J. Wawrzyniak: ZBoWID i pamięć drugiej wojny światowej 1949-1969

Titel
ZBoWID i pamięć drugiej wojny światowej 1949-1969 [Der ZBoWiD und das Gedächtnis an den Zweiten Weltkrieg].


Autor(en)
Wawrzyniak, Joanna
Erschienen
Warschau 2009: Wydawnictwo TRIO
Anzahl Seiten
356 S.
Preis
15,17 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kornelia Kończal, Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften

Forschungen zum kollektiven Gedächtnis und zur Geschichte von Kombattantenorganisationen sind nicht neu. Erinnert sei an die dreibändige Monographie von Antoine Prost über französische Partisanenorganisationen nach dem Ersten Weltkrieg 1 oder die vor zehn Jahren erschienene Arbeit des belgischen Historikers Pieter Lagrou, der die Entstehung und Etablierung französischer, belgischer und niederländischer Verbände in den ersten zwanzig Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichend analysierte. 2 2009 erschien nun eine polnische Studie, in der die Geschichte einer wichtigen Kombattantenorganisation von der anderen Seite des Eisernen Vorhangs untersucht wurde – die des Verbandes der Kämpfer für Freiheit und Demokratie (Związek Bojowników o Wolność i Demokrację, ZBoWiD). Der hier anzuzeigende Band der Warschauer Historikerin und Soziologin Joanna Wawrzyniak basiert auf deren Warschauer Dissertation von 2007. Sie wurde in die Reihe „W krainie PRL“ (Im Land der Volksrepublik Polen) aufgenommen, in der Arbeiten junger vorwiegend polnischer Historiker, Soziologen und Kulturwissenschaftler zu verschiedenen Aspekten der polnischen Geschichte zwischen 1944 und 1989 erscheinen. Die vor zehn Jahren ins Leben gerufene Buchserie von inzwischen über 60 Bänden, wird von renommierten Historikern betreut und ist aus der polnischen Buchlandschaft kaum mehr wegzudenken.

Obgleich unterschiedliche Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg das Denken und Handeln im Polen der letzten sechs Jahrzehnte nachhaltig präg(t)en, wurde die Institutionalisierung kollektiver Vergangenheitsvorstellungen bisher wenig erforscht. Wawrzyniaks Arbeit füllt somit eine Forschungslücke, da sie den größten polnischen Kombattantenverband zum Untersuchungsgegenstand hat: Der ZBoWiD entstand 1949 aus der Vereinigung von einem Dutzend verschiedener Kombattanten- und Opferorganisationen und nahm schon bald eine Monopolposition ein. Analysiert wird die Geschichte dieses Verbandes vor dem Hintergrund des Kalten Krieges sowie der Legitimierung und Etablierung des kommunistischen Regimes in Polen. Und da der Zweite Weltkrieg als Gründungsmythos des neuen polnischen Staates von entscheidender Bedeutung war, kam dem ZBoWiD eine zentrale Rolle bei der Sinnstiftung der jungen Volksrepublik zu.

Ziel der Untersuchung ist es, „das Gedächtnis im kollektiven Handeln“ (S. 12) zu erforschen. Dabei werden drei Problembereiche fokussiert: 1. kollektive Bilder des Zweiten Weltkrieges zwischen 1949 und 1969, 2. der Einfluss dieser Bilder auf die Politik des Verbandes und 3. die Beziehungen zwischen der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei und den diversen sozialen Gruppen im Rahmen des ZBoWiD. Den Quellenkorpus der interdisziplinär angelegten Arbeit bilden Archivalien, Bulletins, Periodika und andere Veröffentlichungen des Verbandes, Gesetze und Verordnungen, lokale und überregionale Presse sowie fünfzehn Interviews mit ZBoWiD-Mitgliedern. Die Erforschung der Makroebene wird durch den Blick auf die lokale Organisationsebene des Verbandes in Warschau und Lublin ergänzt. Auffallend ist dabei der äußerst kritische, wenn nicht sogar skeptische Umgang mit Archivalien – namentlich mit den Dokumenten des polnischen Innenministeriums.

