Cover
Titel
Oper im Schaufenster. Die Berliner Opernbühnen in den 1950er-Jahren als Orte nationaler kultureller Repräsentation


Autor(en)
Bien, Fabian
Reihe
Die Gesellschaft der Oper. Musikkultur europäischer Metropolen im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 9
Erschienen
Anzahl Seiten
349 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerd Dietrich, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

„In der Oper unterhalt ich mich immer, auch wenns langweilig ist“, notierte Hanns Eisler 1956.1 So geht’s auch mit diesem Buch über die Oper und ihre Bühnen in Berlin. Es ist durchaus interessant und unterhaltend, auch wenn einiges schon bekannt ist und man über diese Passagen hinwegkommen muss. Die Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Köln als Dissertation angenommen. Sie basiert auf einem reichen Fundus archivalischer Quellen und zeitgenössischer Publikationen. Die kulturhistorische und ideengeschichtliche Studie behandelt die drei Berliner Opernbühnen als Foren nationaler kultureller Repräsentation und rekonstruiert die übereinstimmenden wie die miteinander konkurrierenden Kulturvorstellungen vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit und der Konkurrenz der beiden deutschen Staaten im Kalten Krieg. Dabei trägt die Studie einem erweiterten Politikverständnis Rechnung und legt den Fokus der Forschung auf die politische Dimension der Kunstform Oper. Deren Geschichte wird nach dem Verhältnis zwischen bildungsbürgerlichen Kunstvorstellungen und kultureller Moderne befragt. Methodisch ist die Studie an dem Ansatz von Georg Bollenbeck zur „bildungsbürgerlichen Semantik“2 orientiert und greift jene drei langlebigen Argumentationsfiguren auf, die dem Diskurs über das Nationale in der Kunst zugrunde liegen: Erstens die ursprungsmythologische Figur, zweitens die bildende Funktion und drittens den schönen Schein. Fabian Bien erweitert diese methodisch-strukturelle Basis um eine vierte Argumentationsfigur: die Forderung nach einer Musterbühne.

