T. Tönsmeyer u.a. (Hrsg.): Adel und Politik

Titel
Adel und Politik. in der Habsburgermonarchie und den Nachbarländern zwischen Absolutismus und Demokratie


Herausgeber
Tönsmeyer, Tatjana; Velek, Luboš
Reihe
Studien zum mitteleuropäischen Adel 3
Erschienen
München 2011: Martin Meidenbauer
Anzahl Seiten
332 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karsten Holste, Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Die Reaktionen adeliger Akteure auf den gesellschaftlichen Wandel zwischen dem ausgehenden 18. und dem beginnenden 20. Jahrhundert werden seit gut zwei Jahrzehnten in einer rasch wachsenden Zahl von Publikationen deutschsprachiger Adelsforschung diskutiert. Forschungsleitend sind dabei Fragen nach dem Umfang der regionalen und sozialen Binnendifferenzierung des Adels, nach den Grundlagen der fortbestehenden gesellschaftlichen Bedeutung des Adels nach Auflösung der ständischen Ordnungen sowie nach den Formen der Kompromissfindung zwischen adeligen und bürgerlichen Eliten.1 Die Geschichte adeliger Eliten in den Ländern der Habsburgermonarchie, die in diesem Kontext lange nur am Rande Beachtung fand, stand im Fokus von mehreren Tagungen im Rahmen des Prager Forschungsprojekts „Transformace společenských elit v procesu modernizace. Šlechta českých zemí 1749–1948 [Transformation gesellschaftlicher Eliten im Modernisierungsprozess. Adel in den böhmischen Ländern 1749–1948]“.2

Tatjana Tönsmeyer und Luboš Velek haben nun die Ergebnisse der dritten Tagung zusammengetragen, die 2006 dem Verhältnis von Adel und Politik in der Habsburgermonarchie und den angrenzenden deutschen Ländern gewidmet war. Ergänzt wird das Werk darüber hinaus durch zwei weitere Beiträge. In ihrer äußerst kurzen Einleitung verzichten Tönsmeyer und Velek auf eine Einordnung des Bandes in den Kontext der neueren Adelsforschung und beschränken sich auf die Feststellung, dass zwar „der Adel häufig quasi automatisch als Antipode“ des Modernisierungsprozesses dargestellt wurde, es jedoch „wohl offensichtlich“ sei, dass seine Geschichte „eine Reihe von gegensätzlichen und ambivalenten Momenten in sich vereinigt“ (S. 7). „Der Adel“ wird pauschal mit der „traditionellen gesellschaftlichen Elite“ gleichgesetzt, deren Reaktionen auf „das Vordringen neuer sozialer und politischer Gedanken“ und deren Strategien zur Behauptung der „ursprünglichen Stellung“ beschrieben werden sollen (S. 7f.). Inwieweit in der Publikation die bisherigen Leitfragen der Forschung aufgegriffen oder neue entwickelt werden, ist nur den einzelnen Beiträgen zu entnehmen. Der Band ist in die drei Teile „Politisches und soziales Denken im Adel“, „Höfe und Landtage als politische Zentren“ und „Der Adel Cisleithaniens im konstitutionellen Zeitalter“ gegliedert. Einige Verbindungen zwischen den Befunden der verschiedenen Autorinnen und Autoren, die zu weiterführenden Überlegungen anregen und auf die hier aufmerksam gemacht werden soll, treten besonders deutlich bei einer stärker an der Chronologie orientierten Auseinandersetzung mit den Beiträgen hervor.

