A. Berg u.a. (Hrsg.): Paare in Wissenschaft und Politik

Titel
Par i vetenskap och politik. Intellektuella äktenskap i moderniteten


Herausgeber
Berg, Annika; Florin, Christina; Wisselgren, Per
Erschienen
Anzahl Seiten
476 S.
Preis
kr 233,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Etzemüller, Institut für Geschichte, Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg

Es gibt bislang kaum Studien, die untersuchen, wie Geschlechterrollen in Paarbeziehungen ausgefochten wurden. Dabei bilden (Ehe-)Paare seit dem 18. Jahrhundert ein wichtiges Forum, um Geschlechterstrukturen zu verhandeln. In Politik, Kunst und den Wissenschaften gab es eine große Zahl von Paaren, in denen Frauen mehr oder weniger gleichberechtigt mit Männern ihren Interessen bzw. einer professionellen Karriere nachgehen konnten – erinnert sei nur an Beatrice und Sidney Webb oder Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre. Doch selbst wenn beide Partner sich dezidiert progressiv gaben, waren diese Beziehungen in der Regel durch erhebliche Asymmetrien gekennzeichnet, das heißt vor allem Frauen mussten faktisch um ihre Freiräume kämpfen. Zugleich dienten die prominenteren dieser Paare den Medien dazu, die sich seit dem 19. Jahrhundert wandelnden Geschlechterbeziehungen in den westlichen Industriegesellschaften öffentlich zu verhandeln. Ihnen eignete eine hohe Symbolkraft, um legitime Rollen und Verhaltensmuster von Männern und Frauen auszuhandeln. Diese Geschichte ist im Grunde bis heute nicht abgeschlossen.

Der vorliegende, verdienstvolle Sammelband – abgeschlossen durch eine englische Zusammenfassung – thematisiert zehn heterosexuelle Paare, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der schwedischen Gesellschaft und Politik herausragende Positionen einnahmen. Der Band belegt, dass Schweden in der deutschen Zeitgeschichte zu Unrecht marginalisiert ist, denn wichtige Entwicklungslinien der modernen europäischen Gesellschaften lassen sich hier wie unter einem Brennglas beobachten, in diesem Fall die Frage, wie die Geschlechterordnung reproduziert und verändert wurde. Alle untersuchten Paare dieses Bandes kämpften mit den zeitgenössischen Vorstellungen einer idealen Partnerschaft, und die Frauen nahmen in zweifacher Hinsicht eine Pionierrolle ein, als frühe Akteure in Wissenschaft und Politik und als verheiratete Frauen in der Öffentlichkeit. Mehrere der Paare sind bereits Gegenstand monographischer Untersuchungen gewesen, von denen allerdings nur Yvonne Hirdmans Studie zu Alva (und Gunnar) Myrdal ins Englische übersetzt worden ist.1

In der Einleitung umreißen die Herausgeber wichtige strukturelle Voraussetzungen, etwa die sich lockernden Studien- und Arbeitsverbote für Frauen, aber auch die Bedeutung von Kindern, der familiären Herkunft, dem Heim als öffentlicher Arena sowie der öffentlichen Wahrnehmung und Rolle der Frauen für deren Entfaltungsmöglichkeiten. Der erste Beitrag von Per Wisselgren untersucht drei idealtypische Modelle, das „Zweirollenmodell“ Knut Wicksells und Anna Bugge Wicksells, das „im Schatten von“-Modell Gustaf und Oscara Steffens und die „getrennten Welten“ Gustav und Johanna Cassels. Wicksells inszenierten sich öffentlich als gleichberechtigt – sie waren aus antibürgerlichem Ressentiment Knut Wicksells nicht verheiratet –, auch wenn Anna Bugge Wicksell den Haushalt zu führen hatte und die Karriere ihres Mannes vorantrieb, weil sie sich in den formalen wie informellen Strukturen der Wissenschaft besser auskannte als er. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm sie eine wichtige Stellung in der schwedischen Diplomatie ein. Oscara Steffens ordnete sich der Karriere ihres Mannes unter, ebenso Johanna Cassel, die ihren Lehrerberuf aufgab, sich jedoch im Alter politisch immer weiter von ihrem zunehmend konservativen Mann entfernte. Die Männer – Nationalökonomen bzw. Soziologen – waren in der winzigen Forschungslandschaft Schwedens eng vernetzt, die Frauen zeichnete (mit ihren Männern) ein gemeinsames Interesse an sozialen Reformen sowie eine politisch liberale Grundhaltung aus; in den Partnerschaften trieben sie die anfangs prekären Karrieren ihrer Männer voran, lasen und exzerpierten Texte für sie (und sich) und fungierten als deren Gesprächspartner und Sekretärinnen; in die Gespräche der Männer untereinander waren sie teils eng eingebunden. Ein Geschlechter übergreifender Politik- und Kommunikationszusammenhang einerseits, traditionale Rollenmodelle andererseits konnte also Paare charakterisieren, die sich als durchaus „kulturradikal“ begriffen.

