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Titel
Interessen im Wettbewerb. Grundlagen und frühe Entwicklung der europäischen Wettbewerbspolitik 1955-66


Autor(en)
Pitzer, Frank
Reihe
VSWG-Beihefte 195
Erschienen
Stuttgart 2009: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
482 S.
Preis
€ 74,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido Thiemeyer, Institut für Europäische Regionalforschungen, Universität Siegen

Die Europäische Wettbewerbspolitik war zusammen mit der Gemeinsamen Agrarpolitik das erste und wichtigste Politikfeld der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Im Gegensatz zur Agrarpolitik, deren Entstehung schon recht gut untersucht ist, hat sich die historische Forschung erst in den vergangenen Jahren der Wettbewerbspolitik zugewandt. Neben der Arbeit von Sibylle Hambloch1 liegt nun eine zweite größere Untersuchung zur Wettbewerbspolitik vor, die auf einer an der Universität Bonn erstellten Dissertation beruht.

Die Arbeit ist sehr breit angelegt. Sie untersucht nicht nur die Entstehung der für die Wettbewerbspolitik relevanten Artikel in den Römischen Verträgen zwischen 1955 und 1957, sondern geht darüber hinaus auch ausführlich auf die Weiterentwicklung dieses Politikfeldes im Rahmen der EWG seit 1958 ein. Frank Pitzer hat zu diesem Zweck vor allem die Archive des Bundeswirtschaftsministeriums und der Europäischen Kommission ausgewertet. Ziel der Arbeit ist es, die Ursprünge und ersten Entwicklungsschritte einer europäischen Wettbewerbspolitik zu analysieren. Dabei soll vor allem nach den Interessen der beteiligten Regierungen gefragt werden.

Der eigentlichen Arbeit vorangestellt wird ein umfangreiches Kapitel, in dem die theoretischen Grundlagen erläutert werden. Pitzer beruft sich im Kern auf den "Liberalen Intergouvernementalismus", wie er von Andrew Moravcsik in verschiedenen Publikationen entwickelt wurde. Demnach werden Politikfelder in der EWG auf zwei Ebenen beeinflusst, zum einen auf der nationalen, zum anderen auf der internationalen Ebene. Im Rahmen eines nationalen Diskurses werden die Interessen eines Landes definiert, die dann wieder auf internationaler Ebene durchgesetzt werden sollen. Die Regierung eines Landes steht dabei an der Schnittstelle beider Ebenen, ihr kommt daher eine Schlüsselfunktion zu.

Im nächsten Kapitel geht Pitzer auf die nationalen Voraussetzungen der Gemeinsamen Wettbewerbspolitik ein. Dabei waren die Unterschiede zwischen den sechs Staaten der späteren EWG beträchtlich. Während es beispielsweise in Italien bis in die 1950er-Jahre hinein praktisch keine Wettbewerbspolitik gab, war diese in der frühen Bundesrepublik bereits Bestandteil umfangreicher Debatten gewesen. Insgesamt aber war eine aktive Wettbewerbspolitik, die über den Abbau von Handelsbeschränkungen hinaus ging, ein Novum für Westeuropa. Die nach 1955 entstehende europäische Wettbewerbspolitik hatte im Kern zwei ideologische Wurzeln: zum einen die US-amerikanische Anti-Trust-Gesetzgebung, zum anderen die in Deutschland in den 1930er-Jahren entwickelte ordoliberale Wirtschaftstheorie.

Während der Entstehung des Vertrages über die EWG war es vor allem die deutsche Delegation, die auf eine Regelung für die Wettbewerbspolitik drängte. Besondere Bedeutung hatten hier die Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums, die zwar keineswegs geschlossen auftraten, aber hinsichtlich der ordnungspolitischen Grundausrichtung des Gemeinsamen Marktes einer Meinung waren. Vor allem Alfred Müller-Armack und Hans von der Groeben entwickelten sich zu den wichtigsten Verfechtern einer aktiven europäischen Wettbewerbspolitik nach ordoliberalem Vorbild.

Der deutsche Einfluss auf die Wettbewerbspolitik blieb auch nach der Gründung des Gemeinsamen Marktes 1958 groß. Erneut war Hans von der Groeben von zentraler Bedeutung, der die Leitung der für die Wettbewerbspolitik zuständigen Generaldirektion IV übernahm. Die gemeinsame europäische Wettbewerbspolitik entstand nun in Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten. Letzteren weist Pitzer eindeutig die wichtigere Rolle zu; die Wettbewerbspolitik, so vermag er überzeugend herauszuarbeiten, entstand vor allem in den intergouvernementalen Ratssitzungen, die allerdings von der Kommission vorbereitet wurden.

Zwei kritische Bemerkungen jedoch zum Schluss: Zum einen wäre es gewiss sinnvoll gewesen, nicht nur deutsche, sondern zumindest auch französische oder niederländische Quellen zur Wettbewerbspolitik heranzuziehen, zumal der Autor zu dem Ergebnis kommt, dass die Wettbewerbspolitik vor allem auf der intergouvernementalen Ebene entstand. Wenn Frank Pitzer argumentiert, dass die europäische Wettbewerbspolitik vor allem auf deutsche Vorstellungen zurückgeht, dann muss zumindest gefragt werden, ob dieser Eindruck nicht dadurch entsteht, dass seine Arbeit vor allem auf deutschen Quellen beruht.

Zum zweiten hätte es der Arbeit gut getan, wenn sie für die Drucklegung noch einmal gründlich lektoriert worden wäre. Das betrifft nicht nur die sehr zahlreichen, zum Teil sinnentstellenden Druckfehler (z.B. S. 18). Die Arbeit hätte auch deutlich gekürzt werden können, bisweilen werden über Seiten Themen referiert, die mit der eigentlichen Fragestellung nur am Rande zu tun haben und in anderen Studien bereits gründlich bearbeitet wurden, so z.B. die komplizierte "Relance européenne" von 1955/56 (S. 168-185).

Insgesamt liegt eine Arbeit vor, die zwar keine Überraschungen bietet, aber ein bislang vernachlässigtes Feld europäischer Einigungspolitik solide aufarbeitet. Gemeinsam mit der Studie von Sibylle Hambloch, die auf methodisch anderem Weg zu ähnlichen Ergebnissen kommt, leistet sie Grundlagenforschung über die Integration Europas.

Anmerkung:
1 Sibylle Hambloch, Europäische Integration und Wettbewerbspolitik. Die Frühphase der EWG, Baden-Baden 2009.

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