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Titel
Kilimandscharo. Die deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges


Autor(en)
Hamann, Christof; Honold, Alexander
Erschienen
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Iris Schröder, Humboldt-Universität zu Berlin

Abenteuergeschichten sind wieder chic. Vor allem in Romanform wird für die begeisterten Leserinnen und Leser des 21. Jahrhunderts die exotische Welt der Entdecker und der Eroberer immer wieder aufs Neue in wechselnden Settings publikumswirksam in Szene gesetzt. Aber auch in den Geschichts- und Kulturwissenschaften findet das lange Zeitalter der Entdeckungen große Aufmerksamkeit. Hier dominiert freilich im Zeichen eines wachsenden Interesses an globalhistorischen Zusammenhängen und an einer neuen Imperialgeschichte, die auch postkoloniale Provokationen mit einbezieht, ein eher kritischer Gestus. Christof Hamann und Alexander Honold folgen mit ihrem Buch also einem Trend. Ihr Buchvorhaben ist gleichwohl außergewöhnlich, als die Zusammenarbeit eines Romanautors und eines Literaturwissenschaftlers eine interessante Vermischung der einschlägigen Genres verspricht.

Auch Berge haben eine Geschichte, und der im heutigen Tansania gelegene Kilimandscharo hat eine besondere. Darauf verweist bereits der Titel der kleinen, im Übrigen durchaus lesenswerten Studie, die als „deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges“ firmiert. Der Bogen des Buchs ist weit gespannt: Im Eingangskapitel wird die Faszination der Bergwelt literaturgeschichtlich entfaltet, von Ritualen der Prüfung, von Alpenblick und Weltanschauung ist hier die Rede, und ebenso erfährt man Genaueres über das Wetter sowie über gängige Probleme der Akklimatisierung in größerer Höhe. Die nachfolgenden neun Kapitel sind dann dem Kilimandscharo im engeren Sinne gewidmet – freilich stets aus Sicht der europäischen Gelehrten sowie der ebenfalls von Norden kommenden Entdecker und Eroberer. Die Autoren beginnen mit der Vorgeschichte, der Suche nach den Nilquellen sowie dem sagenumwobenen Mondgebirge der Antike; es folgt der große Streit um die Schneeberge am Äquator, die zwei deutsche Missionare um 1850 gesehen haben wollten, was ihnen in der europäischen Geographenwelt allerdings nur Wenige glaubten. Wie der Kilimandscharo anschließend zu einem „deutschen Berg“ werden sollte, wie zu guter Letzt der Anspruch entstehen konnte, es bei diesem ostafrikanischen Bergmassiv mit „deutscher Erde“ zu tun zu haben, ist Teil einer zeitgenössischen Legende, welche die beiden Autoren detailliert ausbreiten. Der Wettlauf um die Erstbesteigung, den schließlich der Leipziger Verlegersohn Hans Meyer gewann, die Kartierung des Bergmassivs, die den neuen Besitzanspruch auch den mitfiebernden Daheimgebliebenen anschaulich vor Augen führte sowie schließlich die Popularität des sogenannten „afrikanischen Riesen“ in den Massenmedien des Kaiserreichs werden hier ausführlich geschildert. Ebenso zeichnen die Autoren die kolonialen Sehnsüchte nach, die auch und gerade in Bezug auf den Kilimandscharo eine verheißungsvolle Projektionsfläche fanden. Das Erwachen im neuen postkolonialen Afrika kommt da vergleichsweise plötzlich und wie eine Art Coda, ein „Showdown“ (S. 149), der freilich mit dem Vorhergehenden kaum etwas gemein zu haben scheint, sieht man von der Umbenennung der Kaiser-Wilhelm-Spitze in Uhuru Peak im Jahre 1961 einmal ab.

Christof Hamann und Alexander Honold wollen eine Imaginationsgeschichte schreiben und dies gelingt ihnen gut. Aus der Fülle des breit erhobenen Materials verdichten sie ihre Erzählung immer wieder, ob sie sich dabei den Gipfelstürmern oder den Kolonialenthusiasten widmen. Ein Metatext läuft stets mit, wenn sich die beiden Autoren von den älteren Heldenerzählungen der Zeit um 1900, die teilweise heute noch tradiert werden, absetzen und wenn sie in diesem Zusammenhang etwa dezidiert auf die darin enthaltene Fortschreibung männlicher Kolonialphantasien hinweisen (S. 91). Befremdlich ist allerdings, wie konsequent die beiden „Flachlandautoren“, so die ironische Selbstbezeichnung (S. 9), die sich vorrangig der akademischen Germanistik wie der Belletristik verpflichtet fühlen, jeglichen weiteren Ausflug in die Nachbarwissenschaften meiden. Ostafrika wird, von einigen kurzen Einschüben abgesehen, in dieser Phantasiegeschichte somit tendenziell zum Dekor, zur ausschließlichen Projektionsfläche, der sich – zugespitzt formuliert – die Kolonialenthusiasten wie Hans Meyer einfach nur zu bedienen hatten. Literarisch ist ein solches Vorgehen in Ordnung1, historiographisch bleibt es jedoch fragwürdig, und so ist die von den beiden Autoren gewählte Engführung ihres Vorhabens in Anbetracht der bereits vorhandenen breiten historischen Forschung zu Ostafrika eigentlich nur zu bedauern.2 Womöglich hätte ein Blick in die historische Fachliteratur eine in Teilen zwar weniger unterhaltsame Darstellung hervorgebracht, die aber genauer auf die vielen anderen bedeutsamen Geschichten des Kilimandscharo eingegangen wäre. Schließlich reicht die Historie dieses Berges bis in die Gegenwart hinein. Der Kilimandscharo vermag heute als Teil des Welterbes die Touristenströme anzulocken und stellt somit einen erheblichen Wirtschaftsfaktor im heutigen Tansania dar – mit allen Verwerfungen, die dazugehören.

Alexander Honold und Christof Hamann haben mit ihrer kleinen unterhaltsamen, teilweise romanhaft schön zu lesenden Studie also wohl nicht mehr als einen eigenwilligen Anfang gemacht. Die komplexe Geschichte des Kilimandscharobergmassivs dürfte damit aber gerade in Hinblick auf eine künftige Kulturgeschichte der Natur, die weder vor afrikanischer Geschichte noch vor globalhistorischen Perspektiven zurückscheut, mitnichten erschöpft sein.

Anmerkungen:
1 Vgl. beispielsweise Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt, Reinbek bei Hamburg 2005; Ilija Trojanow, Der Weltensammler, München 2006; Christof Hamann, Usambara, Göttingen 2007.
2 Aus der Fülle der vorhandenen Literatur sei hier lediglich hingewiesen auf: Philippa Söldenwagner, Spaces of Negotiation. European Settlement and Settlers in German East Africa, 1900–1914, München 2006; John Iliffe, Tanganyika under German Rule. 1905–1912, 2. Aufl. Cambridge 2008; Michael Pesek, Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika. Expeditionen, Militär und Verwaltung seit 1880, Frankfurt am Main 2008; ders., Das Ende eines Kolonialreiches. Ostafrika im Ersten Weltkrieg, Frankfurt am Main 2010.

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