V. Obad (Hrsg.): Regionalpresse Österreich-Ungarns

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Titel
Regionalpresse Österreich-Ungarns und die urbane Kultur.


Herausgeber
Obad, Vlado
Reihe
Österreich Bibliothek Studienreihe
Erschienen
Anzahl Seiten
284 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hedvig Ujvári, Institut für Kommunikationswissenschaft, Katholische Péter-Pázmány-Universität Pilliscaba

Vor einiger Zeit habe ich bei H-Soz-u-Kult eine Rezension mit folgender Einleitung veröffentlicht: „Dank der gegenwärtigen kulturwissenschaftlichen Orientierung des Faches Germanistik werden die deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften der mittel- und südosteuropäischen Region vielfältigen Untersuchungen unterzogen. In den letzten Jahren vermehrten sich die internationalen Fachtagungen ausgerichtet nach den Stichpunkten ‚Multikulturalität‘, ‚Grenzdiskurse‘, ‚polyethnischer Kulturraum‘, ‚Kulturtransfer‘ etc.“1 Der von Vlado Obad herausgegebene Band schließt sich dieser Thematik an, allerdings handelt es sich bei den Beiträgen nicht um Aufsätze einer Fachtagung, sie sind vielmehr das Resultat eines zweijährigen Forschungsprojekts, das bei der Versammlung der Betreuer der Österreich-Bibliotheken im Ausland Ende 2005 in Wien erfasst wurde. Die Themenwahl ist angesichts der Tatsache, dass nach 1848 in Mitteleuropa ca. 600 deutschsprachige Tageszeitungen erschienen sind, besonders beachtenswert, denn ins Visier der Forschung wurde im vorliegenden Fall bewusst die Lokalpresse im Zeitraum von 1860 und 1914 gerückt.

Bei der Erforschung und Systematisierung der „Mainstreampresse“ der Habsburgermonarchie hat das Wiener akademische Projekt2 bereits große Dienste geleistet, aber detaillierte Teilstudien zu diversen Entwicklungstendenzen, Pressegattungen, Epochen und nicht zuletzt Titeln standen noch aus. Diesem Desiderat konnte seitens der Mitarbeiter des vorgelegten Projekts insofern Abhilfe geschaffen werden, als sie sich der Untersuchung von Lokalzeitungen, die sich in erster Linie den regionalen Bedürfnissen ihres Lesepublikums widmeten, annahmen. Die Forschung erstreckte sich auf die Sparten Kultur und Unterhaltung, vor allem auf den Bereich „unter dem Strich“, also auf das Feuilleton. Aus geografischer Sicht wurden die Organe der Regionen Baranya, Slawonien, Siebenbürgen, der Bukowina sowie der slowenischen Steiermark (Stajerska) untersucht. Das Resultat war absehbar: Je größer die Entfernung von der Reichs- und Residenzhauptstadt, desto geringer die literarische Qualität der Aufsätze zum Geistes- und Kulturleben sowie das Niveau der Gedichte, Skizzen, Kurzgeschichten, Erzählungen und Fortsetzungsromane, die häufig der anonymen Massenproduktion entsprungen sind. Zumeist verstanden sich diese Organe als erbitterte Gegner der literarischen Moderne, und in Folge ihrer kleinbürgerlich-patriarchalischen Ausrichtung sahen sie davon ab, Texte bekannter zeitgenössischer Autoren zu veröffentlichen. Diese Verhaltensweise kann als Teil des Widerstands gegen die überregionale und transnationale Ordnungsidee der Habsburgermonarchie gedeutet werden, deren kulturelle Erscheinungsform in der Ablehnung einheitlicher Kulturmuster, der damaligen Globalisierung, und der Aufwertung nationaler Charakteristika zum Ausdruck kam.

Diesen Problemen wird konkret beispielsweise bei der Darstellung der deutschsprachigen Presse in Siebenbürgen nachgegangen. Bianca Bican weist darauf hin, dass die siebenbürgische Presselandschaft nicht nur Neugründungen, sondern auch Kontinuitäten vorweisen kann, und dass sie nicht nur ein Sprachrohr der deutschen Minderheit, der Sachsen war, sondern das Deutsch auch als inter- und intranationale Kultursprache fungierte. Den Auftakt der Kultur- und Literaturzeitschriften in der siebenbürgisch-sächsischen Presselandschaft stellte das Erscheinen der „Bergglocke“ dar, wobei als eine der langlebigsten deutschen Zeitschriften der Region das Organ der siebenbürgisch-sächsischen Hochschüler, die „Akademische[n] Blätter“ erwähnt werden. Weiter westlich, im Banat, erschien „Die Posaune“, ein satirisch-humoristisches Provinzblatt. Simina Melwisch-Birăescu geht von der These aus, dass in Folge des Einflusses der hauptstädtischen Presse auf die Provinzpresse auch die Witzblätter sehr stark von der Großstadtpresse abhingen und die von ihnen vorgegebenen Muster nachahmten. Bezüglich der Presse in der Temeswarer Region muss auch der Umstand erwähnt werden, dass zwischen 1771 und 1851 ausschließlich deutschsprachige Zeitungen erschienen und erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts serbische, ungarische und rumänische Blätter gegründet wurden.

