G. Deutschländer: Dienen lernen, um zu herrschen

Cover
Titel
Dienen lernen, um zu herrschen. Höfische Erziehung im ausgehenden Mittelalter (1450–1550)


Autor(en)
Deutschländer, Gerrit
Reihe
Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 6
Erschienen
Berlin 2012: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
451 S.
Preis
€ 99,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Georg Strack, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Die 2009 an der Universität Halle-Wittenberg eingereichte Dissertation beschäftigt sich mit Fragen der Fürstenerziehung am Übergang vom Späten Mittelalter zur Frühen Neuzeit. Normative Leitlinien der Adelserziehung werden dabei durchaus behandelt, im Fokus stehen allerdings Alltagspraxis und Akteure. Die Studie bietet viele neue und interessante Einblicke in das Thema, nicht zuletzt weil Gerrit Deutschländer einige Archivbestände erstmals umfassend ausgewertet hat. Ein wenig wird die Lektüre leider dadurch erschwert, dass in der relativ langen Einführung (S. 11–34) die Gliederung der Arbeit nicht recht deutlich wird und immer wieder Überleitungen und Zwischenresümees fehlen. Recht ausführlich fällt die Besprechung (potenzieller) Quellen aus (S. 35–66), wobei sich einige Irrtümer eingeschlichen haben, etwa was die Angaben zum Wirkungskreis des Georg von Ehingen betrifft (S. 49). In dem fünften Unterkapitel zu „Sachquellen“ (S. 57–64) muss neben dem Kolumnentitel noch etwas durcheinandergeraten sein. Es geht jedenfalls nicht nur um Kunstobjekte und Gebrauchsgegenstände, sondern auch um alle möglichen Schriftquellen.

Das erste thematische Kapitel behandelt allgemein den „Fürstenhof als Stätte der Erziehung und Bildung“ (S. 67–107), wobei zunächst „Junge Menschen am Hof“ im Mittelpunkt stehen, also vor allem Edelknaben, Hofjunker und Hofjungfrauen. Danach befasst sich Deutschländer mit den maßgeblichen Personen für die höfische Erziehung, also mit Eltern und Verwandten, Ammen und Kindermädchen und schließlich Hofmeistern und Hofmeisterinnen, die „höfisches Wissen vor allem im Alltag und bei festlichen Gelegenheiten“ vermittelten (S. 89). Geistliche Lehrer waren hingegen für die gelehrte Bildung zuständig. Auch auf die wichtigen Unterweisungen durch Ring- und Fechtmeister wird eingegangen. Schließlich wendet sich Deutschländer konkreten Fragen von Besoldung und Unterrichtspraxis zu. Er macht deutlich, dass die Erziehung durch Zwang und Gewalt zwar in Einzelfällen belegt ist, aber keinesfalls selbstverständlich war. In vielen Fällen wurde mit dem Erzieher sehr genau vereinbart, in welcher Form er strafen durfte, wobei Lob und Tadel der Vorzug zu geben war (S. 93f.). Aufschlussreich sind die Ausführungen über die „Grundlagen der Unterweisung“ (S. 97–103), also zu den wichtigsten Lehrinhalten, wozu religiöses Wissen ebenso zählte wie das angemessene Verhalten bei Tisch und die Tugend der Selbstbeherrschung. Die knappen Ausführungen zu den Verflechtungen von höfischer und universitärer Bildung (S. 103–107) lassen aber bestenfalls für den mitteldeutschen Raum den Schluss zu, dass sich erst seit dem Beginn des 16. Jahrhundert „Hof und Universität [gegenseitig] beeinflussten […]. Während der Hof gelehrter wurde, wurde die Universität adliger.“ (S. 107) Adlige Studenten aus anderen Regionen des Reichs können schon sehr viel früher in größerer Zahl nachgewiesen werden, vor allem an italienischen Universitäten.

