Titel
Before Porn Was Legal. The Erotica Empire of Beate Uhse


Autor(en)
Heineman, Elizabeth D.
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 225 S.
Preis
€ 28,94
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eva-Maria Silies, Freie Universität Berlin

Das wissenschaftliche Arbeiten über intime Themen wie Sexualität ist nach wie vor eine Herausforderung für Historikerinnen und Historiker, insbesondere, wenn sie die selbst oder von Mitlebenden erfahrene Vergangenheit untersuchen. In den vergangenen Jahren sind mehr Studien erschienen, die sich der Sexualitätsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg widmen, meist unter kulturwissenschaftlicher Fragestellung.1 Elizabeth Heineman knüpft hieran an und erweitert die Perspektive noch, insbesondere um Fragestellungen aus der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte. Dabei ist der Titel des Buches ein wenig irreführend: Es geht nicht (nur) um Pornografie und deren Legalisierung, sondern vielmehr um den Umgang mit Erotik und damit verbundenen Konsumgütern, aber auch um moralische Vorstellungen und den Aushandlungsprozess darüber. Zudem steht zwar das Erotikunternehmen Beate Uhse im Mittelpunkt der Analyse, Heineman will aber explizit nicht eine Firmengeschichte schreiben, sondern sieht die Firma als einen – wenn auch den erfolgreichsten – Akteur auf dem breiten Feld bundesrepublikanischer Erotikunternehmen nach 1945. Gerade diese Öffnung der Perspektive und die Einbeziehung von Vergleichen zwischen Erotikunternehmen machen den Mehrwert dieses Buches aus.

Heineman zeichnet darin die Geschichte der Erotik in der Bundesrepublik nach und fragt vor allem nach deren Bedeutung als Konsumware. Im ersten Teil des Buches untersucht sie, wie sich der Boom der Erotikindustrie in den 1950er-Jahren mit der angeblich wertkonservativen Haltung der Bundesdeutschen gegenüber allem Sexuellen in Einklang bringen lässt. In den anschließenden Kapiteln setzt sie den Umgang mit Pornografie und Erotik in den Kontext der „Sexwelle“ der 1960er- und der „Pornowelle“ der 1970er-Jahre. Sie hinterfragt aber diese vermeintlich eindeutigen Deutungsmuster und zeigt stattdessen deren Ambivalenz und Vielschichtigkeit auf. Besonders deutlich wird dies an der Frage nach dem Liberalismus in Bezug auf Sexualität und Erotik in der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Immer wieder diskutiert Heineman, wie „liberal“ einzelne Positionen seien; durch das ganze Buch zieht sich die Gegenüberstellung von „liberal“ gegen „konservativ“. Sie weist darauf hin, dass die Zuordnung zu diesen beiden Polen nicht einheitlich zu den politischen Parteilagern erfolgen könne, und am Beispiel von Robert Schilling, dem Vorsitzenden der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften zwischen 1954 und 1966, kann sie zeigen, dass in Organen, die als Hochburgen konservativer Werte galten, liberale Stimmen an Einfluss gewinnen konnten. Heineman geht auf die unterschiedlichen Facetten des Liberalismus ein, der eine politische, eine wirtschaftliche oder auch eine soziale Komponente haben konnte. Ohne dass sie dabei den bundesrepublikanischen Liberalismus konkret definiert, lehnt sie sich an die These von Ulrich Herbert an2 und geht wie er von einem linear fortschreitenden Liberalismus aus. Manchmal wäre eine stärkere Konturierung der beiden Lager wünschenswert gewesen, indem deutlicher die Positionen gegenübergestellt oder aber einzelne Personen der jeweiligen Lager skizziert werden. Der Anschaulichkeit bei der Schilderung des Zeitgefühls kommt diese etwas simplifizierende Darstellung aber in jedem Fall zugute.

Die Ankerpunkte der Untersuchung sind Gesetzesänderungen bzw. die Diskussion darüber und die anschließende Umsetzung. Dies sind das „Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften“ aus dem Jahr 1953 und die sich daran anschließende Einrichtung der „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“, der Entwurf eines neues Sexualstrafgesetzes aus dem Jahr 1962 und die tatsächliche Reform 1969, das „Fanny Hill“-Urteil des Bundesgerichtshofs 1969 oder die Reform des Sexualstrafrechts von 1973, das den Vertrieb von pornografischem Material ermöglichte. Juristische Texte, Gerichtsurteile und Begründungen bilden einen elementaren Teil des analysierten Quellenkorpus. Auch stellt Heineman dar, wie sich Erotikunternehmen vor Gericht für ihre Aktivitäten rechtfertigen mussten und welche juristischen Argumentationslinien sie dabei entwickelten. Besonders aufschlussreich ist dabei die Analyse des 1951 gegründeten „Verbandes deutscher Versandunternehmen“, dem bis Mitte der 1960er-Jahre 50 Unternehmen beitraten. Diese waren zumeist sehr klein, aber daher umso mehr darauf angewiesen, gemeinsame Verteidigungsstrategien zu entwickeln, die sie vor kostspieligen und existenzgefährdenden Gerichtsverfahren bewahren konnten.

