R. Karlsch u.a. (Hrsg.): Uranbergbau im Kalten Krieg

Boch, Rudolf; Karlsch, Rainer (Hrsg.): Uranbergbau im Kalten Krieg. Die Wismut im sowjetischen Atomkomplex. Band 1: Studien. Berlin 2011 : Christoph Links Verlag, ISBN 978-3-86153-653-6 699 S. € 39,90

Boch, Rudolf; Karlsch, Rainer (Hrsg.): Uranbergbau im Kalten Krieg. Die Wismut im sowjetischen Atomkomplex. Band 2: Dokumente. Berlin 2011 : Christoph Links Verlag, ISBN 978-3-86153-654-3 387 S. € 34,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Uhl, Deutsches Historisches Institut Moskau

Ohne Uran hätte es keinen Kalten Krieg gegeben. Erst dieser radioaktive Stoff machte es möglich, die Bombe zu bauen, die nach 1945 die beiden Blöcke davor zurückschrecken ließ, sie tatsächlich zum Einsatz zu bringen. Da die Sowjetunion nach Kriegsende weder eine Atombombe noch ausreichende Uranreserven besaß, machte sie sich fieberhaft und in einem kaum vorstellbaren Ausmaß an die Lösung dieser beiden für sie überlebenswichtigen Fragen. Hinsichtlich des Uranerzes wurden die sowjetischen Experten sehr bald in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands fündig. Im Erzgebirge und dem angrenzenden Thüringen wurden binnen kürzester Zeit umfangreiche Lagerstätten des radioaktiven Erzes erschlossen und bereits 1952 wurde die Wismut AG der größte Uranproduzent der Welt. Zu diesem Zeitpunkt war der ostdeutsche Bombenstoff für die sowjetische Nuklearrüstung unverzichtbar geworden.

Obgleich seit den 1960er-Jahren der Anteil der Wismut AG an der Uranförderung des Ostblocks kontinuierlich zurückging, dachte die Sowjetunion nicht daran, das gemeinsame Unternehmen aufzugeben. Der Rüstungswettlauf mit seinem Streben nach dem vermeintlichen strategischen Gleichgewicht förderte eine Politik der fortgesetzten nuklearen Aufrüstung mit einer möglichst maximalen Uranförderung im Warschauer Pakt. Bei der Wismut AG führte dies, infolge der stetig sinkenden Uranreserven, zu einer ständigen Erhöhung der Förderkosten, so dass sich der gefeierte Musterbetrieb zu einem ungeliebten Kostgänger wandelte. Doch weder Gorbatschows Reform- und Abrüstungspolitik noch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl führten zu einer Absenkung der von der Sowjetunion geforderten Produktionszahlen. Vielmehr bewirkten diese erst die nicht mehr zu tragenden Rüstungslasten. Gleichwohl stellten die geplanten Schachtschließungen und Reduzierungen der Belegschaft die Wismut AG selber nicht in Frage. Erst mit der Friedlichen Revolution in der DDR im Herbst 1989 und dem Zusammenbruch des Ostblocks verlor das Unternehmen seine Existenzgrundlage.

Die Geschichte der Wismut AG haben Rudolf Boch und Rainer Karlsch, beide ausgewiesene Experten, jetzt in einem beeindruckenden Sammelband nochmals zusammengefasst, aus dem hier nur einige Beiträge exemplarisch gewürdigt werden können. Dabei ist es ihnen gelungen, weit über die bisherigen Forschungen hinauszugehen. Grundlage hierfür war der multiperspektivische Ansatz, den die Herausgeber gewählt haben. Das Ziel, die bislang dominierende Innenperspektive aufzubrechen und den Uranbergbau in der DDR aus vergleichender Sicht zu analysieren, sollte durch die Einbeziehung von ausgewiesenen russischen Historikern und dem damit möglichen Aktenzugang zu bislang verschlossenen Archiven in Russland erreicht werden.