Ähnlich wie Bicans Beitrag zeichnet sich auch jener Vlado Obads durch seine thematische Breite aus, durch die ein umfassendes Bild der slawonischen (eine der Provinzen Kroatiens) Presselandschaft gezeichnet wird. Historische und soziokulturelle Umstände beim Zustandekommen der verspäteten Entstehung werden klar umrissen, der Werdegang herausragender Persönlichkeiten des Esseker (Ossijeker) Zeitungswesens, wie Hans Wawerka und Geza Berger, wird detailliert dargestellt. Unter den Organen wird neben dem „Esseker Lokalblatt und Landbote“ auf Grund ihres langjährigen und kontinuierlichen Erscheinens und Wirkungsradius auf „Die Drau“ (1868-1929) sowie die „Slavonische Presse“ (1885-1922) ausführlich Bezug genommen.

Der soziokulturellen Annäherung kommt auch in Sergij Osatschuks Beitrag besondere Bedeutung zu, in dem die deutschsprachige Czernowitzer Presse von den 1870er-Jahren bis 1914 untersucht wird. Bei dem Untersuchungszeitraum handelt es sich um eine Periode intensiver urbaner, kultureller und politischer Prozesse, in der sich die Bukowina modernisierte und insbesondere ihre Hauptstadt Czernowitz (Tscherniwzi) sich zu einem markanten städtischen Zentrum in einer ländlich geprägten Region entwickelte. Ein rasanter ökonomischer und kultureller Aufstieg folgte, die Bukowina wurde zu einem eigenständigen Kronland der Monarchie mit eigenem Landtag und eigener Universität. Der kulturelle Aufstieg war im Stadtbild, im Schulwesen und nicht zuletzt in der Entwicklung der Presselandschaft zu erkennen.

Tereza Pavlíčková geht in ihrem Beitrag den Anfängen des Zeitungswesens im mährischen Znaim (Znojmo), 190 Kilometer südwestlich von Olmütz (Olomouc), nach. Behandelt werden die Kultursparten der Organe „Znaimer Wochenblatt“, „Znaimer Neue Zeit“ und „Znaimer Botschafter“. Matjaž Birk und Anja Urekar widmen sich in ihrer Studie der Rezeption der slowenischen Literatur und Kultur in der "Marburger Zeitung" (Maribor, dt. Marburg an der Drau). Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der deutsch-österreichisch-slowenische Kulturtransferprozess zwischen 1862 und 1890, wobei als theoretische Untermauerung Ansätze wie Kulturtransfer, Raumforschung und Literatursoziologie dienen.

Auch die ungarische Forschung hat in Bezug auf die Geschichte des deutschsprachigen Pressewesens, und ganz besonders jene der Regionalpresse, einiges aufzuholen. Als Hochburg zeichnet sich diesbezüglich die Germanistik an der Universität Pécs (dt. Fünfkirchen) im Süden des Landes, unter der Leitung von Zoltán Szendi aus, deren Forschungsinteresse im besonderen regionalen Aspekten gilt. Im Beitrag zum vorliegenden Sammelband wird die Geschichte der deutschsprachigen Presse in Fünfkirchen bis um die Jahrhundertwende nachgezeichnet, vor allem wird der 1870 gegründeten "Fünfkirchner Zeitung", die als wichtige Quelle der Kulturgeschichte der Region gilt, Platz eingeräumt.

Zentral- und Südosteuropa werden häufig als „Schmelztiegel“ der Nationalitäten, Ethnien, Konfessionen und Sprachengemeinschaften angesehen. In dieser Vielfalt ist die Region auch als hybrider Kommunikationsraum zu betrachten, der einen wichtigen Umschlagplatz für historisch bedingte Kommunikationsforschung darstellt. Die im Band versammelten Beiträge untermauern dies: Sie befassen sich mit historisch und kulturell unterschiedlich profilierten Regionen, sind an die lokalen Gegebenheiten gebunden, weisen daher häufig lokale Charakteristika auf und bilden ungeachtet der Unterschiede Teile eines einstigen Staatsgebildes, das sich Habsburgermonarchie nannte.

Anmerkungen:
1 Hedvig Ujvári: Rezension zu: Corbea-Hoişie, Andrei; Lihaciu, Ion; Rubel, Alexander (Hrsg.): Deutschsprachige Öffentlichkeit und Presse in Mittelost- und Südosteuropa (1848-1948). Konstanz 2008, in: H-Soz-u-Kult, 12.01.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-1-023>.
2 Helmut Rumpler / Peter Urbanitsch, Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. VIII: Politische Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft. Teilbd. 1: Vereine, Parteien und Interessenverbände als Träger der politischen Partizipation. Teilbd. 2: Die Presse als Faktor der politischen Mobilisierung, Wien 2006.

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