Cover
Titel
Der innere Kreis. Die Blekingegade-Bande. Eine Kriminalgeschichte


Autor(en)
Knudsen, Peter Øvig
Erschienen
Berlin 2010: Osburg Verlag
Anzahl Seiten
459 S.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael März, Max-Weber-Kolleg Erfurt

Zum 30. Jahrestag des Deutschen Herbstes erlebte auch Dänemark ein Comeback der öffentlichen Debatte um die Gewaltverbrechen bewaffneter linker Gruppierungen. Großen Anteil daran hatte der Journalist Peter Øvig Knudsen, weil er 2007 eine zweibändige Monografie über die so genannte „Blekingegadebande“ veröffentlichte. Das Werk wurde mehrfach preisgekrönt und inzwischen auch verfilmt.1 Im Februar 2010 erschien es in deutscher Fassung. Christian Kirk Muff hat die Originalausgabe gekürzt und bearbeitet, Ulrich Sonnenberg übernahm die Übersetzung.

Mit „Der innere Kreis“ liegt erstmals eine ausführliche Abhandlung zur Geschichte der bewaffneten Linken in Dänemark vor. Während der Verlag das Buch als „Real-Polit-Thriller“ (Umschlag) vermarktet, spricht der Verfasser von einem „dokumentarischen Bericht“ (S. 7). Diese Umschreibung ist treffender, denn den Leser erwartet kein auf Spannung zielender Schmöker, sondern eine faktenreiche Chronik. Mit Rücksicht auf ihren thematischen Schwerpunkt, liegt es nahe, sie als eine dänische Antwort auf Butz Peters’ Gesamtdarstellung der RAF-Geschichte zu betrachten; erzählerisch kommt sie jedoch eher der Dokumentation „Kommando Holger Meins“ von Dan Hansén und Jens Nordqvist nahe.2 Wie seine schwedischen Kollegen legt Knudsen Wert darauf, Ereignisse und Entwicklungen, trotz vieler Verschachtelungen, nachvollziehbar und lebhaft zu schildern.

Basis seines dokumentarischen Berichtes sind nach eigenen Angaben Ermittlungsakten der dänischen Kriminalpolizei – vorwiegend Polizeiberichte über Verhöre und Hausdurchsuchungen, Gerichtsdokumente und einige Observationsprotokolle des dänischen Geheimdienstes „Politiets Efterretningstjeneste“ (PET). Außerdem befragte Knudsen viele Zeitzeugen, darunter Vertreter der Kriminalpolizei, des Geheimdienstes und der Justiz, Akteure im Umfeld der Bande sowie deren Familienmitglieder, Kollegen und weitere Eingeweihte. Hinzu kamen ehemalige Mitglieder der Blekingegadebande. Der Verfasser vergisst nicht, auf typische Probleme bei der Quellenauswertung hinzuweisen, vor allem auf unvollständige und widersprüchliche Informationen. In wesentlichen Punkten hat er sich entschieden, „diese Mängel und Widersprüche offen zu legen“ (S. 8). Viel mehr ist über seine Vorgehensweise allerdings nicht zu erfahren. Auf Fußnoten verzichtet er gänzlich.

Knudsen erzählt die Geschichte der Blekingegadebande von ihrem Ende her: Am 2. Mai 1989 brachte der Verkehrsunfall eines ihrer Mitglieder die dänische Polizei auf die Spur zu ihrem damaligen Hauptquartier. Es lag in der Blekingegade, einer kleinen Seitenstraße im Kopenhagener Stadtkern. Nach ihr ist die Gruppierung seither in den Medien benannt. Ihre Wurzeln reichten zurück in die 1960er-Jahre. Um den marxistischen Politiker und Verleger Gotfried Apel formierte sich eine radikal kommunistische Vereinigung, die in ihrer Struktur bald einer „Sekte“ (S. 280) gleichkam. Zentral organisiert und ideologisch isoliert vom linken Spektrum nahm die Apel-Gruppe in mehrfacher Hinsicht eine Sonderrolle ein. Zunächst war sie als „Kommunistischer Arbeitskreis“ (KAK) zwar nur eine von vielen linken Organisationen, die während der 68er-Bewegung entstanden und sich angesichts gewaltsamer Demonstrationen radikalisierten.3 Unter Apels Führung entwickelte sie sich dann aber zur einzigen bewaffneten linken Gruppierung Dänemarks.