Gleich der erste Beitrag von Wladimir Sacharow, der sich in großem Umfang auf bislang nicht bekannte Dokumente aus dem ehemaligen sowjetischen Atomministerium stützt, liefert den Beweis, dass dieses Vorhaben gelungen ist. Sacharow stellt zunächst die Struktur des sowjetischen Atomkomplexes und die Rolle der Wismut AG darin vor. Dabei wird deutlich, dass beide Institutionen in kürzester Zeit einen Ausbau erfahren hatten, der die Mobilisierung umfangreicher und gleichzeitig knappster Ressourcen erforderte. Hatten 1944 in der Sowjetunion kaum mehr als 50 Personen am Atombombenprojekt Stalins gearbeitet, so waren es Ende der 1940er-Jahre bereits fast eine Millionen Menschen. Das amerikanische Manhattan-Projekt war mit viermal weniger Personal ausgekommen. Die Wismut AG wurde ähnlich brachial aus dem Boden gestampft: 1950 beschäftigte die sowjetische Aktiengesellschaft in der DDR mehr als 200.000 Menschen. Das Ergebnis dieser Bemühungen spricht für sich. Gewann die Wismut AG 1946 knapp 16 Tonnen Uranerz, so konnten 1950 bereits mehr als 1.200 Tonnen des begehrten Metalls in die Sowjetunion abtransportiert werden. Dies waren fast 60 Prozent der gesamten Uranförderung im Ostblock. Nur mit Hilfe dieser Lieferungen gelang es der Sowjetunion ein Kernwaffenarsenal anzulegen, das es ihr schließlich erlaubte, mit den Amerikanern strategisch gleichzuziehen.

Zumindest in der Sowjetunion war der rasche Aufwuchs der Ressourcen des Atomkomplexes ohne den Einsatz von Zwangsarbeit nicht möglich. Obwohl auch in der SBZ zunächst Zwang als mögliches Mittel zur Mobilisierung der nötigen Arbeitskräfte erwogen wurde, zeigte sich bald, dass nur finanzielle und materielle Anreize die von der Sowjetunion geforderten Produktionsleistungen ermöglichten. Juliane Schütterle belegt in ihrem Beitrag zur Sozialpolitik der Wismut AG, dass deren Beschäftigte zu einem der privilegiertesten Industriebetriebe der DDR gehörten. Dabei war dieses Entwicklung keineswegs selbstverständlich, denn unter der Prämisse „Erz um jeden Preis“ wurde zunächst auf sozial verträgliche Arbeits- und Lebensbedingungen wenig Wert gelegt.

Im Gegenteil, in den ersten Jahren der Wismut AG bewirkten der Mangel an Wohnraum, Verpflegung und Kleidung sowie der unhaltbare Zustand der vorhandenen Einrichtungen Flucht und Fluktuation der Arbeitskräfte. Sehr bald jedoch erkannte die sowjetische Betriebsführung, dass sich nur über ein differenziertes System von Geld- und Lebensmittelprämien die Arbeitsproduktivität der Kumpel steigern ließ. Dem gleichen Zweck diente ein breit angelegtes Wohnungsbauprogramm, das die Bergleute mit angemessenen Unterkünften versorgte. Hierdurch wurde auch die Sesshaftigkeit der Arbeiter gefördert, was zur Herausbildung von Stammbelegschaften führte, die ganz erheblich zur Konsolidierung des Uranabbaus beitrugen. Gleichzeitig erfolgte der Aufbau eines umfassenden betriebseigenen Gesundheitswesens, was im Vergleich zu den staatlichen Einrichtungen eine „optimale“ medizinische Versorgung der Belegschaft der Wismut AG garantierte.

Ein Unternehmen wie die Wismut AG konnte es sich leisten, wie Paul Werner Wagner zeigt, nicht nur wie in der DDR üblich den Breitensport zu fördern, sondern sich auch einen eigenen Spitzenklub zuzulegen. Die Fußballer der Wismut AG genossen in der Region Kultstatus. Allerdings zeichnete sich Mitte der 1960er-Jahre, bedingt durch die Konzentration der besten Spieler auf die wenigen großstädtischen Fußballclubs der DDR und das damit verbundene „Ausbluten“ des Kaders, ein Ende der Spitzenposition von Wismut Aue innerhalb des ostdeutschen Fußballs ab. Damit war auch der Sport ein deutlicher Gradmesser dafür geworden, wie sehr sich die politischen und ökonomischen Prioritäten in der Partei- und Staatsführung hinsichtlich der allseitigen und uneingeschränkten Förderung und Unterstützung des Uranbergbaus gewandelt hatten.

