W. Virmond (Hrsg.): Die Vorlesungen der Berliner Universität 1810-1834

Titel
Die Vorlesungen der Berliner Universität 1810-1834. Nach dem deutschen und lateinischen Lektionskatalog sowie den Ministerialakten


Herausgeber
Virmond, Wolfgang
Erschienen
Berlin 2011: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
XXVI, 848 S.
Preis
€ 228,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ingeborg Schnelling, Geheimes Staatsarchiv Preussischer Kulturbesitz, Berlin

Die Jahre 2010 und 2011 boten der Stadt Berlin manche Gelegenheit, Stationen ihrer Wissenschaftsgeschichte zu feiern. Neben dem zweihundertsten Jahrestag der Gründung der Berliner Universität, dem dreihundertsten sowohl der Charité als auch der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und dem dreihundertfünfzigsten gar der Staatsbibliothek gedachten auch die Max-Planck-Gesellschaft ihrer einhundert Jahre zuvor gegründeten Vorgängerorganisation Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, das Naturkundemuseum seines 200-jährigen Bestehens und der Botanische Garten des einhundertsten Jahrestags seiner Verlegung nach Dahlem. Jede dieser Einrichtungen ist anlässlich ihres Jubiläums mit Publikationen reich bedacht worden. Die von Wolfgang Virmond herausgegebene Edition der ersten Vorlesungsverzeichnisse der Berliner Universität (1810 – 1834) steht in diesem Zusammenhang.

Das Interesse an solchen Lektionskatalogen ist groß, zeigen sie doch zumindest die geplanten Lehrveranstaltungen einer Hochschule und sind daher für deren Geschichte des Studiums und der Lehre unerlässlich. Aus diesem Grund wurden bereits die Vorlesungsverzeichnisse von mehreren Universitäten veröffentlicht, sei es als Digitalisate im Netz (Braunschweig, Frankfurt am Main, Freiburg, Gießen, Heidelberg, Ingolstadt mit Landshut und München, Kiel), sei es als Datenbank erschlossen (Leipzig), als Abbildungen (Königsberg) oder als Tabelle (Jena) gedruckt. Allen diesen Editionen ist gemein, dass sie auf die unterstützende Verwendung weiterer Quellen verzichten. Indem Virmond dagegen vor allem die einschlägige Aktenüberlieferung des preußischen Kultusministeriums bzw. des Innenministeriums berücksichtigt (wurde doch ein eigenständiges Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten erst im November 1817 eingerichtet), geht er einen wesentlichen Schritt weiter und kann den Planungen die Konkretisierungen gegenüberstellen: Entstanden ist eine sehr differenzierte, klug zusammengestellte und trotz der Fülle übersichtlich präsentierte Informationssammlung, die sich aus mehreren Quellen speist, den in deutscher und in lateinischer Sprache vorliegenden Lektionskatalogen, der Ministerialüberlieferung, daneben den von Julius Eduard Hitzig herausgegebenen Berliner Universitätskalendern für die Jahre 1812 und 1813 sowie den 1811 erschienenen Nachrichten für angehende Studierende in Berlin von Johann Christian Gädicke, die für die ersten Semester als Ergänzung oder auch zur Korrektur herangezogen werden. Der zeitliche Rahmen des edierten Materials reicht von der Eröffnung des Lehrbetriebs an der Berliner Universität zum Wintersemester 1810/1811 bis zum Tod Friedrich Schleiermachers im Wintersemester 1833/1834 (12. Februar 1834). Dieser als vorläufig verstandene Endpunkt (S. XIV) verweist auf die Ursprünge von Virmonds Projekt, das aus seiner Arbeit am Nachlass Friedrich Schleiermachers entstanden ist (S. XVf.).

