I. Robinson (Hg.): Bertholds und Bernolds Chroniken

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Titel
Bertholds und Bernolds Chroniken. Lateinisch-deutsch


Herausgeber
Robinson, Ian S.; übersetzt von Helga Robinson-Hammerstein und Ian S. Robinson
Reihe
Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe A 14
Erschienen
Anzahl Seiten
VII + 453 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wilfried Hartman, Historisches Seminar der Universität Tübingen

Schon seit vielen Jahren war diese Ausgabe innerhalb der Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft angekündigt; seit ebenfalls vielen Jahren wartet die Forschung auf eine kritische Ausgabe der Chroniken Bertholds von Reichenau und Bernolds von Konstanz innerhalb der Monumenta Germaniae Historica (MGH). Beide Werke sind zwar schon innerhalb dieser Quellensammlung gedruckt (Bertholds Chronik durch G. H. Pertz 1844 in MGH Scriptores 5, S. 264-326, Bernolds Chronik ebd. S. 385-467), aber insbesondere die Edition der Bertholdchronik entspricht nicht der Überlieferung, weil Pertz die beiden Fassungen der Chronik ineinandergeschoben hat. Die vorliegende Ausgabe von Ian Stuart Robinson macht dagegen die Trennung der beiden Fassungen auch äußerlich deutlich und gibt die 1. Fassung auf den Seiten 20-33 und die 2. Fassung auf S. 36-277 wieder.

Auf den Seiten 391-426 von MGH Scriptores 5 (1844) hatte Pertz auch jene Teile des Autographs der Bernoldchronik (heute: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 432) gedruckt, die eine Universalchronik seit der Erschaffung der Welt enthalten. Die hier anzuzeigende Ausgabe gibt vom Werk Bernolds nur die Jahresberichte von 1054 bis zu seinem Todesjahr 1100 wieder (S. 280-433), d.h. also jene Abschnitte, die Bernold gänzlich selbstständig abgefasst hat.

Die beiden Chroniken enthalten zahlreiche Nachrichten über die Geschichte Heinrichs IV. (1056-1106) und die Kämpfe um die Durchsetzung der Kirchenreform in Deutschland; vor allem seit den frühen 1070er Jahren sind die einzelnen Jahresberichte sehr ausführlich und umfassen oft viele Seiten. Ohne die in diesen beiden Werken enthaltenen Nachrichten wäre unsere Kenntnis über die Faktengeschichte, aber auch über die Wertung der Ereignisse durch zwei Anhänger der Kirchenreform aus dem Südwesten des Reiches für viele Ereignisse sehr viel weniger vollständig.

Es ist daher zuerst einmal erfreulich, dass jetzt eine zweisprachige Ausgabe dieser so interessanten und inhaltsreichen Quellenschriften erschienen ist, und vielleicht sollte sich der Rezensent zuerst dieser Tatsache und der Übersetzung widmen, ehe er einige kritische Bemerkungen anfügt. Wie innerhalb der Reihe der Freiherr vom Stein-Ausgabe üblich besteht nämlich der vorzustellende Band aus einer knappen Einleitung, dem lateinischen Text des Werkes oder der Werke und schließlich der deutschen Übersetzung, wobei diese immer auf der rechten Seite dem links stehenden lateinischen Text gegenübergestellt ist. Außerdem werden in diesem Band eine Reihe von Textvarianten sowie zahlreiche sachliche Erläuterungen gegeben.

Die Übersetzung kann als äußerst gelungen bezeichnet werden. Sie ist sehr flüssig zu lesen und gibt daher erstmals für Studenten und weitere interessierte Leser die Möglichkeit, die Chroniken Bertholds und Bernolds im Zusammenhang zu lesen und zugleich mit dem Wortlaut des lateinischen Originals zu vergleichen. Natürlich profitierten I.S. Robinson und seine Frau von den älteren Übersetzungen, die im 19. Jahrhundert innerhalb der Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit erschienen sind (Berthold: G. Grandaur, 1888; Bernold: E. Winkelmann, 1863 und W. Wattenbach 1893), aber diese älteren Übersetzungen wurden nicht nur an vielen Stellen korrigiert und vor allem auch modernisiert, sondern meist ist der deutsche Text völlig neu gefasst. Zuweilen sind allerdings doch etwas altertümlich klingende Formulierungen stehen geblieben (z.B. S. 289: "so wandelte...“ oder S. 305: "dieserart Tötungen"). Einige der mir aufgefallenen Fehler möchte ich auch noch nennen: S. 73: "verbaten" - wohl ein grammatisch falsches Wort; S. 297, Zeile 1: "rebellierten": der Plural ist ein Anglizismus; S. 303 unten heißt es statt „Fest Mariä Reinigung“ "Mariäreinigungsfest". Wenn auf S. 377 Mitte zu lesen ist, Wilhelm von Hirsau habe "viele Denkmäler seiner natürlichen Begabung hinterlassen", so bezieht sich diese Bemerkung auf die naturwissenschaftlichen Schriften Wilhelms und daher ist es wohl zu übersetzen: Wilhelm ... hat „viele Zeugnisse seiner naturwissenschaftlichen Begabung hinterlassen“. S. 385 Zeile 5 sollte es statt "den Geistlichen" besser "den Mönchen" heißen. Aber natürlich sind in jeder Übersetzung verbesserungswürdige Passagen zu finden und daher sollen diese Bemerkungen keinesfalls die Leistung der Übersetzer schmälern, die fast immer einen treffenden Ausdruck zur Wiedergabe der zuweilen schwierig zu fassenden lateinischen Texte gefunden haben.

