M. Fidelis: Women, Communism, and Industrialization

Titel
Women, Communism, and Industrialization in Postwar Poland.


Autor(en)
Fidelis, Malgorzata
Erschienen
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
€ 70,88
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kerstin S. Jobst, Fachbereich Geschichte, Universität Salzburg

In Polen waren Frauen bis in die 1950er-Jahre im Kohlebergbau hinein auch unter Tage beschäftigt. Davon profitierten alle Beteiligten: Frauen, die alleinstehend waren oder Männer hatten, die an Körper und Geist verletzt waren, verdienten Gehälter, die deutlich über den üblichen Frauenlöhnen lagen. Sie leisteten überdies einen anerkannten Beitrag zum Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung in der Republik bzw. ab 1952 Volksrepublik Polen. Die staatlich gelenkte Wirtschaft konnte den durch den Zweiten Weltkrieg verursachten Mangel an männlichen Arbeitskräften kompensieren und damit die auch ideologisch so bedeutsame Schwerindustrie fördern. Zugleich waren Frauen im Untertagebau propagandistisch gut zu vermarkten, schienen sie doch die Gleichberechtigung zu personifizieren. Ab 1956 aber war damit Schluss: Eine breite Widerstandsfront gegen diese „unweibliche“ Arbeit, die der „Natur“ von Frauen nicht entspräche und ihrer Gebärfähigkeit abträglich sei, entstand. Besonders das letzte Argument wurde – von Männern wie Frauen – bemüht, um sich für das Wohlergehen der Nation einzusetzen. Tatsächlich fanden ab Ende der 1950er-Jahre öffentliche Kampagnen gegen Frauen in Männerberufen statt, die zur Entlassung von Bergarbeiterinnen führten. Ganz allgemein begann in dieser Zeit eine Antidoppelverdiener-Kampagne, die aus dem deutschsprachigen Kontext der 1920er- und 1930er-wohlbekannt ist.

Die an der Universität von Chicago lehrende Historikerin Malgorzata Fidelis zeichnet die Hintergründe dieser Entwicklung überzeugend nach. Sie leistet aber mehr als das: Für den Zeitraum 1948 bis 1960 beleuchtet sie die Folgen der Implementierung des Staatssozialismus á la soviétique in Polen für die „Frauenfrage“, die ja wesentlich das Feld der Erwerbstätigkeit berührt. Zentral ist die Darstellung der Rekonfiguration der Geschlechterhierarchien nach dem Zweiten Weltkrieg, die in Polen – wie in anderen Staaten Ostmitteleuropas – nicht nur durch die Folgen der Kriegsjahre beeinflusst war, sondern auch durch den Systemwechsel. Am Beispiel von drei Industriekomplexen – dem Kohlebergbau im schlesischen Katowice, der Textilindustrie Żyradów und Zambrów (im ehemaligen russischen Teilungsgebiet) – untersucht Fidelis die Haltung des Staates zur Frauenarbeit sowie die Rolle von Frauen als Akteurinnen in stalinistischer Zeit und der Phase der Entstalinisierung, die durch den sogenannten Polnischen Oktober und die Machtübernahme Władysław Gomułkas eingeleitet wurde. Dieses Sample erlaubt es, die männlich geprägte Schwer- (Katowice) mit der eher ‚weiblichen‘ Leichtindustrie (Żyradów/Zambrów) zu vergleichen und auch alte und gewachsene Industrieregionen (Katowice/Żyradów) mit neuen (Zambrów). Im agrarisch geprägten Podlachien wirkten ländliche Traditionen noch lange fort und es gab keine verwurzelte Arbeiterschaft. Bei der in Polen seit 1948 eklatant angestiegenen Frauenerwerbstätigkeit ging es nicht allein um die Mobilisierung der Arbeitskräftereserve, sondern auch um ein ideologisches Primat: die „Frauenfrage“ als Teil der sozialen Frage.

