U. Jung-Kaiser (Hrsg.): Der Wald als romantischer Topos

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Titel
Der Wald als romantischer Topos. 5. Interdisziplinäres Symposion der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main 2007


Herausgeber
Jung-Kaiser, Ute
Erschienen
Anzahl Seiten
371 S.
Preis
€ 64,20
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Zechner, Berlin

Im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte erschien eine Vielzahl von Publikationen, in denen sich die historisch arbeitenden Wissenschaftsdisziplinen der deutschen Natur- und Kulturlandschaft Wald annahmen. Dabei lässt sich im Vergleich zur vormaligen Dominanz forstgeschichtlicher Fragestellungen1 eine begrüßenswerte methodische und thematische Ausdifferenzierung konstatieren, die mit der Etablierung der fächerübergreifenden Umweltgeschichte einherging.

Quellennahe Forschungen versachlichten die zuvor meist empirieferne Diskussion über eine ‚Holznot’ um 18002 und interpretierten das ‚Waldsterben’ der 1980er-Jahre als stärker gesellschaftlich-mediales denn forstbotanisches Phänomen.3 Zum Thema musealer Präsentationen und Kataloge wurden die kunsthistorischen ‚Waldungen’ und der populärkulturelle ‚Mythos Wald’.4 Ideengeschichtliche Zugänge betonten die gesellschaftliche und politische Instrumentalisierbarkeit der Rede vom ‚deutschen Wald’5, während kulturwissenschaftliche Veröffentlichungen dem postkolonialen ‚deutschen Tropenwald’ sowie geschlechtertheoretischen ‚Verkörperungen des Waldes’ auf den Grund gingen.6 Länderübergreifende Veröffentlichungen zur ‚Idee des Waldes’ sowie zu den ‚Bäumen in den Köpfen’ eröffneten schließlich komparative Perspektiven im Hinblick auf die Frage eines deutschen Wald-Sonderweges.7

In diesem Forschungskontext widmet sich der anzuzeigende Sammelband der Epoche der Romantik, als Ende des 18. Jahrhunderts die deutsche Waldfaszination ihren Anfang nahm. Die 27 Beiträge gehen romantischen Waldbildern in Dichtung, Film, Kunst und Musik aus den disziplinären Perspektiven von Biomechanik, Film-, Kunst-, Literatur- und Musikwissenschaft, Pflanzenökologie, Theologie sowie Volkskunde nach. Zentrales Erkenntnisinteresse ist der Herausgeberin zufolge, die „traumhaft-magische Seelenlandschaft“ (S. 16) des Waldes mit ihren vielfältigen künstlerischen Facetten bis zu den politischen Instrumentalisierungen im 20. Jahrhundert in den Blick zu nehmen. Diesem inhaltlich und zeitlich weit reichenden Anspruch – das sei schon vorweg genommen – vermag der Band jedoch nur partiell gerecht zu werden.

In ihrem einleitenden Beitrag zeichnet die Musikwissenschaftlerin Ute Jung-Kaiser ideengeschichtliche Hauptlinien des romantischen Waldbildes nach, das sie zwischen den Polen von Erhabenheit und Sentimentalität verortet. Kennzeichnend sei eine spirituelle Aufladung des Waldes zum „Sakralraum“ (S. 15), bei der die real existierende Baumnatur zugunsten eines pantheistischen Idealwaldes in den Hintergrund trat. Besonderes Augenmerk richtet Jung-Kaiser auf das Denkbild vom ‚Wald als Dom’, dessen Werdegang von den mittelalterlichen Anfängen bis zum Werk so unterschiedlicher Intellektueller wie Ernst Bloch und Oswald Spengler reichte.

Der Volkskundler Albrecht Lehmann erörtert anschließend die Rolle des Waldes in der romantischen Literatur und das Fortleben der dort geprägten Denkmuster. Während der Wald in volkstümlichen Erzählungen als Grenzraum der Zivilisation noch negativ besetzt und damit „völlig unromantisch“ (S. 41) gewesen sei, waren die Landschaftsschilderungen der Grimmschen Märchen schon einem positiven ‚altdeutschen’ Idealbild verpflichtet. Derlei Vorstellungen des Waldes als Ort von Kontemplation und Natureintracht verfolgt Lehmann bis in die emotionalen Debatten um das ‚Waldsterben’ am Ende des 20. Jahrhunderts.