Der behandelte Zeitraum umfasst die Jahre zwischen 1949 und 1969 und somit zwei wichtige Zäsuren: 1956 und 1968. Das Tauwetter nach Stalins Tod (1953) führte auch in Polen zur Lockerung des politischen Klimas und eröffnete sowohl in gesellschaftlicher als auch in kultureller Hinsicht neue Möglichkeiten. 1956 setze unter anderem ein Prozess der Umdeutung der bisher geltenden Vergangenheitsinterpretationen ein. Für die Geschichte des ZBoWiD war in dieser Hinsicht vor allem der neue Blick auf die Ereignisse vom September 1939 von Bedeutung und die damit zusammenhängende Befreiung des Verhältnisses der kommunistischen Regierung zur Heimatarmee von den bisher geltenden ideologischen Prämissen. So wurde die Heimatarmee zumindest teilweise rehabilitiert und ihr Anteil an der Befreiung des Landes öffentlich gewürdigt. Das Jahr 1968 bedeutete für den Verband den Höhepunkt der so genannten Partisanenlegende, die eng mit der Person von Mieczysław Moczar verbunden war. Moczars Politik, seit Mitte der 1960er-Jahre Innenminister und Vorsitzender des Verbandes, verfestigte antisemitische Tendenzen, die wiederum die Wahrnehmung der polnisch-jüdischen Beziehungen während des Krieges beeinflusste und die Opferkonkurrenz nach dem Krieg stärkte.

Wawrzyniak zeigt die Evolution des Verbandes von einer symbolischen Organisation zu einer effizienten und gut vernetzten Interessenvertretung mit schwankenden Mitgliederzahlen. Auch das Verhältnis zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung des ZBoWiD sowie der Grad der politischen Instrumentalisierung seiner (Öffentlichkeits-)Arbeit wandelten sich. In seiner Rolle als Transmissionsriemen zwischen Partei und Gesellschaft hatte der Verband allerdings immer zwei Funktionen zu erfüllen: Einerseits sollte er das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg pflegen, andererseits hatte er die Interessen und Bedürfnisse seiner Mitglieder zu schützen – sowohl materieller als auch ideeller Natur.

Den ideologischen „Überbau“ des Verbandes konstituierten Wawrzyniak zufolge drei Mythen, die in der Volksrepublik das kollektive Gedächtnis an den Zweiten Weltkrieg prägten und unter anderem vom ZBoWiD institutionalisiert wurden. Es handelt sich um den Mythos des Sieges über den Faschismus, den Mythos des einheitlichen Widerstandes und den Mythos des unschuldigen Opfers. Während der erste Mythos der Mobilisierung diente und auf Repressionen und Exklusion basierte, war der zweite von Paternalismus, Klientelismus und Inklusion geprägt. Weniger ausführlich als die beiden ersten Mythen wird die Entstehung und Etablierung des Opfermythos geschildert. Allen drei Sinnkonstruktionen sind jedoch zwei Mythologeme gemeinsam: der antideutsche (bzw. antiwestdeutsche) Reflex einerseits und andererseits das freundschaftliche Verhältnis zur Sowjetunion, die unter anderem als Garant der Stabilität der polnischen Westgrenze wahrgenommen wurde (bzw. wahrgenommen werden sollte).

Hervorzuheben ist, dass in der Darstellung nicht nur die politische Instrumentalisierung der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg im kommunistischen Polen (top-down) Aufmerksamkeit gewidmet wird, sondern auch den verschiedenen von unten unternommenen Versuchen (bottom-up), offizielle, politisch gewünschte Vergangenheitsbilder mit dem Setzen eigener Akzente zu hinterfragen – insbesondere im Jahre 1956 und danach. Als eine sehr gute Idee erwies sich in dieser Hinsicht der Blick auf ausgewählte lokale Strukturen. Etwas kurz kommen hingegen Aussagen der interviewten ZBoWiD-Mitglieder. Joanna Wawrzyniak verortet ihre von imponierender Materialbeherrschung und großer Detailkenntnis gekennzeichnete Arbeit zwischen Soziologie, Anthropologie und Sozialgeschichte, was ihre methodischen Fähigkeiten belegt und den Erkenntnisgewinn des Lesers befördert.

Anmerkungen:
1 Antoine Prost, Les anciens combattants, 1914-1939, 3 Bde, Paris 1977.
2 Pieter Lagrou, The legacy of Nazi occupation. Patriotic memory and national recovery in Western Europe 1945 - 1965 (= Studies in the social and cultural history of modern warfare, Bd. 8), Cambridge 2000.

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