Titel
From Empathy to Denial. Arab Responses to the Holocaust


Autor(en)
Litvak, Meir; Webman, Esther
Erschienen
London 2009: Hurst & Co.
Anzahl Seiten
416 S.
Preis
€ 30,42
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Malte Gebert, Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin

Am 11. April 1961 begann vor dem Jerusalemer Bezirksgericht der Prozess gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, der schließlich am 15. Dezember 1961 zum Tod durch den Strang verurteilt wurde. Die Gerichtsverhandlungen wurden weltweit mit großem Interesse verfolgt und gerade in Deutschland, Amerika und Israel intensiv diskutiert. Wenig bekannt hingegen ist, dass der Prozess auch im arabischsprachigen Raum im Kontext von schon ab 1945 beginnenden Diskussionen über die Judenvernichtung genau verfolgt wurde, mit denen sich Meir Litvak und Esther Webman in ihrer Studie beschäftigen. Wenn in diesem Raum über den Holocaust gesprochen und geschrieben wird, so stellen die AutorInnen fest, kann dabei jenseits von ideologischen Trends auf ein Repertoire von historisch gewachsenen Begriffen, Ideen, Konzepten und Argumenten zurückgegriffen werden. Es habe sich sogar ein genuin arabischer Holocaust-Diskurs herausgebildet: „Consequently we have witnessed the development of an Arab Holocaust discourse encompassing various attitudes partly inspired by those in the West, which range through a spectrum from justification to denial and projection of Nazi images onto Zionism and Israel, who had thus been transformed from victims to culprits” (S. 2). Beachtenswert sei außerdem, dass dieser Diskurs sich relative wenig mit den Ereignissen der Judenvernichtung selbst beschäftigt. Die Herausbildung der verschiedenen Ebenen dieses Diskurses analysieren die AutorInnen im ersten Abschnitt ihres Werkes „From Empathy to Denial. Arab Responses to the Holocaust“ anhand von vier Fallstudien, von denen die Reaktionen auf den „Eichmann-Prozess“ eine darstellt.

Die anderen Fallstudien nehmen drei Phasen in den Blick, die zentral für die Entwicklung des Diskurses waren: die drei Jahre zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Staatsgründung Israels, das Reparationsabkommen zwischen Deutschland und Israel im Zeitraum von 1951 bis 1953 sowie die Auswirkungen des Zweiten Vatikanischen Konzils in den 1960er-Jahren. In den vier Studien stellen Litvak und Webman jene Topoi heraus, um die sich der Holocaust-Diskurs im arabischsprachigen Raum bis in die Gegenwart dreht. Diese Topoi reichen von der Leugnung sowie Rechtfertigung des Holocaust über die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Zionismus, den Vorwurf der Kollaboration, der retrospektiven Beurteilung des NS-Regimes bis zum Vergleich der Judenvernichtung mit der Vertreibung der Palästinenser („Nakba“) bei der israelischen Staatsgründung. Gleichzeitig bilden diese die sechs Kategorien für die im zweiten Abschnitt des Buches folgenden Kapitel. Ein letztes, sich hieran anschließendes Kapitel verweist auf den noch jungen, sich nach dem Oslo-Friedensprozess nach 1993 allmählich abzeichnenden Versuch arabischer Medienschaffender sowie WissenschaftlerInnen, das jüdische Leiden im Holocaust anzuerkennen und für „Empathie“ zu werben.