Aus naturwissenschaftlicher Perspektive betreibt der Landschaftsökologe Hansjörg Küster die „Entzauberung“ (S. 53) des deutschen Wald-Mythos. Mittels Pollendiagrammen weist er nach, dass entgegen der romantischen Vorstellungen einer überzeitlichen Waldnatur diese realiter ein höchst dynamisches Ökosystem darstellt. Natürliche wie anthropogene Faktoren hätten im geschichtlichen Verlauf – so Küster – zu fortwährendem Wandel geführt, weswegen das Wunschbild eines dichten Eichen- und Buchenwaldes nur wenig mit der historischen Realität gemein habe.

Im Anschluss an diese allgemeinverständlich und kritisch argumentierenden Überblicksdarstellungen dominiert – mit Ausnahme der Aufsätze zu Baumdarstellungen Caspar David Friedrichs sowie zum Wald in NS-Filmen und in der zeitgenössischen Kunst – der werkimmanente Blickwinkel der Musikwissenschaft. Allein drei Beiträge setzten sich mit dem ‚Vogel als Propheten’ bei Robert Schumann auseinander und zwei weitere Artikel nehmen Richard Wagners Werk zum Ausgangspunkt, wobei allerdings der zweite Text keinerlei Bezug zur Thematik des Sammelbandes erkennen lässt. Des Weiteren werden Waldmotive im Schaffen von Felix Mendelssohn Bartholdy, Max Reger und Arnold Schönberg, in der nordischen Klaviermusik, der Musik des 21. Jahrhunderts und der zeitgenössischen Klangkunst thematisiert. Abgeschlossen wird der Band mit der Dokumentation waldbezogener Kunstprojekte, Waldgedichten von Reiner Kunze sowie einem Beitrag zur biomechanischen Modellfunktion der Bäume.

Für den Historiker hinterlässt die Lektüre des in seiner Komposition willkürlich wirkenden Bandes einen zwiespältigen Eindruck. Positiv ins Auge fallen die für einen Sammelband solide Hardcover-Ausstattung, die zahlreichen Abbildungen sowie der interdisziplinäre Ansatz. Da aber von Seiten der Herausgeberin keine Definition der Romantik erfolgt und keine Leitfragen das Erkenntnisinteresse strukturieren, sind viele Beiträge von einem diffusen Romantik-Begriff und weitgehender Werkimmanenz ohne Einbezug der historischen Kontexte gekennzeichnet. Ferner vernachlässigt der im Titel nicht deutlich werdende musikwissenschaftliche Fokus die mindestens ebenso wirkmächtigen Waldbilder in Dichtung, Kunst und Literatur.

Zudem sind manche der Befunde insbesondere zur NS-Zeit historisch unzureichend reflektiert: So steht die Behauptung eines mehr als rhetorischen Bedeutungsgewinns für den Naturschutz im Nationalsozialismus (vgl. S. 31) im Widerspruch zur neueren umweltgeschichtlichen Forschung.8 In filmhistorischer Hinsicht fragwürdig ist die Bewertung des NS-Propagandafilms "Ewiger Wald" als einer „künstlerisch […] überzeugenden symphonischen Filmdichtung“ (S. 10), da in ihm künstlerische Aspekte gegenüber ideologischen nur eine untergeordnete Rolle spielten.9

Darüber hinaus wird das Gesamtbild von sachlichen Ungenauigkeiten getrübt, die vermutlich einem nachlässigen Lektorat geschuldet sind: Beispielsweise hatte das angeführte „Gesetz gegen Reklame im Wald“ (S. 242) von 1935 tatsächlich nur den Rechtscharakter eines Erlasses. Gleich zweimal wird der Vorname des Filmregisseurs Rolf von Sonjewski-Jamrowski falsch mit „Ralf“ (S. 244, S. 256) wiedergegeben und Alfred Rosenbergs ideologisches Hauptwerk ungenau als „Mythos“ (S. 245, S. 256) des zwanzigsten Jahrhunderts zitiert.