Die Aufsätze zum ungarischen Adel von József Glósz und István M. Szijártó zeigen, dass die bis 1848 starke und von aristokratischer Beeinflussung weitgehend emanzipierte politische Position des begüterten niederen Adels in Ungarn weniger traditionelle Gründe hatte, sondern vor allem auf die Intensivierung der Landesverwaltung während des 18. Jahrhunderts zurückging, die sich auf den Ausbau ständischer Institutionen stützte. Die Forderung einer weitgehenden Übergabe der Landesverwaltung an den Güter besitzenden Adel steht auch im Zentrum des von Miloš Řezník untersuchten Projektes einer ständischen Verfassung für Galizien, die Leopold II. kurz nach seinem Regierungsantritt überreicht wurde. Die aristokratischen Verfasser beriefen sich darin, wie Řezník hervorhebt, häufig auf das von einem starken niederen Adel gekennzeichnete ungarische Beispiel. Auf eine alternative Form politischer Einflussnahme verweist der Beitrag von Karin Schneider, der die Karrieremöglichkeiten von Aristokraten am Wiener Hof um 1800 schildert. Zusammengenommen regen die genannten Aufsätze zu weiterführenden Überlegungen dazu an, welche Optionen sich adligen und aristokratischen Politikern in ihrem Ringen um eine einflussreiche Stellung zwischen regionaler Adelsgesellschaft, zentralen Reichsbehörden und Wiener Hof eröffneten.

Die Beiträge zum Vormärz verdeutlichen insgesamt die Vielfalt politischer Optionen adeliger Akteure in diesem Zeitraum. Roland Gehrke erläutert, wie Güter besitzende Adelige die formal nicht an den Adel, sondern an den langfristigen Besitz von Rittergütern geknüpfte Vertretung der Ritterschaft auf den schlesischen Provinziallandtagen mehrheitlich als Adelsrepräsentation zu nutzen verstanden – ein Verhalten, das den geläufigen Vorstellungen von „adeliger Politik“ im 19. Jahrhundert weitgehend entspricht. Josef Matzerath zeigt am Beispiel oppositioneller adeliger Politiker in den Landesparlamenten deutscher Mittelstaaten aber klar auf, „dass sich nur schwer von dem Adel als geschlossenem politischen Akteur reden lässt“ (S. 164). Unterschiedliche politische Haltungen stellten – so Matzerath – bereits im Vormärz den Gruppenzusammenhalt des Adels immer mehr in Frage. Unklar bleibt bei dieser Argumentation allenfalls, inwieweit diese inneradelige politische Meinungsvielfalt tatsächlich, wie von Matzerath konstatiert, die Auflösung eines zuvor politisch geschlossenen Standes widerspiegelt oder ob sie nicht vielmehr auf die Entstehung politischer Öffentlichkeit zurückzuführen ist, die den Raum für die Darlegung unterschiedlicher politischer Ansichten bot. Die Beiträge Margarete Buquoys, Jiří Raks und Zdeněk Bezecnýs zu Georg Graf von Buquoy, Graf Leo Thun und Fürst Friedrich zu Schwarzenberg verdeutlichen jedenfalls, dass auch böhmische Aristokraten im Vormärz stark voneinander abweichende politische Ansichten vertraten, die von Vergangenheitsverklärung bei Schwarzenberg bis zu zeitweiligen Annäherungen an die tschechische Nationalbewegung und den politischen Liberalismus bei Thun und Buquoy reichten.