Apel vertrat die so genannte „Schmarotzerstaatentheorie“, der sich seine Anhänger fortan konsequent verschrieben. Gemäß diesem Ansatz war die dänische Arbeiterklasse vom Kapitalismus korrumpiert. Sie lebte einigermaßen zufrieden auf Kosten der unterdrückten Völker in der Dritten Welt. Es hatte also keinen Sinn, sie von der Notwendigkeit einer Revolution im eigenen Land zu überzeugen. Stattdessen erschien es Apel und seinen Mitstreitern notwendig, von Dänemark aus die Befreiungskämpfe der unterdrückten Völker zu unterstützen. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf den Nahostkonflikt. Apel stellte den Kontakt zur Palästinensischen Befreiungsfront (PFLP) her. Die Kernmitglieder des KAK hatten die Aufgabe, sie zu pflegen. Im Dienste der Palästinenser verübte die Gruppierung dann jahrelang Raubüberfälle, Einbrüche und Betrügereien. Die Beute – vorwiegend Devisen, Waffen und technische Geräte – transferierte sie großteils an die PFLP.

Ein zweiter Abschnitt begann mit dem Jahr 1978, als Apel seinen Status als Führungsfigur verlor und der KAK unter Holger Jensen als „Kommunistische Arbeitsgruppe“ neu aufgebaut wurde. Knudsen stellt sehr detailliert dar, wie sich die ohnehin sehr gewissenhaft agierende Gruppierung professionalisierte und eine Serie von Raubüberfällen beging, unter anderem den größten Bankraub in Dänemark (vgl. S. 197). Das erbeutete Geld übergab sie weiterhin treu der PFLP. Der Verfasser berichtet vor diesem Hintergrund von mehreren Aufenthalten der Mitglieder in palästinensischen Militärcamps. Die Dänen unterhielten persönliche Kontakte zu Kämpfern und bezogen daraus ihre Motivation für die kriminellen Aktivitäten.

Knudsen geht in seinen Schilderungen auch auf die Strafverfolgung des KAK und seiner Nachfolgegruppierung ein. Dabei deckt er viele Ermittlungsfehler der dänischen Polizei und des PET auf. Obwohl die meisten Kernmitglieder seit Gründung der Apel-Gruppe aktiv waren, konnten sie nach der Entdeckung ihres Verstecks in der Blekingegade nur für wenige der Straftaten belangt werden. Für ihre Raubüberfälle und Einbrüche griff die in Dänemark übliche Verjährungsfrist von zehn Jahren. Der PET versuchte zwar die „größte Serie von Straftaten in der Geschichte Dänemarks“ als Modellfall zu nutzen, um den „dänischen Terrorparagrafen vor einem Gericht zu erproben“ (S. 440f.). Diese Anstrengungen fanden bei der Staatsanwaltschaft jedoch keinen Anklang. Knudsen vermutet, dass auch politische Motive den Ausschlag dafür gaben. Die Dokumentation schließt damit, dass er den Ausgang des Verfahrens und das weitere Schicksal der Bandenmitglieder zusammenfasst.

„Der innere Kreis“ kann die Forschung zum linken Terrorismus in West- und Südeuropa um ein dänisches (Sonder-)Kapitel ergänzen. Obwohl die Strategie des KAK respektive der Blekingegadebande zumindest an den „Feierabendterrorismus“ der Revolutionären Zellen in der Bundesrepublik erinnert, zeigt ein Vergleich beider Gruppierungen eher Unterschiede: Die Dänen wollten keinen gesellschaftlichen Umsturz in ihrem Heimatland herbeiführen. Sie bewaffneten sich nicht im Kampf gegen ihren Staat. Schusswaffen kamen bei ihnen meist nur als optische Abschreckung zum Einsatz, um den planmäßigen Ablauf ihrer Überfälle sicherzustellen.4

Auf Grund dieser eigenwilligen strategischen und politischen Linie bietet sich für Knudsen kein Anlass, in seinem Bericht auf die Entwicklung des übrigen linken Spektrums in Dänemark einzugehen. Stattdessen geraten die transnationalen Verbindungen zur PFLP in den Fokus. Kontakte zur Roten Armee Fraktion kann er nicht belegen. Allerdings deutet er an, dass sich die Dänen indirekt und ungewollt an dem versuchten Anschlag auf die NATO-Basis im spanischen Rota beteiligten (vgl. S. 192).5 Knudsen weist darauf hin, dass hierzu weiterführende Akten in den Archivbeständen der Birthler-Behörde vorliegen. Über ausreichend Material verfügte der Verfasser hingegen, um die dänische Terrorismusbekämpfung in den Blick zu nehmen. So erfährt der Leser unter anderem, dass die Regierung im „Terrorjahr“ 1975 einen „besonderen Krisenstab“ (S. 211) einrichtete, der vor allem palästinensischen Angriffen vorbeugen sollte. Zu demselben Zweck habe der PET auch einen Mossad-Agenten beschäftigt (vgl. S. 217).