Die Beschäftigung von Frauen unter Tage im Besonderen und ihre zum Staatsziel erklärte möglichst umfassende Erwerbstätigkeit im Allgemeinen kollidierte aber, wie Fidelis in einem einleitenden Kapitel recht knapp darlegt, mit dem in der Zwischenkriegszeit unter anderem von den politischen Lagern und der katholischen Kirche dominierten Diskursen. Diese waren durch eine Betonung der biologischen Differenz zwischen den Geschlechtern gekennzeichnet. In den Jahren unmittelbar nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Besatzung 1944 changierten die Debatten zwischen einerseits der polnischen Frau als Opfer (etwa in deutschen Konzentrationslagern) und andererseits als Heldin (zum Beispiel während des Warschauer Aufstands von 1944); ein Bild, das an die ältere, in der Zeit der Teilungen geprägte Einschreibung der Matka Polka („Mutter Polin“) anknüpfte. Auch aufgrund der historisch freilich nicht unproblematischen polnisch-russischen Beziehungen stieß im Nachkriegspolen das sowjetische Vorbild der Neuen Sozialistischen Frau – verdichtet zu dem Bild der stolzen, klassenbewussten Traktoristin – auf starke gesellschaftliche Vorbehalte, wurde aber gleichwohl öffentlich gepriesen. In der Praxis hatten Frauen in diesen Jahren eine größere Wahlfreiheit bezüglich ihres Arbeitsplatzes und damit häufig auch bessere Verdienstmöglichkeiten, da auf das „sex typing of jobs“ (S. 203) weitgehend verzichtet wurde, so das Ergebnis der Autorin. Überhaupt fasst Fidelis, wie in der Forschung üblich und sinnvoll, den Stalinismus auch als Teil eines komplexen Modernisierungsprozesses auf. Der Prozess der Entstalinisierung brachte der polnischen Bevölkerung insgesamt weniger politischen Zwang, für erwerbstätige Frauen aber reale Nachteile: Der Druck zur Aufgabe ‚unweiblicher‘ Tätigkeiten oder gar der Berufstätigkeit überhaupt nahm zu, auch wurde die Ausbildung von Frauen zumindest eine Zeitlang vernachlässigt. Die ‚natürlichen‘ Unterschiede zwischen Männer und Frauen wurden nun in den von Männern und Frauen, von Kommunisten und Nichtkommunisten, von Klerikern und weltlichen Akteuren getragenen Debatten wieder stärker betont. Dabei betrachtete man Frauenerwerbstätigkeit unter anderem unter dem Gesichtspunkt der Gebärfähigkeit und inwieweit Heerscharen vernachlässigter Kinder (im heutigen Polen übrigens wegen der großen Arbeitsemigration ein sehr aktuelles Thema) die Folge seien. Häufig räsonierte man über eine zu große Lockerheit von Textilarbeiterinnen gegenüber dem anderen Geschlecht, ja bediente sich sogar des Unworts der „Promiskuität“ als eines unbeachteten Resultats weiblicher Berufstätigkeit. Einen großen Raum nahmen überdies Argumentationen ein, die bis heute bekannt sind und gegenwärtig wohl als Fragen der „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ oder die Folgen der „Doppelbelastung“ bezeichnet würden. Deutlich arbeitet Fidelis heraus, dass die neue und alte, weil an Vorkriegstraditionen anknüpfende Politik gegenüber arbeitenden Frau als „way to reassert national identities“ (S. 205) interpretiert wurde. Das Bild der emanzipierten Traktorfahrerin galt in der poststalinistischen Phase als ‚unpolnisch‘ und ‚russisch‘. Die staatliche Politik gegenüber erwerbstätigen Frauen wurde revidiert und gegen den erbitterten Widerstand der Betroffenen, die an ihrem gutbezahlten Arbeitsplatz hingen, durchgesetzt.

Fidelis zeigt an vielen Stellen eindrücklich Brüche in Debatten und Politik auf. Sie betont die ambivalenten Ergebnisse stalinistischer und poststalinistischer Frauenpolitik zwischen einem (vermeintlich) größeren Gestaltungsspielraum auf gesellschaftlichem und ökonomischem Gebiet und dem vielfachen Druck, den Frauen bei dessen Inanspruchnahme ausgesetzt waren. In einem Epilog versucht sie abschließend eine Gesamtbilanz der Frauen- und Arbeitskräftepolitik der (Volks-)Republik zu ziehen: Insbesondere auf dem Gebiet der Bildung hätten Polinnen langfristig ihre Stellung gegenüber Männern ausbauen können, so dass sie noch nach der Wende unter schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen häufig einen Wettbewerbsvorteil hatten. Auf der Ebene der politischen Partizipation hingegen sei das Fehlen von Frauen in hohen Positionen von Partei- und Staatsapparat unübersehbar gewesen. Auch hier kann man der Autorin und ihrer insgesamt anregenden Untersuchung zustimmen. Etwas überbetont wird hingegen Polens Rolle als Ausnahmemodell im „Ostblock“. Zwar weist Fidelis auf die katholische Kirche hin, die auch im sozialistischen Polen ein relevanter gesellschaftlicher Faktor geblieben ist und die „Frauenfrage“ entsprechend beeinflusste. Zuzustimmen ist ihr auch dahingehend, dass das sowjetische Modell gerade in Polen wenig anschlussfähig war – anders als zum Beispiel in der von ihr nicht erwähnten Tschechoslowakei mit ihrer in der Zwischenkriegszeit relativ dynamischen kommunistischen Bewegung. Aber war Polens Rolle im Blocksystem und in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse wirklich so „unique“ (S. 6)?1 Nicht zuletzt dieses Buch belegt doch zahlreiche Parallelen in der Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit und Diskursen über Geschlechterordnungen mit anderen Weltgegenden. Nicht nur deswegen ist dieses Buch auch für WissenschaftlerInnen ohne speziellen Osteuropakontext eine anregende Lektüre.

Anmerkung:
1 Vgl. hierzu auch Kerstin S. Jobst, Nationalitäten, Geschlecht und geographischer Raum. Anmerkungen zu dem „Sonderfall“ Osteuropa, in: Sophia Kemlein / Johanna Gehmacher / Elizabeth Harvey (Hrsg.), Zwischen Kriegen. Nationen, Nationalismen und Geschlechterverhältnisse in Ostmitteleuropa in der Zwischenkriegszeit, Osnabrück 2004, S. 129-142.

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