Meinhardt, Matthias; Ranft, Andreas; Selzer, Stephan (Hrsg.): Mittelalter. . München 2006 : Oldenbourg Verlag, ISBN 978-3-486-57592-7 472 S. € 34,80

: Das europäische Mittelalter, 2 Bde. Bd. 1: Grundstrukturen - Völkerwanderung - Frankenreich; Bd. 2: Herrschaftsbildungen und Reiche 900-1500. Stuttgart 2006 : Kohlhammer Verlag, ISBN 3-17-018972-7, 3-17-019719-3 136 S. + 256 S. € 16,00 + € 20,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Müller, Humboldt-Universität zu Berlin

Der Markt der Einführungen ist unübersichtlich geworden. Vorbei sind die Zeiten, in denen Studierende an erprobten Klassikern wie Ahasver von Brandts „Werkzeug des Historikers“, Heinz Quirins „Studium der mittelalterlichen Geschichte“ oder am „Proseminar Geschichte: Mittelalter“ aus der Feder von Hans-Werner Goetz nicht vorbeikamen, wenn sie den Einstieg in die Mediävistik erfolgreich bewältigen wollten. All diese Klassiker – und viele andere Einführungen mehr! – gibt es als Nachdruck oder in überarbeiteten Auflagen nach wie vor zu kaufen, und sie haben an Nützlichkeit nur geringfügig eingebüßt. Mittlerweile aber steht nicht mehr das klassische Proseminar mit seinem hohen methodischen Anspruch im Zentrum der akademischen Lehre, sondern schlankere Formen der Wissensvermittlung. Der Anspruch, in kürzester Zeit einen dennoch verlässlichen Einblick in das Mittelalter als Epoche und die Methoden seiner Erforschung zu geben, verlangt nach neuen, maßgeschneiderten Hilfsmitteln für die Studierenden; die Verlage produzieren sie bereitwillig.

„An Studienanfänger, die nur ein rudimentäres Wissen über die älteren Epochen haben“(S. 7), aber auch an Examenskandidaten, die ihr Wissen auffrischen wollen, richtet sich die zweibändige Einführung des Mediävisten Jörg Schwarz in der Reihe ‚Grundkurs Geschichte’, der vor allem seine Erfahrungen mit den seit 2000 in Mannheim praktizierten konsekutiven Studiengängen in die Darstellung einfließen lassen konnte. Entsprechend defensiv ist die Reihe konzipiert. Das Vorwort des Herausgebers betont eigens, dass es sich nicht um ein wissenschaftliches Handbuch handele, sondern die Lektüre wissenschaftlicher Handbücher lediglich erleichtern solle (S. 7). Der vorliegende Band geht darüber in wohltuender Weise hinaus. Schwarz entwickelt seine Geschichte des Mittelalters, das er anfangs kurz konturiert, fachlich solide und gut lesbar als politische Geschichte des Kontinents von der Völkerwanderung bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. Auf Methodisches, Hilfswissenschaften und die Geschichte des Faches wird komplett verzichtet. Insofern kann man nur in einem eingeschränkten Sinne von einer Studieneinführung sprechen. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt im mittelalterlichen Reich, die umliegenden Gemeinwesen werden aber in einer polaren „Das-Reich-und-die-Anderen-Struktur“ (vgl. Inhaltsverzeichnis, Bd. 2 S. 5) ebenfalls berücksichtigt. Vorgeschaltet ist ein ausführlicher Abschnitt über die Grundstrukturen des Lebens im Mittelalter. Hier kommen Landwirtschaft, Kloster, Rittertum, Stadt und Universität, schließlich gesellschaftliche Außenseiter vom Bettler bis zu den Juden zur Sprache – das alles notwendigerweise sehr gedrängt; für das Thema Juden stehen insgesamt fünf Seiten zur Verfügung. Abgesehen von den Kreuzfahrerstaaten wird Kirche und Papsttum als politischen Kräften kein eigener Abschnitt gewidmet.

Ein wichtiges Ausstattungsmerkmal der Reihe besteht darin, dass dem auf der linken Seite platzierten erzählenden Text rechts jeweils ein Vertiefungsangebot in Form von Sacherläuterungen, Karten, Quellenauszügen oder Abbildungen gegenübersteht. Man kann also zum Beispiel links vom Kreuzzugsaufruf Urbans II. in Clermont 1095 lesen und rechts den Wortlaut des Berichts aus der Feder des Mönchs Robert aus Saint-Remi in Reims verfolgen. Auf derselben Doppelseite findet sich das Stichwort Jerusalem, dessen Erläuterung sich kontextbezogen auf die politische Situation einer vermeintlich von den Muslimen besetzten Pilgerstätte konzentriert. Meist gelingt es sogar, die Themen auf beiden Seiten exakt zusammenzubringen, so dass der Leser von fett gesetzten Stichworten im Text auf die gegenüberliegende Ergänzung gelenkt wird. Lemmata und Vertiefungsmaterial sind durchweg treffend ausgewählt, die Erläuterungen gehen problemorientiert über das Nötigste hinaus.