Alles in allem erfüllt Knudsen seinen Vorsatz, Widersprüche der Quellen anzusprechen. Es kommt allerdings vor, dass der Leser vor die Wahl gestellt wird, dem einen oder anderen Gerücht zu glauben (vgl. S. 128f.). Zu Gute halten kann man dem Verfasser dagegen, dass er zumindest an einem Beispiel den Ablauf seiner Befragungen offen legt. Die Anonymität der Auskunftgeber erlaubt allerdings keine Nachprüfungen. Als erzählerisches Defizit erweist sich der Umstand, dass die Kernmitglieder erst sehr spät vorgestellt werden (vgl. S. 358ff.), obwohl sie von Beginn an in den Schilderungen auftreten. Überhaupt kommt es durch die beschriebene inhaltliche Struktur hin und wieder zu Redundanzen.

Anlass zur Kritik gibt auch die Tatfixiertheit seiner Dokumentation. So blendet Knudsen die politische Dimension des KAK respektive der Blekingegadebande weitgehend aus. Gerade die Schilderungen zu den Überfällen in den 1980er-Jahren erwecken den Eindruck, als habe es sich bei ihr um eine rein kriminelle Vereinigung gehandelt. Was mit dem erbeuteten Geld geschah, auf welchen Wegen es zur PFLP gelangte und was diese mit den finanziellen Mitteln anfing, bleibt im Dunkeln. Es drängt sich die Frage auf, ob die Mitglieder der Bande darüber informiert waren oder ob es ihnen genügte, das Geld in den Händen der PFLP zu wissen.

Zu weiteren Reflexionen lädt auch der Geschlechterkonflikt innerhalb des KAK ein. So fühlten sich die weiblichen Mitglieder 1977/78 vom feministischen Aufbruch in der dänischen Gesellschaft erfasst und haben in der Folge den Wandel des zentralistischen KAK zur basisdemokratischen Blekingegadebande angestoßen (vgl. 225ff.). Wie war das unter den angeblich sektenhaften Lebensumständen möglich? Spielten Vorbildfiguren eine Rolle? – Ungeachtet solcher offenen Fragen ist Knudsens Dokumentation ein hilfreicher Zugang zur Erforschung der dänischen 68er-Bewegung und ihrer Nachwirkungen. Darüber hinaus wartet sie mit vielen Detailinformationen zur Ausprägung transnationaler Verflechtungen des palästinensischen Terrorismus der 1970er- und 1980er-Jahre auf.

Anmerkungen:
1 Anders Riis-Hansen: Blekingegadebanden, Dokumentarfilm, Dänemark 2009. Erstausstrahlung: Danmarks Radio 1 am 20.03.2009.
2 Vgl. Butz Peters, Tödlicher Irrtum, Die Geschichte der RAF, Berlin 2004; Dan Hansén / Jens Nordqvist, Kommando Holger Meins, Dramat på västtyska ambassaden och Operation Leo, Stockholm 2005.
3 Vgl. dazu: Thomas Etzemüller, 1968 – Ein Riss in der Geschichte? Gesellschaftlicher Umbruch und 68er-Bewegungen in Westdeutschland und Schweden, Konstanz 2005, S. 164f.
4 Mit Ausnahme der versuchten Entführung einer Bankiersfamilie im Sommer 1980 und des Überfalles auf den Geldtransporter der dänischen Post 1989 benutzten die Täter vorwiegend Knüppel, um ihre Opfer zu überwältigen.
5 Wer das Attentat plante und einleitete, ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt. Wegen der Menge des benutzten Sprengstoffs und der Schrapnellwirkung der Ladung hätte es vermutlich ein Blutbad gegeben. Die Aktion scheiterte, weil eine Zündkapsel ausfiel.

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