A. Baumhoff: The Gendered World of the Bauhaus

Titel
The Gendered World of the Bauhaus. The Politics of Power at the Weimar Republic's Premier Art Institute, 1919 - 1932


Autor(en)
Baumhoff, Anja
Erschienen
Frankfurt am Main 2001: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
187 S., 10 Abb.
Preis
€ 35,30
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Irene Below, Oberstufen-Kolleg, Universität Bielefeld

„Aufgenommen wird jede unbescholtene Person ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, deren Vorbildung vom Meisterrat des Bauhauses als ausreichend erachtet wird [...]“ heißt es im 1919 publizierten Programm des Staatlichen Bauhauses Weimar. Glaubt man den Außendarstellungen des Bauhauses bis 1933, so sind Gleichberechtigung von Frauen und Männern an der bekanntesten Kunsthochschule der Weimarer Republik, die heute weltweit zum Inbegriff von Modernität und Progressivität geworden ist, in jeder Hinsicht selbstverständlich.

Die so modern wirkenden Bauhäuslerinnen mit Bubikopf - heute Ikonen der „neuen Frau“ der 20er Jahre - waren zu jener Zeit als Studentinnen gar nicht so erwünscht und in ihren Arbeitsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt. Dies hat sich inzwischen auch über engere Fachkreise hinaus herumgesprochen.1 Die Kunstzeitschrift „art“ hat dies kürzlich aufgegriffen. In der Ausgabe vom Oktober 2002 betitelte sie eine Serie über Frauen am Bauhaus „Karriere am dünnen Faden“ und beschrieb die Institution als „Männerwelt“: „Meister von Walter Gropius bis Johannes Itten bestimmten das Geschehen, Studentinnen wurden für viele Kurse nicht zugelassen“. Die fehlende Geschlechtergerechtigkeit erscheint hier als der blinde Fleck der Institution. Doch er schmälert offenbar deren Ansehen und Glanz nicht, sondern macht sie für „art“ gerade interessant und aktuell. Der Weg der Frauen erscheint heute noch vorbildlich, da Künstlerinnen vorgestellt werden, „die trotz der schwierigen Umstände das Bauhaus und die Moderne mitprägten.“ 2 Die Ambivalenzen der Moderne, für die das Bauhaus paradigmatisch stehen kann, kommen so bei „art“ nicht in den Blick.

In den letzten 15 Jahren hat eine neue Generation kritischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bisher gültige Mythen über das Bauhaus geprüft und herausgefunden, dass viele von Bauhäuslern selbst überlieferte Ereignisse und Haltungen Legenden sind, die die durch Dokumente belegbare vielschichtige und widersprüchliche Realität verklären oder ihr sogar widersprechen. Dies gilt z.B. für die Auffassung, dass die zeitgenössischen Kritiker des Bauhauses immer aus dem konservativen Lager stammten und das Ziel verfolgten, fortschrittliche Architektur und damit zugleich demokratische Gesellschaftsmodelle zu verhindern. Auch die angebliche Widerständigkeit der Institution Bauhaus und einzelner Bauhäusler gegen das NS-Kunstverständnis und die Kulturpolitik nach 1933, die das Bauhaus auch international zum Symbol für ein „gutes“, nicht durch den Nationalsozialismus kontaminiertes modernes Deutschland werden ließ, lässt sich heute nicht mehr halten. Die scheinbar so gleichberechtigte Geschlechterpolitik hat sich ebenfalls als Legende erwiesen.3

