Cover
Titel
Forging a New Heimat. Expellees in Post-War West Germany and Canada


Autor(en)
Maeder, Pascal
Reihe
Transkulturelle Perspektiven 10
Erschienen
Göttingen 2011: V&R unipress
Anzahl Seiten
296 S., 7 Abb.
Preis
€ 35,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Erik Schulte, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Technische Universität Dresden

Pascal Maeders Studie, hervorgegangen aus seiner in Toronto abgeschlossenen Dissertation, verbindet zwei sonst üblicherweise voneinander abgekoppelte Aspekte der Migrationsgeschichte: die Zwangsmigration von „Deutschen aus Mittel- und Osteuropa“1 gegen Ende des Zweiten Weltkriegs sowie die deutsche Einwanderung in Kanada vor allem seit den 1950er-Jahren. Für seine Analyse grenzt der Autor die Gruppe der Immigranten nach Nordamerika weiter ein. Er konzentriert sich auf diejenigen, die vorher als Flüchtlinge und Vertriebene nur kurzzeitig eine „Neue Heimat“ in Westdeutschland finden konnten. Die Beschränkung auf dieses Segment deutscher Einwanderer ist folgerichtig, denn es geht Maeder primär um einen Vergleich der spezifischen Erfahrungen von Migranten in Westdeutschland und in Kanada. Während die erste Wanderungsbewegung erzwungen war, wurde die Reise über den Atlantik meist auf eigenen Wunsch hin angetreten.

Maeder unterteilt seine Darstellung in fünf übersichtliche, prinzipiell genetisch aufeinander aufbauende Kapitel, die jeweils die Situation in Westdeutschland und in Kanada schildern. Er beginnt mit einem, wie er selbst betont, vernachlässigten Aspekt der Zwangsmigration: Es geht dabei um Exilanten, männliche und weibliche Zwangsverpflichtete sowie vorwiegend um Soldaten, die als deutsche Reichsbürger oder „Volksdeutsche“ in den Vertreibungsgebieten zuhause waren, sich aber zum Zeitpunkt der Zwangsmigration andernorts befanden oder in Kriegsgefangenenlagern ausharren mussten. Sie erlitten also die eigentliche Vertreibung nicht am eigenen Leibe. In Kanada wurden Ende 1945 fast 34.000 deutsche Soldaten festgehalten. Wie viele hiervon aus den deutschen Ostgebieten, aus dem Sudetenland oder den verschiedenen weiteren (volks)deutschen Siedlungsgebieten außerhalb der Reichsgrenzen stammten, scheint jedoch nicht mehr feststellbar. In jedem Fall waren deren Erfahrungen in Kanada begrenzt, denn nur rund 200 dieser Gefangenen durften auf Dauer dort bleiben; die übrigen wurden repatriiert.

Ungleich größeres Gewicht als auf diese Soldaten legt der Autor auf die kleine Gruppe von 1.000 Angehörigen der Deutschen Sozialistischen Arbeiterpartei der Tschechoslowakei. Sie waren 1938 vor dem deutschen Einmarsch in das Sudetenland geflüchtet und ein Jahr später in Kanada eingereist. Ihr Schicksal und ihre Frustrationen werden ausführlich beschrieben. Ohne auf die städtischen Berufe der Sudetendeutschen Rücksicht zu nehmen, wurden sie im Rahmen der typischen Vereinbarungen mit Eisenbahngesellschaften als landwirtschaftliche Siedler in den nördlichen Landesteilen der Provinzen Saskatchewan und British Columbia angesetzt. Vom rauen Siedlerleben überfordert, versuchten viele in die kanadischen Großstädte auszuweichen. Noch vor Kriegsende hatten sich diese Migranten indes soweit eingelebt, dass ein größerer Teil von ihnen die kanadische Staatsbürgerschaft beantragte.

Die folgenden Kapitel befassen sich unter den Titeln „Distressed Outsiders“, „Willing Migrants“, „Professional Expellees“ und „Fellow Citizens“ mit den verzweifelten Lebensbedingungen in Westdeutschland, der anfänglichen Übernahme von schlecht bezahlten Arbeitsstellen sowie der zunehmenden Integration der Migranten dort und in Kanada. Als die Flüchtlinge und Vertriebenen in Kanada einwanderten, zeigte sich in der Bundesrepublik bereits das „Wirtschaftswunder“. Trotzdem gab es ökonomische Gründe dafür, innerhalb Westdeutschlands umzuziehen oder auch nach Kanada auszuwandern. Da Ottawa erst 1950 seine Tore für deutsche Einwanderer öffnete, scheint ein gewisser nachholender Effekt eingetreten zu sein. Bis 1958 landeten fast 200.000 Deutsche in den kanadischen Häfen, davon ein Drittel ehemalige Zwangsmigranten (S. 151). Trotz anfänglicher Schwierigkeiten seien die Erfahrungen mittel- und langfristig überwiegend positiv gewesen. Jedenfalls konnten die meisten Migranten wirtschaftliche Erfolge und einen sozialen Aufstieg verbuchen. Harte Arbeit habe sich gelohnt, resümierten die Einwanderer, deren Selbstzeugnisse der Autor ausgewertet hat. Für die Bundesrepublik sei ein ähnliches Urteil zu fällen.