In den Mittelpunkt ihrer Studie stellen Litvak und Webman die Analyse von Kontinuitäten und Wendepunkten in der Repräsentation des Holocaust (S. 10). So verweist der Titel nicht etwa auf eine Entwicklung von einem vorhandenen Mitgefühl für die jüdischen Opfer hin zur Leugnung des Holocausts, sondern beschreibt vielmehr das Spannungsfeld, in dem die sich entwickelnden Kategorien im Sinne eines dynamischen Diskurses zu verorten sind. Wichtig ist den beiden Autoren auch der Verweis auf die Wechselwirkungen mit den westlichen Debatten, die – beispielsweise über die Veröffentlichungen von Holocaust-Leugnern wie Roger Garaudy – auch im arabischsprachigen Raum eine Rolle spielen (S. 3). Zudem hätten verschwörungstheoretische Schriften, wie die um 1905 im zaristischen Russland veröffentlichten „Protokolle der Weisen von Zion“, als „Beweis“ einer jüdischen Schuld oder gar Beteiligung am Holocaust früh Eingang in die arabischen Debatten gefunden. Nicht nur deshalb betten die AutorInnen die arabische Holocaust-Rezeption als Teilaspekt in einen weiter gefassten antisemitischen Kontext ein, der in Folge der Staatsgründung Israels 1948 entstanden sei: „It became an integral part of the broader Arab anti-Semitic discourse, which evolved under the shadow of the conflict“ (S. 377).

Um der arabischen Repräsentation des Holocausts auf die Spur zu kommen, werten Litvak und Webman eine Vielzahl von Materialien und Quellen aus. Arabischsprachige Tageszeitungen, Journale und Monographien aus den letzten sechzig Jahren stellen die Grundlage für die Analyse dar. Hinzu kommen etliche Aussagen von PolitikerInnen, JournalistInnen, PublizistInnen, AkademikerInnen und Militärs, welche als „secondary intellectuals“ begriffen werden (S. 17). Im Zentrum stehen hierbei die politischen und kulturellen Zentren im arabischsprachigen Raum: Ägypten, Libanon, Jordanien, die palästinensischen Autonomiegebiete und eine Vielzahl anderer Staaten. Ausgehend von einem interdisziplinären Wissenschaftsverständnis, greifen die AutorInnen unter anderem auf die Theorien und Methoden der Diskursanalyse, der Sozialpsychologie und der Holocaust-Forschung zurück. Mit der Bewertung der sich aus der Kombination der Untersuchung von Text und Kontext ergebenden Aussagen halten sich beide weitestgehend zurück. Vielmehr ist es ihr erklärter Anspruch, die Quellen für sich selbst sprechen zu lassen (S. 19).

Wie sich die von Litvak und Webman herausgearbeiteten Kategorien überschneiden, bzw. wie vielfältig und dynamisch die Auseinandersetzung mit dem Holocaust ist, zeigt bereits der eingangs erwähnte „Eichmann-Prozess“. In der Fallstudie zeigen sie überzeugend auf, wie facettenreich die arabische Holocaust-Rezeption war und ist. Während die wissenschaftliche Forschung bisher vor allem das arabische Bedauern betonte, dass Eichmann seinen „Job“ nicht habe beenden können 1, stellen die AutorInnen dieses Topoi für die Zeit des „Eichmann-Prozesses“ als marginal heraus (S. 123). Stattdessen verweisen sie auf bisher wenig beachtete Elemente in der Debatte, die inzwischen ebenfalls ins Repertoire des arabischen Holocaust-Diskurses eingeflossen sind. Neben der Leugnung des Holocausts, der Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Zionismus und dem Vergleich mit der Nakba traten im Kontext des „Eichmann-Prozesses“ zwei neue Themen in den Vordergrund: Erstens stand die vermeintliche Kollaboration der zionistischen Bewegung mit dem NS-Regime im Zentrum der Debatten, indem unter anderem die israelische Auseinandersetzung um die sogenannte Kasztner-Affäre in den 1950er-Jahren aufgegriffen wurde.2 Zweitens wurde erstmals ein Zusammenhang zwischen dem Holocaust und der Staatsgründung Israels hergestellt, in dem die Judenvernichtung als Mittel zum Zweck dargestellt wurde. So berichtete beispielsweise der offizielle ägyptische Beobachter des Prozesses, Husayn Dhu al-Faqar, in einem Artikel für die Tageszeitung al-Gumhuriyya, Eichmann und Hitler seien „Opfer der Zionisten“, denn diese hätten sie zu den „Verbrechen gegen die Juden“ gezwungen, um so die Gründung Israels vor der Weltgemeinschaft durchzusetzen (S. 125).