Die Kultur- und Designhistorikerin Anja Baumhoff gehört zu dieser neuen Generation von BaurhausforscherInnen. Sie ist seit 10 Jahren in Fachkreisen durch Beiträge zur Geschlechtergeschichte des Bauhauses präsent und hat wesentlichen Anteil daran, dass heute ein facettenreiches und komplexes Bild vom Verhältnis der Geschlechter am Bauhaus sichtbar ist. 4 Ihre spät publizierte Studie „The gendered world of the Bauhaus“ fokussiert das Bauhaus als Institution. Auch wenn das Schwergewicht auf der Entwicklung des Bauhauses in der Weimarer Zeit und auf den konzeptionellen Vorgaben des charismatischen Leiters Walter Gropius liegt, bezieht Baumhoff doch auch die Dessauer Jahre mit ein und untersucht einzelne Werkstätten (Weberei, Töpferei, Metallwerkstatt), unterschiedliche Karrieren (z.B. Gunta Stölzl, Marianne Brandt, Theodor Bogler, Otto Lindig u.a.) sowie Kunst- und Geschlechterkonzeptionen bei den künstlerisch bestimmenden Figuren (Johannes Itten, Paul Klee, Wassily Kandinsky). Sie analysiert die Genderkonstruktionen, ihre ideengeschichtlichen Voraussetzungen, die strukturellen Machtverhältnisse und das jeweils aktuelle „gendering“ in der Konzeption, bei der Leitung, bei den Lehrenden und Studierenden und in einzelnen Werkstätten. Die Autorin entwirft so die Umrisse einer Institutionenbiografie aus der Perspektive einer feministischen Kulturgeschichte und kann zeigen, „that the modern art and design of the Bauhaus [...] was not as progressive or democratic as its adherents claim“ (S. 7).

Baumhoffs Untersuchung gewinnt ihre Bedeutung auch durch die Erschließung neuen Quellenmaterials. Der Doktorandin an der Johns Hopkins Universität in den Vereinigten Staaten war es schon vor 1989 möglich, die Archivbestände in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen einzusehen. Sie war die Erste, die die damals noch unpublizierten Meisterratsprotokolle für ihre Darstellung nutzen konnte.5 Außerdem machte sie zwischen 1989 und 1992 Interviews mit 23 ehemaligen Bauhaus-StudentInnen und suchte verschiedene Privatarchive auf.6 Ein Namensregister, durch das die Suche nach weniger bekannten Namen erleichtert würde, sollte bei einer Neuauflage dringend eingefügt werden. Auf dieser breiten Materialgrundlage wird die Geschichte des Bauhauses aus unterschiedlichen Perspektiven neu beleuchtet. Dabei achtet die Autorin quellenkritisch auf die Verklärung der Bauhauszeit in der Erinnerung, da vor allem die Abwertung der künstlerischen Fähigkeiten von Frauen am Bauhaus und die daraus resultierenden Konflikte nachträglich umgedeutet und harmonisiert wurden (vgl. z.B. Else Mögelin S. 66f. und Gunta Stölzl S. 102).

Als Anja Baumhoff mit ihren Studien Ende der 80er Jahre begann, hatte Magdalena Droste, damals Mitarbeiterin am Bauhaus-Archiv Berlin, gerade erste Arbeiten vorgelegt, die aus einer kunsthistorischen Perspektive die Rolle von Frauen in der Kunstgewerbebewegung im Allgemeinen, ihre besondere Position am Bauhaus sowie Gunta Stölzl und die Weberei am Bauhaus untersuchten.7 Baumhoff konnte darauf aufbauen, entschied sich aber für eine sozialhistorisch-kulturwissenschaftliche Ausrichtung ihrer Arbeit. Sie orientiert sich weniger am künstlerischen Werdegang einzelner Frauen und an deren ästhetischer Produktion, sondern gibt ihrem Thema eine kulturwissenschaftlich-sozialhistorische Ausrichtung. Unter Bezugnahme auf Griselda Pollock und Roszika Parker fragt sie: „What does it mean if the feminine ensures masculine meanings and masculine dominance? How did these women find their way in a masculine Bauhaus world?” (S. 6) Diese Fragen untersucht die Autorin, indem sie das Bauhaus als Institution begreift, die in ihrer Konzeption durch geschlechtlich bestimmte Auffassungen von Kunst geprägt ist – in Weimar durch die Koppelung von Kunst und Handwerk, in Dessau dann durch die Verbindung von Kunst und Technik. Baumhoff interessiert sich dafür, wie diese konzeptionellen Vorgaben entstehen, sich wandeln und die Machtverhältnisse strukturieren und wie in der alltäglichen Praxis auf dieser Folie immer wieder neues „gendering“ produziert wird - zwischen Frauen und Frauen, Frauen und Männern, Männern und Männern. In allen Bereichen - bei der Lehre ebenso wie in den Werkstätten - aktualisieren sich die Geschlechterdifferenzen immer wieder neu. Die Frauen, die sich in der männlich fundierten Institution behaupten wollen, sind aktiv daran beteiligt, die Geschlechterrollen festzuschreiben und sich auf diese Weise zu legitimieren und zu integrieren. Gunta Stölzl ist dafür ein besonders bezeichnendes Beispiel, das die Autorin detailreich schildert (vgl. Kap. IV, V). Die Gedankenmuster in den Selbstzeugnissen der erfolgreichsten „Bauhäuslerin“ demonstrieren eindrucksvoll „the mental process of gendering.“ (S. 107)

