Cover
Titel
Translatio/n. Narration, Media and the Staging of Differences


Herausgeber
Italiano, Federico; Rössner, Michael
Anzahl Seiten
230 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Jan Surman, Wien

Als eine der jüngsten Wenden in den Geistes- und Kulturwissenschaften machte der translation turn eine eindrucksvolle Karriere, die sich just in letzten Jahren in einer Reihe der aus der deutschsprachigen Wissenschaft stammenden, beachtlichen Variation, zum Thema kulturelle Übersetzung, Transkulturalität und Ideentransfer, niederschlug. Der vorliegende Band entstammt einer an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften veranstalteten Tagung und illustriert den neuen methodologischen Zugang der „Translatio/n“ anhand einer Reihe aussagekräftiger Beispiele. Der Band versucht dabei selbst einen translatorischen Vorgang in Gang zu setzen: Der als Titel gewählte Neologismus Translatio/n führt in englischer Sprache eine ähnliche konzeptuelle Trennung ein, wie zum Beispiel auf Deutsch oder Spanisch zwischen interlingualer Übersetzung und kultureller Translation unterschieden wird. Translatio/n wird eingangs als „the performative negotiation of differences between identity constructions“ (S. 12) definiert, was das Spielfeld der Translationstheorie in Richtung Postkolonialer Studien aber auch Transmedialität erweitert und dadurch dem statischen Begriff des Über-Setzens und den Studien von „translation proper“ alternative Fragestellungen eröffnet. Mit Anlehnung an Homi Bhabha und Boris Buden/Stefan Nowotny1 fordern die Herausgeber Translatio/n als grundlegenden Aspekt von Kultur/Zivilisation zu sehen, dessen Eigenschaften subversives Potential für unsere fundamentalen Ideen haben. Dennoch, oder gerade deswegen, bleibt Translatio/n ein plastisches, anpassungsfähiges Konzept, das sowohl analytisch den Blick in die Vergangenheit schärft, als auch ein zukunftsweisendes sozialpolitisches Paradigma darstellen kann.

Nach einer knappen Einführung, die das Konzept umreißt, folgt Walter Mignolos Analyse dem Potential der translatorischen Wende für die postkolonialen Studien. Durch das westliche Wissensmonopol dienten Übersetzungen in der Moderne der imperialen Expansion und auch nach dem Zusammenbruch kolonialer Systeme und der Dreiteilung der Welt sind sie keineswegs neutral. Wissenschaftler aus einst kolonisierten Ländern werden selten übersetzt, vielmehr besteht für sie der Anspruch, ihre Werke in englischer Sprache zu schreiben, was letztlich die im Kolonialismus ausgebildeten Formen sprachlicher Hierarchien verfestigt. Jedoch zeigt Mignolo am Beispiel von „Nueva Corónica y Buen Gobierno“, einer um 1615 von dem Quechua-sprechenden Guaman Poma de Ayala in spanischer Sprache verfassten kritischen Beschreibung der Zustände in dem neuen kolonialen Gebiet, dass die Übersetzung auch zur subalternen Strategie der „Stimmerhaltung“ gehörte: de Ayala setzte in der Chronik einen Gegenpart zu den in Spanien verfassten kolonialen Fremdbeschreibungen, obwohl er seine Lebenserfahrung und Gefühle in einer für ihn fremden Sprache ausdrücken musste. Dieses Beispiel zeigt, dass Translatio/n sowohl als kolonialistisches wie auch als dekolonialistisches Instrument fungieren konnte und kann: Bei kolonial/dekolonial handelt es sich so verstanden nicht um eine Dichotomie, sondern um wechselseitig miteinander verflochtener Teile desselben Prozesses.