Es ist den Herausgebern zu danken, dass sie die Aufsätze des Sammelbandes durch einen umfangreichen Dokumentenband ergänzen. Die publizierten Aktenstücke decken dabei die Themen der einzelnen Beiträge ab. So belegt beispielweise das Protokoll des Gespräches zwischen dem Generaldirektor der Wismut, Semjon Woloschtschuk, und dem Vorstand der SDAG Wismut, Erich Markowitsch, vom 29. Januar 1964, dass die DDR erstmals die Mehrkosten für die Urangewinnung nicht mehr auf die Erzpreise umlegen konnte, so dass die Förderung zunehmend unrentabel wurde. Obwohl seit Beginn der 1970er-Jahre deutlich war, dass die Uranvorräte der Wismut langsam zu Ende gingen, drängte die Sowjetunion, wenngleich sich im Zeitraum von 1965 bis 1970 die Selbstkosten bei gleichbleibenden Preisen mehr als verdoppelt hatten, weiter auf eine uneingeschränkt hohe Uranförderung. Mitte der 1980er-Jahre hatte der Betrieb endgültig die Grenzen der Wirtschaftlichkeit überschritten. Dass beim Geld die Freundschaft endgültig aufhörte, belegt der folgende Satz von SED-Chef Erich Honecker während einer Diskussion um die Zukunft der Wismut am 10. Dezember 1985: „In Zukunft nie mehr solche Gemeinschaftsbetriebe, wo wir die Kosten tragen.“ (Bd. 2, S. 357)

Auf der gleichen Sitzung forderte der Vorsitzende der Einheitsgewerkschaft FDGB, Harry Tisch, deshalb auch die Streichung der zahlreichen Privilegien der Wismut-Bergleute, da „die Kumpel in der Kohle oder bei Mansfeld […] genau so viel oder sogar noch mehr“ leisteten. Welche Vergünstigungen die Arbeiter des Uranbergbaus in der DDR erhielten, belegt allein ein Blick auf die im Dokumentenband abgedruckte Speisekarte des Erholungsheims „Roter Oktober“ an der Ostsee in Zinnowitz. Auf dem Menü standen nicht nur Wildschweinkeule und Kalbssteak, sondern auch Schildkrötensuppe und Kaviartoast – Dinge, die der normale DDR-Werktätige zumeist nicht einmal in den Delikat-Läden „erstehen“ konnte.

Welche Wichtigkeit für die Selbstidentifikation der Bergleute die Werksmannschaft Wismut Aue hatte und dass diese sogar zum Politikum für die SED wurde, belegt die abgedruckte Information für den 1. Sekretär der Gebietsparteileitung über den Streit um die Zukunft des Fußballs in Aue vom Frühjahr 1963. Hier protestierten die Kumpel auf das heftigste gegen den Versuch der SED die besten Spieler der Mannschaft zum Sportclub Karl-Marx-Stadt zu versetzen, was über kurz oder lang das Ende von Wismut Aue bedeutet hätte: „Im Kapitalismus herrscht das Geld, da werden die Spieler gekauft. Bei uns ist kein Kapitalismus, dafür wird aber von oben diktiert. Die Funktionäre müssen alles mitmachen, sonst werden sie bestraft.“ (Bd. 2, S. 346) Diese Proteste ermöglichten letztlich ein Überleben des Fußballclubs, obgleich er seit Anfang der 1970er-Jahren zumeist gegen den Abstieg aus der DDR-Oberliga spielte. Mitte der 1980er-Jahre gelang es freilich, sich für den UEFA-Pokal zu qualifizieren und mit Torhüter Jens Weißflog konnte nach langer Zeit wieder ein Spieler für die DDR-Mannschaft gestellt werden.

Insgesamt haben die beiden Herausgeber mit dem Sammel- und dem Dokumentenband zur Geschichte der Wismut AG ein Standardwerk vorgelegt, an dem niemand vorbeikommt, der sich mit dem Uranabbau in der DDR befasst. Wenn es bei diesem beeindruckenden Unternehmen einen kleinen Kritikpunkt gibt, dann eigentlich nur diesen: Stellenweise hätten die deutschen Übersetzungen der sowjetischen Dokumente etwas gefälliger lektoriert werden können. Diese Kleinigkeit beeinträchtigt jedoch nicht die Lektüre dieser gelungenen Zusammenschau des Uranbergbaus in der DDR im Kalten Krieg.

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