U. Freitag u.a. (Hrsg.): Arab Encounters with Fascist Propaganda

Cover
Titel
Arab Encounters with Fascist Propaganda 1933-1945 (= Geschichte und Gesellschaft 37,3).


Herausgeber
Freitag, Ulrike; Gershoni, Israel
Erschienen
Göttingen 2011: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
140 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Schellenberg, Institut für Politische Wissenschaft, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

„Few truly transnational topics are as emotionally and politically charge as the question of Fascist and National Socialist propaganda and activities in the Middle East.“ Bereits der zweite Satz des einleitenden Kapitels der Herausgeber Ulrike Freitag und Israel Gershoni weist auf eine Besonderheit der Forschung zu arabischen Begegnungen mit Faschismus und Nationalsozialismus hin, von deren Reproduktion sich auch im Heft „Arab Encounters with Fascist Propaganda 1933-1945“ der Zeitschrift Geschichte und Gesellschaft nicht jeder Artikel vollständig lösen kann. Ob die politische Zündkraft des Themas tatsächlich ausschließlich jene negativen Effekte zeitigt, vor denen im weiteren Verlauf der Einleitung gewarnt wird, kann jedoch sicherlich in Frage gestellt werden.

Der vorliegende Band ist das Ergebnis des internationalen Workshops „Arab Responses to Fascism and Nazism, 1933-1945: Reappraisals and New Directions“, zu dem Israel Gershoni im Mai 2010 an die Universität Tel Aviv einlud. Der Workshop brachte eine sehr heterogene Gruppe von Forschenden zusammen, die sich, laut Jeffrey Herf, allein hinsichtlich ihres Dissenses einig waren.1 Dies schlägt sich auch in diesem Sammelband nieder, der in ihrer Herangehensweise und ihren Positionen sehr unterschiedliche Autorinnen und Autoren in sich vereint.

Der Artikel „The Politics of Memory. The Necessity for Historical investigation into Arab Responses to Fascism and Nazism” von Freitag und Gershoni geht weit über die Funktion als Einleitung hinaus und liefert neben einer ausgedehnten Übersicht über den Stand der Forschung auch einige neue Forschungsergebnisse zu arabischem Antifaschismus. Gershoni, auf dessen Forschung ein gewaltiger Teil der in den letzten fünfzehn Jahren gewonnenen Erkenntnisse zu dem Thema zurückgeht, kritisiert in dem Artikel alte Herangehensweisen und Forschungsparadigmen, welche die arabische Faszination für Faschismus und Nationalsozialismus und die Aktivitäten einzelner Kollaborateure ins Zentrum stellen, und betont sehr emphatisch die Notwendigkeit, mittels unvoreingenommener Studien zum arabischen Antifaschismus für ein ausgewogeneres Bild der arabischen Reaktionen zu sorgen.

Sein Plädoyer harmoniert jedoch nicht mit allen in dem Band vertretenen Positionen. So äußert er scharfe Kritik an dem Werk „Djihad und Judenhass“ von Matthias Küntzel,2 welches er unter „pseudo-academic studies that were heavily charged politically“ (S. 312) rubriziert und in welchem er anachronistische Projektionen zu erkennen glaubt. Damit wird er zum einen Küntzel nicht gerecht, der seine theoretischen Grundannahmen und Intentionen in seinem Werk klar offen gelegt und der Forschung zweifellos einige wichtige Anregungen und Erkenntnisse geliefert hat, zum anderen provoziert er damit eine Konfrontation mit Jeffrey Herf, der den Sammelband mit einem Artikel über „arabischsprachige nationalsozialistische Propaganda während des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust“ bereichert. Denn gleich Küntzel, über den er sich mehrfach lobend äußert, bemüht sich Herf, den Einfluss faschistischer Propaganda auf zeitgenössische Strömungen in der arabischen Welt und die daraus resultierende Relevanz des Themas für die Gegenwart herauszustellen.