Im Sinne einer Institutionenbiografie skizziert die Autorin zu Beginn die Geschichte der Reformeinrichtung zur Integration von Kunstakademie und Kunstgewerbeschule von 1919–1933 (S. 11-17). Vor der Folie der internen Entwicklungen und der Anfeindungen von außen schon bald nach der Gründung bis zur Schließung 1933 entwickelt Baumhoff ihre These von einer Interdependenz der Ausgestaltung der Hochschule und der Geschlechterbeziehungen mit den äußeren politischen Entwicklungen: interne Auseinandersetzungen „fuelled and increased the tensions surrounding and eventually influenced its gender policy“ (S. 17).

Diese Beziehungen zwischen der Konzeption des Bauhauses, der Geschlechterpolitik und den Konflikten im Innern und mit der Außenwelt arbeitet die Autorin an den Spannungen zwischen „Freier Kunst“, „Handwerk“ und „Kunstgewerbe“ heraus. Die Abwehr der Traditionen der herkömmlichen Akademie und des Kunstgewerbes und die Rückbesinnung auf das Handwerk als Fundament einer nichtakademischen Kunst aktualisierten den männlich konnotierten Geniebegriff und eine paternalistische und hierarchische soziale Ordnung, die das Bauhaus programmatisch eigentlich überwinden wollte. Die Verbindung von Kunst und Handwerk barg in sich eine Menge Zündstoff. Das anfänglich gemeinschaftliche „zunftmäßige“ Lebensgefühl wurde schon 1920 transformiert. Die doppelte Besetzung der Werkstätten mit einem Künstler - dem „Meister der Form“ - und einem Handwerksmeister hatte nicht deren Gleichberechtigung sondern heftige Konflikte zur Folge. Die Handwerksmeister bezogen weder das gleiche Gehalt noch hatten sie die gleichen Mitbestimmungsrechte. Im Meisterrat – dem eigentlichen Entscheidungsgremium - waren nur die Meister der Form vertreten. Nach heftigen Auseinandersetzungen kam es zwar zu der „neuen Beratungsordnung“ von 1922, doch Gropius erreichte mit seinen eindringlichen Warnungen vor einem für das Bauhaus unpassenden „Parlamentarismus“ sein Ziel: die Handwerksmeister gewannen keinen wirklichen Einfluss, sondern wurden nur bei besonderen Fragen hinzugezogen (S. 33). Letztendlich – so Baumhoffs Ergebnis – „the concept of a craft-based education for artists deepened the division between the two spheres that Bauhaus had tried to unite; fine arts and crafts” (S. 39).