Im vierten Hauptabschnitt werden konkrete Beispiele der Anhaltiner, Wettiner und Hohenzollern behandelt, teilweise anhand von wenig bekannten Archivalien. Nach kurzen Ausführungen über die Erziehungspraxis bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts (S. 116–127) beschreibt Deutschländer einige besonders gut dokumentierte und aufschlussreiche Einzelfälle. Zunächst steht Margarethe von Anhalt im Vordergrund, die sich nach dem Tod ihres Gemahls sehr engagiert für die Ausbildung ihrer drei Söhne einsetzte, wie ein umfangreicher Briefwechsel belegt (S. 128–141). Aus diesen Quellen lässt sich unter anderem ablesen, wie viel Wert die Fürstin darauf legte, dass ihr Nachwuchs fehlerfrei und eigenhändig Briefe schreiben konnte. Eigenhändigkeit galt ihr als „Zeichen besonderer Zuneigung“ (S. 133), die sie gelegentlich auch einforderte. Ihre Briefe sind geprägt von einer Rhetorik der Liebe und Fürsorge, auch wenn sie immer wieder zur Mäßigung mahnte und ihre Söhne aufforderte, sich in den konfessionellen Umbrüchen der 1520er-Jahre nicht im römisch-katholischen Glauben beirren zu lassen. Um teils ähnliche Themen kreiste der Briefwechsel der Zdena von Sachsen aus dem Hause Wettin, deren Gemahl Albrecht im Jahr 1500 verstorben war (S. 141–153). Albrecht von Brandenburg, der als letztes Beispiel vorgestellt wird (S. 159–171), hielt seine Kinder hingegen vor allem zu Sparsamkeit und überlegter Haushaltsführung an. Sehr viel überraschender noch ist ein Schreiben des Jahres 1456, in dem seine damals fünfjährige Tochter Ursula den Vater bat, an den Hof zurückzukehren und die Streitigkeiten mit ihren älteren Geschwistern zu schlichten (S. 166f.). Wer immer den Brief aufgesetzt haben mag – ganz fremd war dem Spätmittelalter die Vorstellung, dass sich auch viel beschäftigte Väter in die Erziehung der Kinder einbringen sollten, wohl nicht.

Das folgende Kapitel befasst sich mit „Edelknaben, Hofjunkern und Hofjungfrauen“ an den Höfen der Anhaltiner, Hohenzollern und Wettiner, die in der Regel dem eingesessenen Adel entstammten, der durch Lehensbeziehungen an diese Fürstenfamilien gebunden war (S.171–186). Als konkretes Beispiel wird der Hof des Markgrafen Joachim I. von Brandenburg behandelt, der sich unter anderem um die Erziehung seines Bruders Albrecht kümmerte, der zunächst auch in ritterlichen Übungen unterwiesen wurde, bald aber eine geistliche Laufbahn einschlug, die bis zum Kardinalat führte (S. 186–222). Für Joachims Söhne wurden Professoren der Universität Frankfurt an der Oder als Erzieher beschäftigt, doch hatten auch Kampfübungen ihren festen Platz in der pädagogischen Praxis. Durch die archivalische Überlieferung gut dokumentiert ist schließlich der Aufenthalt Johanns von Anhalt, des ältesten Sohnes Margarethes, am Hof des Markgrafen. Auch dorthin sandte die Mutter ihre brieflichen Mahnungen, warnte vor frühen sexuellen Erfahrungen und Alkoholkonsum. Über lange Jahre beeinflusste sie aber auch seine Entscheidungen in konfessionellen und kirchenpolitischen Fragen.

Die jüngeren Söhne Margarethes, Georg und Joachim, rücken im Kapitel „an geistlichen Höfe und Universitäten“ noch einmal in den Vordergrund (S. 222–260). Beide hielten sich längere Zeit in Leipzig auf, wo sie Vorlesungen des Juristen Georg von Breitenbach hörten. Ein Privatlehrer unterrichtete sie in Latein, außerdem befassten sie sich mit Geschichtswerken, die ihre Mutter ihnen schickte. Während Georg so auf eine kirchliche Laufbahn vorbereitet wurde, blieben die gelehrten Studien für Joachim nur Episode. Seine Erziehung wurde bald am Hof Herzog Georgs von Sachsen fortgesetzt, wo auch dessen Nachfolger Moritz an die Regierung herangeführt wurde (S. 260–292). Am Hof der Herzöge Friedrich und Johann von Sachsen wirkte Georg Spalatin als Erzieher des Kurprinzen; überhaupt dürfte der Humanismus hier vergleichsweise früh einigen Einfluss entfaltet haben. Allerdings wurde – nicht zuletzt durch die Schriften Spalatins – vieles nachträglich idealisiert (S. 292–309). Zuletzt wendet sich Deutschländer noch der Erziehung mitteldeutscher Fürstensöhne am Königshof zu (S. 309–328). Gerade der Aufenthalt des schon im Alter von elf Jahren verstorbenen Severin von Sachsen am Hof Ferdinands I. in Innsbruck ist gut bezeugt, unter anderem durch ein eigenhändig geführtes Rechnungsheft des Knaben.

Abschließend werden die Ergebnisse der ertragreichen Studie zusammengefasst (S. 328–331, S. 335–341). Im Quellenanhang (S. 343–374) findet sich die Edition von 32 frühneuhochdeutschen Briefen aus Beständen in Dresden, Sächsisches Hauptstaatsarchiv, und Dessau, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt. Davon werden zukünftige Arbeiten der vergleichenden Landesgeschichte, der Bildungs- und Reformationsgeschichte sicherlich ebenso profitieren, wie von den profund erarbeiten Analysen der Fürstenerziehung an den Höfen der Anhaltiner, Wettiner und Hohenzollern.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch