S. Hunstock: Die (groß-)herzogliche Residenzstadt Weimar um 1800

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Titel
Die (groß-)herzogliche Residenzstadt Weimar um 1800. Städtische Entwicklungen im Übergang von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft (1770-1830)


Autor(en)
Hunstock, Sebastian
Erschienen
Anzahl Seiten
607 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Scheutz, Institut für Österreichische Geschichtsforschung / Institut für Geschichte der Universität Wien

Die im 18. Jahrhundert mit dem Mief abderitischer Kleinstädterei behaftete oder gar als schwächlich köchelnder „Brutofen der Philisterei“ apostrophierte Residenz Weimar avancierte im 19. Jahrhundert zum „Hortus amoenus“ und zum „Ilm-Athen“ der deutschen Dichter und Denker und verlor damit gleichermaßen in der Stadtforschung wie Wissenschaftsgeschichte die Erdschwere einer Kleinstadt. Im Kontext des SFB 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ verfasste Sebastian Hunstock eine von Hans-Werner Hahn betreute Dissertation, die versucht, traditionelle Stadtgeschichte und die um Funktionseliten bemühte Bürgertumsforschung während der Sattelzeit um 1800 zusammenzubringen. Das Innovationspotential des Weimarer Bürgertums zwischen Stadt und Staat auf dem Weg zum modernen Bürgertum steht hierbei auf dem Prüfstand: die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Strukturen der Residenzstadt Weimar werden ausgeleuchtet, wobei es um die vor allem auf Bestände des Stadtarchivs Weimar gründende Untersuchung der bürgerlichen Stadt im Schatten der hier weitgehend ausgeblendeten Residenz (Hofangestellte) geht. In insgesamt fünf Großkapiteln werden die städtische Bevölkerungsentwicklung (auf der Grundlage der Kirchenbücher, S. 37-90), die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen der Weimarer Lebenswelt (S. 91-246), die Rechtsausstattung und die Reformdiskurse um den Weimarer Stadtrat sowie städtische Finanzwirtschaft (S. 247-391), die städtische Funktionselite (S. 393-452) und finaliter das städtische Armen- und Fürsorgewesen (S. 453-516) abgehandelt. Eine als Klammer dienende generelle Zusammenfassung fehlt, auch werden die gewonnenen Weimarer Ergebnisse in keine überregionalen Kontexte einbettet.

Die Residenzstadt Weimar mit 10.112 Einwohnern im Jahr 1830, seit 1753 Garnisonsstadt, verfügte wie vergleichbare andere Städte (etwa Koblenz) über eine positive Zuwanderungsbilanz, vor allem aus der näheren Umgebung kamen Nieder-Qualifizierte, während Höher-Qualifizierte aus weiter entfernten Herkunftsgebieten stammten; die Stadt versuchte sich gegen Aufenthaltsgenehmigungen und Bürgerrechtsgesuche von Militärs zu wehren. Wenig überraschend gestaltete sich die handwerklich dominierte Wirtschaftsstruktur. Dem Fürstenhof kam als Konsumzentrum über die Hoffaktoren und Hofhandwerker größere Bedeutung zu; 1840 waren von 11.485 Einwohnern 32,6 Prozent Hof- und Staatsdiener. 50 Prozent des Hausbesitzes lagen um die Mitte des 18. Jahrhunderts in den Händen der städtischen Handwerker, 1815 dagegen besaßen die Handwerker nur mehr rund ein Drittel des Weimarer Hausbestandes. Einer sehr schmalen finanzstarken Oberschicht (auf der Grundlage der Kontributionsleistungen 1807 erhoben), darunter der Hofbankier Gabriel Ulmann und Luxuswarenhändler, stand eine breite Masse von Bürgern gegenüber, die gerade 100 Reichstaler im Jahr verdienten. Der Marktbezirk war das reichste, der Ilmbezirk das ärmste Viertel. Während die Bäcker das reichste Handwerk darstellten, bildeten die traditionell überbesetzten Schuhmacher und Schneider das untere Ende der wirtschaftlichen Skala. Wenige Manufakturen (Weimarer Strumpfwarenfakturkollegium, Nudel-Fabrik) durchbrachen die handwerkliche Matrix der Stadt. Eine neue, umstrittene Handwerksordnung von 1821 sollte die verwirrende Vielfalt von Handwerksinnungen reduzieren.

Der Autor untersucht auch die Vereinstätigkeit (etwa die Stahl- und Armbrustschützengesellschaft) eingehender, wobei hier das Weimarer Bürgertum exklusiv unter sich blieb und Standesgrenzen überschreitende Vernetzungen kaum vorkamen. Die mittelalterliche Verfassung der Stadt erhielt erst im Zuge der Napoleonischen Kriege Risse. 1838 wurde auch vor dem Hintergrund der großen Verschuldung des Magistrats eine neue Stadtordnung mit Trennung von Justiz und Verwaltung erlassen, die deutlich Tendenzen der Professionalisierung, aber auch eine geänderte Rechnungsführung erkennen lässt.

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