Der Artikel Herfs beschäftigt sich fast ausschließlich mit den Distributoren nationalsozialistischer Propaganda und basiert in erster Linie auf Recherche in deutschen und amerikanischen Archiven. Seine Argumentation stützt sich dementsprechend nicht auf die Rezeption von Faschismus und Nationalsozialismus in der breiten Bevölkerung, sondern auf die punktuelle Zusammenarbeit verschiedener arabischer Vertreter der kulturellen und politischen Elite mit dem NS-Regime und die „ideologische Verschmelzung von nationalsozialistischer Ideologie [...] und radikalem arabischen Nationalismus und islamistischer Ideologie“ (S. 359) in den Produkten ihrer propagandistischen Zusammenarbeit. Der Artikel ergänzt den Sammelband um eine wichtige Perspektive und lässt einige Defizite der bisherigen Forschung deutlich hervortreten. Viel mehr als Anregungen kann er jedoch leider nicht bieten, da zur Verifizierung seiner zentralen Thesen eine stärkere Fokussierung auf die arabische Rezeption der nationalsozialistischen Propaganda und vor allem auf die Entwicklung arabisch-nationalistischer und islamistischer Ideologie nach 1945 vonnöten wäre.

In krassem Gegensatz zum Artikel Herfs steht der verhältnismäßig kurze Artikel Mustafa Kabhas über „The Palestinian National Movement and its Attitude towards the Fascist and Nazi Movements 1925 – 1945“. Nicht nur ist er explizit von dem Wunsch getragen, dem angeblich in der Literatur vorhandenen Generalverdacht gegenüber der palästinensischen Nationalbewegung entgegenzutreten, er ist auch der einzige Artikel, der sich in erster Linie den Adressaten faschistischer und nationalsozialistischer Propaganda widmet. Dafür wertet Kabha zeitgenössische Zeitungsbeiträge aus und stellt die Perzeption von Franquismus, Faschismus und Nationalsozialismus eingebettet in die politischen Rahmenbedingungen und entlang der opportunistischen Strategien der Träger des Diskurses in jeweils gesonderten Beiträgen dar. Seiner Darstellung zufolge durchlief die arabische Haltung zu den drei Systemen jeweils eine graduelle Wandlung von anfänglicher Sympathie zu Enttäuschung und letztendlicher Ablehnung. Kabha ist zweifellos gut mit der Presselandschaft Palästinas im untersuchten Zeitraum vertraut. Leider gibt er jedoch keinerlei Angaben über die Menge des herangezogenen Materials und die Auswahlkriterien und so wirkt seine Darstellung, obwohl er in seinem Artikel interessantes und aussagekräftiges Quellenmaterial zugänglich macht, häufig tendenziös und affirmativ. Schnell entsteht der Wunsch, Kabha möge seinen Lesern ob der Nachvollziehbarkeit des postulierten Wandels doch etwas mehr Komplexität zumuten und es sich darüber hinaus angelegen sein lassen, den ideologischen Motiven der Träger des Diskurses neben instrumentellen Gedanken wenigstens ein klein wenig mehr Raum zu geben.

Von dem erwähnten Diskurs weitgehend unbeeindruckt zeigt sich der Artikel „Beyond Mare Nostrum. Ambitions and Limitations in Fascist Italy's Middle Eastern Policy“ von Nir Arielli. Der Artikel basiert weitestgehend auf seinem 2010 veröffentlichten Buch „Fascist Italy and the Middle East. 1933-40“, das bereits von Götz Nordbruch für H-Soz-u-Kult rezensiert wurde,3 und widmet sich den Zielen und Motiven der Nahostpolitik des faschistischen Italiens und den konkreten Formen italienischer Propagandabemühungen im Nahen Osten. Arielli stellt zunächst sehr anschaulich den bisherigen Stand der Forschung, die dort vorherrschenden Paradigmen und ihre Defizite dar. Er ist bemüht, sich von Erklärungsversuchen der italienischen Politik allein auf der Basis traditioneller Motive von Kolonial- und Außenpolitik zu lösen und den Blick durch die Einbeziehung der Determinanten der faschistischen Ideologie um eine weitere wichtige Komponente zu erweitern. Seine Forschung stützt sich hauptsächlich auf italienische und britische Quellen und somit liegt der Schwerpunkt seiner Betrachtung naturgemäß auf der italienischen Seite, während die Thematisierung der Wirksamkeit und der Rezeption der Propaganda weitgehend rudimentär bleibt. Dennoch schafft er es, anhand der Betrachtung einiger prominenter arabischer Kollaborateure die Wechselseitigkeit der italienisch-arabischen Beziehungen nachvollziehbar darzustellen.