Zu den reichlich gegebenen Sachanmerkungen ist kritisch zu bemerken, dass sie oft allzu stichwortartig knapp sind, so dass der mit der Sache nicht so vertraute Leser nicht immer gut informiert wird (siehe z.B. S. 59 Anm. 135 oder S. 85 Anm. 234). Auf S. 315 Anm. 183 ist anstelle der neuen Ausgabe des angeblichen Briefs eines Bischofs Udalrich zugunsten der Priesterehe aus dem Jahr 1997 die alte Edition von 1891 genannt.

Nun zur Einleitung, in der auch Aufschluss über die textkritischen Entscheidungen bei der Herstellung des Textes hätten gegeben werden müssen. Während die wichtigsten Informationen über die Verfasser und die Abfassungszeit der beiden hier gedruckten Chroniken durchaus enthalten sind, sind die beiden Abschnitte über die Überlieferung der Chroniken allzu knapp geraten und teilweise missverständlich formuliert. Es ist auch nicht klar, warum es zwar bei Berthold einen Abschnitt über "Handschriften und Editionen" gibt, während wir bei der Bernoldchronik nur über "Handschriftenüberlieferung" informiert werden, obwohl es natürlich auch hier eine ältere Ausgabe gibt.

Vor allem aber ist es irritierend, dass ein Abschnitt "Zu dieser Ausgabe" oder ähnlich fehlt, obwohl doch eine neue Edition geboten werden soll. Es fehlt auch ein Abkürzungs- oder Siglenverzeichnis, so dass der Benutzer z.B. nicht weiß, was die Sigle "C", die in der Vita Hermanni (S. 36-42) mehrfach in den Varianten erscheint, bedeuten soll (und vielleicht kann auch nicht jeder Leser eine Sigle wie „JL“ auflösen?). Es ist auch bedauerlich, dass der Herausgeber keinerlei Hinweis auf die ebenfalls von ihm bearbeitete und in Kürze erscheinende kritische Edition der beiden Chroniken innerhalb der MGH gemacht hat, in der eine ausführliche Einleitung zu finden sein wird. Was die Verzeichnung der Textvarianten angeht, so ist diese nicht vollständig, vielmehr fehlen recht viele Varianten in der hier vorliegenden "editio minor"; man wird daher künftig doch auf die "richtige" kritische Edition innerhalb der MGH zurückgreifen müssen; dies hätte aber in der Einleitung gesagt werden müssen.

Vor allem die beiden Abschnitte über die Überlieferung (S. 8-10 und S. 14 f.) sind so voller Missverständnisse und Fehler, dass man den Eindruck gewinnt, dass das Lektorat der WB in diesen Abschnitten aus Unkenntnis der Sachlage die Waffen gestreckt hat. So bleibt rätselhaft, was mit "Handschriftenbearbeitungen" gemeint sein soll (S. 9 Mitte) und S. 9, 6. Zeile von unten muss es statt "Zu" sicherlich "In" heißen. S. 10, Zeile 3 ff. ist nur eine separate Überlieferung der Vita Hermanni genannt; es gibt aber deren mehrere. S. 14 wird von "Radierungen" anstatt von "Rasuren" gesprochen und im letzten Satz dieser Seite 14 fehlt das Prädikat nach "Heinrich IV.".

Das Register, das auf den lateinischen Text bezogen ist, aber auch die deutschen Entsprechungen bei den Orts- und Personennamen verzeichnet, ist nach meinen Stichproben sehr zuverlässig.

Zusammenfassend wird man sagen können, dass nach einer langen Entstehungszeit eine Ausgabe vorgelegt wurde, die – was den Text angeht – zwar auch künftig einen Rückgriff auf die neue MGH-Edition nötig machen wird, die aber – was die Übersetzung und die Erläuterungen in den Sachanmerkungen betrifft – zwei zentrale historiographische Quellen aus der Zeit des Investiturstreits jetzt sehr viel leichter zugänglich und verständlich macht.

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