M. Pesditschek: Barbar, Kreter, Arier

: Barbar, Kreter, Arier. Leben und Werk des Althistorikers Fritz Schachermeyr, Band 1. Saarbücken 2009 : Südwestdeutscher Verlag für Hochschulschriften, ISBN 978-3-8381-0602-1 2 Bde, gesamt 1074 S. € 128,00

: Barbar, Kreter, Arier. Leben und Werk des Althistorikers Fritz Schachermeyr, Band 2. Saarbücken 2009 : Südwestdeutscher Verlag für Hochschulschriften, ISBN 978-3-8381-0641-0 2 Bde, gesamt 1074 S. € 128,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Melanie Malzahn, Institut für Sprachwissenschaft, Universität Wien

Der nominelle Althistoriker Fritz Schachermeyr war nicht nur auch praktizierender Archäologe 1, er dürfte wegen seiner noch viel weiter gestreuten wissenschaftlichen Interessen vielmehr in allen Bereichen der Altertumswissenschaften ein household name sein. So ist er zum Beispiel mir als Indogermanistin gleich aus mehreren Gründen ein Begriff: Er hat schon in seiner Habilschrift „Etruskische Frühgeschichte“ aus dem Jahr 1929 eine Herkunft der Etrusker aus Anatolien behauptet (dies eine These, die in den letzten Jahren gerade auch durch sprachwissenschaftliche Argumente von Indogermanisten entscheidend gestützt worden ist, vgl. im rezensierten Werk S. 125f.), er hat bereits 1935 in seiner zweiten Monographie „Hethiter und Achäer“ die in hethitischen Texten aufscheinenden Ahhiyawa (wie heute weitestgehend gerade von Indogermanist/innen akzeptiert) als Griechisch sprechende „Achäer“ bestimmt (S. 230-233, 505, 671-676), und er war auch unter den allerersten deutschsprachigen Altertumsforschern, die die heute allgemein anerkannte Entzifferung der Linear-B-Schrift durch Michael Ventris und John Chadwick beifällig aufgenommen haben (S. 503-505). Leider hat Schachermeyr aber auch — in der Formulierung der Autorin des besprochenen Bandes (S. 11) — „während der NS-Zeit so konsequent wie kein anderer Altertumswissenschaftler die nationalsozialistische Rassenlehre in Forschung und Lehre vertreten“. Dass bislang eine Bio(biblio)graphie einer dermaßen markanten und zugleich problematischen Forscherpersönlichkeit fehlte, musste als Desiderat bezeichnet werden. Das hier besprochene Werk – eine stark erweiterte und aktualisierte Wiener Dissertation aus dem Jahr 2005 – schließt diese Forschungslücke und lässt kaum einen Wunsch offen.

Der Verfasserin ist es gelungen, in den größeren Teil der heute fast ausschließlich in Privatbesitz befindlichen erhaltenen persönlichen Korrespondenz Schachermeyrs Einsicht zu nehmen (S. 8, 12, 687f.); auf diese Weise konnte sie dessen Leben äußerst detailliert rekonstruieren; um mit Wilhelm Busch zu sprechen, sieht man hier insgesamt „so klar wie selten nur ins innere Walten der Natur“, etwa was die Mühen bei der Drucklegung von Habilschriften (S. 120-124), die Vorgeschichte wohlwollender Rezensionen (S. 130-136, 149, 458f., 461f., 470f., 476f., 489-491, 576f., 583) oder die Erstellung von Berufungslisten (S. 246-251, 415-423, 439f.) betrifft. Nun besteht bei solcher Materialfülle freilich prinzipiell die Gefahr, dass zuerst der/die Biograph/in und in der Folge der/die Leser/in „den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht“, aber die Autorin hat diesen Fehler gerade nicht begangen; vielmehr stellt sie die unzähligen Details jeweils in einen größeren Zusammenhang und zeichnet am Ende des vorbildlich klar gegliederten Buches ein äußerst plausibles und schlüssiges geistiges Gesamtporträt Schachermeyrs (S. 727-735). Zu dessen wichtigsten Zügen gehört, dass dieser ein „unbedingter Anhänger totalitären Denkens“ gewesen ist und es spätestens seit seiner Zeit als Ordinarius in Jena als eigentliches Lebensziel ansah, vermittels einer eigenen rassenbiologisch grundierten und scheinbar „optimistischen“ Geschichtsphilosophie den einschlägigen Ruhm des von ihm ebenso beneideten wie gehassten Oswald Spengler zu übertreffen (vgl. besonders S. 299, 306-317). Die Autorin weist in diesem Zusammenhang mit größter philologischer Akribie nach, dass Schachermeyr an dieser seiner (im Übrigen keineswegs originellen2) vor 1940 entwickelten Geschichtsphilosophie offenbar ohne größere Abstriche bis an sein Lebensende festgehalten hat (vgl. S. 398-414, 463f., 491-494, 584-587, 641-652), was bislang allein einige wenige Rezensenten seiner Werke ohne wirklich sorgfältige Argumentation gemutmaßt hatten (vgl. S. 460, 462f., 487, 579, 674f.).

