S. Panwitz: Gesellschaft der Freunde

Titel
Die Gesellschaft der Freunde 1792-1935. Berliner Juden zwischen Aufklärung und Hochfinanz


Autor(en)
Panwitz, Sebastian
Anzahl Seiten
335 S.
Preis
€ 35,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Inka Le-Huu, Historisches Seminar, Universität Hamburg

In der 2005 in Potsdam vorgelegten Dissertation widmet sich Sebastian Panwitz der Geschichte der „Gesellschaft der Freunde“ von ihrer Gründung 1792 bis zu ihrer erzwungenen Auflösung 1935 und den erfolglosen Restitutionsversuchen in den 1950er-Jahren. Die 1792 gegründete „Gesellschaft der Freunde“ war in ihrer Intention eine Selbsthilfeorganisation unverheirateter Maskilim, die sich den Idealen der jüdischen Aufklärung verpflichtet fühlte. Schon bald rückte jedoch der gesellige Aspekt der Vereinigung in den Mittelpunkt, und die Gesellschaft wurde zu einem kulturellen Zentrum des jüdischen Vereinswesens in Berlin. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der Verein zu einem der wichtigsten gesellschaftlichen Treffpunkte der Berliner Wirtschafts- und Finanzelite. Damit wurde die Gesellschaft auch für Christen attraktiv, die in der Zeit der Weimarer Republik die Mehrheit der Mitglieder stellten. Sowohl in der Außenwahrnehmung als auch in der Intention des Vorstands blieb der Verein jedoch ein jüdischer – eine Tatsache, die 1935 zur Auflösung des Vereins führte.

Die über eineinhalb Jahrhunderte umfassende Vereinsgeschichte betrachtet Panwitz nicht unter einer zentralen Fragestellung (S. 17). Stattdessen gliedert er seine Dissertation nach der inneren Entwicklung der Gesellschaft in vier Hauptkapitel, denen er vier unterschiedliche Leitfragen voranstellt. Zunächst widmet sich Panwitz in Teil II der Gründungsphase der Gesellschaft und untersucht, „welche Rolle der Verein bei der inneren Wandlung des Berliner Judentums um 1800 spielte“ (S. 17). Panwitz sieht die Bedeutung des Vereins darin, dass er weder eine typische Haskala-Gesellschaft noch eine traditionelle jüdische Wohltätigkeitsorganisation war, sondern vielmehr eine Mischung aus beidem. Als ein Zusammenschluss von unverheirateten Männern, einer in der traditionellen Gemeindestruktur nur unzureichend vertretenen sozialen Gruppe, wurde die „Gesellschaft der Freunde“ zu einem Prototyp für neue Interessensvertretungen und bei anderen Vereinsgründungen zum Teil detailliert kopiert.

Zu einem der ersten „Projekte“ der Gesellschaft gehörte ein jüdisches Leichenhaus, in dem der Körper entgegen den traditionellen jüdischen Vorschriften drei Tage bis zu seiner Beerdigung verwahrt und beaufsichtigt werden konnte. Solche Initiativen machten die Gesellschaft insbesondere für die Juden attraktiv, die sich vom traditionellen Judentum abgewandt hatten und selbst vor einer Konversion nicht zurückschreckten. Die Gesellschaft musste sich deshalb schon früh fragen, wie man mit Konvertiten umgehen sollte. Man traf die bemerkenswerte Entscheidung, „dass Religion Privatangelegenheit der Mitglieder sei und den Verein nicht zu interessieren habe“ (S. 51). Eine Mitgliedschaft war also auch für Christen möglich. Sie blieb im 19. Jahrhundert aber eine Ausnahme weniger konvertierter Mitglieder.

Teil III, der die Zeit von 1820 bis 1880 umfasst, beschreibt die kulturelle Bedeutung der „Gesellschaft der Freunde“ für das Berliner Judentum. Hier erläutert Panwitz die Rolle der Gesellschaft innerhalb des jüdischen Vereinswesens in Berlin und analysiert ihre Beziehungen zur Öffentlichkeit. Personell und topografisch bildete die Gesellschaft ein Zentrum des geselligen Lebens der Berliner Juden. Sie vermietete ihr Vereinslokal an andere Vereine und war überdies die Vereinigung, in der sich die „universellen Multifunktionäre“ (S. 121) trafen, jene Männer, die eine Vielzahl von Ämtern sowohl im Vereinswesen als auch der jüdischen Gemeinde und im Berufsleben übernahmen. Von außen wurde die Gesellschaft als Vereinigung des modernen akkulturierten Judentums wahrgenommen. So änderte der im Innenministerium für die „Judenfrage“ zuständige Oberregierungsrat Karl Streckfuß seine Meinung zur Emanzipation der Juden grundlegend, nachdem er eine Feierlichkeit der Gesellschaft besucht hatte. Seit 1840 befürwortete er die rechtliche Gleichstellung der Juden (S. 137f.).

