K. Nannen: Wirtschaft, Geschichte und Geschichtskultur

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Titel
Wirtschaft, Geschichte und Geschichtskultur. Eine Untersuchung zur Vermarktung und Förderung von Geschichte durch deutsche Unternehmen


Autor(en)
Nannen, Klaus
Reihe
Geschichte 93
Erschienen
Münster 2010: LIT Verlag
Anzahl Seiten
344 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Krovat, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien

History sells!1 Wir erleben seit etwa einem Jahrzehnt einen verstärkten Trend zur Popularisierung von Geschichte, bei der die verschiedensten Akteure historische Themen und Versatzstücke auf mannigfaltige Art und Weise verwenden. Angesichts der Menge an historischen und historisierenden Inhalten in Unterhaltungsbranche und Wirtschaft muss uns "Public History" daher Thema sein. Eine wissenschaftliche Bearbeitung dieser Phänomene ist im deutschsprachigen Kommunikationsraum bislang aber noch nicht in zufriedenstellendem Ausmaß unternommen worden. In diesem Sinne ist prinzipiell jedes neue Werk zu begrüßen, das sich mit der Thematik auseinandersetzt.

Wie lässt sich die Dissertation von Klaus Nannen über die Vermarktung und Förderung von Geschichte durch deutsche Unternehmen in diesem Kontext verorten? Nannen, der stark von der Geschichtsdidaktik geprägt ist, unternimmt einen dokumentarischen Streifzug durch das weite (Spannungs-)Feld von Wirtschaft und Geschichte. Mangels konkreter Fragestellungen (das entsprechende Kapitel gibt lediglich einen Überblick über die folgenden) ist in dem Buch ein roter Faden, der auf ein Ziel hin ausgerichtet wäre, allerdings nicht zu erkennen. So befasst sich das erste Kapitel mit Aspekten der Geschichtsvermarktung in verschiedenen Sektoren der Wirtschaft, Kapitel 2 mit Marketinginstrumenten von der Imagebroschüre und Retroverpackung bis hin zum Firmenmuseum und der Verwendung historischer Gebäude. Diese Themen werden – unter anderem durch kurze Exkurse beispielsweise zur Kulturgeschichte des Bieres – sehr genau bearbeitet und nehmen den Großteil der Arbeit ein. Weitaus weniger umfangreich werden anschließend die von Nannen so bezeichneten "inhaltlichen Aspekte der Vermittlung" – zum Beispiel Tradition, Nostalgie, Geschichtskultur – behandelt. Da es sich hierbei um die Kernprobleme des vermittelten Gegenstandes handelt, wird an dieser Stelle eine interessante Möglichkeit vergeben, die vermarktete "Geschichte" paradigmatisch zu identifizieren.

Kapitel 7 ist dem Wechselspiel von Wirtschaft und Wissenschaft gewidmet. Kultur-Sponsoring, der Bedarf an Aufarbeitung und Darstellung der eigenen Unternehmensgeschichte, aber auch Stiftungen und von Unternehmen eingerichtete Lehrstühle und Institute werden angesichts der zunehmenden Streichung öffentlicher Gelder als immer wichtigere, wenn nicht bald überlebensnotwendige Grundlage kulturellen und geisteswissenschaftlichen Schaffens angeführt. Angesichts der prekären Finanzlage von Kultur und Wissenschaft und der Zunahme von Drittmittelfinanzierungen ist das eine sicherlich richtige These. So kann Nannen ein Beziehungsgeflecht von Wirtschaft und Wissenschaft festmachen, das wechselseitig positiv wirken kann, vorausgesetzt die Öffentlichkeit und damit auch die Medien schenken historischen Themen jene Aufmerksamkeit, die es Unternehmen erlaubt, durch Geschichtsvermittlung ihre wirtschaftlichen Interessen (ausgeführt in Kapitel 6) zu wahren. Problemfelder der ökonomisch orientierten Verwendung von Historie verortet Nannen in der Genese von vermarktungsrelevanten Geschichtsbildern in der Öffentlichkeit. Die beliebtesten narrativen Muster seien dabei "Heimat und Herkunft", das "Aristokratisch-Höfische" und die "fortdauernde technisch-innovative Entwicklung". Problematisch seien außerdem das Verhältnis von authentischen und imaginierten Geschichtsbildern sowie die Instrumentalisierung und Manipulation von Historie.

