S. Beaufays u.a. (Hrsg.): Einfach Spitze

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Titel
Einfach Spitze?. Neue Geschlechterperspektiven auf Karrieren in der Wissenschaft


Herausgeber
Beaufays, Sandra; Engels, Anita; Kahlert, Heike
Erschienen
Frankfurt am Main 2012: Campus Verlag
Anzahl Seiten
300 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Martina Keilbach, Research Academy Leipzig

Dass die Ungleichheit der Geschlechter als Ordnungsprinzip wissenschaftlicher Institutionen (und vermutlich auch darüber hinaus) gilt, ist Konsens in der Hochschul-, Geschlechter- und Frauenforschung sowie in den Gender Studies. So auch in dem hier zu besprechenden Sammelband.

Bereits in der Einleitung stellen die drei Herausgeberinnen ungünstige Ausgangspositionen für Frauen in der Wissenschaft fest: Wissenschaftlerinnen erkennen früher oder später die Ausweglosigkeit ihrer Karrieremöglichkeiten und Formen ihrer strukturellen Benachteiligung konnten bisher noch nicht abgebaut werden, vielmehr werden sie durch bestehende Ordnungen permanent reproduziert. An dieser Stelle setzt der Sammelband an, indem er sich darauf konzentriert, „die komplexen Wechselwirkungen zu analysieren, die eine Karriere gelingen lassen beziehungsweise an denen Karrierewünsche scheitern“ [8]. Da die Herausgeberinnen auf ein zusammenfassendes Schlusswort verzichten, werden schon in der Einleitung dem Leser/ der Leserin die Ergebnisse dieser Überlegungen und die Schlussfolgerung vorgestellt: (1) Nicht die Stärkung der Kompetenzen und der Motivation der Wissenschaftlerinnen, vielmehr die Veränderung der gesamten Wissenschaftssystemstruktur führt zu einer Verbesserung der Chancen für Frauen in der Wissenschaft und (2) können nur Längsschnittanalysen, deren aktueller Mangel konstatiert wird, die Mechanismen der Ungleichheitsreproduktion aufgezeigt werden. Konsequenterweise beruhen die Beiträge des Sammelbandes daher auf einzelne empirische Studien, die teilweise das Potential für Längsschnittstudien aufweisen.

Der erste Teil des in drei Teile gegliederten Sammelbandes beschreibt Eckpunkte und Stolpersteine in den Start- und Spitzenpositionen in der Wissenschaft. Als am Anfang einer wissenschaftlichen Laufbahn stehendes Karriereinstrument werden strukturierte Promotionsprogramme von Svea Korff, Navina Roman und Julia Schröder untersucht und gefragt, ob innerhalb der Programme mehr Chancengleichheit angestrebt und erreicht wird, wobei zu vermuten ist, dass das Vergleichsobjekt die sogenannte Individualpromotion ist, in der allein durch deren Beschaffenheit Gleichstellungsimplikationen nur schwer messbar sind. Die verbreitete Annahme, Geschlechtergerechtigkeit resultiere quasi als Zugabe aus der strukturierten Doktorandenqualifizierung, konnten die Autorinnen durch ihre Studie nicht belegen. Nachdem über 800 Promotionsprogramme an deutschen Hochschulen untersucht wurden, attestierten die Autorinnen dem Postulat der Chancengleichheit innerhalb Promotionsprogrammen nur den Zweck einer Marketingstrategie, denn primäres Ziel der Programme sei eine qualitative und quantitative Leistungssteigerung der Promotionszeiten und -zahlen und verfolge damit geradezu ökonomische Ziele.

Im Beitrag von Heike Kahlert wird versucht den Begriff „Karriere“ schärfer zu umreißen und Karrierezieltypen herauszustellen. Hier wurde die Postdoc-Phase in den Blick genommen, jene Phase, mit dem längsten Stück der leaky pipeline in der sich Karriereziele manifestieren, gelingen oder scheitern. Die Untersuchung von männlichen und weiblichen Postdoktoranden zeigt, dass Frauen weniger entschlossen sind, einen akademischen Karriereweg einzuschlagen als ihre männlichen Kollegen. Grund auch hier wieder ein struktureller: die Anforderungen des Wissenschaftssystems sei männlich geprägt und daher weniger passfähig für Wissenschaftlerinnen und ihre Karriereziele.
Der erste Teil endet folgerichtig mit der Analyse der Spitze, also der Führungspositionen in der Wissenschaft: Sandra Beaufaÿs beschreibt das in der Wissenschaft besonders prestigeträchtige Feld: Führungspositionen innerhalb der Cluster und Graduiertenschulen der Exzellenzinitiative des Bunds und der Länder. Sie konstatiert, dass männliche Soziabilitätsregimes dieses Feld beherrschen, was Frauen zunächst den Zugang erschwert und bei Aufnahme in diesen Zirkel oder, um auch hier wieder Bourdieu zu bemühen: in das soziale Feld, vor die Entscheidung stellt, männliche Rituale zu übernehmen bzw. zu imitieren oder exkludiert zu bleiben. Das Ringen um eine Position in den old-boys-networks wird über „Reputation“ in der Wissenschaft entschieden. Gleichzeitig wird jedoch auch um die „Aufrechterhaltung einer sozialen Ordnung“ (S. 93) gespielt und damit werde der Reproduktion von Geschlechterungleichheit und von Spielregeln, die diese befördern im sozialen Feld „Wissenschaft“ stattgegeben. Die weibliche Beteiligung an Exzellenzclustern – so das Ergebnis der Studie – ist weder qualitativ noch quantitativ ausgeprägt, vielmehr kann die Entwicklung zweier Strategien bei Wissenschaftlerinnen im Spiel um Führungspositionen erkannt werden: Strategie des Rückzugs, wobei eine Beobachterinnenrolle eingenommen wird bzw. der Vermittlung, die auf Ausgleich, Integration und Schlichtung in der männlichen Kommunikation ausgerichtet ist.

