M. Virgil Hoehne u.a. (Hrsg.): Borders and Borderlands

Cover
Titel
Borders and Borderlands as Resources in the Horn of Africa.


Herausgeber
Virgil Hoehne, Markus; Feyissa, Dereje
Reihe
Eastern Africa
Erschienen
Woodbridge 2010: James Currey
Anzahl Seiten
205 S.
Preis
€ 54,99
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Lisa Schlegel, Institut für Afrikanistik, Universität Leipzig

Die beiden Herausgeber Dereje Feyissa und Markus V. Hoehne formulieren in ihrem Buch „Borders and Borderlands as Resources in the Horn of Africa“ ein analytisches Konzept, um Staatsgrenzen und Grenzregionen in Bezug auf ihre Chancen für lokale Bevölkerungen zu erforschen. Der Forschungsgegenstand bezieht sich auf die Fragen, wie sich Bevölkerungsgruppen, die entlang von Grenzen leben und durch solche geteilt werden, der Situation der Grenzregionen angepasst haben und, welche Strategien sie entwickeln und verfolgen, um auf verschiedene Weise Grenzen und Grenzregionen als Ressourcen zu nutzen. Ressourcen beziehen die Herausgeber auf immaterielle Ressourcen wie soziale Beziehungen über Grenzen hinweg, die Verortung innerhalb der territorialen, politischen oder sozialen Landschaft oder jegliche Beanspruchung von Staatsgrenzen und Grenzregionen, um sozial, wirtschaftlich oder politisch profitieren zu können. Unter Grenzen verstehen Feyissa und Hoehne die Institution von zwischenstaatlicher Teilung entsprechend des internationalen Rechts. „Borderlands“ werden territorial definiert als physikalischer Raum entlang beider Seiten der Grenze. Untersucht werden sollen die manchmal konfliktiven Prozesse von „(re)bordering“ und „border-crossing“, welche durch die „agency“ der „borderlanders“ selbst bestimmt sind. Die Herausgeber benennen ein explizites Interesse an der Handlungsfähigkeit der in Grenzregionen lebenden Menschen und an deren Kreativität in Bezug auf Staatsgrenzen und Grenzregionen. Die komplexen Möglichkeiten, die existierende Staatsgrenzen in sich bergen, fordern den konventionellen Fokus auf Grenzen als Beschränkungen und Restriktionen heraus. Dabei geht es Feyissa und Hoehne nicht darum, die vielfältigen Einschränkungen für Menschen, die mit Grenzen, insbesondere in der Region des Horn von Afrika, verbunden sind, zu negieren. Doch ist der Fokus des Forschungskonzeptes und der einzelnen Fallstudien darauf gerichtet, zu zeigen „[…] what the people have done to the borders – not in what the borders have done to the people – and […] what they have made out of living in the borderlands as fields of opportunities” ( S. 11).

Feyissa und Hoehne sehen insbesondere in der Afrikanistischen Literatur eine Forschungslücke darin, zu untersuchen und zu verstehen, wie Menschen sich der Situation existierender Staatsgrenzen anpassen und Nutzen aus diesen ziehen. Es geht darum, „borderlanders” als eigenständige Akteure zu erkennen und sie nicht, wie im Fall der „constraints“-Perspketive als Opfer wahrzunehmen und alleinig auf die Handlungsfähigkeit des Staates abzuheben. Die hier aufgezeigte Forschungsperspektive betont also die Möglichkeiten und die Handlungsfähigkeit der Bevölkerungsgruppen in Grenzregionen, erkennt Grenzen als sowohl durchlässige als auch konsequente Institutionen und sie ist empirisch ausgerichtet. Die unterschiedlichen Formen von Ressourcen, die durch Staatsgrenzen und Grenzregionen generiert werden können, verstehen die Herausgeber als Potenzial, nicht als fertiges Produkt, das es zu verteilen gelte. Die Fallstudien befassen sich mit der Durchlässigkeit von Grenzen auf lokaler Ebene einerseits und der Rigidität von Grenzen auf zwischenstaatlicher Ebene andereseits. Allerdings zeigt eine Untersuchung auch eine unerwartete Form der lokalen Insistierung auf internationaler Grenzziehung und gleichzeitiger staatlicher Inkonsequenz bei der Grenzkontrolle (siehe Kapitel 2: D. Feyissa, „More State than the State?“) Feyissa beschreibt diesbezüglich, wie die Anywaa in der Region Gambella temporär auf die Staatsgrenze zwischen Äthiopien und Sudan insistierten, um ihren dominanten politischen Status und ethnische Sicherheit gegenüber den Nuer zu behaupten. Das Projekt des kollektiven ethnischen Selbstschutzes hat dabei den Effekt, die territoriale Ideologie des Staates auf lokaler Ebene zu reproduzieren. Während die Anywaa auf äthiopischer Seite ethnische Sicherheit in den 1990er Jahren so mittels einer nationalen Strategie zu erzielen suchten (ohne sich dabei zu einer nationalen Identität zu bekennen), wurde später eine pan-ethnische Strategie durch Grenzüberquerung in den Südsudan realisiert. Feyissa beleuchtet Grenzen als komplexe Phänomene, in dem er zeigt, wie sich die Bedeutung von Grenzen für die Bevölkerung in Grenzregionen durch diskursive Verschiebungen verändern kann; diskursive Praktiken konträre Diskurse zu stützen vermögen und, wie Grenzbewohner einen Nutzen aus gegensätzlichen Eigenschaften von Grenzen – ihrer Durchlässigkeit sowie Rigidität – ziehen können.

