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Titel
Stein gegen Stein. Architektur und Medien im geteilten Berlin 1950-1970


Autor(en)
Warnke, Stephanie
Erschienen
Frankfurt am Main 2009: Campus Verlag
Anzahl Seiten
388 S., ca. 100 Abb.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Georg Wagner-Kyora, Center for Metropolitan Studies, Technische Universität Berlin

Die Baugeschichte Berlins wird oft in populären Bildbänden und Reiseführern thematisiert. Sie wurde allerdings lange nicht als ein spannendes Forschungsfeld der Geschichtswissenschaft entdeckt. Es fehlte die Anerkennung von akteursorientierten Erklärungsangeboten, die sich auf Orte und auf Wahrnehmungsweisen von Stadt richteten. Den Raumbezug als zentrale Erkenntniskategorie der Politikgeschichte entdeckt zu haben ist auch erst eine Leistung des Spatial Turn gewesen, der seit dem Jahr 2000 der Stadtgeschichte neue Impulse verliehen hat. In der Zürcher Dissertation von Stephanie Warnke werden solche Analyseschwerpunkte mit der Medienöffentlichkeit der frühen Bundesrepublik und der DDR verknüpft. Im Bemühen, frühere verengte Sichtweisen auf die politischen Auswirkungen und Polarisierungen des Kalten Krieges zu überwinden, hat Warnke das Blickfeld ausgeweitet und ihre Quellenrecherche zur öffentlichen Baupolitik in West und Ost auf Fachpublikationen sowie auf die Tagespresse und den Rundfunk konzentriert.

Die Ausgangsthese über die geteilte Berliner Baupolitik, dass „zahlreiche Gemeinsamkeiten sowohl in den gebauten Formen als auch im gesellschaftlichen und politischen Umgang mit Architektur zutage treten“ (S. 14f.), lässt sich zwar belegen auf der diskursiven Ebene der Architekturkonzeptionen, der Formensprache, selbst des Städtebaus (der maßgeblich vom öffentlichen Wohnungsbau geprägt war). Aber die Rezeptionsbedingungen und insbesondere die Kontroversität von Architekturthemen variierten nicht nur, sie waren und blieben geprägt vom Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie. So ist anzumerken, dass sich eine Elitengeschichte der Architekten in West- und Ost-Berlin doch nicht so ganz passgenau auf einen Eins-zu-Eins-Vergleich herunterbrechen lässt. Auch wenn verschiedene Akteure weiterhin eng miteinander verflochten waren, wie das im Berlin des Kalten Krieges der Fall war, blieben zentrale Unterschiede bestehen. Zwar zeigten die Medien diese Verflechtungsgeschichte sehr intensiv. Aber ihre professionellen Ausblendungen und politisch induzierten Feindschaften reflektierten nicht nur einfach einen konzeptionellen Systemkonflikt, sondern sie bildeten auch separate Referenzsysteme von Berlin-Wahrnehmungen, die auf konkreten ideologischen Gegensätzen beruhten. Freiheit im Westen und Diktatur des Proletariats im Osten ließen sich nicht miteinander verbinden. Diese Diskrepanz blieb fundamental in der Berliner Architektenschaft, und sie wurde immer offenkundiger, auch wenn die Akteure überwiegend ähnlich von den Erwartungen an eine funktionalistische und technokratisch kaum hinterfragte Moderne geprägt waren. In den vielfältig recherchierten Fallgeschichten diverser Konfliktszenarien des Westens werden solche Unterschiede greifbar, und das ist das nachhaltige Verdienst dieser wertvollen Synthese zur Baugeschichte Berlins. Warnke stellt sie als eine Baupolitik im ideologischen und medialen Dauerkonflikt innerhalb der alten Stadtgrenzen dar.

Die Autorin gliedert ihren synchronen Stadtsystemvergleich, der ja nur an diesem einen Fallbeispiel Berlin möglich ist, klug, indem sie ihre drei Analysefelder Architektur, Stadt und Medien in einer gut nachvollziehbaren Kapitelgliederung aufarbeitet. Sie erzielt damit eine hohe didaktische Lernwirkung beim Leser, vor allem bei jenem, der noch nicht in die Thematik der Wiederaufbaugeschichte eingeführt ist und der die Stadtgeschichte generell als eher spröde oder weniger relevant von sich weisen mag. Aus diesem Grund eignet sich das Werk auch hervorragend als Einführung in die komplexe Problematik von Nachkriegsstadtgeschichte insgesamt. Nach einer einführenden Berlin-Systematisierung im Kräftefeld des Kalten Krieges legt Warnke im ersten Kapitel zunächst eine Gegenüberstellung von Leitbauten aus West und Ost vor, wobei sie – unüblich in der Zunft – dem Axel-Springer-Hochhaus an der Kochstraße mit 24 Seiten genau so viel Platz einräumt wie der „Stalinallee als Schock und Versprechen“ (S. 94). Gerade Springers Haus derart in den Rang einer politisierten Ikone der Nachkriegsarchitektur zu erheben erfordert heutzutage nicht mehr den Mut, den man noch vor zwei Jahrzehnten dafür hätte aufbringen müssen, aber es unterstreicht doch den insgesamt unvoreingenommenen Blick auf die Architektur beiderseits der Mauer, der dieses Buch insgesamt auszeichnet.

