A. Thüsing (Hrsg.): Das Präsidium der Landesverwaltung Sachsen

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Titel
Das Präsidium der Landesverwaltung Sachsen. Die Protokolle der Sitzungen vom 9. Juli 1945 bis 10. Dezember 1946


Herausgeber
Thüsing, Andreas
Reihe
Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 040
Erschienen
Göttingen 2010: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
584 S.
Preis
€ 72,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Donth, Berlin

Die von Andreas Thüsing vorgelegte Edition der Protokolle von den Präsidialsitzungen der Landesverwaltung Sachsen (LVS) für den Zeitraum vom 9. Juli 1945 bis zum 10. Dezember 1946 bildet einen wichtigen Quellenbestand, will man die Anfangszeit analysieren, in der die kommunistische Herrschaftsordnung in Sachsen bis nach den Landtagswahlen 1946 durchgesetzt wurde. Damit leisten der Bearbeiter und das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden einen bedeutenden Beitrag zur sächsischen Landesgeschichte.

Eine ausführliche Einleitung, die die Entwicklung in Sachsen vom Ende der NS-Herrschaft bis zur Auflösung des Landes 1952 umreißt, ist den 79 Sitzungsprotokollen vorangestellt, die den Charakter von Beschlussprotokollen aufweisen und deren Originale sich im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden befinden. Thüsing untersucht den Stellenwert, den die Landesverwaltung im machtpolitischen Gefüge der Nachkriegszeit als ausführendes Organ der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) innehatte und arbeitet heraus, dass die wichtigsten politischen Beschlüsse nicht nur dort, sondern auch in den Leitungsgremien der KPD (ab April 1946 SED) sowie im Parteienblock getroffen wurden.

Nachdem seitens der sowjetischen Besatzungsmacht die Einrichtung von Ländern und Provinzen in ihrer Besatzungszone entschieden war, konzentrierten sich SMAD und KPD auf die Auswahl des Personals für die Landes- und Provinzialverwaltungen, der späteren Landesregierungen. In Sachsen bildete die Dresdener Stadtverwaltung faktisch das Muster für den Aufbau der Landesverwaltung. Gemäß der von ihnen propagierten Blockpolitik berücksichtigten SMAD und KPD bei der Vergabe von Posten auch Vertreter der anderen Gruppierungen und bildeten mit der LVS eine Allparteienregierung.

Zum Präsidenten der im Juli 1945 gegründeten Landesverwaltung bestimmte die SMAD den Sozialdemokraten Rudolf Friedrichs, der sich als Dresdener Oberbürgermeister seit Mai 1945 in ihren Augen „bewährt“ hatte. Für die „Einrahmung“ Friedrichs sorgten zuverlässige kommunistische Funktionäre, die bereits der Initiativgruppe Anton Ackermanns angehörten. Dieses für Sachsen zuständige Pendant der „Gruppe Ulbricht“ war Anfang Mai 1945 aus dem Moskauer Exil gekommen. Das eigentliche machtpolitische Schwergewicht innerhalb der Landesverwaltung war der Moskau-Kader und hochrangige Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes Kurt Fischer (KPD), der als Erster Vizepräsident für Inneres und Volksbildung unter anderem für die Personalpolitik der Landesverwaltung zuständig war. Auch in weitere Schlüsselpositionen wie das Personalamt, die Polizeiverwaltung und das Nachrichtenamt rückten KPD-Mitglieder vor. Dem sächsischen Polizeiapparat kam in den folgenden Jahren bei der Herausbildung der politischen Terror- und Unterdrückungsorgane der SBZ eine Schlüsselrolle zu.

Mit Richard Woldt stellte die SPD bis September 1945 den Vizepräsidenten für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr der Landesverwaltung. Er verlor seine Position, weil er für die KPD als „rechter Sozialdemokrat“ und „Einheitsgegner“ nicht mehr tragbar war. Danach exekutierte sein Nachfolger Fritz Selbmann (KPD) die kommunistische Wirtschaftspolitik. Nach der Entfernung Woldts und des parteilosen Vizepräsidenten für Ernährung und Landwirtschaft, Dr. Wilhelm Lenhardt, trat Walter Gäbler (SPD) in die LVS ein und übernahm das umgebildete Ressort Landwirtschaft, Handel und Versorgung. Indem die KPD einen Sozialdemokraten mit der gerade in der Nachkriegszeit besonders schwierigen Versorgung der Bevölkerung beauftragte, versuchte sie, weit verbreiteten Unmut von sich ab und auf die SPD zu lenken. Da die Besatzungsmacht die Umsetzung der Bodenreform in aus ihrer Sicht zuverlässige Hände legen wollte, wechselte die Zuständigkeit für die besonders wichtige Landesbodenkommission jedoch an das Innenressort Fischers. SMAD und KPD berücksichtigten auch die bürgerlichen Parteien bei der Postenvergabe und banden sie damit in das neue Gesellschaftssystem ein. Der Liberaldemokrat Reinhard Uhle übernahm als 4. Vizepräsident das Justizressort und ab September 1945 noch die Gesundheitspolitik. Für die CDU hatte die SMAD das Ressort Finanzen und Steuern vorgesehen, dessen Leitung beim 5. Vizepräsidenten Gerhard Rohner lag. Eingebunden in die Mechanismen der Blockpolitik, scharf beobachtet und kontrolliert durch SMAD und KPD, blieb ihr Einfluss auf die Gesamtpolitik der LVS gering, die ohnehin die Vorgaben der Besatzungsmacht auszuführen hatte.