Die Herausgeber problematisieren das häufige Argument der Künstlichkeit afrikanischer kolonialer Grenzen als Erklärung für die konfliktive Beschaffenheit der post-kolonialen Staatsgrenzen. Auch Wolbert G. C. Smidt argumentiert, dass jede Grenze künstlich und potenziell veränderlich ist: “It is therefore not possible to use a discourse of artificiality to make one specific boundary illegitimate. […] So, characterizing a boundary as artificial does not say much. Artificial or not, they are there, and have a function” (S. 74). Die absolute und rigide Form der Teilung durch eine Staatsgrenze ist jedoch auch in seinem Untersuchungsfeld problematisch. Smidt beschreibt tradierte Praktiken der Teilung (und Einheit/ Vereinigung) bei den Tigrinnya-Sprechern (auf beiden Seiten der äthiopisch-eritreischen Grenze), wonach Grenzen kein generell neues Phänomen darstellen. Entscheidend ist aber der dynamische Charakter von Interaktion und Zusammengehörigkeit: „Within unity, boundaries were always set up. In the midst of separation, boundaries were overcome” (S. 77). Einer solchen Dynamik entbehrend, schreibt Smidt anerkannten, und in seinem Untersuchungskontext neuen Grenzen aber eine Chance der Stabilisierung zu.

Auf den bereits im Vorwort von Günther Schlee erwähnten Aspekt, dass Grenzen als soziale Konstrukte zu Ressourcen für einige, aber wiederum nicht für andere, werden können, hebt die Fallstudie von Yasin Mohammed Yasin ab. Er untersucht grenzüberschreitende politische Allianzen am Beispiel der Afar und Issa entlang der Grenze zwischen Äthiopien und Djibouti (unter Einbezug der Region Awdaal in Somaliland). Ob die Teilung verwandter Gruppen durch Staatsgrenzen zu einem Potenzial in Form grenzüberschreitender Unterstützung werden kann, hängt von dem politischen und wirtschaftlichen Einfluss der jeweiligen Gruppen in den verschiedenen Staaten ab. So profitieren die Issa von der Situation der Teilung ihrer ethnischen Gruppe durch die Staatsgrenzen, während die Afar politisch, ökonomisch und militärisch dominiert werden und nur eingeschränkt von grenzüberschreitenden Allianzen profitieren können.

Die Existenz von Grenzen selbst kann eine Frage der Perspektive sein. Yoocada – die ehemalige Britisch-Somaliland Grenze zwischen Somaliland und Puntland – bedeutet gleichzeitig eine flexible Grenze für die „borderlanders“, eine festgelegte Grenze für Somaliland und eine historische, nicht (mehr) existente Grenze für Puntland. Während die Grenzsituation empirisch eher flexibel ist und die Regierungen Somalilands und Puntlands mehr mit den internationalen Effekten der (Nicht-) Grenze befasst sind als mit den Realitäten, verwehrt sich die Bevölkerung der Grenzregion (die Dhulbahante und Warsangeeli) einer gänzlichen Inkorporierung Somalilands oder Puntlands: „They adust to the situation of being divided by trying to get the most out of it …“ (S. 117). Hoehne zeigt in dieser Fallstudie, dass, trotz der Konfliktanfälligkeit von Grenzregionen, Teilung auch Vorteile für die lokale Bevölkerung bieten kann. Er schildert kollektive Formen von der Situation der Teilung zwischen Somaliland und Puntland zu profitieren sowie eindrückliche individuelle Fälle davon, die Vorzüge der Grenzsituation für (mehrfache) berufliche/ politische Wechsel zwischen beiden (Regierungs)Seiten zu nutzen.

Die von Hoehne aufgezeigte Ambivalenz der sozio-politischen Situation in Grenzregionen wird, mit Bezug auf historische Kontexte (die Grenze zwischen Äthiopien und Britisch Somaliland sowie die somalisch-kenianische Grenzregion) auch in den Kapiteln von Barnes und Cassanelli aufgegriffen. Der äthiopischen Manipulation der lokalen somalischen Bevölkerung stand eine clevere Manipulation der Grenze für individuelle, lokale und gruppenspezifische Interessen durch die Somali entgegen. Cassanelli verweist neben der Not und Entbehrung durch internationale Grenzziehung auf die Herausbildung dynamischer Ökonomien durch grenzüberschreitende Allianzen, die nicht zu letzt als Katalysatoren für die kenianische und somalische Wirtschaft insgesamt gewirkt haben. Cassanelli wie auch Wekesa (der die Beziehungen der Babukusu und Bagisu im Westen Kenias und Osten Ugandas untersucht) verdeutlichen, wie nationale Strategien die lokale Grenzbevölkerung – auch durch deren Vernachlässigung – in die Lage versetzt hat, eigene ökonomische Initiativen zu ergreifen. Beide machen auf die historischen Wurzeln post-kolonialer Verbindungen von Grenzökonomien aufmerksam. Wekesa problematisiert auch die inhärente Spannung zwischen nationaler Ideologie und der Realität der Grenzregionen, die von afrikanischen Machthabern seit der Unabhängigkeit getragen und befördert wird, zurückhaltend und unwillig Politiken zu unterstützen, die die Souveränität des Staates und ihre eigene Macht einschränken würden.