Der Beitrag Alternative Wege an die Spitze von den Hochschulforschern Georg Krücken, Katharina Kloke und Albrecht Blümel befasst sich mit eben diesen Wegen im Hochschulmanagement. Das Ergebnis der dem Beitrag zugrunde liegenden empirischen Studie zeigt, dass auch in diesem Bereich die gläserne Decke existiert: Zwar ist der Frauenanteil gestiegen, jedoch konnten zum einen Gehaltsunterschiede festgestellt und zum anderen beobachtet werden, dass die Besetzung der Kanzlerposition noch immer Männerdomäne ist. Mit anderen Worten: Der alternative Weg bietet weniger Macht und weniger Geld für Frauen.

Im zweiten Teil werden Anforderungen der incoming und outgoing Mobilität sowie der Internationalität weiblicher Wissenschaftskarrieren untersucht. Anna Bouffier und Andrea Wolfram stellen in ihrer empirischen Studie schwache Karrierechancen für Wissenschaftlerinnen der MINT-Fächer aus postsozialistischen Ländern an deutschen Hochschulen fest. Regula Julia Leemann und Stefan Boes konstatieren eine geringere Mobilität von Post-Doktorandinnen in der Schweiz, weil „soziale Einbindungen und Verpflichtungen [...] Mobilität verhindern“ (S. 199); also: weil sich Frauen um familiäre Angelegenheiten kümmern. Zum gleichen Ergebnis kommen Ruth Becker und Cornelia Trippel in ihrer Untersuchung für Postdoktorandinnen in Deutschland.

Der dritte Teil des Sammelbandes, der mit Kollisionen überschrieben ist, ist der aufschlussreichste, da er Hochschulen Handlungsanleitungen für eine geschlechtergerechte und familienfreundliche Entwicklung in die Hand geben könnte. Grundsätzlich wird in diesem Teil mit dem Mythos „Wissenschaft als Lebensform“ 1 gebrochen, indem Lebensverhältnisse, Problemlagen und Bedürfnisse von Wissenschaftlerinnen weitab von dieser Prämisse dargestellt werden. So werden von Sigrid Metz-Göckel, Christina Möller und Kirsten Heusgen die generativen Entscheidungen von Wissenschaftlerinnen gerade im akademischen Mittelbau untersucht, Andrea Rusconi nimmt die Machbarkeit von dual career couples in den Fokus und Inken Lind die Vereinbarkeit von Elternschaft und Wissenschaft. Lind gelingt es in ihrem Beitrag, die Handlungsspielräume der Hochschulen auszuloten, indem sie Lösungsansätze vorschlägt: bessere Planungssicherheit für den akademischen Mittelbau , Anerkennung wissenschaftlicher Leistungen von Eltern, „Etablierung neuer Zeitkulturen“ (S. 306), Angebot von flexiblen Arbeitszeiten und zuletzt natürlich ausreichende Kinderbetreuungsangebote.

Trotz aller Redundanz in den Ergebnissen der einzelnen hier vorgestellten Studien ist es wichtig, dass Sammelbände wie dieser erscheinen, denn vermutlich können nur Bewusstseinsänderungen der Reproduktion von Ungleichheit in der Wissenschaft beikommen und dazu führen, dass Frauen in der Wissenschaft ohne politische Maßnahmen wie einer Quotenregelung an die Spitze kommen können. So konnte aktuell die Tagespresse eine prinzipiell erfreuliche Nachricht vermelden: „Freigewordene Vorstandsposten wurden im vergangenen Jahr (2012) prozentual mit mehr Frauen besetzt – ein Grund zum Feiern?“ Die ernüchternde Analyse jedoch ist, dass hier der gender pay gap greift: Frauen arbeiten auch in den Vorstandsetagen preiswerter als Männer. Es bleibt nur zu hoffen, dass diese Wirtschaftslösung nicht auch der Grund für die langsam, aber stetig steigende Zahl von Professorinnen ist.

Anmerkung:
1 Beate Krais, Wissenschaft als Lebensform. Die alltagspraktische Seite akademischer Karrieren, in: Yvonne Haffner u.a., Arbeit als Lebensform? Beruflicher Erfolg, private Lebensführung und Chancengleichheit in akademischen Berufsfeldern, Frankfurt, S. 177-211.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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