Bilanzierend betrachtet macht der Band in der Vielzahl seiner Herangehensweisen das interdisziplinäre Potential des Waldthemas deutlich, scheitert aber aus historischer Perspektive gleichwohl an dessen wissenschaftlicher Umsetzung.

Anmerkungen:
1 Vgl. Kurt Hasel, Forstgeschichte. Ein Grundriß für Studium und Praxis, Hamburg 1985 (= Parey Studientexte, Bd. 48); sowie Kurt Mantel, Wald und Forst in der Geschichte. Ein Lehr- und Handbuch, Hannover 1990.
2 Vgl. Joachim Radkau, Zur angeblichen Energiekrise des 18. Jahrhunderts. Revisionistische Betrachtungen über die ‚Holznot’, in: Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 73 (1986), 1, S. 1-37; sowie Bernd-Stefan Grewe, Der versperrte Wald. Ressourcenmangel in der bayerischen Pfalz (1814-1870), Köln u.a. 2004 (= Umwelthistorische Forschungen, Bd. 1).
3 Vgl. Martin Bemmann / Birgit Metzger / Roland Schäfer, Das deutsche ‚Waldsterben’ als historisches Phänomen, in: Revue d'Allemagne et des Pays de langue allemande, 39 (2007), 3, S. 423-436; sowie das DFG-Projekt ‚Und ewig sterben die Wälder’ unter <http://www.waldsterben.uni-freiburg.de> (Zugriff am 15. April 2009).
4 Vgl. Bernd Weyergraf (Hrsg.), Waldungen. Die Deutschen und ihr Wald, Berlin 1987 (= Akademie-Katalog, Bd. 149); sowie Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hrsg.), Mythos Wald. Begleitbuch zur Ausstellung, Münster 2009.
5 Vgl. Ulrich Linse, Der deutsche Wald als Kampfplatz politischer Ideen, in: Revue d'Allemagne et des Pays de langue allemande, 22 (1990), 3, S. 339-350; sowie Johannes Zechner, ‚Ewiger Wald und ewiges Volk’. Die Ideologisierung des deutschen Waldes im Nationalsozialismus, Freising 2006 (= Beiträge zur Kulturgeschichte der Natur, Bd. 15).
6 Vgl. Michael Flitner (Hrsg.), Der deutsche Tropenwald. Bilder – Mythen – Politik, Frankfurt am Main u.a. 2000; sowie Marcus Termeer, Verkörperungen des Waldes. Eine Körper-, Geschlechter- und Herrschaftsgeschichte, Bielefeld 2005.
7 Vgl. Kenneth S. Calhoon / Karla L. Schultz (Hrsg.), The Idea of the Forest. German and American Perspectives on the Culture and Politics of Trees, New York u.a. 1996 (= German Life and Civilization, Bd. 14); sowie Alexander Demandt, Über allen Wipfeln. Der Baum in der Kulturgeschichte, Köln u.a. 2000.
8 Vgl. Joachim Radkau / Frank Uekötter (Hrsg.), Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt am Main u.a. 2003 (= Geschichte des Natur- und Umweltschutzes, Bd. 1) (Rezension unter <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=3201>); sowie Hans W. Frohn / Friedemann Schmoll (Hrsg.), Natur und Staat. Staatlicher Naturschutz in Deutschland 1906-2006, Münster 2006 (= Naturschutz und Biologische Vielfalt, Bd. 35) (Rezension unter <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-3-064>).
9 Vgl. Thomas Meder, Die Deutschen als Wald-Volk. Der Kulturfilm Ewiger Wald (1936), in: Guili Liebman Parrinello (Hrsg.), Il bosco nella cultura europea tra realtà e immaginario, Rom 2002, S. 105–129.

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