F. Hafez: Islamisch-politische Denker

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Titel
Islamisch-politische Denker. Eine Einführung in die islamisch-politische Ideengeschichte


Autor(en)
Hafez, Farid
Erschienen
Frankfurt am Main 2014: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
267 S.
Preis
€ 51,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hüseyin I. Cicek, Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa EZIRE, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Politische Ideengeschichte gehört zu den Hauptfächern der Politikwissenschaft. Ihr Gegenstand ist die Auseinandersetzung mit politischen Denkern des Abendlandes (wie etwa Augustinus, Hobbes, Aquinas und Locke), deren Einfluss und intellektuellem Erbe für realpolitische Entscheidungen sowie Konstruktionen von Ordnung. Sucht man Literatur zum Thema islamisch-politische Denker im deutschsprachigen Raum, so lassen sich durchaus Bücher finden. Auffallend oft werden diese unter anderem von Islamwissenschaftlern, wie Tilmann Nagel, publiziert.

Das gegenwärtige Interesse am islamisch-politischen Denken verdankt sich selbstverständlich auch den verschiedenen Konflikten zwischen Islamisten und westlichen sowie nicht-westlichen Staaten. Farid Hafez möchte im Wesentlichen aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive auf die Frage des politischen Denkens in der islamischen Tradition blicken (S. 18). Aus gutem Grund, denn auch wenn verschiedene deutsch- und auch englischsprachige Wissenschaftler sowie Lexika das politische Denken innerhalb der islamischen Geschichte dokumentieren und analysieren, so muss „[i]n diesem Zusammenhang […] die Kritik Hamids erwähnt [werden], wonach lediglich 18% des arabisch-sprachigen Materials zum politischen Denken [beispielsweise] aus dem Mittelalter als erschlossen gelte und damit die akademischen Debatten nur einen Bruchteil davon widerspiegeln“ (S. 18). Abgesehen von der eben erwähnten Kritik ist es auch gewagt, wie der Autor festhält, „islamisches Gedankengut mithilfe westlicher Denkkategorien“ zu untersuchen (S. 18). Beispielsweise führt er an, dass die aus der europäischen Religionskritik entstandene marxistische Haltung, „Religion als eine »illusorische Gemeinschaftlichkeit« [zu verstehen]“, deren Hauptziel es ist, die wahren ökonomischen und politischen Herrschaftsziele zu verschleiern, eine genuin europäische Erfahrung ist, die nicht auf die islamische Geschichte umgelegt werden kann (S. 18). Für den politischen Islam gelte, „dass dieser als sozialer Protest und politische Opposition gegen die herrschenden Eliten aufgetreten ist“ (S. 18). Zusätzlich verweist Hafez auf die generelle Diskussion zwischen politischer Theologie und politischer Philosophie (S. 21ff). Während erstere als eine Ordnungslehre charakterisiert wird, die sich nach religiöser Offenbarung richtet, wird letzteres als eine Ordnungsquelle ausgezeichnet, die sich auf die menschliche Vernunft stützt (ebd.). Das Buch zeigt, dass sich die verschiedenen islamisch-politischen Denker, die von ihm analysiert worden sind, durchaus der verschiedenen politisch-theologischen und politisch-philosophischen Herausforderungen bewusst waren/sind und kontrovers zu argumentieren wussten bzw. wissen.

Hier sollen, obwohl der Autor in mehr als 15 Kapiteln verschiedene Denker analysiert – al-Fārābī, Nizām al Mulk, Ibn Taymiyya, Ibn Khaldun, Afghāni (zusätzlich Ridā u. al Rāziq), Muhammad Iqbāl, Esad Bey, Hassan al-Bannā, Sayyid Qutb, Muhammad Asad, Khomeini, Nasr Hāmid Abū Zaid, Elijah Muhammad u. Qaradāwī – nur zwei islamisch-politische Denker näher dargestellt werden, wurden die islamisch-politischen Denker, unabhängig von Raum und Zeit, ja mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert. Ihre Lehren einer guten Ordnung nähren sich gerade von der „Ambiguitätstoleranz“ des Korans1, anderen islamischen Schriften und Denkern sowie historischen Herausforderungen und Erfahrungen.