Einen wichtigen methodischen Baustein der Untersuchung stellt neben – theoretisch nicht näher ausgeführten – Bild- und Textanalysen eine schriftliche Befragung von Unternehmen dar. Mit einer Grundgesamtheit von 287 Fragebögen und einem Rücklauf von 138 Fragebögen (48,1 Prozent) kann Nannen hohe Partizipation und hohes Interesse seitens der Firmen vorweisen. Allerdings wirft diese Erhebung grundlegende Fragen auf. Problematisch ist die Auswahl der befragten Unternehmen. Ausgewählt wurden ausschließlich Traditionsunternehmen mit langer Geschichte, da "Neugründungen bzw. junge Unternehmen oftmals über keine nennenswerte und vermarktungsfähige Geschichte verfügen" (S. 43). Das schränkt das Sample radikal ein, indem einerseits ein Verständnis von Geschichte als Tradition nahegelegt und andererseits stillschweigend die Chance vergeben wird, den Umgang mit Historie im Falle eines Unternehmens ohne lange Geschichte zu untersuchen. Weiterhin werden Anbieter von Halb- und Zwischenprodukten oder Dienstleistungen ausgeschlossen, weil diese sich laut Nannen "vermutlich häufiger mit einer brancheninternen Bekanntheit zufrieden" (S. 44) geben. Diese Vermutung bleibt ohne Belege im Raum stehen.

Da freilich nicht alle Branchen befragt werden können, grenzt Nannen die Auswahl weiter vor allem auf Unternehmen im Brauwesen, in der Wein- und Spirituosenproduktion, im Hotel- und Tourismussektor und auf das Stadtmarketing ein, denn "[d]ie genannten Branchen zeichnen sich dadurch aus, dass deren Unternehmen von vielen Menschen als Firmen gesehen werden, die ihre Historie und Tradition seit jeher stark in das Licht der Öffentlichkeit rücken" (S. 44). Auch diese Aussage ist in keiner Weise belegt. Schwerer wiegt, dass hier der Grundstein für einen Zirkelschluss gelegt wird. Es werden vorab Unternehmen ausgewählt, denen attestiert wird, dass sie sich öffentlichkeitswirksam der Historie zu bedienen wissen, um abschließend im Fazit darzulegen: "Es sollte […] aufgezeigt werden, welche Unternehmensbranchen und Wirtschaftszweige in bestimmter Weise Historisches einbinden" (S. 279). Dass vor allem Brauwirtschaft, Hotelgewerbe und Tourismussektor "Geschichte" zu unternehmerischen Zwecken einsetzen (ebd.), überrascht angesichts der stark eingeschränkten Auswahl wenig.

Doch der Sinn und die Funktion dieser empirischen Erhebung via Fragebogen muss letztlich insgesamt hinterfragt werden. Es entsteht der Eindruck, dass das Buch ohne die Ergebnisse des Fragebogens nicht wesentlich anders komponiert worden wäre. Dies fällt besonders dort auf, wo es beispielsweise bedeutungslos ist, dass 72 Prozent der befragten Unternehmen "Tradition" als Vermittlungsinhalt sehen, aber nur sieben von Hundert "Nostalgie" vermitteln möchten. Diese Ergebnisse werden in den entsprechenden Kapiteln zwar erwähnt, erfahren aber keine weitere Verwertung oder Interpretation. Der Verzicht auf eine genauere Auswertung und Kontextualisierung ist das größte Versäumnis der vorliegenden Arbeit.

Nannen verbleibt konsequent in der Deskription. Schlussfolgerungen über Bedeutung und Auswirkungen der Befunde werden kaum oder gar nicht geboten. Es fehlt der zweite und entscheidende Schritt – Aussagen, die über eine Bestandserhebung hinausgehen. So reibt sich die Arbeit an einem problematischen Forschungsdesign auf, und der Versuch die ebenso interessante wie drängende Thematik möglichst breit gefächert abzudecken, ohne dabei in die Tiefe zu gehen, kostet zusätzliche Substanz. In diesem Sinne muss man sich Nannens Wunsch anschließen, dass dieser Untersuchung weitere folgen mögen, die zielgerichteter vorgehen und die vielfältigen Aspekte des History Marketings und seiner Geschichte beleuchten. Bis dahin ist das Buch als Sammlung von Anekdoten und Beispielen sowie als eine Inspiration für weiterführende Bearbeitungen dieses Problemfeldes zu empfehlen.

Anmerkung:
1 Vgl. u.a. Steve Anderson, History TV and Popular Memory, in: Gary R. Edgerton / Peter C. Rollins (Hrsg.), Television Histories. Shaping Collective Memory in the Media Age, Lexington 2001, S. 19-36; Wolfgang Hardtwig / Alexander Schug (Hrsg.), History Sells! Angewandte Geschichte als Wissenschaft und Markt, Stuttgart 2009; Barbara Korte / Sylvia Paletschek, History goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres, Bielefeld 2009.

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