen Friedens in wichtigen Punkten durchaus relativiert: Nur eine partielle Lösung der 1648 herrschenden Konflikte habe er gebracht, in Teilen eine sehr kurzlebige Friedensordnung herbeigeführt; in Deutschland, zumal bei den Katholiken, sei er schon zeitgenössisch keineswegs ausnahmslos bejubelt und gefeiert worden; als europäischer Erinnerungsort tauge er nur sehr bedingt. Vor allem jedoch wendet sich Duchhardt gegen den „Mythos“ vom „Westphalian System“, ein aus seiner überzeugend vorgetragenen Sicht falsches Konstrukt, weil die meisten und wichtigsten Grundannahmen, auf denen diese System-Theorie beruht, sich als nicht haltbar erwiesen hätten. In diesem wie auch in anderen Zusammenhängen zeigt sich der Verfasser immun gegen ideologische Verengungen und übertriebene Zuspitzungen.

Sowohl für die Forschung als auch für Studierende stellt Duchhardt in diesem Band höchst beachtenswerte und lehrreiche Überlegungen zusammen. Gerade dort, wo Duchhardt bewusst (diskussionswürdige) Thesen formuliert und die Offenheit der Debatte betont, wirkt sein Buch besonders anregend. Sehr wohltuend ist sein Verzicht auf den Anspruch, letztgültige und unanfechtbare Interpretationen zu liefern. Gewisse Redundanzen sind aufgrund der engen thematischen Verwandtschaft der Beiträge kaum vermeidbar. Sie wirken jedoch keineswegs störend. Einige Lesefehler haben sich in die Nachdrucke eingeschlichen, aber sie beeinträchtigen nicht den Lektürefluss. In manchen Punkten ist die Forschung weitergekommen, oder frühere vermeintliche Sicherheiten sind infrage gestellt worden: etwa bezüglich der Präsenz des Abbé de Saint-Pierre, des Verfassers eines bedeutenden Friedensprojekts des frühen 18. Jahrhunderts, auf dem Kongress von Utrecht. Auch in dieser Hinsicht ist jedoch zu konstatieren, dass selbst die älteren Beiträge Duchhardts in den wesentlichen Punkten dem heutigen Kenntnisstand entsprechen. Vielleicht ließe sich hinsichtlich der Friedensvermittlung heute eher als 1999 davon sprechen, dass der Westfälische Friedenskongress einschlägige Standards setzte, nachdem die 1999 bis 2004 publizierten französischen Korrespondenz-Bände der Acta Pacis Westphalicae das ganze Ausmaß der niederländisch-calvinistischen Vermittlung zwischen den katholischen Kronen Spanien und Frankreich offengelegt haben, die so zuvor noch nicht bekannt gewesen war. Aber dieser Hinweis ist eher als Denkanstoß denn als Feststellung zu sehen.

Lässt der Band also überhaupt Wünsche offen? Angesichts der Breite des Themas könnten prinzipiell selbstverständlich viele Wünsche vortragen werden. Es gehört indes zu den ärgerlichen Auswüchsen des in unserer Zeit immer schnelllebigeren Rezensionswesens, dass allzu oft entweder das Fehlen vermeintlich unverzichtbarer Aspekte in einem Werk bemängelt oder aber das besprochene Buch als zu lang kritisiert wird (oder beides zusammen). Nicht selten fehlt der Respekt vor dem Autor, seinen spezifischen Anliegen und Erkenntnisinteressen sowie auch vor den legitimen Interessen eines Großteils seiner Leserschaft, die eben nicht unbedingt mit den Wünschen des Rezensenten kongruent sind. Zwar gebührt den höchst stimulierenden Impulsen und fundamentalen Erkenntnisfortschritten, die etwa durch die neuere Kulturgeschichte und besonders die Kulturgeschichte des Politischen in der jüngeren Vergangenheit hervorgebracht wurden, alle Hochachtung. Dennoch ist ferner kritisch anzumerken, dass in vielen Rezensionen der letzten Jahre eine überzogene Tendenz auszumachen ist, bei Werken zur politischen Geschichte den Fokus ganz auf die Teile zu richten, die diesen neueren Tendenzen des Faches im engeren Sinne entsprechen, hingegen andere, vermeintlich „herkömmliche“ oder „traditionelle“ Kapitel kaum zu würdigen. Dabei wird nicht selten verkannt, dass auch dort durchaus beachtliche Erkenntnisfortschritte erzielt und Forschungsbeiträge geliefert werden, die man nicht einfach beiseite schieben, sondern mit deren Thesen man sich auseinandersetzen sollte.

Manch älterer Beitrag von Duchhardt könnte aus heutiger Sicht auf den ersten Blick „konventionell“ erscheinen. Bei näherem Hinsehen trifft dieses Epitheton jedoch auf keinen der Texte zu. Duchhardt gelingt es vielmehr, in seinen Forschungsüberblicken darzulegen, wie sehr sich die historische Friedensforschung der letzten Jahrzehnte – auch in ihren eher diplomatiegeschichtlichen Studien – von der älteren, an machtpolitischen Denkmustern orientierten Historiographie entfernt hat und wie innovativ und wenig konventionell gerade die deutsche Friedensforschung war, die nach dem Zweiten Weltkrieg einen spektakulären Auftrieb erfuhr und sich Themen und Fragen zuwandte, die im Reich von Bismarck bis Hitler schlicht nicht „hoffähig“ gewesen waren.

Besonders stimulierend sind aus der Sicht des Rezensenten jedoch die Beiträge zum Themenkomplex „Erinnerungskultur“, ferner zum „Europa“-Begriff als Begründungs- und Legitimationsmetapher in vormodernen völkerrechtlichen Verträgen. Diese jüngeren Aufsätze liegen eng am Puls der Gegenwart. Daran schließt sich der einzige veritable Wunsch des Rezensenten an: ein umfassenderer Ausblick auf die Perspektiven, die sich der historischen Friedensforschung aus der Sicht eines Protagonisten, der sie schon mehrere Jahrzehnte lang nicht nur begleitet, sondern tief geprägt hat, in der näheren und mittleren Zukunft eröffnen werden. Doch dazu wird Duchhardt vielleicht bei anderer Gelegenheit Stellung nehmen, wie auch sein besprochenes Buch wohl nicht den Abschluss seiner einschlägigen Forschungen, sondern eine auf wichtige Kernthemen konzentrierte, höchst anregende Zwischenbilanz darstellt. Sie gibt der künftigen Forschung ohnedies bereits eine ganze Reihe von Agenden mit auf den Weg.

Anmerkungen:
1 Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie 1700–1785 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen 4), Paderborn 1997; ders., Barock und Aufklärung (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 11), 4. Aufl., München 2007 (bis 3. Aufl. 1998 unter dem Titel: „Das Zeitalter des Absolutismus“).
2 Jörg Ulbert, Kongresspolitik, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 6, Stuttgart 2007, Sp. 1086–1088, 1087.

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