Außenstehende wie die ins Staatliche Bauhaus eingemeindeten Akademieprofessoren konnten trotz der internen Hierarchie zwischen „Kunst“ und „Handwerk“ ebenso wenig überzeugt werden wie die Vertreter des Handwerks. Die ehemalige Kunstakademie spaltete sich schon 1921 wieder ab und die Missstimmungen bei den Handwerksmeistern am Bauhaus verschärften sich. Zwei Werkstattleiter und der ehemalige Syndikus des Bauhauses Hans Beyer unterstützten deshalb die 1923 vom Weimarer Gewerbeverein publizierte „Gelbe Broschüre“, mit der das lokale Handwerk sich gegen die lästige Konkurrenz des Bauhauses und seine staatlich subventionierte Produktion zur Wehr setzte. Die Attacken waren – so Baumhoff – nicht zuletzt ein Resultat der undemokratischen Struktur der Einrichtung selbst. Sie vermutet, dass die Spannungen hätten verringert werden können, wenn das Bauhaus, sein Ausbildungsziel - die Qualifizierung der Studierenden zu „Designern“ (nicht zu konventionellen Handwerkern) - klar vertreten hätte (S. 46). Dies Versäumnis ist allerdings auch dadurch bedingt, dass der Begriff „Design“ sich erst nach 1945 in Deutschland eingebürgert hat.

Die Koppelung von Kunst und Handwerk - so widersprüchlich sie sich in der Bauhausrealität auch darstellte - führte zwar zur Überwindung der akademischen Kunst und des Kunstgewerbes, ließ dabei aber - so Baumhoffs These - Frauen kaum Spielräume. Gerade der Rekurs auf das Handwerk brachte sie verstärkt in eine paternalistische, durch männliche Denkmuster festgelegte Welt. Dabei spielte Gropius und seine persönliche Interpretation der Koppelung von Kunst und Handwerk nach Baumhoff eine entscheidende Rolle: er übernahm aus dem Handwerk die Vorstellung „hausväterlicher“ Rechte mit einer entsprechenden Autorität (S. 47). Der Rückgriff auf mittelalterliche Zunft- und Ordnungsvorstellungen bot nur für männliche Studierende neue Rollenmodelle gegenüber der akademischen Tradition, nicht aber für künstlerisch tätige Frauen. Deren Stärke sah Gropius weiterhin in dem verachteten Kunstgewerbe und kanalisierte ihr Studium in diesem Sinn. Die Autorin zitiert verschiedene Quellen, in denen Gropius Bewerberinnen, darunter schon erfolgreiche Künstlerinnen wie Else Mögelin, von freier Kunst und angeblich zu männlichem Handwerk ab- und zu kunstgewerblichen Arbeiten zurät (S. 66). Angesichts der am Bauhaus 1919 noch herrschenden Gleichverteilung der Geschlechter wünschte Gropius sich schon im September 1920 „eine scharfe Aussonderung“ bei dem „der Zahl nach zu stark vertretenen weiblichen Geschlecht“ (Meisterratsprotokoll vom 20. September 1920, vgl. S. 48 Anm. 157). Die Einrichtung der Frauenklasse und der Handweberei als separate Sphären, die anfänglich noch nebeneinander bestanden, waren ebenfalls Versuche, die künstlerische Arbeit von Frauen zu lenken und nur für wenige Ausnahmefrauen andere Wege zuzulassen. Bezeichnend ist, dass es in diesem Punkt keinen Dissens gab zwischen Gropius, den Meistern der Form und den Handwerksmeistern (S. 60).