Gleichzeitig schildern Litvak und Webman, wie sich der israelische und der arabische Holocaust-Diskurs an dieser Stelle beeinflusst haben. Je zentraler der Holocaust während des „Eichmann-Prozesses“ für das kollektive Gedächtnis und die nationale Sinnstiftung Israels wurde, desto stärker wurde er auf arabischer Seite verleugnet und abgelehnt. Dementsprechend habe für die arabischen Medien nicht die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Judenvernichtung im Mittelpunkt gestanden, sondern vielmehr die Möglichkeit, das Interesse der Weltöffentlichkeit am „Eichmann-Prozess“ zur Thematisierung der „israelischen Vertreibungsverbrechen von 1948“, mithin der Nakba zu nutzen. Ein Vergleich, der dann wiederum in den internationalen Holocaust-Diskurs eingeflossen ist (S. 128).

Doch nicht nur die ständig vorgenommene Kontextualisierung der verschiedenen Diskurse zum Holocaust im Sinne einer „Histoire croisée“ ist bemerkenswert. Gerade die Einordnung des arabischen Holocaust-Diskurses in die jeweiligen zeithistorischen Zusammenhänge vermag zu überzeugen. Der Komplexität der arabischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust in all ihrer Widersprüchlichkeit wird hier genüge getan. Letztendlich jedoch mit dem Ergebnis, dass trotz verschiedener Schwerpunktsetzungen alle politischen Strömungen – von der nationalistischen bis hin zur radikalislamischen – auf das gesamte, im arabischen Diskurs enthaltene Repertoire zurückgreifen (S. 383). Dieser sei nicht als kohärentes Narrativ zu verstehen, sondern als ein Reservoir von Bezügen, Argumenten und Bildern, die je nach Bedarf in Politik und Praxis übernommen werden können. Mit Bedauern stellen Litvak und Webman am Ende fest, dass der Nahost-Konflikt den arabischen Blick auf den Holocaust verstellt habe, dass der arabische Holocaust-Diskurs sich erstaunlich wenig mit den Ereignissen der Judenvernichtung selbst beschäftige und somit einer möglichen Lösung des Nahost-Konfliktes im Wege stehe (S. 384). Der im letzten Kapitel beschriebene Beginn einer Neuausrichtung des Diskurses durch junge arabische WissenschaftlerInnen und Intellektuelle mag jedoch ein Grund zur Hoffnung sein, wenn auch ihr Bild vom Holocaust noch durch viele der alten Widersprüche überlagert ist.

Litvak und Webman werden ihrem Anspruch, die Holocaust-Rezeption im arabischsprachigen Raum von 1945 bis zur Gegenwart zu rekonstruieren, in vollem Umfang gerecht. Gerade die Vielzahl der benutzen Quellen machen das Buch überaus lesenswert. Nicht zuletzt deshalb hat es im Herbst 2010 den amerikanischen „Washington Institute Book Prize“ gewonnen. Vor dem Hintergrund der vor einigen Jahren in Deutschland angestoßenen Debatten über die Kollaboration des NS-Regimes mit Teilen der arabischen Machteliten 3 wäre es zu begrüßen, wenn auch Litvaks und Webmans Studie bald in deutscher Übersetzung vorläge.

Anmerkungen:
1 Vgl. bspw. Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des Bösen, München 2005, S. 81.
2 Vgl. Ladislaus Löb, Geschäfte mit dem Teufel. Die Tragödie des Judenretters Rezsö Kasztner. Bericht eines Überlebenden, Köln 2010.
3 Vgl. Gerhard Höpp (Hrsg.), Mufti-Papiere. Briefe, Memoranden, Reden und Aufrufe Amin al-Husainis aus dem Exil 1940-1945, Berlin 2001; Klaus Michael Mallmann / Martin Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina, Darmstadt 2006.

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