Stammtafeln, äußerst knappe Lektürehinweise, Quellenverzeichnisse und Zeittafeln beschließen jeweils die Bände. Leider fehlt ein Register, so dass weder Personen noch Schlüsselbegriffe wie Lehnswesen, Grundherrschaft, Investiturstreit oder Konziliarismus, die in der Fachliteratur stetig vorkommen, vom Leser punktgenau aufzufinden sind; auch ein Glossar hätte hier wertvolle Hilfe geleistet. In dieser Hinsicht fallen die beiden Bände hinter die Marken zurück, die heute als didaktischer Standard angesehen werden. Als nicht unmittelbar einleuchtend empfindet der Rezensent auch die Titelwahl, die unterstreichen soll, dass hier Geschichte in der Perspektive des Kontinents Europa ausgebreitet wird. Wo sonst aber sollte die Rede vom Mittelalter den vertrauten, an den Universitäten gelehrten Sinn haben? Und welchen anderen Anspruch als diesen sollte eine moderne Einführung heute aufweisen? Die vom Verfasser auf Seite 13 diskret gelieferte Bestimmung der europäischen Dimension hätte völlig ausgereicht, und sie ist dem Hinweis auf das „europäische Abendland“ (Vorwort des Herausgebers, S. 7) vorzuziehen.

Die beiden von Jörg Schwarz vorgelegten Grundkurs-Bände bieten einen stark reduzierten, aber soliden Überblick über die politische Geschichte des Mittelalters. Studierende, die diese Bände komplett gelesen haben, dürften im Proseminar hinsichtlich Ereignisgeschichte und allgemeiner Zusammenhänge fraglos eine ordentliche Figur machen und zudem schon in elementarer Weise mit Quellenlektüre vertraut sein. Hier könnte universitäre Ausbildung hoffnungsvoll beginnen, doch steht angesichts der real existierenden Verlaufspläne für die neuen Studiengänge wohl eher zu befürchten, dass damit bereits das Ende in Sicht gerät. Dem Verfasser ist dies freilich nicht anzulasten.

Ein umfassenderes Konzept verfolgt der Mittelalter-Band, für den Andreas Ranft (Halle) sowie seine Mitarbeiter Matthias Meinhardt und Stephan Selzer verantwortlich zeichnen. Nach Auskunft der Herausgeber handelt es sich um eine Einführung in die mittelalterliche Geschichte, die ihr Einsatzgebiet als Elementarbuch im Grundstudium finden soll (S. 7), der Reihentitel charakterisiert es dagegen als Lehrbuch. Die Gliederung des Stoffes erfolgt in vier Säulen. Die ersten beiden sollen einen chronologischen und systematischen Zugriff auf die Epoche ermöglichen, die Nummern drei und vier Methodisches zur Quellenerschließung und Ergebnispräsentation sowie schließlich Informationen zu Geschichte, Struktur und Institutionen der Mittelalterforschung bieten. Der rund 450 Seiten starke Band verbindet also Elemente unterschiedlicher traditioneller Studieneinführungen.

Selbstverständlich musste auch hier ausgewählt werden. Die Darstellung der ersten beiden Teile orientiert sich am polaren Begriffspaar Herrschaft und Genossenschaft. In einem ersten Durchgang wird die europäische Geschichte unter dem Leitaspekt der Monarchie behandelt, während der zweite Teil denselben Durchgang mit den sozialen Gruppen als rotem Faden vollzieht. Dies erscheint in mehrfacher Hinsicht als glückliche Wahl, da einerseits die politische Geschichte aus der Perspektive der Regierenden dargestellt werden kann, andererseits Grundmuster der mittelalterlichen Welt, die vornehmlich in Modellen sozialer Interaktion bestanden, facettenreich von der Familie über das Mönchtum bis zu den Universitäten verfolgt werden. Dass die Gliederung insbesondere im zweiten Teil aus Stichworten wie Kaufmannsgilden, Vasallität oder Nationen besteht, erleichtert dem Leser den direkten Zugriff auf wichtige Phänomene enorm. Auffällig ist die Epochenumschreibung. Das Mittelalter reicht von 300 bis 1500 mit Binnengliederungen um 900 und um 1300; begründet wird dies nicht eigens.

Der erste Teil schließt mit einem Beitrag des Frühneuzeitlers Gerrit Walther (Wuppertal) über „Epochen als Lesart der Geschichte“, der zu den Höhepunkten des Buches zählt und jedem an Geschichte Interessierten nachdrücklich empfohlen sei. Teil zwei verfolgt im beschriebenen Sinne soziale Gebilde und beschließt Früh-, Hoch- und Spätmittelalter mit zwei Lebensbildern, die aufzeigen sollen, was man über Einzelpersonen und ihr Schicksal in den jeweiligen Teilepochen zu sagen vermag. Teil drei behandelt nach einer allgemeinen quellenkundlichen Einführung die klassischen Hilfswissenschaften, vermehrt um quantitative Methoden und Sachkultur, nicht aber die Insignienkunde. Abschnitte über das Recherchieren und Publizieren, die Praxis von Ausstellungen, die Verwendung neuer Medien und ein Stadtrundgang in Halle, der das Erkennen mittelalterlicher Überreste und topographischer Konzeptionen lehrt, runden diesen auf das Handwerk des Historikers zielenden Baustein ab.

