Cover
Titel
Antikriegsfilm. Zur Ästhetik, Geschichte und Theorie einer filmhistorischen Praxis


Autor(en)
Röwekamp, Burkhard
Anzahl Seiten
246 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lars Jockheck, Halstenbek

„Antikriegsfilm“ ist eine problematische und umstrittene Bezeichnung. Wie unterschiedlich die Lesarten ein und desselben Films sein können, zeigt aktuell die Kontroverse um den Terrorkriegsfilm „Zero Dark Thirty“ (USA 2012). Reklamieren Regisseurin Kathryn Bigelow und Autor Mark Boal für sich, zu Zwecken der öffentlichen Aufklärung ein ungeschöntes, quasi-dokumentarisches Bild der Aufspürung Osama bin Ladens gezeichnet zu haben, meinen etliche Kritiker darin Propaganda für Folter und willkürliche Tötungen zu erkennen. Wieder andere sehen den Film im Gegenteil „als eine Anklage dessen, was im Namen des sogenannten War on Terror geschehen ist“1.

Um dem Dilemma „Kriegs- oder Antikriegsfilm“ zu entgehen, wählt der Marburger Medienwissenschaftler Burkhard Röwekamp in seiner Habilitationsschrift über den Antikriegsfilm einen produktions-, rezeptions- und kontextorientierten Zugang, der die kriegskritische Lesart der Filme nur als Absicht und Möglichkeit betrachtet. Laut Röwekamp „bezeichnet Antikriegsfilm eine semantische Gebrauchsgröße zur Erwartungssteuerung in medial strukturierten und historisch kontingenten Kommunikationssituationen“ (S. 11). Vereinfacht gesagt: Die Bezeichnung „Antikriegsfilm“ ist eine Absichtserklärung, die nur unter bestimmten Rezeptionsbedingungen möglich ist und wirksam werden kann. Ausgehend von dieser Definition untersucht Röwekamp, was in unterschiedlichen historischen Zusammenhängen unter Antikriegsfilm verstanden und welches filmische Material damit bezeichnet worden ist, um so den Konstruktionsprinzipien kriegskritischer filmischer Vorstellungsbilder auf die Spur zu kommen.

Im ersten Teil seiner Untersuchung kommentiert Röwekamp in einem Literaturbericht das diffuse „Unbehagen am Antikriegsfilm“ in Forschung und Publizistik. Statt die komplexen Zusammenhänge von Absichten, Erwartungen und Wahrnehmungen der Filme in konkreten historischen Situationen zu analysieren, werde vor allem abstrakt und normativ argumentiert. In letzter Konsequenz führe diese Sicht dazu, die Verwendung des Begriffs „Antikriegsfilm“ überhaupt abzulehnen, da eine eindeutige und wertfreie Unterscheidung von Kriegs- und Antikriegsfilm unmöglich erscheine.2

Dagegen versucht Röwekamp im Hauptteil seiner Arbeit anhand zahlreicher Filmbeispiele, vor allem aus den USA, mit den Schwerpunkten Erster und Zweiter Weltkrieg sowie Vietnamkrieg, das „Antikriegsfilmphänomen“ historisch und systematisch zu begreifen. Seinen methodischen Prämissen gemäß bezieht er dabei auch die Wechselwirkungen von Produktion und Rezeption ein, jedoch eher kursorisch und lediglich auf der Basis publizierten Materials. Im Vordergrund steht das Bemühen, jene Formen filmischer Bilder zu bestimmen, die im öffentlichen Diskurs die Antikriegs-Bedeutung konstruiert haben. Ausführlicher geschieht dies – allerdings auf insgesamt knappem Raum – lediglich anhand einiger bekannter Filmbeispiele: „All Quiet on the Western Front“ (USA 1930), „Westfront 1918“ (D 1930), „Paths of Glory“ (USA 1957), „The Deer Hunter“ (GB/USA 1978), „Apocalypse Now“ (USA 1979), „Full Metal Jacket“ (USA 1987), „Jarhead“ (USA 2005). Diese prägenden „Klassiker“ des Antikriegsfilms werden jedoch wiederholt in Bezug gesetzt zu weniger bekannten europäischen, sowjetischen und japanischen Filmen.

Seine Ergebnisse lässt Röwekamp nur für die filmische Kritik an der staatlichen Kriegsführung des 20. Jahrhunderts gelten; die neuesten Tendenzen filmischer Kritik am „Krieg gegen den Terror“ streift er lediglich. Dennoch habe der Antikriegsfilm nicht nur das Bild der Kriege des vergangenen Jahrhunderts maßgeblich geprägt, sondern seine Bilder seien von Anfang an zu Sinnbildern einer überhistorischen sinnzerstörerischen Gewalt des Krieges geworden. Diese filmische „Konstruktion von Widersinn“ macht Röwekamp an vier Modi filmischer Kriegskritik fest (S. 209–212): 1. „Bewegungsbilder“, die das Kriegsgeschehen in Form eines schockierenden, rasenden „Bilderfurors“ darstellen und die Wahrnehmung insbesondere des Ersten Weltkrieges geprägt hätten; 2. „Denkbilder“, die den Krieg als eine „Katastrophe der Zivilisation“ anklagen, der nicht nur Individuen, sondern Kulturen und Gesellschaften zu zerstören vermag, und die vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden seien; 3. „Vexierbilder“, die aufgrund der Erfahrungen des Vietnamkrieges „Bewegungsbild“ und „Denkbild“ erneuert hätten; schließlich 4. „Krisenbilder“, die sich als Konsequenz des Ersten und Zweiten Irakkrieges besonders mit der politischen und medialen Begleitung und Vermittlung des Krieges befassen.

Diese miteinander koexistierenden wie konkurrierenden Modi filmischer Kriegskritik können durchaus auch im unterhaltenden und (re-)mobilisierenden Kriegsfilm vorkommen, und sei es nur als beiläufige Konzession an ein kriegsmüdes Publikum. Das unterstreicht noch einmal, dass die Grenze zwischen Kriegs- und Antikriegsfilm eine fließende ist. Mit seiner Untersuchung gibt Röwekamp wesentliche Kriterien an die Hand, um die kriegskritischen Absichten eines Films zu entschlüsseln. Ob diese Kriegskritik eine Wirkung entfalten kann, welche die Bezeichnung „Antikriegsfilm“ angemessen erscheinen lässt, hängt letzten Endes aber von den Umständen der Rezeption ab, denen weitere und genauere Studien zu widmen wären.

Anmerkungen:
1 Andrea Köhler, Was wirklich war. Debatte um „Zero Dark Thirty“, in: Neue Zürcher Zeitung, 03.01.2013, <http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/film/was-wirklich-war-1.17917863> (12.04.2013).
2 Zur Diskussion über das Verhältnis von Kriegs- und Antikriegsfilmen vgl. auch Jakob Sobe: Rezension zu: Heller, Heinz; Röwekamp, Burkhard; Steinle, Matthias (Hrsg.): All quiet on the Genre Front? Zur Praxis und Theorie des Kriegsfilms, Marburg 2006, in: H-Soz-u-Kult, 11.01.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-1-025> (12.04.2013).

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