Die Darstellung ist systematisch, innerhalb der einzelnen Kapitel chronologisch aufgebaut und der historische wie analytische Vergleich kommt in verschiedenen Teilaspekten zur Anwendung. Nach der wissenschaftlichen Einleitung widmet sich das erste Kapitel der politischen Symbolik der Eröffnungsfeiern der beiden Opernhäuser, die seit 1945 in technisch unzulänglichen Ausweichspielstätten hatten arbeiten müssen. Während sich die Deutsche Staatsoper Unter den Linden als Mittelpunkt deutscher Opernkultur verstand und ihre Wiedereröffnung am 4. September 1955 die nationale Orientierung der DDR demonstrieren sollte, erfolgte die Premiere der Deutschen Oper in Charlottenburg am 24. September 1961, und wie könnte es nach dem 13. August auch anders sein, im Zeichen einer freiheitlichen Kultur und eines freiheitlichen Deutschland. Die beiden folgenden Kapitel sind den kulturellen Konzepten gewidmet. Im historischen Rückblick befasst sich das zweite Kapitel mit den Vorstellungen von einer idealen deutschen Opernbühne, wobei die oben genannten Argumentationsfiguren als ideengeschichtliche Dimensionen erläutert werden. Im dritten Kapitel geht es um die Umsetzung dieser bildungsbürgerlichen Vorstellungen unter den politischen Rahmenbedingungen wie in den kulturpolitischen Konzepten der beiden Opern. Wobei aber nur das westliche Konzept personalisiert dargestellt und mit dem östlichen offiziellen verglichen wird. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Architektur und dem Wiederaufbau bzw. Neubau von Staatsoper und Deutscher Oper und soll zeigen, wie sich in deren Gestaltung die unterschiedlichen Vorstellungen von einer idealen Opernbühne niederschlugen. Freilich ist es allzu einfach, in diesem Fall nationalisierte Architektur und internationalen Stil gegenüberzustellen. Denn über die Erhaltung des Lindenforums gab es in Ost und West Einmütigkeit. Thema des fünften Kapitels sind die kunstpolitischen Kämpfe um übergreifende Künstlerengagements am Beispiel des „Sängerkriegs“ (der Westberliner Senat verbot „Zweigleisigkeit“) und des Falles Erich Kleiber, um den beide Opern als Generalmusikdirektor rangen, der aber letztlich beiden absagte. Anhand dieses Konflikts werden zugleich die unterschiedlichen Positionen zur Frage der Einheit der deutschen Kultur beleuchtet. Kapitel sechs behandelt an ausgewählten Inszenierungen die kulturelle Repräsentation der drei Opernbühnen. Erstmals und reichlich spät wird hier die dritte im Bunde, die Komische Oper thematisiert, die seit 1947 in der Behrenstraße spielte. Zum einen geht es unter dem Aspekt der „bildenden Funktion“ um den Vergleich der Aufführungen von Wagners Meistersingern 1955 in der Staatsoper mit Boris Blachers Märchen 1952 in der Städtischen Oper. Zum zweiten werden unter „ursprungsmythologischer Figur/Schöner Schein“ die Formalismusdebatte um Brecht / Dessaus Das Verhör des Lukullus 1951, die Uraufführung von Jean Kurt Forests Der arme Konrad 1959 in der Staatsoper und der Skandal um die szenische Erstaufführung von Arnold Schönbergs Moses und Aron in der Städtischen Oper 1959 dargestellt. Zum dritten wird die „Komische Oper als Musterbühne des Sozialistischen Realismus" beschrieben, was fragwürdig erscheint und offensichtlich die Schnittmengen zwischen dem erfolgreichen Konzept des realistischen Musiktheaters und jener politisch-ideologischen Scheinästhetik überzieht. Im abschließenden siebenten Kapitel werden Fragen nach dem idealen Publikum der Opernhäuser in Ost- und Westberlin gestellt und die Versuche erläutert, Besucher aus dem jeweils anderen Stadtteil für die eigenen Aufführungen zu gewinnen. Denn im Osten war der kurzfristige Anspruch gescheitert, das bürgerliche durch ein „werktätiges“ Publikum zu ersetzen. Nicht immer ist die Darstellung hinsichtlich des Ostens frei von unhistorischen Klischees, wenn zum Beispiel schon der SBZ das Ziel einer deutschen Einigung unter sozialistischem Vorzeichen untergeschoben wird, wenn keine Unterschiede zwischen der Kulturpolitik der Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten und dem Ministerium für Kultur gemacht werden oder wenn von verfallender Bausubstanz und verwahrlosenden Straßen gesprochen wird, die in den Nachkriegsjahren allerorten zu finden waren.

In seinem Ausblick konstatiert Fabian Bien, dass sich bis 1961 zwischen den drei qualitativ erstklassigen Opernhäusern eine fruchtbare Konkurrenz entwickelte. Über den rein künstlerischen Wettbewerb hinaus, ging es im Berlin des Kalten Kriegs immer auch um politische Konkurrenz. Als wichtigstes Ergebnis seiner Untersuchung stellt er heraus, dass im Rahmen der Konkurrenz um nationale kulturelle Repräsentation an der Westberliner Städtischen Oper die bildungsbürgerliche Kultursemantik ihre Relevanz einbüßte und es zu einer Öffnung hin zur kulturellen Moderne kam. Demgegenüber war man im Osten auf das nationale Erbe fokussiert, womit die restaurative Kontinuität der bildungsbürgerlichen Semantik bestätigt wurde. Freilich befand sich auch in der DDR seit Mitte der 1950er-Jahre die abgrenzende Haltung gegenüber der kulturellen Moderne auf dem Rückzug. Das sind wohl keine neuen Erkenntnisse, aber sie werden mit äußerst interessanten Details verknüpft und dargeboten. Wie gesagt, auch wenn’s manchmal langweilig ist, mit der Oper unterhalten wir uns immer.

Anmerkungen:
1 Hans-Peter Müller, Ein Genie bin ich selber! Hanns Eisler in Anekdoten, Aphorismen und Aussprüchen, Berlin 1984, S. 103.
2 Georg Bollenbeck, Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmuster, Frankfurt am Main 1994.

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