Die Nützlichkeit von Grenzen wird auch in Bezug auf die Wendung von Identitätsperspektiven (Francesca Declich) bzw. die Möglichkeit dualer Identifikationen (Fekadi Adugna) diskutiert. Adugna untersucht, wie durch die äthiopisch-kenianische Staatsgrenze getrennte Akteure (die Borana, Garri und Gabra) in Konfliktsituationen vermitteln und schlichten oder Unterstützung während der Durchführung von Wahlen und Wahlkampagnen leisten.
Die in Somalia marginalisierten Somali Zigula konnten Anfang der 1990er Jahre durch die Überquerung der Grenzen nach Kenia und Tansania auf ein anderes Identitätsmerkmal – ihre Bantu-Sprache Zigula – zurückgreifen und auf diese Weise eine Form ethnischer Freiheit in den Flüchtlingscamps leben. Declich betrachtet dies als positiven Aspekt an einer solchen Grenze (die nicht aneinander zu grenzen braucht) zu leben.

Der Band eröffnet eine neue Perspektive auf die Grenzregionen am Horn von Afrika mit dem Fokus auf ihre Bewohner, welche die Grenzen – historische, de jure sowie de facto Grenzen - aktiv nutzen (bzw. genutzt haben) und formen. Die einzelnen Fallstudien veranschaulichen Grenzen eindrücklich als komplexe Phänomene und demonstrieren insgesamt, durch das Aufgreifen ganz unterschiedlicher Grenzsituationen und Aspekte von Teilung durch Staatsgrenzen, ein verändertes Verständnis von der Beziehung zwischen Zentrum und (vermeintlicher) Peripherie und damit auch von Staatlichkeit in Afrika, das sich von der konventionellen staatszentristischen Perspektive unterscheidet. Es ist entscheidend, danach zu fragen, wie sich Menschen der Situation existierender (Staats)Grenzen anpassen und dabei individuellen und kollektiven Nutzen generieren und auf diese Weise dazu beitragen die lokalen, nationalen und transnationalen Gegebenheiten zu formen. Problematisch ist die Einschätzung, dass es sich dabei um Möglichkeiten im Sinne positiver Chancen handelt, die Staatsgrenzen als Potenzial bereithalten. Auf diesen Aspekt hebt auch Christopher Clapham am Ende des Bandes ab. Seine Konklusion liest sich in Teilen bereits wie eine Rezension des Buches. Dabei werden die verschiedenen Analysen ausdrücklich für eine deutliche und ergreifende Darstellung der Reaktionen der Grenzbewohner auf die Existenz der jeweiligen Grenzen anerkannt. Jedoch hinterfragt Clapham, ob die Fallstudien, welche die Anstrengungen der Grenzbevölkerungen am Horn von Afrika zum Ausdruck bringen, tatsächlich positive Aspekte von Grenzen zu demonstrieren vermögen: „Or are the interactions that we have been examining merely compensatory mechanisms, devised in order to rescue a few small consolation prizes from a territorial demarcation that is on the whole deeply disadvantageous to most of those who are affected by it?”

Darüber hinaus konstatiert Clapham, dass der Fokus des Buches auf die potenziellen Möglichkeiten, die durch existierende Grenzen geschaffen werden, die Aufmerksamkeit nicht nur von den negativen Auswirkungen auf lokale Bevölkerungen, sondern auch von alternativen Möglichkeiten abwendet, die durch die Existenz der jeweiligen Grenze unterbunden werden: „Though opportunities or affordances are certainly created by the existence of borders, alternative opportunities are likewise created by their absence or abolition“ (S. 194f.). Hierauf zu verweisen ist hilfreich, um die diskutierten Ressourcen als positive Aspekte von internationalen Grenzen nicht in idealisierender Weise verstanden zu wissen. Es geht den Herausgebern sicherlich nicht darum, ambivalente Grenzsituationen zu verharmlosen. Ihr Anliegen ist vielmehr eine Forschungsperspektive zu formulieren, die die Handlungsfähigkeit, Selbstbestimmtheit und Kreativität lokaler Akteure in den Blick nimmt. Fraglich bleibt, ob deren kreative Reaktionen auf nicht selbstbestimmte Trennung durch Grenzziehung ein Potenzial der Grenze selbst darstellen kann.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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