Die Frage nach der richtigen Ordnung war beispielsweise nicht nur zentral in der griechischen Antike, sondern auch innerhalb der islamischen Geschichte. Das Denken von al-Fārābī, ca. 878 bis 950 n.Chr., kennzeichnet, dass er der islamischen Lehre von Ordnung innerhalb der antiken Diskussionen einen Platz zuweisen will (S. 44). Somit charakterisiert er die vorislamische Zeit nicht einfach als „Dschahiliyya“ (Zeit der Unwissenheit), sondern als eine Vergangenheit, die der islamisch-politischen Ordnungsvorstellung klare Antworten abverlangt. Erwähnt werden sollte an dieser Stelle, dass es vor allem al-Fārābī zu verdanken ist, dass die Schriften Platons sowie Aristoteles Eingang in die islamische Welt finden. Ähnlich wie antike Denker wollte auch al-Fārābī, dass der Staat von Philosophen und Intellektuellen geleitet wird, damit das einfache Volk, durch die Nachahmung der richtigen Vorbilder, zu seinem Glück findet. Somit ist bei al-Fārābī deutlich zu erkennen, dass die politische Gemeinschaft keinen „Selbstzweck“ erfüllt und dass das Politische, genauso wie die Staatsführung, im Dienste des Volkes stehen und bestmöglich zur Wohlfahrt aller Mitglieder beitragen müsse. Die richtige Autorität bzw. die richtige Ordnung ist bei al-Fārābī nicht (nur) an eine religiöse Offenbarung gebunden, sondern entwickelt sich im Wechselspiel zwischen Philosophie und Theologie.

Al-Afgahānī, 1838–1897, gehört zu jenen islamisch-politischen Denkern, die Religion und Moderne bzw. Islam und Moderne miteinander versöhnen wollten. Das „lange 19. Jh.“ war aufgrund der Kolonialisierungspolitik der europäischen Mächte, eine herausfordernde Zeit für islamische Staaten. Al-Afgahānī zieht in seinen Lehren sowie politischem Engagement Parallelen zu Luther. Der kritische Umgang mit der Heiligen Schrift führte Luther und seine Anhänger dazu, klerikale Autoritäten sowie ihren Umgang mit der Religion zu kritisieren und einen neuen Umgang mit der Bibel zu propagieren. Für Al-Afgahānī, so Farid Hafez, war die kritische Auseinandersetzung mit seiner Zeit eine Notwendigkeit, die die Religion sowie Philosophie mitverschuldet haben. Zugleich zeigen die Ausführungen über Al-Afgahānī, dass auch in der islamischen Geschichte „Religion als Opium“ eingesetzt wurde, wie der Protest eines Al-Afgahānī und auch von anderen wichtigen Denkern gerade gegen die rigide Haltung der islamisch-politischen Tradition des „taqlid“ gelesen werden muss. Mit Blick auf die Herausforderungen (bspw. die Kolonialherrschaft der Europäer im Nahen Osten sowie Indien), mit denen sich Al-Afgahānī auseinandersetzen musste, wird rasch erkennbar, dass seine islamisch-politische Lehre keine Autorität akzeptieren konnte, die sich (nur) auf eine religiöse Offenbarung stützte. Gleichzeitig war eine Berufung (nur) auf politische Philosophie für ihn ebenso zu wenig, da islamische Herrscher immer wieder ihr unvernünftiges politisches Handeln unter Beweis gestellt hatten. Farid Hafez zeigt deutlich, wie gerade das „dialektische Verhältnis“ zwischen politischer Theologie und Philosophie für Al-Afgahānī von Bedeutung war.

Insgesamt bietet das Buch Laien und Kennern der islamisch-politischen Tradition einen guten Überblick sowie vertiefende Analysen. Ganz deutlich zeigt der Autor, dass die islamisch-politischen Denker weder weltfremd noch von einer Transzendenz-Obsession geleitet sind. Vielmehr verstehen alle Denker das Zusammenspiel – wie bereits oben erwähnt – von Politik und Religion als ein dialektisches Verhältnis. Ohne Zweifel: Farid Hafez hat mit seinem Buch einen wichtigen Beitrag für die Politikwissenschaft geleistet. Darüber hinaus stimmt der Rezensent mit dem Autor überein, dass das vorliegende Werk „ein längst überfälliges Überblickswerk in deutscher Sprache [darstellt], das die Grenzen verschiedener Disziplinen – der Islamwissenschaft, der Geschichte, der Philosophie […], sprengt, und hofft gleichzeitig, ein Ansporn für weitere Forschungen und Arbeiten in diesem Bereich zu sein“ (S. 41–42).

Anmerkung:
1 Thomas Bauer, Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams, Berlin 2011.

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