Das hiermit eingeführte anti/koloniale Potential der Translatio/n führt Herausgeber Michael Rössner mit der Einführung der Ideen von Translation als mimesis/imitatio und als (intermedialem) Transfer weiter. Am Beispiel der ersten Übersetzung von Petrarcas Gesamtwerk ins Spanische durch Enrique Garcés zeigt er, wie der in der peruanischen Peripherie schreibende Übersetzer die europäischen Intelektuellen verspottete und Probleme seines Landes in Petrarcas Italien einschreibt. Als ein höherer Grad von imitatio und aemulatio kommt diese Übersetzung der mimesis anderer Texte nahe. Das Werk von El Inca Garcilaso de la Vega dient Rössner dazu, diesen Punkt weiter zu konkretisieren und zu zeigen, wie eine Translation von inkaischen Ritualen, Alltag und Regierungssystem in einen spanischen Text nicht nur Informationsfunktion hatte, sondern auch die Kulturen verband. El Inca entwarf in seinen Schriften zwei Systeme, deren Funktionen dem Alten und Neuen Testament bzw. Johannes dem Täufer und Christus entsprachen, und mit deren Hilfe er die alten Kolonisierten/Kolonisatoren (Inkas) und neue Kolonisatoren (Spanier) in eine funktionale Verbindung brachte.

Die Frage des von Rössner angesprochenen subversiven Potentials der Translatio/n findet in den Artikeln von Michaela Wolf und Camilla Miglio eine Erweiterung in Richtung Praxis. Wolf widmet sich den Migrationsprozessen, die sie als von „restless hybrids“ (Nikos Papastergiadis)2 getragene Keime des Widerstands gegen Homogenisierung und gesellschaftliche Standardisierung sieht. „[Through Translatio/n ] we link [...] the concept of ‘cultural translation’ to the other ‘ingredients’ of the theory of ‘migration as translation [...] we can become aware of the processuality of migration and the transactions, appropriations, negotiations and mediations involved“ (S. 83). Resistenz, diesmal gegen die akademische Konzentration auf Nationalliteraturen, ist auch Ausgangspunkt von Miglios’ Überlegungen zur “vita activa of translation”. Mit Verweis auf Hannah Arendt und auf die Performativität des Sprechaktes sieht Miglio die Möglichkeit durch Translation nicht nur den Anderen, sondern auch sich selbst und die eigene Sprache neu zu verstehen.

Das Verstehensproblem, dass durch Translatio/n neu gestellt werden kann, wird in zwei weiteren Beiträgen behandelt: Birgit Wagner und Roberto Dainotto beschäftigen sich mit der Frage des erfolgreichen interkulturellen Verstehens, beide mit Verweis auf den in der Translationstheorie selten wahrgenommenen Antonio Gramsci. Auf Grundlage von Gramscis Theorie und Übersetzungspraxis unterstreicht Wagner seine Idee von con-passionalità (Einfühlung), die auf Translation/n bezogen „an attitude of sharing feelings and passions, and the disposition for non-hierarchical communication“ (S. 63) darstellt. Der Gedanke vom Zuhören mit Empathie, so Wagner, verbindet den marxistischen Denker mit Homi Bhabha und Gayatri Chakravorty Spivak und ihren Überlegungen zu Subalternität. Gramscis Translationstheorie wird in Dainottos Artikel am Beispiel des erfolgslosen Revolutionsexports aus Frankreich nach Neapel 1799 exemplifiziert. Erfolgreiche Translation müsse „aktiv“ sein und dürfe sich nicht auf eine passive Wiedergabe reduzieren: sie müsse sowohl das linguistische und kulturelle System als einen „historischen Block“ in Gramscis Worten begreifen und auf der Grundlage dieser Totalität Vermittlungsprozesse gestalten (S. 200).