Vor dieser Folie entwickelt Anja Baumhoff dann in den weiteren Kapiteln, wie die Studentinnen zu Beginn diese Festschreibungen einer restriktiven Geschlechterpolitik diskutiert und weitgehend akzeptiert haben, und wie die Meister - der Form und des Handwerks gleichermaßen - allen voran Gropius eine Geschlechterhierarchie der Kunstgattungen von der für Frauen angeblich völlig ungeeigneten Architektur bis zur den Studentinnen nahegelegten Weberei konzipierten. Anhand der Entwicklungen in unterschiedlichen Werkstätten, der Weberei, der Töpferei und der Metallwerkstatt mit der Ausnahmefrau Marianne Brandt kann Anja Baumhoff aufgrund ihres reichen Quellenmaterials immer wieder nicht beachtete Aspekte aufzeigen. So stellt sie den unrühmlichen Umgang mit der einzigen Meisterin des Handwerks, Helene Börner, dar: Börner war seit 1907 als Weberin in der Weimarer Paulinenstiftung und in der von van de Velde gegründeten Kunstgewerbeschule tätig und setzte sich seit 1919 aktiv für das Bauhaus und seine neuen Ideen ein. Sie unterstützte die Schule finanziell durch Materialeinkäufe, stellte ihre Webstühle unentgeltlich für die erste und erfolgreichste Produktivwerkstatt des Bauhauses zur Verfügung und engagierte sich in der Siedlungsgenossenschaft. Trotzdem fand sie weder bei den anderen Meistern noch bei den Studierenden Anerkennung. Auch die Studentinnen sahen in „Fräulein Börner“ kein Vorbild, sondern ein Relikt. Gunta Stölzl, die in Dessau zunächst ihre Nachfolgerin als Meisterin des Handwerks wurde, stempelte sie als „altmodische Handarbeitslehrerin“ ab (S. 86-90). Der Vorgang kennzeichnet beispielhaft die Abwertung der wenigen Frauen, die in einer derart männlich dominierten Institution den Aufstieg immerhin ein Stück weit geschafft hatten – und dies gerade auch durch ihre Geschlechtsgenossinnen.

Baumhoffs Untersuchung legt die Vermutung nahe, dass das Bauhaus mit der Koppelung von Kunst und Handwerk Freiheitsspielräume wieder beschnitten hat, die an den beiden Vorgängerinstitutionen in Weimar für angehende Künstlerinnen schon bestanden hatten. Weder die Großherzoglich sächsische Hochschule für Bildende Kunst und die Großherzoglich sächsische Kunstgewerbeschule sind bisher unter Genderaspekten untersucht worden, auch die vorliegende Arbeit geht darauf nicht näher ein. Hier besteht eine Forschungslücke, die nicht nur auf die Genderpolitik des Bauhauses ein neues Licht werfen könnte, sondern auch auf den angeblichen Ausschluss von Frauen von jeglichem Studium an einer Kunstakademie vor 1918. An der Weimarer Akademie war dies nicht der Fall, denn seit Beginn des 20. Jahrhunderts bestand dort eine Frauenklasse. Was dies genau bedeutet hat, ist noch genauer zu klären. Sicher ist, dass diese in Deutschland seltene Ausnahme junge Frauen, die nicht Kunstgewerblerinnen, sondern Künstlerinnen werden wollten, auch überregional anzog. Nach einer Probezeit und der endgültigen Aufnahme konnten die Studentinnen offenbar in gemischten Klassen arbeiten.8 Nach den programmatischen Äußerungen des Bauhauses schien es in der Frauenfrage eine Kontinuität zwischen der Akademie und dem Bauhaus zu geben. Dies führte offenbar dazu, dass mehrere ehemalige Akademiestudentinnen später Bauhäuslerinnen wurden - so beispielsweise Marianne Liebe (die spätere Marianne Brandt), die von 1911 bis 1917 Malerei und Skulptur an der Weimarer Akademie studiert hatte. Auch andere Bewerberinnen für das neu gegründete Bauhaus glaubten offenbar, dass dort die Förderung von Frauen, die „freie Kunst“ studieren wollten, fortgesetzt werden würde. So entschied sich beispielsweise die seit 13 Jahren berufstätige Kunstlehrerin Elsa Mögelin für ein Studium am Bauhaus in Weimar, weil sie unbedingt Malerin werden wollte (S. 66). Zu untersuchen ist, ob die Frauenklasse an der Akademie das Vorbild für die 1920 eingerichtete Frauenklasse am Bauhaus gewesen ist – einer Klasse ausschließlich für Studentinnen, deren genaue Ausgestaltung nicht gut dokumentiert ist (S. 64f). Deutlich ist nur, dass sie der Webereiklasse, die im Prinzip auch von Studenten besucht werden konnte, voranging, zeitweise parallel bestand und schließlich darein integriert wurde.

Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung von Baumhoffs Arbeit besonders deutlich, denn sie zeigt, dass in dem Augenblick, in dem in der Weimarer Republik der Zugang zur „freien Kunst“ formal endlich auch für Frauen möglich ist, an der vermeintlich modernsten Institution, dem Staatlichen Bauhaus in Weimar, mit dem Rückgriff aufs zünftige Handwerk ein mittelalterliches Ausschlusskriterium neu aktiviert und effektiv durchgesetzt wird.

Die Bauhäuslerinnen fühlten sich subjektiv trotz allem gefördert und haben häufig später ihre Bauhauszeit verklärt. Dies mag auch darin begründet sein, dass sich ihnen als Geliebten und Ehefrauen auch beruflich neue Tätigkeitsfelder erschlossen, die den am Bauhaus herrschenden Vorstellungen von Geschlechterdifferenz besser entsprachen als eine hauptberufliche künstlerische Tätigkeit. Baumhoff deutet dies mit dem Hinweis auf Ise Gropius als dem „Pius“ zugeordnete „Pia“ an (S. 50). Christiane Keim hat das aufgegriffen und inzwischen die Arbeit von Ise Gropius und anderen Meisterfrauen untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die künstlerische Autorschaft den Männern, die Öffentlichkeitsarbeit für das „neue Haus“ und das „neue Leben“ den „neuen Frauen“ zukam.9 In der Vermittlung der am Bauhaus entwickelten Produkte und in der Propaganda für einen neuen Lebensstil können sie so einen selbstständigen und geachteten Wirkungsbereich erobern.
Insgesamt ist in neueren Untersuchungen die Einbeziehung des vermeintlich Privaten, der Liebes- und Arbeitsbeziehungen, des geselligen Zusammenseins und der Feste als Ausdruck der Geschlechterrollen am Bauhaus und der geschlechtlichen Arbeitsteilung stärker in den Vordergrund getreten.10 Damit wird der von Baumhoff vorgestellte sozial- und kulturhistorische Ansatz zu einer Institutionsbiografie auf weitere Bereiche ausgedehnt. Allerdings besteht dabei immer wieder die Gefahr, dass die grundlegenden Widersprüche der Institution und ihrer Geschlechterpolitik verwischt werden.

„The gendered world of the Bauhaus“ leistet einen wesentlichen Beitrag zu einer solchen noch zu schreibenden Sozialgeschichte der Institution, in der die Machtstrukturen und Hierarchien einer kritischen Analyse unterzogen und mit dem subjektiven Erleben der Beteiligten im Sinne der Mentalitätsforschung verwoben werden. Die Reaktivierung alter Geschlechterstereotype dient zur Kanalisierung der weiblichen Studierenden in der Weberei und zur generellen Abwertung der gestalterischen Arbeit von Frauen bei Hervorhebung einzelner „Ausnahmefrauen“. Vorstellungen von naturgegebenen Geschlechterdifferenzen bestimmen zusammen mit Überzeugungen von der Wertigkeit der Kunstgattungen die gesamte Arbeit sowie die formellen und informellen Hierarchien unter den Lehrenden. Baumhoff kann überzeugend nachweisen, dass sich Geschlechterkonstruktionen auf der Basis einer vermeintlichen kulturellen Überlegenheit des Männlichen nicht quasi hinterrücks einschleichen, sondern „seem to be carefully and consciously constructed“ (S. 169). Im Gegensatz zu den programmatisch und öffentlich geäußerten Zielsetzungen setzten Gropius und die bestimmenden Meister der Form sie bewusst und gezielt zur Durchsetzung ihrer Institutionspolitik ein.