Anna Baldinelli sieht in der geringen Beachtung des Maghrebs und der Reaktionen der Adressaten der italienischen Propaganda Desiderate des Werks Ariellis (und anderer neuerer Veröffentlichungen zum Thema) und bemüht sich, mit ihrem Aufsatz „Fascist Propaganda in the Maghrib“ diese Forschungslücken aufzufüllen. Sie widmet zunächst der auf die italienische Minderheit in Nordafrika gerichteten Politik ein Kapitel und zeigt im Anschluss daran auf, welche Erwägungen die Verantwortlichen schließlich dazu veranlassten, auch die arabische Bevölkerung in ihre Propagandastrategien mit einzubeziehen. Neben den unterschiedlichen Formen der Propaganda und den Reaktionen auf selbige in den verschiedenen Ländern des Maghrebs spielen in ihrem Artikel auch pro- und antifaschistische Presseerzeugnisse in den betreffenden Ländern sowie einzelne arabische Kollaborateure eine Rolle. Naturgemäß ergeben sich einige Überschneidungen mit dem Artikel Ariellis; in einigen Detailfragen zeigen sich auch Differenzen. Insgesamt ergänzen sich die Artikel jedoch sehr gut und dem Leser wird aufgrund ihrer jeweils unterschiedlichen Gewichtung der verschiedenen Motive ein verhältnismäßig umfassender Überblick geboten. An manchen Stellen wirkt die Strukturierung des Artikels ein wenig chaotisch – ein akzeptabler Preis für das dafür gebotene Maß an Differenziertheit des ausgesprochen informativen und lesenswerten Artikels.

Peter Wien präsentiert schließlich in seinem Artikel „The Culpability of Exile. Arabs in Nazi Germany“ unveröffentlichte Forschungsergebnisse des 2003 verstorbenen Historikers Gerhard Höpp, der sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr verdient um die Forschung gemacht hat und mit dem Wien in einem Forschungsprojekt des ZMO zu arabischen Begegnungen mit dem Nationalsozialismus zusammengearbeitet hat. Der Artikel behandelt arabische Intellektuelle und politische Aktivisten „der zweiten Reihe“ im nationalsozialistischen Deutschland, namentlich Husni al-ʿUrabi, Kamal ad-Din al-Galal, ʿAli as-Safi und Jabir ʿUmar, und stellt dar, mit welchen politischen und ökonomischen Zwängen sie sich konfrontiert sahen und wie sie sich mit selbigen arrangierten. Wien liefert einen unaufgeregten, aber durchaus lesenswerten Artikel und findet mit der Frage nach der individuellen moralischen Verantwortung von Exilanten für Kollaboration mit ihrem faschistischen Aufnahmeland einen guten Aufhänger für seine Präsentation, der allerdings im Verlauf des Artikels leider ein wenig in Anekdoten untergeht.

Insgesamt bietet der Sammelband einen interessanten Einblick in aktuelle wissenschaftliche Diskussionen und ihre Fronten, eine Ahnung von den immer noch bestehenden Defiziten der Forschung und punktuelle Einsichten in einzelne Themengebiete. Zum Thema Nahost- und Nordafrikapolitik des faschistischen Italiens bietet der Band aufgrund seiner Behandlung in zwei sehr lesenswerten Artikeln sogar verhältnismäßig breites Wissen.

Anmerkungen:
1 Karl Pfeifer, Jeffrey Herf im Gespräch über islamistische Formen des Antisemitismus, Jungle World Nr. 28, 15. Juli 2010, <http://jungle-world.com/artikel/2010/28/41336.html> (25.01.2012).
2 Matthias Küntzel, Djihad und Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg, Freiburg 2002.
3 Götz Nordbruch, Rezension zu: Arielli, Nir: Fascist Italy and the Middle East. 1933-40. Basingstoke 2010, in: H-Soz-u-Kult, 24.03.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-1-222> (25.01.2012).

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