Cover
Titel
Wirtschaftsgeschichte. Entstehung und Wandel der modernen Wirtschaft


Autor(en)
Hesse, Jan-Otmar
Reihe
Historische Einführungen 15
Erschienen
Frankfurt am Main 2013: Campus Verlag
Anzahl Seiten
242 S.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Lutz, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die historischen Einführungen aus dem Campus-Verlag richten sich an Studierende und Promovierende. Sie sollen einen Überblick über das Themenfeld geben und sind auf eine Verwendung in der Lehre und im Studium ausgerichtet. In der Einführung „Wirtschaftsgeschichte. Entstehung und Wandel der modernen Wirtschaft“ des Bielefelder Historikers Jan-Otmar Hesse ist die Umsetzung ausgezeichnet gelungen – sowohl aus Sicht des Rezensenten als auch im Praxisversuch mit den Studierenden einer wirtschaftshistorischen Lehrveranstaltung.

Das Buch gibt keinen allgemeinen Überblick über die Wirtschaftsgeschichte in ihrer ganzen Breite. Hesse beschränkt sich vielmehr auf die historische Entwicklung dessen, was er als moderne Marktwirtschaft westlicher Prägung seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert versteht, sowie eine Einführung in die methodischen Herangehensweisen der Wirtschaftsgeschichte an ihren Untersuchungsgegenstand. Wer sich also mit wirtschaftshistorischen Fragen zu konkreten historischen Epochen wie beispielsweise zum Kaiserreich beschäftigt, könnte auch auf entsprechende Einführungen zurückgreifen.1 Thematisch fokussiert Hesse auf sechs große Themenfelder, die zentrale wirtschaftshistorische Themen behandeln. Diese Eingrenzung erlaubt es ihm, die ausgewählten Themen in einer für eine Einführung bemerkenswerten analytischen und empirischen Tiefe vorzustellen.

In einer knappen Einleitung gibt Hesse einen ideengeschichtlichen Überblick über das wirtschaftshistorische Denken von der Historischen Schule über die New Economic History bis hin zur kulturalistischen Öffnung der Wirtschaftsgeschichte. Bereits in diesem einleitenden Kapitel wird deutlich, dass auch Leserinnen und Lesern ohne Vorkenntnisse ein leicht verständlicher Zugang zum Gegenstand ermöglicht wird. Insbesondere helfen die übersichtlichen Erläuterungen in abgegrenzten Textboxen, Begriffe wie „property rights“ oder wissenschaftliche Kontroversen wie die zur „Weber-These“ einem allgemeinen Publikum verständlich zu machen. Einem einheitlichen theoretischen Paradigma folgt die Einführung nicht, auch wenn mehrfach auf institutionentheoretische Ansätze rekurriert wird. Hesse weist vielmehr zu Recht auf die theoretische und methodische Pluralität hin, die das Fach seit der Jahrtausendwende prägt (S. 19).

Auf die Einleitung folgen die sechs inhaltlichen Hauptkapitel des Buchs. Den Anfang macht eine Einführung in wirtschaftliches Wachstum und die Entstehung des Kapitalismus, der sich die Kapitel zu Einkommensungleichheit und Konsum, zur Geschichte des Unternehmens in der modernen Wirtschaft, zum wirtschaftlichen Handeln von Staaten, zur Geschichte des Geldes sowie zuletzt zur Globalisierung anschließen. Alle Kapitel sind übersichtlich strukturiert und beginnen jeweils mit einer kurzen Einführung in die Systematik der Gliederung, die eine gute Handhabung ermöglicht. In diesen sechs thematischen Kapiteln werden einige zentrale Fragen der Wirtschaftsgeschichte angesprochen, wie diejenige nach den Ursachen der industriellen Revolution oder nach den Wohlfahrtseffekten von Freihandel – Fragen also, die auch bei einem breiteren studentischen Publikum auf Interesse stoßen dürften.