Der zentrale Bezugspunkt für die gesamte Analyse ist das Erotikunternehmen Beate Uhse. Heineman differenziert hierbei in gelungener Weise zwischen zwei Strängen: dem Unternehmen selbst, mit der Bezeichnung Beate Uhse, und der Person Beate Rotermund, die das Unternehmen aufbaute und als zentrale Figur gilt. Das Unternehmen Beate Uhse entwickelte seit den 1950er-Jahren eine Vorreiterrolle in der Riege der Erotikunternehmen; in den 1960er-Jahren war es „the face of the West German erotica industry“ (S. 20). Der Erfolg verdankte sich nach Heineman insbesondere der Strategie, mit der das Unternehmen ein breites Publikum – und nicht nur Männer! – anzusprechen vermochte: Beate Uhse stellte das Bild der kameradschaftlichen Ehe in den Mittelpunkt, bei der Mann und Frau mit größerem Wissen durch Ratgeber oder Informationsschriften und gegebenenfalls der Unterstützung durch Hilfsmittel zu einem erfüllten Sexualleben kommen könnten. Die Produktinformationen und die Katalogbebilderung durchzog die Leitlinie, dass eine erfüllte Sexualität der Frau Ehen retten könne – und Beate Uhse bot den Frauen Wissen über ihren eigenen Körper und den Männern Rat, wie die eheliche Sexualität zum einen genussvoller, zum anderen aber auch sicherer werden könne, indem beispielsweise Kondome angeboten wurden. Mit diesem ganzheitlichen Ansatz unterschied sich Beate Uhse von anderen großen Anbietern der 1940er- bis 1960er-Jahre, wie beispielsweise dem Stuttgarter Erotikunternehmer Walter Schäfer, der zwar auch Informationsmaterial für Frauen und Verhütungsmittel anbot, sich mit den Werbebotschaften aber eher an ein männliches Publikum und dessen sexuelle Interessen richtete.

Besonders lesenswert ist die Analyse des „Beate Uhse-Mythos“. Beate Rotermund habe ihre eigene Biografie und die (Erfolgs-)Geschichte ihres Unternehmens öffentlich in den Kontext der bundesrepublikanischen Geschichte gestellt und die Erzählung den jeweiligen Zeitströmungen angepasst. Rotermunds Biografie sei exemplarisch geworden und habe sie selbst zu einer Berühmtheit werden lassen. Insbesondere die „Luftwaffe-story“ zeigt, wie Beate Rotermund die Ambivalenz ihrer eigenen Biografie einsetzte, um sie für das Unternehmen zu nutzen – ohne dass dabei das Bild einer rein auf den geschäftlichen Gewinn orientierten Frau entstanden sei. So konnte Rotermund ihre Tätigkeit als Luftwaffenpilotin im Dritten Reich erfolgreich zur Geschichte einer modernen, unabhängigen Frau umdeuten, die während der Kriegs- und Nachkriegszeit nicht nur die Leiden einer alleinstehenden, aus dem Osten fliehenden Mutter erlebt hatte, sondern auch die Freiheiten und Nervenkitzel der 1930er- und 1940er-Jahren kannte und diese in das Berufsleben der Nachkriegszeiten retten konnte: Sie versprach Aufklärung und sexuelles Vergnügen durch erotische Lektüren und Präparate. In der öffentlichen Wahrnehmung, so die Deutung Heinemans, war Beate Rotermund damit nicht nur eine sexuelle Aufklärerin und eine erfolgreiche, produktive Unternehmerin, „but also a defender of liberty in a fragile democracy“ (S. 100).

Die Verbindung von Mikro- und Makroperspektive, wie sie hier deutlich wird, ist eine der Stärken des Buchs. Gekonnt bringt Heineman die Geschichte von Beate Uhse und anderen Erotikunternehmen, aber auch der Unternehmerin Beate Rotermund in den Kontext der bundesrepublikanischen Geschichte, den Umgang mit der NS-Vergangenheit, dem kulturellen Aufbruch der 1960er-Jahre oder dem Feminismus der 1970er-Jahre. Darüber hinaus ist das Buch lesefreundlich verfasst: knapp, aber prägnant und in einem analytischen Stil. Man hätte sich vielleicht an einigen Stellen etwas ausführlichere Belege in den Anmerkungen für einzelne Schlussfolgerungen gewünscht, und neben der umfassenden Untersuchung der juristischen Quellen wäre eine noch breitere Einbeziehung der Medienberichterstattung über Erotikunternehmen bestimmt aufschlussreich gewesen. Aber das hätte die Ergebnisse der Studie wohl nicht verändert, und so hat Elizabeth Heineman einen wichtigen Meilenstein zu bundesrepublikanischen (Sexualitäts-)Geschichte gesetzt, den zu lesen nicht nur neue Erkenntnisse und Denkanstöße liefert, sondern auch Freude bereitet.

Anmerkungen:
1 Sybille Steinbacher, Wie der Sex nach Deutschland kam. Der Kampf um Sittlichkeit und Anstand in der frühen Bundesrepublik, München 2011; Peter-Paul Bänziger, Sex als Problem. Körper und Intimbeziehungen in Briefen an die „Liebe Marta“, Frankfurt am Main u.a. 2010; Eva-Maria Silies, Liebe, Lust und Last. Die Pille als weibliche Generationserfahrung in der Bundesrepublik 1960–1980, Göttingen 2010, sowie den ausführlichen Forschungsbericht: Peter-Paul Bänziger, Julia Stegmann: Politisierungen und Normalisierung: Sexualitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, in: H-Soz-u-Kult, 05.11.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/2010-11-001> (09.11.2012).
2 Ulrich Herbert, Liberalisierung als Lernprozess. Die Bundesrepublik in der deutschen Geschichte – eine Skizze, in: ders. (Hrsg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration. Liberalisierung 1945–1980, Göttingen 2002, S. 7–49.

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