Von jüdischer Seite wurde die Gesellschaft dagegen mehrfach angegriffen, da sie nicht ausreichend „jüdisch“ sei und ihre Religion nicht präsentiere. Für die Mitglieder war die Gesellschaft dagegen eindeutig ein jüdischer Verein. Sie beschlossen, grundsätzlich nur einen Juden zum Vorsteher zu wählen, und räumten dem Judentum einen hohen Stellenwert ein. Dies äußerte sich für sie jedoch nicht in der demonstrativen Zurschaustellung ihrer Religion, sondern als „Pflicht zur religiösen Sittlichkeit“. Die Ausübung der Religion war für die Mitglieder Privatsache und keine Angelegenheit des Vereinslebens.

Ab den 1880er-Jahren wurde die Gesellschaft zu einem der Knotenpunkte im sozialen und ökonomischen Geflecht der Berliner Wirtschafts- und Finanzelite. Im Teil IV seiner Arbeit analysiert Panwitz die Mitgliederstruktur der Gesellschaft mit sozialhistorischen Methoden und zeichnet ein detailliertes Bild von ihrem Netzwerk. Neben dieser Darstellung widmet sich Panwitz in diesem Kapitel auch der Frage, wie sich die Beziehung des Vereins zum Judentum bei einer steigenden Anzahl christlicher Mitglieder entwickelte. Er identifiziert die meisten christlichen Mitglieder als Konvertiten oder deren Nachfahren, die jedoch alle eine positive Beziehung zum Judentum und jüdischen Organisationen hatten und keine Berührungsängste oder Abgrenzungsbedürfnisse gegenüber dem Judentum zeigten. Panwitz bezeichnet sie als „Zwischengruppe“ (S. 185ff) und charakterisiert die Gesellschaft der Freunde zu Beginn des 20. Jahrhunderts als „d i e Organisation der Zwischengruppe“ (S. 189).

In Teil IV rekonstruiert Panwitz die Zerschlagung des Vereins durch die Nationalsozialisten und die Nachkriegsgeschichte, indem er die Schicksale vergleichbarer Berliner Vereine beleuchtet. Zu Beginn der NS-Zeit wurde die Gesellschaft „de-arisiert“, da die meisten christlichen Mitglieder aus der noch immer als jüdischer Verein geltenden Gesellschaft austraten. Von staatlicher Seite wurde die Gesellschaft daher offiziell als jüdisch eingestuft und 1935 verboten. In den 1950er-Jahren versuchten einige der überlebenden Mitglieder, die Vermögenswerte des Vereins zu restituieren und seine Arbeit wieder aufzunehmen. Dieses Vorhaben scheiterte.

Im Fazit bezeichnet Panwitz die Geschichte der Gesellschaft der Freunde „paradigmatisch [für] die Entwicklung eines wesentlichen Teils des Berliner Judentums“ (S. 251). Den Erfolg und den Einfluss der Gesellschaft sieht Panwitz im ambivalenten Wechselspiel von Permanenz und Wandel. Über die gesamte Geschichte des Vereins hatte dessen zentrales Anliegen Bestand: die gegenseitige Unterstützung. Hoch flexibel zeigte sich die Gesellschaft dagegen in der Gestaltung des Vereinslebens und der Zusammensetzung der Mitglieder.

Das Vereinsarchiv der Gesellschaft selbst ist verschollen. Panwitz rekonstruiert die Geschichte des Vereins deshalb fast ausschließlich aus dessen Drucksachen und Zeitungsberichten. Angesichts dieser Problematik ist nur eine lückenhafte Darstellung der Vereinsgeschichte möglich. Panwitz gelingt es jedoch, aus der Not eine Tugend zu machen. Er füllt die Lücken mit Darstellungen über andere Vereine, Biografien der Mitglieder und mit detaillierten sozialhistorischen Netzwerkuntersuchungen. Durch diese kontextualisierenden Beschreibungen entsteht trotz der mageren Quellenlage ein lebendiges Bild von der Gesellschaft der Freunde. Erwähnt werden sollte außerdem, dass Panwitz auch auf den Nebenschauplätzen umfangreiche Archivarbeit und Quellenstudien nicht scheute. Damit ist die Dissertation weit über die Vereinsbiografie der Gesellschaft hinaus ein gut recherchierter Beitrag zur Berliner Stadtgeschichte. Die zweite Stärke der Arbeit liegt in den zahlreichen vorhandenen interessanten Analyseansätzen, wie beispielsweise der Charakterisierung der Mitglieder als „Zwischengruppe“ (S. 185ff.). Bedauerlich nur, dass die meisten Thesen im Rahmen einer Vereingeschichte nicht ausgeführt werden können und somit hypothetisch bleiben. Die Hypothesen, der umfangreiche Kontext und die weitreichende Archivrecherche machen die Arbeit lesenswert und zu einer Fundgrube für weitere Forschungsvorhaben.

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