Cover
Titel
Defending the West. A Critique of Edward Said’s Orientalism


Autor(en)
Warraq, Ibn
Erschienen
New York 2007: Prometheus Books
Anzahl Seiten
556 S.
Preis
$ 29.95
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Wolfgang G. Schwanitz, Rider University, NJ

Wer zuweilen im Buchladen Lehnert und Landrock in Kairo einzukaufen pflegt, kennt das Coverbild zu Ibn Warraqs neuestem Buch auch von der schönen L&L-Kollektion an Kunstpostkarten: das Kairiner Mittagsmal von John Frederick Lewis. Dieser Engländer lebte ein Jahrzehnt bis 1850 am Nil. Dort zeichnet er Skizzen über Land und Leute, die er dann daheim im englischen Landhaus zu recht lebensfrohen Gemälden gestaltet hat. Was Wunder, Christie's versteigerte das Mittagsmahl jüngst für viereinhalb Millionen Dollar.

Ibn Warraq hat dieses Bild auf seinem neuesten Buch über die Verteidigung des Westens bewusst ausgewählt. Denn es ist, wie viele Werke der Orientmaler des 19. Jahrhunderts, durch Edward Said und die Saidianer als absichtliche Verfälschung des Orients attackiert worden. Dieser Orient werde als arm, patriarchalisch, schmutzig und zu beherrschendes Anderes gezeigt. So lautete ihre Kernthese. 1 Das bauten Schulen der postkolonialen und kulturellen Studien aus. Ihnen widersetzte sich auf dem Gebiet der Malerei in New York Kristian Davies mit seinem gediegenen Prachtwerk über die orientalistischen Maler. 2

Aber diese Gegenwehr betraf nur einen Teil der Saidschen Anwürfe in einer bestimmten Ära. Und hierin liegt ein methodisches Problem: da Said seine Kritik als historischen und aktuellen Rundumschlag allzu selektiv angebracht, aber dann stark verallgemeinert hat, zwingt er nun seine Kritiker sowohl in zutiefst konkrete als auch zivilisatorisch abstrakte Bahnen. Dabei verfügte er als Professor für englische Literatur nur über Kenntnisse des Englischen und Französischen, äußerte sich aber zur Orientalistik. Für Angehörige dieser Zunft blieb er ein Aussenseiter, der weder über methodische noch linguistische Mittel für einen tiefen Diskurs verfügt hat. Einige Orientalisten nahmen Said nicht ernst. Sie sehen nun, wie viele Studierende durch ihn auf reduktionistische Nebengleise eines vorgeblich "westlichen Konstruktes vom Orient" als eine "unergründliche Erfindung" geraten sind.

Zum Beispiel verstieg sich der vor acht Jahren in New York verstorbene Said in seinem Buch "Orientalismus" 1978 zu der Behauptung, dass Europäer, sofern sie sich über den Orient äußerten, doch Rassisten, Imperialisten und fast völlige Ethnozentristen gewesen wären. Das war starker Tobak in einem Werk, das nahezu unverändert in 25 Auflagen und drei Dutzend Sprachen bereits im Kalten Krieg zum Kultbuch aufgestiegen war.

Dagegen liefen Orientalisten und andere Akademiker Sturm. Sie enthüllten eine Reihe von Saids Fehlern und Mängeln, etwa die deutschen und russischen Orientalisten nicht beachtet zu haben. Said nahm freilich keinerlei Korrektur an seinem Werk vor. 3 Nun tritt ihm Ibn Warraq entgegen. Der Europäer indisch-pakistanischer Herkunft verfasste sieben Bücher, darunter warum er kein Muslim ist, wo Ursprünge des Korans liegen, was dieser so bedeuten könnte und wie historisch wohl der Prophet Mohammed gewesen sein mag.

Zunächst ein paar Worte über diesen 1946 geborenen Gelehrten. Ibn Warraq trug voriges Jahr zur Gipfeltagung über den säkularen Islam bei, der seine Leitidee ist. Wikipedia hält das Video seines Beitrags unter seinem Namen bereit, der ein Pseudonym ist. Mir kommt er da als graubärtiger, indischer Karl Marx vor. Denn Ibn Warraq ist ebenso ein Rebell. Indes der Deutsche mit Hegels Idealismus rang, Religion "Opium des Volkes" nannte und bald im Londoner Exil lebte, bekämpft der Pakistani gleichwohl ausserhalb der Heimat das Idol Usama Bin Ladin samt extremen Islamismus. Marx und Ibn Warraq haben die politisierte Religion als Manipulationsmittel und als Gefahr für die Aufklärung empört. Andere nennen dieses antiwestliche, religiös fundierte Extrem Okzidentalismus. 4

Ibn Warraqs Idee eines säkularen Islam unterschrieben im floridischen St. Petersburg Reformer wie Irschad Manji und Ayaan Hirsi Ali. 5 Als Muslime und einstige Muslime sind sie für einen aufgeklärten Islam, der nach Europas Vorbild zur Privatsache werden möge. Wie Ibn Warraq zeigt, ist das ein heikler Punkt. Dieser "Sohn des Papiermachers" trifft mit seinen kühnen Thesen auf einen unvorbereiteten Raum. Denn in islamischen Ländern gibt es kaum eine der Bibelkritik ähnliche Tradition.

