D. Robnik u.a. (Hrsg.): Film als Loch in der Wand

Titel
Film als Loch in der Wand. Kino und Geschichte bei Siegfried Kracauer


Herausgeber
Robnik, Drehli; Kerekes, Amália; Teller, Katalin
Erschienen
Anzahl Seiten
222 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Annegarn, Georg-Eckert-Institut für Internationale Schulbuchforschung, Braunschweig

Der Filmtheoretiker Drehli Robnik und die Germanistinnen Amália Kerekes und Katalin Teller haben mit „Film als Loch in der Wand – Kino und Geschichte bei Siegfried Kracauer“ einen Tagungsband vorgelegt, der sich dem Film- und Geschichtsdenken Siegfried Kracauers widmet. Zugrunde liegt der Veröffentlichung ein Workshop, der vom 4. bis zum 7. November 2009 in Budapest und Wien stattfand. Anlass war die Veröffentlichung der Übersetzungen von Kracauers „Detektiv-Roman“ und „History. The Last Things Before the Last“ ins Ungarische und die Veröffentlichung der deutschsprachigen historisch-kritischen Ausgabe von „History“.1

Siegfried Kracauer gilt als einer der Begründer der Filmsoziologie, und spätestens sein Werk „History“ zeigt auch deutlich seine Bedeutung als Geschichtsphilosoph. Seine ideologiekritischen Analysen und gesellschaftlichen Einordnungen von Filmen aufgrund kollektivpsychologischer Annahmen wirkten nachhaltig auf die Filmgeschichtsschreibung, so dass kaum ein Weg an Kracauers Werken „From Caligari to Hitler“ und „Theory of Film“ vorbeiging. In neueren Untersuchungen der letzten Jahre wurde Kracauers große Analyse des Weimarer Kinos jedoch methodisch zumindest angezweifelt. Thomas Koebner kritisierte 2003, dass Kracauer dem Charme erlag, das Weimarer Kino und die Ereignisse, die zur „Machtergreifung“ führten, allzu deterministisch zu deuten.2 Nichtsdestotrotz prominent ist gerade „Theory of Film“ in den einzelnen Aufsätzen des vorliegenden Bandes vertreten. Die Mehrzahl der 13 Beiträge befasst sich mit Film- und Bildtheorie und deren Verbindung mit der Geschichte innerhalb Kracauers Denkens. Der Sammelband ist in die beiden Bereiche „Bilder und Subjekte“ und „Vermittlungen von Geschichte“ unterteilt und verzichtet auf eine Einleitung. Stattdessen wird ein so genannter „Trailer“ vorangestellt, in dem jeweils ein Kracauer-Zitat mit einer Stellungnahme der Autoren des Bandes verknüpft wird. Da ohne Einleitung im eigentlichen Sinne die Gliederung sich allein durch das Inhaltsverzeichnis erschließt und die beiden strukturierenden Kategorien im Ungefähren verbleiben, bleibt ebenso unklar, welche Fragestellung den einzelnen Beiträgen gemein ist.

Der Historiker als detektivischer Spurenleser und die methodischen Probleme, die sich aus Kracauers interdisziplinärem Zugang ergeben, kennzeichnen den dem Bereich „Bilder und Subjekte“ zugeordneten Beitrag von Katalin Teller mit dem Titel: „‚Ein Windhauch konnte die Gebäude des Verstandes und der Macht stürzen, solange ihr Fundament das Menschenlebens war‘. Der Stellenwert des Zufälligen und Ironischen im Detektiv-Roman“. Zwar befasst sich die Autorin nicht wie die anderen Beiträge des Tagungsbandes mit „History“ oder „Theory of Film“, doch versucht sie ihren Aufsatz in dem Band zu verorten, indem sie postuliert, Kracauers Traktat „Detektiv-Roman“ beruhe auf demselben Raumbegriff wie „History“. Worin dieser besteht, lässt sie aber offen. Einleuchtender erscheint die Feststellung, dass „Detektiv-Roman“ dem Selbstverständnis des Historikers als detektivischem Spurenleser wichtige Impulse gab. Laut Teller zeigten sich im Hinblick auf spätere Veröffentlichungen Kracauers im „Detektiv-Roman“ bereits sowohl Brüche, wie die Umwertung des Zufalls vom literarischen Kunstgriff hin zur produktiven Funktion, als auch Kontinuitäten, wie die Bedeutung des Fragmentarischen für den erkenntnistheoretischen Gewinn. Mit dem Diktum Kracauers, Geschichte lasse sich nur von ihrem Ende her produktiv erzählen, schließt Teller (S. 69). Eine Einsicht, die im frühen Traktat über den Detektivroman noch fehle, obwohl die Geschichtserzählung ebenso wie der Detektivroman eine imaginative Komponente aufweise, in der der Erzähler eine Tendenz zum selbstreflexiven Spiel eingehe. Daraus folgert sie, dass sich „Detektiv-Roman“ als historisch verankerte Konzipierung sowohl einer Gattungs- als auch einer Gesellschaftstheorie lesen lasse. Inwiefern diese Lesart neue Impulse für die Kracauer-Forschung im speziellen und die Gesellschaftsgeschichte im Allgemeinen gibt, lässt die Autorin leider offen.