Anmerkungen:
1 Vgl. Droste, Magdalena, Bauhaus 1919 – 1933, Köln 1991; Fliedler, Jeannine; Feierabend, Peter (Hgg.), Bauhaus, Köln 1999.
2 Braun, Adrienne, Karriere am dünnen Faden. Frauen am Bauhaus (1), in: art Nr. 10, 2002, S.80.
3 Nerdinger, Winfried (Hg.), Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus. Zwischen Anbiederung und Verfolgung, München 1993; Droste, Magdalena; Stölzl, Gunta, Weberei am Bauhaus und aus eigener Werkstatt. Ausstellungskatalog, Bauhaus-Archiv Berlin 1987.
4 Zuletzt erschienen von ihr: Das Bauhaus, in: François, Etienne; Schulze, Hagen (Hgg.); Deutsche Erinnerungsorte II, München 2001, S. 584 – 600; Überall erdrosselt die Kunst das Leben. Man mußte absolut modern sein, auch in der Öffentlichkeitsarbeit: Wie das Bauhaus seinen Mythos schuf, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.2.2002.
5 Wahl, Volker (Hg.), Die Meisterratsprotokolle des Staatlichen Bauhauses Weimar 1919-1925, Bearb. von Ute Ackermann, Weimar 2001.
6 Die 1994 abgeschlossene Dissertation mit dem Titel „Gender, Art and Handicraft at the Bauhaus“ wurde für die vorliegende Publikation gekürzt und grundlegend überarbeitet.
7 Vgl. Droste wie in Anm. 3 und Droste, Magdalena, Beruf: Kunstgewerblerin, Frauen im Kunsthandwerk und Design 1890-1933, in: Frauen im Design. Berufsbilder und Lebenswege seit 1900, Ausstellungskatalog, Landesgewerbeamt Stuttgart 1989, S. 174-202.
8 Vgl. dazu Below, Irene, Afrika und Europa. Peripherie und Zentrum: Irma Stern im Kontext, in: Below, Irene; Hülsewig-Johnen, Jutta (Hgg.), Irma Stern und der Expressionismus. Ausstellungskatalog, Kunsthalle Bielefeld, Bielefeld 1996, S. 105ff und Anm.6 und 7. Nach den von mir eingesehenen Akten der Hochschule war in den Jahren nach 1902/03 die Hälfte der Studierenden weiblich, im SS 1913 studierten dort „99 Herren, 57 Damen“ vgl. Thüringisches Hauptstaatsarchiv, Weimar, Staatliche Hochschule für Baukunst, bildende Kunst u. Handwerk, Konvolut 19. Zu den gemischten Klassen vgl. ebd., Konvolut 19, fol. 109. Danach waren in der Mackensen/Melchers-Klasse im WS 1913/14 „28 Herren, 27 Damen“, im SS 1914 „31 Herren, 32 Damen“ - darunter die Südafrikanerin Irma Stern und die mit ihr befreundete Marianne Liebe. Das Bauhaus-Archiv Berlin besitzt das Fotoalbum der ebenfalls in der Frauenklasse studierenden Erika Zschimmer, das Szenen aus dem Akademie-Alltag der jungen Frauen und von Künstlerfesten in den Jahren 1913/14 zeigt. Als ehemalige Akademie-Studentin traf Irma Stern bei einem Besuch der Bauhauswoche 1923 „lauter alte Gesichter und dabei fremd gewordene Menschen“ , vgl. a.a.O., S. 107.
9 Keim, Christiane, Der Bauhausdirektor, das Meisterhaus und seine Frauen. Das Haus Gropius in Dessau als Selbstporträt des Architekten, in: Hoffmann-Curtius, Kathrin; Wenk, Silke (Hgg.), Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit im 20. Jahrhundert. Beiträge der 6. Kunsthistorikerinnen-Tagung in Tübingen 1996, Marburg 1997, S. 146-158.
10 Vgl. dazu die Beiträge in der Abteilung Leben und Alltag in: z.B. Ackermann, Ute, Bauhaus intim, S. 108–119 und dieselbe, Bauhausfeste – Pathetisches zwischen Stepexzentrik und Tierdrama, S. 126-139.

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