J. Nowosadtko: Stehendes Heer im Ständestaat

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Titel
Stehendes Heer im Ständestaat. Das Zusammenleben von Militär- und Zivilbevölkerung im Fürstbistum Münster 1650–1803


Autor(en)
Nowosadtko, Jutta
Reihe
Forschungen zur Regionalgeschichte 59
Erschienen
Paderborn 2011: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
IX, 327 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carmen Winkel, Militärgeschichte / Kulturgeschichte der Gewalt, Universität Potsdam

Sozialgeschichtlich orientierte Studien über das Zusammenleben zwischen Militär und Zivilbevölkerungen gehören inzwischen zum festen Repertoire der so genannten neuen Militärgeschichte. Viele dieser Studien untersuchen dieses Thema anhand des städtischen Kontextes, sind doch hier besonders gut die engen Wechselbeziehungen zwischen ziviler und militärischer Sphäre nachzuvollziehen.1 Insbesondere die größeren Reichsstädte bieten zudem ein hervorragendes Quellenkorpus für derartige Fragestellungen.

Die folgende Studie reiht sich – und dies betont die Autorin ausdrücklich – in diese Forschungstradition ein (S. 9). Allerdings steht im Mittelpunkt der Analyse nach eigenem Bekunden nicht allein das Zusammenleben in einer frühneuzeitlichen Garnisonsstadt, sondern es werden die Lebensumstände der Militärangehörigen in einem geistlich-katholischen Territorium untersucht.

Für die Truppen der kleineren armierten Reichsstände ist die Forschungssituation, trotz des anhaltenden landesgeschichtlichen Forschungsbooms in der deutschsprachigen Militärgeschichte, immer noch äußerst prekär. Wie die vorliegende Studie zeigt, werden den Armeen der geistlichen Fürstentümer zu Unrecht von der älteren wie neueren Militärgeschichte Professionalität und Effektivität grundsätzlich aberkannt, da die militärischen Einrichtungen am Beispiel Brandenburg-Preußens gemessen wurden. Dieses festgefügte Bild stellt die Autorin am Beispiel des Militärs des Fürstbistums Münster nachdrücklich in Frage. Die Arbeit ist in insgesamt sechs Kapitel gegliedert, wobei der dritte Abschnitt, in dem nach dem sozialen und rechtlichen Status der Militärangehörigen gefragt wird, den mit Abstand umfangreichsten Teil der Arbeit darstellt.

Quellengrundlagen der Untersuchung bilden die ungedruckten und bislang von der Forschung nur sporadisch genutzten Bestände des Landesarchivs Münster. Allerdings räumt die Autorin in ihrem ersten Kapitel ein, dass die Quellensituation schwierig sei. So liegen nur wenige serielle Akten der Militärverwaltung vor, die eine sozialstatistische Untersuchung kaum ermöglichen (S. 24). Die von Jutta Nowosadtko hinzugezogenen landständischen und städtischen Quellen sind daher unverzichtbar und erweitern das Thema somit auch um eine „zivile Perspektive“ (S. 25). Dazu zählen Magistratsakten, die Nachlässe hochrangiger Beamter sowie die Akten des Domkapitels. Die prekäre Quellenlage – welche mit dem vielzitierten preußischen Beispiel übrigens durchaus vergleichbar ist – erlaubt keine umfassende Analyse von quantifizierbaren Massendaten, da auch die Kirchenbücher nicht erhalten geblieben sind.

Ziel der Studie ist es, anhand der „sozialhistorischen Analyse des gesellschaftlichen Teilsektors Militär“ (S. 28) die Integration einer neuen sozialen Gruppe in die Gesellschaft des Fürstbistums zu untersuchen. Dazu wählt die Autorin einen breiten methodischen Ansatz, der von einem erweiterten Herrschaftsbegriff ausgeht und unter dem Schlagwort des „Aushandelns von Herrschaft“ inzwischen breite Anwendung gefunden hat. Aus der Perspektive der Wirtschaftsgeschichte fragt er nach den konkreten Vernetzungen zwischen Militär und Stadt. Indem die Lebenswelt des Militärs aus der sozialen und rechtlichen Perspektive untersucht wird, macht die Autorin die verschiedenen Verflechtungen zwischen den beiden Sphären „zivil“ und „militärisch“ sichtbar. Dabei kommt Nowosadtko zu Ergebnissen, die mit den Befunden für andere Territorien bzw. Garnisonsstädte vergleichbar sind, in der Konsequenz aber kaum neuartige Erkenntnisse liefern.

So war die münsterische Armee im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts von ständigen „Reduktionen, Reformationen und Demobilisierungen“ geprägt, wie dies nach dem Dreißigjährigen Krieg in fast allen europäischen Territorien nachzuvollziehen ist. Der als „Bombenbischof“ in die Geschichte eingegangene Christoph Bernhard von Galen kann damit nur bedingt als „Schöpfer“ des stehenden Heeres im Fürstbistum gelten (S. 162). Die Soldaten dienten nicht lebenslang, dafür war diese Erwerbsform auch gänzlich ungeeignet. Damit ergab sich das Problem der Versorgung im Alter und bei Invalidität. Grundsätzlich war die Invalidenfürsorge in Münster sehr viel besser geregelt als in anderen Territorien. Auf diesen Umstand wiesen auch die Werbeoffiziere des Fürstbistums in Rekrutierungsgesprächen gern hin (S. 253), die sich davon einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den preußischen Werbern erhofften. Einen allgemeinen Trend in den Armeen der Frühen Neuzeit zum steigenden Durchschnittsalter der Soldaten im 18. Jahrhundert kann Nowosadtko auch in Münster nachweisen. Gut ausgebildete Männer waren in den Kompanien gern gesehen und wurden daher nur ungern entlassen (S. 182).