Die Vermittlung von Vergangenem im Film und insbesondere die Unterscheidung von Erzählzeit und erzählter Zeit ist Gegenstand des Beitrags von Nia Perivolarpoulou mit dem Titel „Zeit der Geschichte und Zeit des Films bei Siegfried Kracauer“, der folgerichtig in den Bereich „Vermittlungen von Geschichte“ eingeordnet wurde. Die Techniken, mit denen in Filmen auf vergangene Ereignisse Bezug genommen wird, wie die Erzählung beispielsweise durch einen in der Geschichte bereits toten Erzähler vorangebracht wird, thematisiert die Autorin zu Beginn kurz. Darauf aufbauend zeigt sie, wie Kracauer in „History“ mit der Figur des Ahasver, des ewigen Wanderers, einen Erzähler einführt, der als einziger die Entwicklungen und Übergänge der Geschichte kenne. Erst im Moment seiner Auflösung, im Moment, in dem sich der Fluch des ewigen Lebens aufhebt, sei dieser imstande auf seine Wanderungen durch die Zeiten zurückzublicken. Diese Vision des Sterbenden analysiert Kracauer in „Theory of Film“ an verschiedenen Beispielen wie „Moulin Rouge“ (GB 1952), in seinem Buch „Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit“ und am Beispiel besagten Ahasvers in „History“. Obwohl diese Denkart der Vision des Sterbenden bereits bei Bergson auftaucht, bezieht sich Kracauer hier nicht explizit auf diesen. Die Autorin sieht darin den Versuch Kracauers, das Problem der Zeit nicht aus philosophischer Sicht anzugehen, sondern sie mit Hilfe von Kunsthistorikern, Anthropologen und Historikern zu definieren und mit den Instrumenten der Geschichtswissenschaft zu beschreiben. Am Ende seiner Darstellung über die Zeit in „History“ stellt Kracauer einen engen Zusammenhang zwischen der Heterogenität der Zeit und der Heterogenität des Raumes her. Die Verschränkung dieser beiden Dimensionen lasse sich am besten an der Vision des Sterbenden Offenbach festmachen, der kurz vor seinem Tod seine letzte Komposition hört und dabei vor seinem inneren Auge Passagen seines vergangenen Lebens mit den Melodien verknüpft. Dadurch schaffe es Kracauer, so Perivolarpoulou, sich dem philosophischen Problem der Zeit durch das Kino anzunähern und dieses zu illustrieren.

Insgesamt betrachtet werfen die beiden hier vorgestellten Beiträge ebenso wie die restlichen Aufsätze im Band einzelne Schlaglichter auf verschiedene Aspekte von Kracauers Film-, Geschichts-, und Kulturtheorie. Die Zusammenstellung erscheint mitunter willkürlich. Wie bereits festgestellt, hätte hier ein einführendes Kapitel den Einstieg in den Band wesentlich erleichtert und das dahinterstehende Konzept möglicherweise verdeutlicht. Wer sich für kurze Einblicke in die verschiedenen Deutungsweisen von Kracauers Werken „History“ und „Theory of Film“ interessiert, dem seien einzelne Beiträge des Tagungsbandes aber empfohlen.

Anmerkungen:
1 Siegfried Kracauer, Geschichte – Vor den letzten Dingen, in: ders., Werke, Bd. 4, hrsg. von Ingrid Belke, Berlin 2009.
2 Thomas Koebner, Von Caligari führt kein Weg zu Hitler. Zweifel an Siegfried Kracauers „Master“-Analyse, in: ders. (Hrsg.), Diesseits der „Dämonischen Leinwand“. Neue Perspektiven auf das späte Weimarer Kino, München 2003, S. 15–38.

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