Im zweiten, ebenfalls recht gut positionierten Kapitel werden die großen kritischen Tendenzen der beiden Nachkriegsjahrzehnte grundlegend aufgearbeitet, wobei, wenig überraschend, die West-Berliner Dynamik dominiert. Diese zeigte sich ja nicht nur in den Elitendiskursen von Ulrich Conrads, dem langjährigen Chefredakteur der „Bauwelt“, und von Wolf Jobst Siedler, dem „Tagesspiegel“-Herausgeber und Autor des seit mehreren Jahrzehnten viel zitierten Werkes „Die gemordete Stadt“ (zuerst 1964). Sie prägte insbesondere den Wieder- bzw. Neuaufbau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu dem zentralen Kriegsmahnmal der Stadt und des ganzen Landes – einem Mahnmal, das seit seiner Einweihung im Dezember 1961, also beinahe seit 50 Jahren, eine kontinuierliche Bedeutungssteigerung erfahren hat. Im Stadttourismus wird die Kirche seit langem als Berliner Wahrzeichen schlechthin vermarktet, vergleichbar nur mit der Karriere von Brandenburger Tor und Fernsehturm in der Nachkriegszeit. Wie ein solcher Mechanismus der Wahrzeichenkonstruktion funktioniert, das kann an Warnkes Ausführungen zum öffentlichen Grabenkampf um den Erhalt des Ruinenturms in den 1950er-Jahren, einem Kernbereich des Buches, beispielhaft nachvollzogen werden. Zudem überlappten sich hier auch noch die älteren Zeitschichten des Kaiserreiches und der Weimarer Republik, wie die Autorin quellenorientiert herausstellen kann.

Das dritte Kapitel schließlich ist dem „Einkaufen“ und dem „Ausgehen“ auf den westlichen und östlichen Prachtstraßen gewidmet. Dieses Themenfeld bezieht die Erfahrungsgeschichte des städtischen Konsums, eines traditionsreichen Themenfeldes der Stadtgeschichte, in die Betrachtung konkreter Ortsbeziehungen ein. Hier nun hatte der Ostteil dem trotz aller anfänglichen Einschränkungen deutlich überlegenen Westen wenig entgegenzusetzen. Die Analyse reflektiert damit eher die gegenseitige Abgrenzung als die Synergie der beiden Stadthälften. Dazu gehört auch die Hauptstadt- und die Schaufensterfunktion beider Teilstädte. Warnke erarbeitet darüber hinaus die Images des sich jeweils als besser inszenierenden politischen Systems, die in der gegenseitigen Konfrontation von Leitsymbolen und stadträumlichen Entfaltungschancen bis in die Ebene des Warenhauskonsums hineingetragen wurden. Damit blieb Berlin noch auf Jahrzehnte hinaus das Exerzierfeld der Gegenideologien – sichtbar im öffentlichen Raum der repräsentativen Citys.

Es verwundert nicht, dass gerade hier und gerade auch in der Architektenschaft ein besonders kritisches und sensibel reagierendes Potenzial an Elitenkommunikation entstand. Im Ostteil Berlins reduzierte es sich außerhalb des Mainstreams auf die Gegenreden von Bruno Flierl und anderen in der „Deutschen Architektur“, der wichtigsten und anerkannt besten Architekturzeitschrift des Ostens. Im Westteil hingegen gewann es von Anfang an eine hochgradige und für die Bundesrepublik insgesamt ungewöhnlich starke Prägnanz im öffentlichen Auftreten und auch in der politischen Wirkungsgeschichte, die bis heute ungebrochen anhält. Es zeigte sich etwa in den Radiosendungen von Ulrich Conrads im RIAS zur Berliner Architekturkritik. Solche Kritik wurde bundesweit nur in dieser Rundfunkstation gesendet, und sie erreichte den Osten eher als den Westen. Und es zeigte sich auf dem öffentlich gewordenen Breitscheidplatz, der in den 1960er-Jahren vor dem baulichen Hintergrund der Gedächtniskirche zum Kulminationsort des politischen Selbstverständnisses des freien Berlins wurde.

Auf dieser Protestmeile West-Berlins versammelten sich die Studierenden der Technischen Universität und vor allem jene der Fakultät für Architektur im Jahr 1968, das so einschneidende politische und mentale Folgen für die Stadt und das ganze Land haben sollte. Es waren TU-Studenten, die im Märkischen Viertel, dem größten Stadtsanierungsprojekt des Westens, oppositionell orientierte Stadtteilgruppen gründeten, um nachhaltigen Bewohnerprotest gegen die Kahlschlagsanierung des Berliner Senates zu initiieren. Dass es solche Verknüpfungen von Elitengeschichte und Bewohnererfahrungen in einer politischen Architekturgeschichte der Stadt Berlin aufzeigt, macht den besonderen Reiz von Stephanie Warnkes Buch aus. Es weist damit deutlich über all die konventionellen Darstellungen dieser Thematik hinaus.

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