H. Jakobs u.a.: Papsturkundenforschung und Historie

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Titel
Papsturkundenforschung und Historie. Aus der Germania Pontificia. Halberstadt und Lüttich


Autor(en)
Jakobs, Hermann; Petke, Wolfgang
Reihe
Studien und Vorarbeiten zur Germania Pontificia 9
Erschienen
Köln 2008: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
VIII, 276 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Müller, Historisches Institut, RWTH Aachen

Der Band vereint zwei voneinander unabhängige diplomatische Studien. In der ersten unterzieht Hermann Jakobs unter dem Titel „Spätottonische Klosterfreiheit. Die Privilegien ‚Creditae speculationis‘ Johannes’ XIII. und Benedikts VII. für Thankmarsfelde/Nienburg, Alsleben und Arneburg“ Urkunden des 10. und beginnenden 11. Jahrhunderts einer akribischen Untersuchung, bewertet ihre Echtheit und die Abhängigkeit der Vorlagen voneinander neu und diskutiert die Bedeutung der zentralen Formeln vor dem Hintergrund klösterlichen Autonomiestrebens und herrscherlicher Klosterpolitik der ausgehenden Ottonenzeit. Der Beitrag ist zugleich eine exemplarische Auseinandersetzung mit den weit ausgreifenden Fälschungsthesen des Dänen Mogens Rathsack und eine nicht minder kritische mit der Übernahme von dessen Ergebnissen in die von Harald Zimmermann besorgte Edition der frühmittelalterlichen Papsturkunden (S. 9).1 Jakobs führt damit in der vorliegenden Untersuchung fort, was er bereits vor geraumer Zeit ausführlich für Fulda und fast beiläufig für andere Empfänger in Regestenbänden der Germania pontificia ins Werk gesetzt hat.

Die überaus scharfsinnige Untersuchung ist hier nicht im Detail nachzuvollziehen, doch zeichnet sich als ein Ergebnis ab, dass in den 980er-Jahren im Reich an einem Formulierungsentwurf gearbeitet wurde, der im Hinblick auf die klösterliche Freiheit unterschiedliche Ansprüche zu befriedigen suchte; aber auch römische Elemente, namentlich aus dem Liber Diurnus, sind festzustellen. Der Verfasser interpretiert anschließend die Ergebnisse seiner diplomatischen Untersuchung vor dem Hintergrund der Kirchengeschichte des Entstehungszeitraums und kommt dabei zu dem Schluss, dass es Bestrebungen gab, die klösterlichen Rechte etwa im Hinblick auf Abtswahl und Immunität auf ein reichseinheitliches Niveau zu heben, auch wenn dies von jeder rechtlichen Systematik noch weit entfernt war (S. 78f.). Die grundsätzliche Ausschaltung bischöflichen Einflusses war dabei nicht intendiert; im Gegenteil: Insbesondere Heinrich II. scheint klösterlichen Initiativen, den Einfluss ihres Diözesans zurückzudrängen, eine klare Absage erteilt zu haben (S. 89f.). Sechs Urkunden der im Titel genannten Päpste und zwei Diplome Heinrichs II. sind abschließend im Licht der neuen Erkenntnisse kritisch ediert, ferner ein in der Sache einschlägiges Urkundenformular rekonstruiert, das aus einigen Formeln des Liber Diurnus wie aus markanten Passagen der untersuchten Texte besteht und dem damaligen römischen Notar bei der Abfassung der Privilegien vorgelegen haben könnte.

In die Diözese Lüttich, genauer gesagt an den heutigen Stadtrand von Maastricht führt der Beitrag von Wolfgang Petke „Reimser Urkunden- und Siegelfälschungen des 12. und 13. Jahrhunderts für Priorat und Pfarrei Meerssen.“ Er geht von einem seit längerem bekannten Verfälschungskomplex aus dem limburgischen Priorat der Reimser Abtei Saint-Remi aus, kann dieses Konvolut aber um ein bislang ungedrucktes, ebenfalls interpoliertes feierliches Privileg Alexanders III. sowie ein späteres Falsifikat auf den Namen des Lütticher Bischofs Alexander (I.) ergänzen und die Entstehungsumstände dieser Produkte kreativer Diplomatik äußerst plausibel erhellen. Petke rückt den Schreiber Garnerus in den Mittelpunkt seiner Analyse, der spätestens seit 1177 in Saint-Remi wirkte und von dessen Hand zahlreiche Texte erhalten sind. Ihn macht er aufgrund des Schriftvergleichs für die verfälschende Nachzeichnung des Alexander-Privilegs wohl in den Jahren 1178 bis 1181 verantwortlich. Spannend ist, dass Garnerus später bei der Kompilation des Chartulars B der Abtei Saint-Remi auf die Übertragung der von ihm gefälschten Urkunde verzichtete. Petke bringt dies mit den berühmten Fälscherkonstitutionen Innozenz’ III. von 1198 in Verbindung. Sie waren an den Erzbischof von Reims adressiert und dürften auch in Saint-Remi bekannt geworden sein. Möglicherweise habe Garnerus aus Furcht vor Entlarvung und Bestrafung beim Eintrag in das Kopialbuch weitere verfälschte Texte wieder in ihren Urzustand zurückversetzt (S. 183-185). Insgesamt aber erscheint Garnerus als ehrbarer Fälscher, der das Wohl des Klosters im Blick hatte.

Mit gleicher Sorgfalt geht der Verfasser einer Siegelfälschung in demselben Urkundenbestand nach, die er in die Jahre 1243/44, spätestens aber 1270 datiert. Die nachgeschnittenen Beglaubigungsmittel sollten zwei unverdächtigen Urkunden des Lütticher Archidiakons Hermann aus dem Jahr 1136 ex post mehr Gewicht verschaffen. Der seltene Fund eines Originalbriefs Hermanns an den Abt von Saint-Remi rundet die Untersuchung ab. Ein stattlicher Dokumentenanhang bietet 34 Stücke für Meerssen aus den Jahren 1135 bis 1272 teils in kritischer Volledition, teils als Regest mit den aus der Untersuchung resultierenden Neuerungen. Zahlreiche Abbildungen ermöglichen den Nachvollzug der Ergebnisse, die die Urkundenbasis des hochmittelalterlichen Meerssen nun zuverlässig sichern.

Zwei Jahrzehnte lang erschien kein Buch mehr in den „Studien und Vorarbeiten“. Der neue, inhaltlich disparate Band der Reihe ist ein Monument der Beharrlichkeit. Er demonstriert in seinen beiden Teilen die Tugenden diplomatischer Forschung und macht darüber hinaus deutlich, dass das quellenkritische Kerngeschäft des Mediävisten unbeeindruckt von den zahlreichen Wendungen und Moden der historischen Forschung in unverminderter Weise die Arbeit an verlässlichen Fundamenten der Erkenntnisarbeit sein muss. Leider ebnet kein Register dem Leser den Weg zu den einzelnen Urkunden und Sachthemen. Die Tatsache, dass die eindringlichen Studien aus der Feder zweier Emeriti stammen, sollte im Übrigen nicht als Menetekel begriffen werden.

Anmerkung:
1 Mogens Rathsack, Die Fuldaer Fälschungen. Eine rechtshistorische Analyse der päpstlichen Privilegien des Klosters Fulda von 751 bis ca. 1158, Stuttgart 1989 (Originalausgabe Kopenhagen 1980); Harald Zimmermann (Hrsg.), Papsturkunden 896-1046, 3 Bde., Wien 1984-1989 (revidierte Ausgabe der Bde. 1 und 2 Wien 1989).

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