Jenseits der ökonomischen Integration sei in beiden Staaten auch die sozio-kulturelle Integration gelungen. Sie habe allerdings, wie Maeder hervorhebt, längere Zeit gebraucht: Gerade in Westdeutschland erfuhren die Zwangsmigranten in den ersten Jahren zum Teil schroffe Ablehnung. Ihren Platz in der deutschen Nachkriegsgesellschaft fanden sie erst im Zuge des wirtschaftlichen Wiederaufbaus und indem sie ihre regionalspezifischen Identitäten in das Geflecht westdeutscher Regionalkulturen einbrachten. Kaum anders erging es den Einwanderern in Kanada. Zunächst mit Fremdenfeindlichkeit und mit einer Ablehnung als „Nazis“ konfrontiert, fanden sie erst später einen Ort für ihr eigenes kulturelles Erbe. Entweder als Deutschkanadier oder regionalspezifischer beispielsweise als Donauschwaben integrierten sie sich in das seit den 1960er-Jahren propagierte „kanadische Mosaik“ – eine multikulturelle Gesellschaftsutopie, idealiter bestehend aus den Traditionen der unterschiedlichen Einwanderer sowie der beiden anglophonen und frankophonen kanadischen Gründungsnationen. Während sich die Zwangsmigranten in Westdeutschland in eine als homogen begriffene Nation einfügten und sich von den ehemaligen Nachbarn in Mittel- und Osteuropa abgrenzten, so Maeder, seien diese Grenzlinien in Kanada aufgrund der gemeinsamen Immigrationserfahrung gefallen.

Die letztgenannten Gedanken treffen den Kern von Maeders Argumentation, die dem Nationalismus eine zentrale Funktion für die Integration der Zwangsmigranten sowohl in der Bundesrepublik als auch in Kanada zuweist: „... nationalism brought about both the expulsion of the Germans from Central and Eastern Europe and their integration into the new nation state.“ (S. 31) So interessant diese These auf den ersten Blick erscheint, so wäre doch eine etwas breitere Diskussion wünschenswert gewesen, ob die „Imagined Communities“ (Benedict Anderson) in den beiden Staaten überhaupt vergleichbar waren. Kann angesichts der seit den 1960er-Jahren immer deutlicher artikulierten multiplen Nationalismen von Kanada als einem „nation state“ gesprochen werden? Im deutschen Fall geht die Literatur zudem üblicherweise von einem ambivalenteren und vielschichtigeren Integrationsprozess aus, der erst mit dem Generationenwechsel vollendet worden sei.2 Überhaupt erweist es sich, wie auch der Autor zugibt, als nicht unproblematisch, wenn auf der einen Seite fast 8 Millionen in Westdeutschland ansässige Zwangsmigranten (im Jahr 1950) mit auf der anderen Seite hochgerechnet etwa 85.000 nach Kanada eingewanderten ehemaligen Flüchtlingen und Vertriebenen verglichen werden. Hierbei hätten vielleicht die methodisch herausfordernden doppelten oder sogar multiplen Migrationserfahrungen der als „Expellees“ bezeichneten Kanadaeinwanderer, darunter überproportional viele „Volksdeutsche“, auch in Form einer Transfergeschichte deutlicher berücksichtigt werden können. Welche Bedeutung hatten die schon in Europa gemachten Migrationserfahrungen für das Einleben in Kanada – gegebenenfalls gerade auch im Kontrast zu denjenigen deutschen Einwanderern, die nicht vorher aus ihren Heimatterritorien vertrieben worden waren?

Diese weiterführenden Fragen sollen jedoch nicht davon ablenken, dass Pascal Maeder eine innovative Studie zu einem interessanten Aspekt deutsch-kanadischer Beziehungen und der transnationalen Geschichte vorgelegt hat, die insbesondere die Erfahrungen ehemaliger deutscher Zwangsmigranten bei und nach der Einwanderung in Kanada facettenreich hervortreten lässt.

Anmerkungen:
1 Unter diesem Begriff werden verschiedene Gruppen zusammengefasst, so zum Beispiel auch diejenigen, die im Englischen als „ethnic Germans“ (S. 23, Anm. 16) und im Deutschen mit dem ebenfalls nicht unproblematischen Terminus „Volksdeutsche“ bezeichnet werden.
2 Vgl. etwa den zusammenfassenden Beitrag von Arnd Bauerkämper, Deutsche Flüchtlinge und Vertriebene aus Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa in Deutschland und Österreich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in: Klaus J. Bade / Pieter C. Emmer / Leo Lucassen / Jochen Oltmer (Hrsg.), Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn 2007, S. 477–485.