Im Hinblick auf Schachermeyrs seinerzeitiges nationalsozialistisches Engagement und seinen offenkundigen lebenslangen Rassismus und speziell Antisemitismus vermeidet die Verfasserin auch einen zweiten naheliegenden Fehler, dem man in Arbeiten zu Persönlichkeiten von seinem Schlag sonst nahezu regelmäßig begegnet, nämlich jenen des für Nachgeborene so wohlfeilen, aber ungeschichtlichen Moralisierens; sie schreibt im Hinblick darauf in ihrer Einleitung (S. 16) ganz explizit: „Bedenkt man die mutmaßliche Sozialisation Fritz Schachermeyrs in einem großdeutsch, wagnerianisch und antisemitisch orientierten Elternhaus, so wäre es z. B. gewiß Ausdruck einer völlig ahistorischen Einstellung, von ihm überzeugtes Eintreten für eine parlamentarische Demokratie oder eine ausgeprägte Empathie gegenüber jüdischen Mitbürgern schon in der Zeit vor dem Holocaust erwarten zu wollen.“ Als positive Folie gebraucht sie dementsprechend gerade Oswald Spengler, der selbst weit rechts stand und durchaus als einer der Totengräber der Weimarer Republik angesprochen werden kann, den real existierenden Nationalsozialismus aber gleich nach der Machtergreifung zu verabscheuen begann und dies auch couragiert zum Ausdruck brachte (vgl. S. 16f., 301f., 306f.). Vor einem so gewählten Hintergrund treten Schachermeyrs charakterliche Defizite umso plastischer hervor.

Martina Pesditschek beschweigt, beschönigt und verharmlost also nichts, bleibt aber trotz des gewiss höchst unerfreulichen Gesamteindrucks von Schachermeyrs Persönlichkeit (die 1944 sogar „den Holocaust indirekt gutgeheißen“ haben mag, vgl. die höchst umsichtige Argumentation und Formulierung S. 360 Anm. 1908) um größtmögliche Objektivität bemüht. So schreibt sie zum Beispiel am Ende ihrer Darstellung der bislang überhaupt nicht bekannten Aktivitäten Schachermeyrs im Umfeld der berüchtigten SS-Unterorganisation „Ahnenerbe“ (S. 333-343), „daß Schachermeyr durch seine persönliche Art der Indienstnahme einer teilweise durchaus auch mörderischen Organisation schwerlich irgendeinem anderen Menschen hätte Schaden zufügen können“. Sie weist etwa darauf hin, dass auch die linksliberale Herausgeberin der „Zeit“ Marion Gräfin Dönhoff und der als NS-Gegner geltende Historiker Friedrich Meinecke einem höchst absurden antisemitischen Klischee noch nach 1945 verhaftet geblieben sind (S. 646). Weiter betont sie auch, dass die vielen negativ-herablassenden Rezensionen, die Schachermeyrs wissenschaftliche(re)n Spätwerken in den 1970er- und 1980er-Jahren zuteil geworden sind, ihrerseits zumeist nur damals gerade modische Vorurteile reproduziert haben und gar manchen seiner Auffassungen heute schon wieder größerer Respekt entgegengebracht würde.

Die Autorin erweist sich dabei selbst als auf allen Gebieten der Altertumswissenschaften ganz hervorragend informiert. Und dieser Kenntnisreichtum und die diesem offenbar zugrundeliegende fundamentale wissenschaftliche Neugier beschränken sich keineswegs auf die Altertumswissenschaften; vielmehr wird man allenthalben auch noch mit anderen höchst interessanten Informationen versorgt, die in diesem Buch gar nicht zu erwarten wären: Zum Beispiel wird für Schachermeyrs Anspruch, seine Alexander-Monographie von „oben“ diktiert bekommen zu haben, auf eine ganz ähnliche Äußerung des US-Songwriters Johnny Mercer hingewiesen (S. 392f.). Schließlich werden für nahezu alle in diesem Buch zur Erwähnung gelangenden Personen zumindest Literaturhinweise geboten, in einigen Fällen entwirft Martina Pesditschek sogar selbst faszinierende Kurzporträts; hervorgehoben seien jene des umstrittenen Vordenkers der „Nouvelle Droite“ Alain de Benoist (S. 702-705), des Grazer Philosophie-Ordinarius Ernst Topitsch, der in jüngeren Jahren als „sehr gefährlicher Marxist“ und am Ende seines Lebens gewiss ebenso unrichtig, wenngleich nicht ohne eigenes Hinzutun als sehr gefährlicher Rechtsextremist eingestuft wurde (S. 455-457), und eines ebenso kenntnisreichen wie exzentrischen Theologen (und Briefpartners von Papst Benedikt) namens Helmut Waldmann (S. 554-557). Auf diese Weise stellt das Werk trotz der zum Teil spröden Materie ein einziges ungetrübtes Lesevergnügen dar.

Anmerkungen:
1 Vgl. zuletzt N.N., Sammlung Fritz Schachermeyr, in: Thema. Das Forschungsmagazin der ÖAW 6/2010, S. 14f.
2 Die Autorin nennt in ihrer „Schlußbetrachtung“ seine „geschichtsphilosophische Lehre“ „eine legitime Tochter der Lehre Gobineaus und eine Schwester der Lehre Rosenbergs“ (S. 734); vgl. besonders S. 310-315.