Ein wenig irreführend ist die Überschrift des vierten Teils, denn es werden keineswegs nur Einrichtungen der Forschung wie Archive, Bibliotheken und Universitäten behandelt, sondern auch die Geschichte der Mittelalterforschung. Unter Stichwörtern wie ‚Feudalismus’ und ‚Bürgertum’ finden zudem moderne Blickweisen auf das Mittelalter dort Platz und Problematisierung. Der letzte Punkt ‚Orte der Quellenarbeit. Ein Gang ins Landeshauptarchiv Magdeburg’ soll die Brücke zum intensiven wissenschaftlichen Arbeiten schlagen und besitzt damit gemessen an der Intention des Bandes gleichermaßen den Charakter eines Ausblicks wie den eines Appells. Ein Verzeichnis der Abkürzungen, der Autoren sowie ein geografisches und ein Sachregister beschließen den Band. Das Abkürzungsverzeichnis enthält freilich nur Siglen, keine Abkürzungen, so dass zu hoffen bleibt, die Nutzer eines Elementarbuches kommen im Register etwa bei dem Eintrag ‚Grimoald I. (fränk. Hausm.)’ auch auf die richtigen Gedanken zur Auflösung; sie finden diese unter ‚Karlmann (fränk. Hausmeier)’.

Das wohldurchdachte Buch bietet eine Fülle von Informationen in verdaulicher Dosierung und erlaubt dank der klaren Gliederung und der zuverlässigen Register den schnellen, punktgenauen Zugriff auf einzelne Themen. Dabei haben sich die Herausgeber sichtlich bemüht, die Informationsbausteine zu einem Haus des Wissens zu komponieren; nicht von ungefähr erklären sie im allerersten Satz beinahe beschwörend: „Dieses Buch ist keine Enzyklopädie.“(S. 7) Die Sorge kann man ihnen nach der Lektüre nehmen. Der Band zerfällt nicht in eine bloße Stichwortliste, dürfte dennoch in den meisten Fällen aber genau so genutzt werden: zur schnellen und zuverlässigen Information in Sachfragen. Mit einem Lexikon teilt das vorliegende Werk auch den Nachteil, dass vielköpfige Autorenteams unvermeidlich in Stil und Qualität variierende Beiträge produzieren. Ungeachtet dessen gebührt durchgehend der Zuverlässigkeit der Information größter Respekt. Zu den Vorzügen des Buches gehören die überaus zahlreichen Abbildungen, die – in Schwarzweiß gehalten und dadurch mitunter an Charme einbüßend – nie bloß illustrativ sind, sondern dank eingehender Kommentierung eigenständig informieren. Sie tragen allerdings auch zum insgesamt unruhigen Charakter des Buches bei, für den eine recht extreme „Fenstertechnik“ verantwortlich ist. Ständig sind außer Abbildungen und Schaubildern noch Detailskizzen, Zeittafeln oder thematische Exkurse eingeschoben, die einen entspannten Lesefluss vereiteln. Ist geschichtswissenschaftliches Lehren und Lernen – man bedenke den (stammelnden) Reihentitel ‚Oldenbourg Geschichte Lehrbuch’! – in dieser Atemlosigkeit möglich? Fragwürdig werden diese Seitenpfade, wenn sie thematisch dem Haupttext eher fern stehen. So würde man eine Vertiefung zum Thema „Herrschen ohne Staat“(S. 101) – forschungsgeschichtlich passend – eher bei den Ottonen vermuten als in unmittelbarer Nähe der Kreuzfahrer-Herrschaften.

Die Unruhe wird durch das reihentypische Layout noch gesteigert. Die Seiten sind bis an den Rand gefüllt, Querverweise, die als Marginalien gestaltet sind, quetschen sich geradezu in den Text hinein, während am oberen Rand üppiges Weiß regiert. Dies wäre kaum erwähnenswert, wenn nicht der gesamte Band in gewisser Weise Überfülle und Enge signalisierte. Ein solches Fazit täte dem informativen und niveauvollen Band, der sicherlich viele dankbare Benutzer finden wird, sträflich Unrecht. Die Frage sei indessen erlaubt, ob eine modernen Ansprüchen genügende Einführung in die mittelalterliche Geschichte, kombiniert mit Grundlagen der Hilfswissenschaften, der historischen Methodik sowie mit Einrichtungen und Geschichte der Mittelalterforschung nicht schlichtweg zu viel sind für einen einzigen Band. Nicht von ungefähr zerfällt das sonstige Angebot der Einführungen grob in ein handwerklich-propädeutisches und ein inhaltlich bestimmtes Segment.

Die Betrachtung der beiden hier vorgestellten Titel macht einmal mehr deutlich, dass ambitionierte Studierende auch künftig nicht umhin kommen, mehrere Bücher parallel zu benutzen, wollen sie sich im Mittelalter zuverlässig zurechtzufinden.

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