Ausführlich dokumentiert Thüsing das umfangreiche und detaillierte Befehlswesen sowie die komplexen Mechanismen von Einflussnahme, Steuerung und Kontrolle der Landesverwaltung durch die SMAD und analysiert die geringen Spielräume, die deutsche Dienststellen gegenüber der Besatzungsmacht besaßen. So stellte ein detailliertes und umfassendes Berichtswesen sicher, dass die Sowjets über die Arbeit der Landesverwaltung ständig informiert waren und gegebenenfalls sofort eingreifen konnten, wenn sie dies für erforderlich hielten.

Im Mittelpunkt der Beratungen der sächsischen Landesverwaltung standen nicht nur die drängendsten Fragen der Nachkriegszeit wie die Versorgung der Bevölkerung oder die Aufnahme der Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten, sondern von Anfang an auch die Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Sachsen. Dabei ging es Sowjets und KPD/SED darum, auch durch eine Neuordnung der Eigentumsverhältnisse in der Wirtschaft die Weichen für den Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft zu stellen. Beispiele hierfür waren die Verstaatlichung des Bankensektors, die Bodenreform sowie der „Volksentscheid über Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher“ am 30. Juni 1946. Besonderes Augenmerk galt zudem der Entnazifizierung, die als Instrument für den Elitenaustausch genutzt wurde, von dem insbesondere die staatliche Verwaltung, Justiz und Polizei sowie das Bildungswesen mit den Neulehrern betroffen waren. Ziel von SMAD und deutschen Kommunisten war es nicht nur, NS-belastete Amtsträger zu entfernen und für begangene Verbrechen zu bestrafen, sondern gleichzeitig durch die Besetzung von Schlüsselpositionen mit eigenen „Kadern“ und die Herausbildung neuer Eliten die Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse hin zum Kommunismus voranzutreiben. Auch nach der Vereinigung von KPD und SPD im April 1946 blieb die Arbeit in den „Selbstverwaltungsorganen“ eine wichtige Aufgabe der SED. Als zentral für die kommunistische Personalpolitik erachtete Kurt Fischer die Besetzung der „Kommandohöhen“ insbesondere in den Personalämtern mit der Partei treu ergebenen Kadern.

Die Konflikte der sächsischen Behörden mit den durch die SMAD gegründeten deutschen Zentralverwaltungen in Berlin nehmen in den Protokollen ebenfalls breiten Raum ein. Anhand der Beschlussprotokolle lässt sich der Diskussionsverlauf während der einzelnen Sitzungen nur unvollständig rekonstruieren. Nur an zwei Stellen lassen sich die Auseinandersetzungen nachvollziehen: Zum einen beim Wortprotokoll anlässlich der 52. Sitzung vom 13. Mai 1946 mit dem Bericht über die Leipziger Frühjahrsmesse, der ersten Nachkriegsmesse der Sowjetischen Besatzungszone, zum anderen bei der Protokollierung der Diskussion während der 63. Sitzung am 18. Juli 1946, als auf der Tagesordnung die Übernahme der vor dem 8. Mai 1945 aufgelaufenen Altschulden von Betrieben stand, die im Rahmen des „Volksentscheids über Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher“ vom 30. Juni 1946 in Landeseigentum übergegangen waren. Hier widersprachen die beiden bürgerlichen Vizepräsidenten Rohner und Uhle ihren SED-Kollegen.

Neben einer Struktur der Landesverwaltung enthält der Band Biogramme, ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie ein Personenregister. Leider fehlt ein Sachregister, das die Benutzung erleichtern würde. Das schmälert jedoch nicht den großen Wert, den diese herausragende Arbeit für die Forschung hat. Diese Edition ist unverzichtbar für alle, die sich mit der Genese der kommunistischen Herrschaft in Sachsen nach 1945 beschäftigen.

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