Im Westen hingegen sind das Alte und das Neue Testament Jahrhunderte unter die Lupe genommen worden. Ebenso ihre Sprachen wie Aramäisch, Hebräisch, Griechisch und Latein. Dieser dort weitgehend normale Prozess geht weiter: entweder reifen da neue Einsichten durch Textfunde oder archäologische Entdeckungen treiben ihn voran. Dazu sagt Ibn Warraq, nur der Westen sei intellektuell derartig neugierig und offen geblieben.

Eine solche kritische Tradition, aus der sich ganze wissenschaftliche Zweige ausgebildet haben, fehlt noch - oder wieder - im Islam. Einst gab es dahingehende Ansätze. Laut Ibn Warraq war es die frühere Ära, als sich auch indische und griechische Ideen befruchtet haben. Dann sei die islamische Offenheit abgestorben. Da Ausgrabungen zum Beispiel in Mekka und Medina verboten sind, liegen Ursprünge einer Weltreligion im Dunkeln.

Das Herumdoktern am heiligen Wort ist dort ein Tabu oder allein beschränkt möglich. Urkoranische Texte fehlen wie historisch-kritische Editionen, die den Namen verdienen. Tiefgehende Werke zum historischen und aktuellen Verhältnis zwischen der westlichen und islamischen Zivilisation werden selten in islamischen Ländern verfasst. Dies zeitigt weitere Probleme, wie Ibn Warraqs schon gefährdetes Leben im Versteck offenbart.

Er weiss, was er sagt. Als Knabe soll er in Pakistan eine Religionsschule besucht haben, ehe er in Edinburgh Arabistik und Philosophie studierte. Er war Schullehrer in London und französischer Restaurantinhaber, bis ihn Ayatollah Khomeinis Todesurteil gegen Salman Rushdie in den Sog seiner Publizistik gerissen hat. Jetzt ist er ein Aufklärer, der um die westlichen Grundwerte ringt. Wie er betont, habe allein der Westen das Rationale, Universelle und Selbstkritische kultiviert.

Doch dies, so mag man im Lichte der kolonialen und technologischen Prozesse ergänzen, führt auch dazu, andere Völker zu beherrschen. Da traf Said ins Schwarze. Er glaubte im Orientalismus ein westliches System der Vormacht über den orientalischen Anderen zu sehen. Viele solcher Anwürfe vermag Ibn Warraq anhand kritischer Texte zu widerlegen. Er zeigt, dass Neugier auf andere Erdteile und Länder nur ein Moment der europäischen Aufklärung war, nicht boshafter Wille einiger gieriger Räuber. Im ersten Schritt knöpft er sich Saids Buch vor, im zweiten Schritt die Wahrnehmung des Orients im Westen und im dritten Schritt die Orientalisierungen in der westlichen Musik, Literatur und Malerei. Da er oft Schlüsseltexte mitliefert, gewinnt sein Band den Charakter eines Referenzwerkes.

All das lotet Ibn Warraq aus. Er erhellt Reaktionen aus orientalischen Räumen, wobei er gut das indische Echo einfängt. Abgesehen von Gelehrten wie Orientalisten, kommen bei ihm große Maler und Musiker nicht zu kurz. Doch ist dies keineswegs die erste systematische Widerlegung Saids, wie der New Yorker Verlag auf dem Cover behauptet. Dieses Verdienst kommt dem britischen Arabisten Robert Irwin mit seinem Buch über die Orientalisten und ihre Feinde zu, das vor zwei Jahren erschien. 6 Da beide Werke den Angriffsrichtungen Saids folgen, sind sie ähnlich. Aber weder im Detail noch im Stil. Indes Irwin gleichwohl elegante Unterhaltung aus der Schatztruhe des Britischen Empires zaubert, schüttet Ibn Warraq den Leser zuweilen mit Wissen zu. Er sieht islamischen Antisemitismus von Anbeginn der dritten großen monotheistischen Religion. Auch der Rassismus wäre ihr nicht fremd gewesen. Hierzu darf er mit viel Polemik rechnen.

Die stetige Selbstkritik sei ein Meritum des Westens, erklärt Ibn Warraq mit Blick auf Saids Sündenliste zu Kolonialimperien weiter. In vielen Zivilisationen seien Verbrechen begangen worden. Doch kam zuerst der westliche Ruf, die Sklaverei, den Rassismus und die Kolonien abzuschaffen und eben an diese Stelle universelle Rechte und Werte zu setzen.

Dennoch: zwei Punkte erhellt Ibn Warraq zu wenig. Orient und Okzident vergehen. Sie lösen sich wandernd auf. Im Südosten der Erde haben Demokratien Wurzeln geschlagen, während man im Nordwesten (wie einst in Rom) das Selbstbewusstsein um eigene Werte zu verlieren droht. Wer ihn liest, könnte meinen, dass der Westen in den Süden driftet, sich also große weltpolitische Inversionen anbahnen. Oder um es anders zu formulieren: islamische Räume rücken nicht nur durch die technologische Revolution näher. Sondern sie prägen sich gleichwohl mit den Migranten in Europa zu grünen Inseln aus. In zwei Traditionen, der euroblauen und islamgrünen, dürfte Ibn Warraqs Buch zur Verteidigung des Westens also besonders viele interessieren wie auch speziell im blaugrünen Europa.

Anmerkungen:
1Ausf. vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezbuecher&id=59295929
2 Besprechung http://www.sehepunkte.de/2005/09/9183.html
3 Ausf. vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezbuecher&id=72777277
4 Ausf. vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezbuecher&id=45014501
5 Ausf. vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezbuecher&id=95319531
6 Ausf. vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezbuecher&id=88078807

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/