Es ist nicht das Ziel des Buchs, die Entwicklung der modernen Wirtschaft chronologisch zu erzählen. Dennoch finden sich in einzelnen Unterkapiteln chronologische Überblicke zu bestimmten Themenbereichen, beispielsweise zur Entwicklung des Unternehmens als zentrale marktwirtschaftliche Organisationsform. Damit lassen sich exemplarisch wirtschaftshistorische Entwicklungslinien auch über einen langen Zeitraum verfolgen, was besonders für Studierende ohne Vorkenntnisse eine wertvolle Hilfestellung geben dürfte. Im kurzen Ausblick diskutiert Hesse den Nutzen der Wirtschaftsgeschichte und grenzt das Fach als eigenständige Disziplin klar von einer „mechanistischen“ Vereinnahmung durch die wirtschaftswissenschaftlichen historical economics ab (S. 199). Er zeigt Betätigungsfelder auf, die als möglicher Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung der Disziplin dienen können. Hier ist beispielsweise die Anbindung der Wirtschaftsgeschichte an die Neue Wirtschaftssoziologie zu nennen, die von Hesse mehrfach angeregt wird.

Hesse gelingt es durchgehend, die behandelten Konzepte und wirtschaftshistorischen Problemstellungen anschaulich mit empirischen Beispielen zu unterfüttern. Dabei ist hervorzuheben, dass diese Beispiele nicht nur die deutsche Wirtschaftsgeschichte betreffen. Vielmehr beinhaltet das Buch auch viele internationale Beispiele, wie Andrew Carnegie für die Unternehmensgeschichte oder den brasilianischen Kaffeeanbau für den internationalen Handel. Komplexere mathematische Konzepte werden anschaulich erläutert, wie die Berechnung des realen Bruttoinlandsprodukts oder der „Big-Mac-Index“ des Economist als Vergleichsmaßstab der Geldwertentwicklung. Zudem erhöhen die gut gewählten Grafiken und Tabellen die Anschaulichkeit ebenso wie die weiterführenden Quellen, die auf der Webseite des Campus-Verlags als Download erhältlich sind.2 Auch der Personen- und Sachindex erleichtert die Arbeit mit dem Buch. In seinen thematischen Kapiteln bezieht Hesse ältere Forschung und Forschungskontroversen ein. Überwiegend stützt sich die Einführung aber auf neuere und neueste wirtschaftshistorische Publikationen. Hesse rezipiert dabei nicht nur Forschungspositionen, sondern ordnet ihre Leistungsfähigkeit ein und bewertet sie kritisch, wie beispielsweise bei seiner Darstellung des Wachstumsbegriffs.

Die Einführung gibt einen breiten und in den thematischen Schwerpunkten fundierten Überblick über Entstehung und Wandel der modernen Wirtschaft seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Die kritische Diskussion dessen, was „die moderne Wirtschaft“ ausmacht, fällt allerdings etwas knapp aus. Ebenfalls hätte die Auswahl der thematischen Schwerpunkte auch anders vorgenommen werden können. Wichtige wirtschaftshistorische Themenfelder wie Planwirtschaften oder nicht-markgebundene ökonomische Interaktion in der Moderne werden nicht behandelt. Es macht sich an einigen Stellen das Fehlen sozialhistorischer Themenbereiche wie beispielsweise der von Hesse nur kurz erwähnten Migrationsgeschichte bemerkbar. Hier ließe sich fragen, ob ein Überblick über ökonomische Globalisierung nicht stärker auf globale Migrationsströme Bezug nehmen müsste. Diese Lücken nimmt Hesse allerdings bewusst in Kauf und verweist an den entsprechenden Stellen auf weiterführende Literatur.

Die Einführung ist flüssig geschrieben, genügt den didaktischen Ansprüchen für die Verwendung in der Lehre und meistert den Spagat zwischen einem dem Zielpublikum angemessenen Abstraktionsniveau und der Vermittlung komplexer Inhalte. Hesse betont die historische Gebundenheit ökonomischer Entscheidungen und macht in Anlehnung an die Historische Schule der Nationalökonomie deutlich, dass für ihn ökonomische Gesetze „grundsätzlich eine begrenzte Reichweite“ (S. 9) besitzen. Damit wird nicht nur die Anschlussfähigkeit der Wirtschaftsgeschichte an die allgemeine Geschichtswissenschaft unterstrichen. Darüber hinaus ist zu hoffen, dass die Einführung nicht nur unter Studierenden der Geschichte Verbreitung findet, sondern auch unter historisch interessierten Studierenden wirtschaftswissenschaftlicher Disziplinen.

Anmerkungen:
1 Carsten Burhop, Wirtschaftsgeschichte des Kaiserreichs 1871–1918, Göttingen 2011.
2 <http://www.campus.de/buecher-campus-verlag/wissenschaft/geschichte/wirtschaftsgeschichte-4452.html> (07.08.2014).

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