Die Analyse des katholischen Territoriums gewinnt aufgrund von dessen konfessionell-politischem Charakter jedoch an Bedeutung: Einer der Hauptunterscheidungspunkte zu den Armeen der weltlichen Fürsten bestand in der Zusammensetzung des Offizierkorps. In Münster strebte der Adel eher in die hier zur Verfügung stehenden Kirchenämter, anstatt sein Auskommen in der Armee zu suchen, wie dies ja besonders in Brandenburg-Preußen der Fall war. Daraus resultierten allerdings auch Konflikte, denn auch im Offizierkorps des Fürstbistums kollidierte die geforderte militärische Subordination mit den „geburtsständischen Vorrechten“, die es insbesondere bürgerlichen Offizieren schwer machten, sich gegenüber adligen Kameraden durchzusetzen, selbst wenn jene einen höheren Dienstgrad führten (S. 89).

Andere Entwicklungen wiederum verliefen in den protestantischen Gebieten und in Münster erstaunlich parallel. So ließ sich für Münster ebenfalls ein hoher persönlicher Einfluss des Regimentschefs bei der Auslandswerbung feststellen, der allerdings im Verlauf des 18. Jahrhunderts abnahm (S. 185). Diese Praxis zeigt jedoch, wie begrenzt der Einfluss des Landesherrn gerade in der Anfangszeit des stehenden Heeres war, lebte doch die Auslandswerbung von den persönlichen Beziehungen der Regiments- und Kompaniechefs. Auch die im Regiment praktizierte Ausbildung und die Behandlung der Soldaten waren stark von den Offizieren und vom Chef abhängig. Einen prinzipiellen Gegensatz in der Menschenführung zwischen weltlichem und geistlichem Fürstentum, wie er von der Forschung lange Zeit behauptet wurde, gab es wohl nicht (S. 222). Auch der Dienstalltag unterschied sich kaum von dem in anderen Territorien. Die Soldaten übernahmen nicht nur rein militärische Aufgaben, sondern auch viele innerstädtische und polizeiliche Funktionen, woraus sich natürlich nicht nur Kontakte zur zivilen Gesellschaft ergaben, sondern auch eine Vielzahl von Konflikten (S. 229). Diese Auseinandersetzungen wurden besonders in den Garnisonstädten „aktenkundig“ und können vor allem im wirtschaftlichen Bereich nachgewiesen werden. Angesichts der allgemeinen Dienstbedingungen der Soldaten verwundert das nicht, schließlich reichte der Sold kaum zum Leben aus, und der Dienst gewährte viel zeitlichen Freiraum, der für Nebentätigkeiten genutzt werden konnte.

Jutta Nowosadtko führt mir ihrer Studie vor, wie mit einer prekären Quellensituation gut umgegangen werden kann, indem das vorhandene Material dafür umso intensiver analysiert und auf weitschweifige Quellenzitate sowie die ermüdende Aneinanderreihung von Einzelbeispielen verzichtet wird. Die gegenseitige Ergänzung von Quellen militärischer und ziviler Provenienz zeigt sich hierbei einmal mehr als besonders gewinnbringend. Außerdem werden die am Beispiel des katholischen geistlichen Territoriums erarbeiteten Ergebnisse in einen weiten politischen, sozialen und gesellschaftlichen Kontext eingebunden und erlauben damit die Anschlussfähigkeit zur Frühneuzeitforschung allgemein. Deutlich wird das an dem Fazit der Studie. So war der militärpolitische Rückzug des Fürstbistums nach dem Siebenjährigen Krieg kein Ausdruck von „Friedfertigkeit“, sondern ein Resultat der Staatsverschuldung Münsters, die eine weitere Beteiligung am „Wettrüsten“ der Großmächte unmöglich machte (S. 265).

Aus methodischer Perspektive ist anzumerken, dass die vorliegende Studie die sozialhistorischen Werkzeuge solide nutzt und damit zu ihrer Vergleichbarkeit beiträgt. Die bewährte Herangehensweise an das Material lässt allerdings einen methodischen Mehrwert, der sich eventuell aus der Spezifik des katholischen Territoriums hätte ergeben können, vermissen. Gerade die mangelhafte Überlieferung von sozialgeschichtlich auswertbaren Quellen hätte zudem die Chance einer kulturgeschichtlichen Perspektivenerweiterung nahe gelegt.

Die Studie zu einem der „Stiefkinder“ der militärgeschichtlichen Forschung macht dennoch deutlich, dass auch die kleineren katholischen Territorien in der Außenpolitik des 17. und 18. Jahrhunderts durchaus eine militärische Position vertraten und sie daher eine wissenschaftliche Untersuchung lohnen.

Anmerkung:
1 Dazu sei hier nur stellvertretend verwiesen auf die grundlegende Arbeit von Ralf Pröve, Stehendes Heer und städtisches Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Göttingen und seine Militärbevölkerung 1713–1756, München 1995; als Beispiel für eine der neueren Studien zu diesem Forschungsfeld vgl. Andree Brumshagen, Das Bremer Stadtmilitär im 17. und 18. Jahrhundert. Eine Untersuchung zum Militärwesen in einer Hansestadt, Bremen 2010.

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