Gulli und Henrik Petrini engagierten sich in der Wahlrechtsbewegung. Christina Florin untersucht dabei das private Heim als halböffentliche, elastisch in andere soziale Felder dehnbare Arena politischer Debatten und strategischer Planungen, in der Frauen mitspielen konnten, ohne ihre weiblichen Pflichten völlig versäumen zu müssen: „Sonderbar, dass Wahlrecht und Putzen immer miteinander kollidieren werden“, meinte eine der Frauen etwas ironisch (S. 95). Die Petrinis provozierten medienwirksam die Öffentlichkeit mit radikalen politischen Ansichten, Gulla Petrini wurde 1909 in die Kommunalpolitik gewählt, und beide inszenierten sich regelrecht als „politisches Paar“, das von morgens bis abends, in der Öffentlichkeit wie privat politisch engagiert war. Florin benennt aber eine wichtige Voraussetzung: Die Frau konnte sich ihren tradierten Haushaltspflichten selbst in diesen progressiven Kreisen zumeist nur dann teilweise entziehen, wenn andere Frauen an ihre Stelle traten, Dienstmädchen.

Die Naturwissenschaftler Astrid Cleve und Hans von Euler im Beitrag Kristina Espmarks zeigen, wie eine Erfolg versprechende Karriere durch Heirat Schaden nahm. Cleve wurde von Eulers Assistentin und konnte ihren eigenen Interessen kaum noch folgen, während ihr Mann 1929 den Nobelpreis für Chemie erhielt. Von Eulers Verhalten in der Ehe führte 1912 zur Scheidung, die Wahl ihres Mannes in die Wissenschaftsakademie stieß daraufhin auf Hindernisse, da einflussreiche Wissenschaftler und Freunde der Familie Cleve ihn für moralisch ungeeignet hielten. Bereits 1910 hatte Cleve ihre Forschungen wieder aufgenommen, doch 1929 war ihre Karriere in der Chemie beendet, sie zog sich in die Landwirtschaft zurück. Beide scheiterten damit, Ehe und Arbeit zu kombinieren, sie – als erste Doktorandin in den Naturwissenschaften – an informellen Strukturen, er – obwohl er ihre Arbeit als Mitverfasserin wissenschaftlicher Aufsätze durchaus anerkannte – an traditionalen Wertvorstellungen.

Bei Ebba Hult und Gerard de Geer dagegen verschmolzen Ehe, Heim, Arbeit, Schülerkreis und Institut erfolgreich zu einer unauflösbaren Einheit; auch hier allerdings war der Mann Professor und die Frau Assistentin. Die „Familie als fundamentale[r] Organisationsform und Arena für die wissenschaftliche Arbeit“ (S. 164) wird im Beitrag von Staffan Bergwik also in einem sehr weiten Sinne verstanden. Sie bezog die Schüler und Mitarbeiter ein und bildete eine Struktur, die Hult sowohl hinderte als auch Entfaltungschancen bot. Innerhalb dieses Rahmens entwickelte sie allmählich ein eigenes wissenschaftliches Profil, doch mit dem Tod ihres Mannes wurde dieser Rahmen instabil. Auch deshalb kämpfte Hult noch 1969, bereits auf dem Sterbebett, um das Institut ihres Mannes, das die Universität Stockholm schon lange hatte schließen wollen, weil die „Geochronologie“ de Geers wissenschaftlich überholt war.

Ähnlich facettenreich fallen die Beiträge über Ebba und Eli Heckscher (David Östlund), Signe und Axel Höjer (Annika Berg), Alva und Gunnar Myrdal (Yvonne Hirdman) sowie Karin Kock und Hugo Lindberg (Kirsti Niskanen) aus. Immer wieder wird deutlich, wie sich in der heterosexuellen Geschlechterordnung nur verheirateten Frauen Zugänge zu sozialen Netzwerken eröffneten, dass die Ehe also Möglichkeitsräume schuf und zugleich begrenzte. Die räumliche und zeitliche Organisation des privaten bzw. öffentlichen Raumes, die Aushandlung der Beziehung zueinander bzw. der Freiräume für Frauen konstituierten diese Beziehungen, mal restriktiver (Höjer), mal weitgehend offen (Kock/Lindholm). Diese Ambivalenzen und Vielschichtigkeiten zu präsentieren, ist das Verdienst des Bandes, er ist gleichermaßen wichtig für die Geschichte der europäischen Moderne, die Geschlechtergeschichte, aber auch für die Wissenschaftssoziologie. Eine Übersetzung wäre ihm zu wünschen.

Anmerkung:
1 Yvonne Hirdman, Alva Myrdal: The Passionate Mind, Bloomington/IND 2008; vgl. die Rezension von Iris Carstensen, in: H-Soz-u-Kult, 22.02.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-1-135> (16.02.2012).

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