Das Bild einer relativen Offenheit politischer Positionierung von Adeligen vor der Revolution von 1848 verstärken auch die Beiträge zur Entwicklung des politischen Konservatismus in der Habsburgermonarchie. Zwar lässt sich diese bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen, wie den Überlegungen Vojtěch Bellings zu den konfessionell bedingten Möglichkeiten und Grenzen der Adaption konservativer, preußischer Ideen zu entnehmen ist. Jiří Georgiev zeigt am Beispiel böhmischer Aristokraten aber, dass eine deutlich abgrenzbare, gemeinsame, konservative Programmatik hochadeliger Politiker erst in Auseinandersetzung mit der Durchsetzung staatlicher Ordnung nach der Revolution entwickelt wurde. Diese zerfiel jedoch bereits zehn Jahre später in eine „konservative“, weiter dem Landespatriotismus verpflichtete und eine „verfassungstreue“, an den Kompromissen der Reichsverfassung orientierte Linie. Lothar Höbelt erörtert die Struktur der Wählerschaft der aus diesen programmatischen Richtungen entstehenden Parteien und deren Einflussmöglichkeiten im Rahmen des außerhalb von Ungarn geltenden Wahlsystems nach Kurien, welches den Großgrundbesitzern die Wahl von zehn bis dreißig Prozent der Parlamentsmandate sicherte und, wie Franz Adlgasser aufzeigt, den Hintergrund für die starke Präsenz von Adeligen in den Parlamenten während des ausgehenden 19. Jahrhunderts bildete. Luboš Velek, Milan Hlavačka und Šárka Lellková schildern in ihren Beiträgen die innere Struktur sowie die programmatische Entwicklung der „konservativen“ Großgrundbesitzerpartei in Böhmen und zeigen die Ursachen für das Scheitern der Bemühungen einzelner hochadeliger Politiker auf, der Aristokratie durch Ausdehnung der Wählerbasis über den Kreis der Gutsbesitzer hinaus parteipolitischen Einfluss zu sichern. Hans Peter Hye verweist in seinem Beitrag allerdings darauf, dass die durch das Wahlsystem gesicherte Vertretung in den Parlamenten dem Anspruch der böhmischen Aristokratie auf eine gesonderte Stellung als Landesrepräsentanten von Anfang an nicht entsprach und fordert von der Forschung, zum besseren Verständnis des politischen Systems, den auf den hohen Adel beschränkten Zugang zum Hof stärker zu berücksichtigen. Die mit der Übernahme von Hofämtern verbundene persönliche Nähe zum Kaiser ermöglichte zwar keine direkten politischen Einflussmöglichkeiten, wie Martina Winkelhofer zeigt. Sie eröffnete aber auf dem Wege der Protektion besondere Aufstiegschancen in Verwaltung, Militär sowie Diplomatie und damit politische Gestaltungsmöglichkeiten, deren Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Parlamenten und Staatsapparat verstärkt in die historische Analyse einbezogen werden sollten.

Besondere Erwähnung verdient das von Rudolf Kučera vorgestellte Programm einer Untersuchung der politischen und sozialen Stellung des in Schlesien und Böhmen durch Nobilitierung im Laufe des 19. Jahrhunderts neu entstehenden Adels.3 Denn während sich die bisher erwähnten Beiträge fast ausschließlich mit dem alten, gutsbesitzenden Adel und der Aristokratie auseinandersetzen, rückt dieser Aufsatz die Bedeutung, die dem Adel außerhalb der altadeligen Gesellschaft zugeschrieben wurde, ins Blickfeld der Forschung – und damit die Beziehungen zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung von Adel.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass dieser Sammelband – besonders bei einer Lektüre, die Querverbindungen zwischen den einzelnen Beiträgen berücksichtigt – interessante Befunde zur Vielfalt und Kontextgebundenheit von mit Adel assoziierter Politik aufzeigt und damit dazu anregt, verstärkt nach den konkreten Zusammenhängen zu fragen, in denen Politiker als Adelsvertreter agierten und in denen Adel als politischer Faktor thematisiert wurde.

Anmerkungen:
1 Vgl. zu den Leitfragen der Adelsforschung: Charlotte Tacke, "Es kommt also darauf an, den Kurzschluss von der Begriffssprache auf die politische Geschichte zu vermeiden." 'Adel' und 'Adeligkeit' in der modernen Gesellschaft, in: Neue Politische Literatur 52 (2007), S. 91–123.
2 Ivo Cerman / Luboš Velek (Hrsg.), Adelige Ausbildung. Die Herausforderung der Aufklärung und die Folgen, München 2006; Dies. (Hrsg.), Adel und Wirtschaft. Lebensunterhalt der Adeligen in der Moderne, München 2009.
3 Vgl. zu den Ergebnissen dieser Untersuchung: Rudolf Kučera, Staat, Adel und Elitenwandel. Die Adelsverleihungen in Schlesien und Böhmen 1806-1871 im Vergleich, Göttingen 2012 (Das Erscheinen ist erst geplant für Juli 2012).