Grundlage der Edition sind die deutschen Vorlesungsverzeichnisse. Sie sind nach Wissenschaftsbereichen sachlich (vom Allgemeinen zum Besonderen) angeordnet, wohingegen die lateinischen Verzeichnisse der gängigen Praxis im Hinblick auf die Sprache und Hierarchie der Dozenten innerhalb der Fakultäten vom Dekan zu den Extraordinarien folgen. Die Endredaktion der lateinischen Fassungen lag beim jeweils zum „Professor der Beredsamkeit“ berufenen Altphilologen, zunächst Ludwig Friedrich Heindorf, nach dessen Berufung nach Breslau im Jahr 1811 dann August Boeckh. Da die lateinischen Versionen häufig ausführlicher als die deutschen sind, erscheint die doppelte Nennung der Veranstaltungstitel durchaus sinnvoll.

Die Angaben aus den jeweils zwei Verzeichnissen pro Semester werden ergänzt durch Informationen aus den Ministerialakten über die Anzahl der Hörer und den Zeitraum der Veranstaltungen, vor allem aber auch darüber, ob die angekündigte Veranstaltung überhaupt stattgefunden hat. Diese vom Innen- bzw. vom Kultusministerium eingeforderten Daten waren von der Quästur der Universität erhoben worden, doch sind die dort geführten Hörerlisten und Listen sämtlicher Vorlesungen der Hochschule, die etwa Max Lenz für seine zum hundertsten Jahrestag ihrer Gründung vorgelegte vierbändige Geschichte der Universität Berlin heranziehen konnte, zusammen mit den übrigen Quästurakten nach 1945 im Archiv der Humboldtuniversität kassiert worden, sodass die zusammenfassenden Meldungen an das Ministerium den verbliebenen Rest dieser Buchführung darstellen. Für die Jahre 1810 bis 1812 werden die Angaben gegebenenfalls ergänzt oder korrigiert durch solche aus den Universitätskalendern 1812 und 1813. So kann man zum Beispiel feststellen, dass viele Veranstaltungen zwar angekündigt, aber aus den verschiedensten Gründen, auch wegen Hörermangels, nicht gehalten wurden, andererseits aber auch welche stattfanden, die nicht in den Lektionskatalogen annonciert worden waren. Virmond selbst gibt an (S. IX), 10.389 Veranstaltungen verzeichnet zu haben, wovon 2.789, also über 25 %, nicht gehalten wurden, aber 273 nicht angekündigte stattfanden. Im behandelten Zeitraum gab es also 7.873 Veranstaltungen. Die Hörerzahlen schwankten naturgemäß. Für das WS 1833/34 lagen sie im Fach (Evangelische) Theologie („Gottesgelahrtheit“) bei 28 Veranstaltungen (sechs weitere fielen aus, vier davon wegen Hörermangels) zwischen acht und 303. Insbesondere die drei fünfstündigen privatim gehaltenen Vorlesungen des Kirchenhistorikers August Neander waren mit 303, 259 und 270 Hörern sehr gut besucht; daneben hielt er noch eine öffentliche Vorlesung, wofür jedoch keine Hörerzahl vorliegt.

Schließlich kommen für das erste, das Wintersemester 1810/1811 Angaben aus Gädickes Nachrichten für angehende Studierende über das jeweils geforderte Hörer- oder Kolleggeld hinzu. Dass Vorlesungen auch in den späteren Jahren natürlich nicht gratis waren, geht zwar aus den Lektionskatalogen selbst hervor, nicht jedoch die jeweils geforderten Summen, die im ersten Semester durchaus variierten, meist aber bei einem bis drei Reichstalern bzw. einem Friedrichsdor lagen.

Alle diese Angaben sind für alle Semester des fraglichen Zeitraums nach dem Aufbau der deutschen Vorlesungsverzeichnisse zusammengetragen. Ein differenziertes Druckbild ermöglicht die Zuordnung zur jeweiligen Quelle unmittelbar. Pro Semester sind alle Veranstaltungen durchgezählt, sodass die wachsende Zahl der Lehrveranstaltungen von 137 (WS 1810/11), 158 (SS 1811), 213 (WS 1820/21), 255 (WS 1825/26), 333 (WS 1833/34) leicht zu erkennen ist. Auffällig ist auch das stetige Wachsen der Fächerzahl in der Philosophischen Fakultät.