Dass kulturelle Übersetzung nicht einfach Übertragung von Inhalten von einem in einen anderen Kontext darstellt, wird in den weiteren Artikeln noch deutlicher. Christopher Balme bespricht in seinem Beitrag den Transfer der Institution des Theaters nach Ägypten, das er durch das Prisma der Modernisierung liest. Neue westliche Institutionen – Theater, Zirkus und Oper – waren zwar in Imperialismus und Kolonialismus involviert, dienten aber unter Ismail Pascha auch dazu, in Kontakt mit europäischen Metropolen zu treten, was schließlich auch Anerkennung für autochthone theatralische Kunst mit sich brachte. Das Thema von der autochthonen Ermächtigung wird im Beitrag von Madina Tlostanova weitergeführt, die mit Einbeziehung der Translationstheorie von Jurij Lotman und der Transkulturationstheorie von Fernando Ortiz Fernández die Dekolonialisierungsprozesse in der Kunst post-sowjetischer Staaten anspricht. Dass Translatio/n nicht bloß mit Widerstand gleichgesetzt werden kann, sondern den Forscher auf die Suche nach Identitätskonstruktionen schickt, daran erinnert Federico Italiano. Für ihn dienen Translate, hier die geopoetischen re-Orientierungen, auch dazu, Identitätsdifferenzen auszuhandeln, was er an Beispielen der Aushandlung von kulturellen Kategorien von Nord-Süd bei Olaus Magnus‘ Carta Marina und der re-Kodierung des Westens „according to a transnational experience of alterity“ (S. 218) in „Spaghetti-Western“ verdeutlicht.

Wie die Beiträge von Werner Telesko und Matthias J. Pernesdorfer zeigen, beschränkt sich der Nutzen von Translatio/n nicht auf koloniale und postkoloniale Themen. Pernersdorfer zeigt am Beispiel des Stücks „ABC-Schütz“ (1754), wie der Text eines Theaterstücks binnen 200 Jahren in immer neue Kontexte übersetzt wurde, nicht nur was die Sprache und die meta-textuellen Anspielungen, sondern auch was die Gattung betraf (von der Burleske in eine Posse mit Gesang). Haben wir es bei „ABC Schütz“ auch mit einem Beispiel von Transmedialität zu tun – Translation des Textes in eine Performance – so widmet sich Telesko einer anderen Facette dieses Prozesses, der Schriftbildlichkeit. Am Beispiel eine Flugblatts auf Kaiser Ferdinand II (1636) und der darin enthaltenen propagandistischen Kreuzsymbolik illustriert er das Wechselspiel zwischen Sprache und Bild, das nicht nur gegenseitige Verstärkung, sondern auch „conflict and competition between the participating media in terms of hierarchy“ (S. 158) miteinschließt.

Der Band bietet eine kohärente Darstellung des neuen Zugangs und seines Nutzens, sowohl in der Frage wie man Quellen durch das Prisma der Translatio/n lesen kann, wie auch wie der Komplex „Kultur als Übersetzung“ die in den historischen Wissenschaften eingefahrenen Denkgewohnheiten aufbrechen kann. Durch die Kernpunkte Identität und deren Aushandlung sowie kulturelle Hegemonie, lässt er sich durchaus auch als ein Gegen- oder Erweiterungskonzept der Zugänge von transnationaler und Globalgeschichte, wie auch der Verflechtungsgeschichte, verstehen. Dazu wird von dem Leser auf jeden Fall einiges an Abstraktionsvermögen verlangt, um sich von den thematisch variablen und sehr dichten Beiträgen nicht erdrücken zu lassen und dem theoretisch-konzeptuellen Faden zu folgen. Dem hilft auch nicht, dass diese Themen ausschließlich in der nur wenige Seiten umfassenden Einleitung explizit angesprochen werden und der Leser das Konzept mithilfe der Artikel selber präzisieren muss. Fast alle Artikeln setzten sich zwar mit der Identität- und Differenzaushandlung auseinander, dennoch gerade bei den Beiträgen zu Transmedialität fehlt die Verbindung zum diesem Leitthema des Bandes. Zudem wenden die Artikel, die ohnehin unterschiedlicher Qualität sind, den Begriff der Translatio/n nicht sehr konsistent an, was gerade für die Durchsetzung neuer Termini wichtig wäre.

Anmerkungen:
1 Homi K. Bhabha, The Location of Culture, London 1994; Boris Buden / Stefan Nowotny, Cultural Translation. An Introduction to the Problem, in: Translation Studies 2 (2009), S. 196–219.
2 Nikos Papastergiadis, Restless Hybrids, in: Rasheed Araeen / Sean Cubbitt / Ziauddin Sardar (Hrsg.), The Third Text Reader: On Art, Culture and Theory, London 2002, S. 166–176.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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