Dem Katalog der Vorlesungen der Jahre 1810 bis 1834 stellt Virmond eine ausführliche Einleitung voran, in der er die Vorlesungsverzeichnisse als Quellengattung im Allgemeinen und die Berliner im Besonderen erläutert, aber auch die für manche vielleicht verwirrenden Begriffe „privat“ oder „öffentlich“ gehaltener Vorlesungen klärt: Waren privatim gehaltene Vorlesungen den immatrikulierten Studenten nach Anmeldung und Zahlung des Kolleggeldes vorbehalten, konnten als publice angekündigte Veranstaltungen ohne weiteres besucht werden und waren in jedem Fall kostenlos. Privatvorlesungen ganz anderer Art waren dagegen die von Privatleuten außerhalb des Universitätsbetriebes in öffentlichen oder Privaträumen gehaltenen Vorlesungen.

Auch der Anhang (S. 767-848) bietet erfreulich viele Informationen, die die Arbeit mit der Edition erleichtern bzw. bereichern: Zunächst ist da eine blattweise Inhaltsübersicht der einschlägigen Ministerialakten (GStA PK, I. HA Rep. 76 Va Sekt. 2 Tit. XIII Nr. 1, Bd. 1-8: „Halbjahreslisten der Universität zu Berlin …“, 1810-1835, insgesamt Bd. 1-12, 1810-1845), die als Einzelblattverzeichnung weit über eine archivische Bearbeitung hinausgeht. In Einzelfällen transkribiert Virmond sogar ganze Schreiben, eben jene, die das hohe Maß der Kontrolle und der Einflussnahme des Ministeriums zeigen. In die gleiche Richtung weisen die abgedruckten „Quellen zur Gestaltung der Vorlesungsankündigungen und der Lehre durch das Ministerium“ (S. 779-790), je einer Akte der Berliner Theologischen Fakultät des Jahrs 1819 (Humboldt-Universität, Universitätsarchiv) und der Universität Halle aus dem Jahr 1820 (Universitätsarchiv Halle). Beide sind als Gegenüberlieferung zu dem tatsächlich nach 1868 kassierten ersten Band der entsprechenden Ministerialüberlieferung (GStA PK, I. HA Rep. 76 Va Sekt 1 Tit. XIII Nr. 5, Bd. 1: „Halbjahreslisten der Kgl. Landesuniversitäten …“, 1810-1838) herangezogen worden. Für die geplante Fortsetzung des Unternehmens sei jedoch angemerkt, dass die Bände 2 bis 10 dieser Reihe mit einer Laufzeit von 1839 bis 1934 vollständig erhalten sind!

Von besonderem Wert ist das Verzeichnis der in den Lektionskatalogen zu den einzelnen Veranstaltungen jeweils genannten Literatur mit Angabe der entsprechenden Vorlesung (Semesterangabe mit Nummer der jeweils durchgezählten Vorlesung). Nach dem gleichen – sehr benutzerfreundlichen Muster – sind schließlich die Lehrveranstaltungen alphabetisch nach den Dozenten angeordnet (S. 815-848).

Nach den bereits im Jubiläumsjahr 2010 erschienenen, von Peter Bahl und Wolfgang Ribbe bearbeiteten und herausgegebenen Matrikeln der Universität Berlin hat Wolfgang Virmont mit der Edition der Vorlesungsverzeichnisse und der damit unmittelbar zusammenhängenden Ministerialakten einen wirklichen Meilenstein auf dem Weg zu einer noch fehlenden Geschichte des Studiums und der Lehre an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin vorgelegt.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension