G. de Kleijn u.a. (Hrsg.): Integration in Rome and in the Roman World

Cover
Titel
Integration in Rome and in the Roman World. Proceedings of the Tenth Workshop of the International Network Impact of Empire (Lille, June 23–25, 2011)


Herausgeber
Kleijn, Gerda de; Benoist, Stéphane
Reihe
Impact of Empire 17
Erschienen
Anzahl Seiten
XVII, 302 S.
Preis
€ 114,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jonas Scherr, Internationales Graduiertenkolleg „Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20. Jahrhundert“, Frankfurt am Main/Innsbruck

Bei diesem Band handelt es sich um die Publikation der Ergebnisse des zehnten Workshops des internationalen Forschungsnetzwerkes „Impact of Empire“, das einer langfristigen Perspektive auf das Imperium Romanum und dessen Dynamiken zwischen 200 v.Chr. und 476 n.Chr. gewidmet ist. Das Netzwerk versteht sich zugleich als Institution zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlern und als Plattform des internationalen Austauschs. Die dreitägige Konferenz, die im Sommer 2011 in Lille stattfand, stand unter dem zweisprachigen Titel „Integration in Rome and in the Roman World – Les voies de l’intégration à Rome et dans le monde Romain“. Mit zwei deutschen, einem italienischen, vier französischen und neun englischen Beiträgen findet sich diese Internationalität auch in der Gestaltung des Sammelbands wieder.

Wie im Falle der meisten Tagungen und der aus ihnen hervorgehenden Publikationen ist auch in diesem Fall das übergreifende Thema nur bis zu einem gewissen Grad ein einigendes Band zwischen den einzelnen Beiträgen: „Integration“ ist ein weiter Begriff – und so befassen sich die Aufsätze denn auch mit unterschiedlichen Konzepten und Aspekten dessen, was sich hinter dem Terminus konkret verbergen kann. In ihrer Einführung (S. 1–4) setzt sich Ségolène Demougin mit diesem Begriff im Kontext des Tagungsthemas auseinander und nennt mit den Bereichen rechtlicher, politisch-institutioneller, (sub-)kultureller und religiöser bzw. kultischer Integration mögliche Anwendungsbereiche des Konzeptes.

Der erste Teil des Bandes widmet sich den „juridical approaches to the subject“ (S. XI): Clifford Ando untersucht in seinem Beitrag („Pluralisme juridique et intégration de l’empire“, S. 5–19) das scheinbar gegensätzliche Nebeneinander der Persistenz lokaler Rechtstraditionen und der Integration in das kaiserzeitliche Imperium Romanum und sein Rechtswesen. Er konstatiert, dass die integrierenden Effekte des römischen Rechtes und seiner Anwendung als enorm hoch zu veranschlagen seien und die lokale rechtliche Diversität gewissermaßen ausgehöhlt hätten. Der Rechtshistoriker Salvo Randazzo befasst sich in seinem Aufsatz „Gli equilibri della cittadinanza romana, fra sovranità e impatto sociale“ (S. 21–42) mit der Entwicklung des römischen Bürgerrechtes und der diesem zugrundeliegenden Konzepte von den Anfängen Roms bis in die Spätantike. Seine zentrale Beobachtung lässt sich verkürzend so zusammenfassen, dass im Verlauf der Kaiserzeit (durchaus schon vor, in besonderem Ausmaß aber nach der Constitutio Antoniniana 212 n.Chr.) zunehmend eine Entwicklung vom Bürgerrecht zur Untertanenpflicht stattgefunden habe.

„The Evolution of the So-called Provincial Law, or: Cicero’s Letters of Recommendation and Private International Law in the Roman World“ von Hannah M. Cotton (S. 43–55) behandelt Fälle privatrechtlicher Konflikte zwischen Angehörigen verschiedener Rechtsgemeinschaften in den Provinzen. Sie betont, dass „legal cases tended towards the Roman courts“ (S. 54), wenngleich im Fall der Verhandlung durch einen römischen Beamten dennoch auch lokales Recht angewandt werden konnte, wofür sie besonders auf P. Oxy. 237 hinweist. In gewisser Weise bestätigt und ergänzt sie so den Befund Clifford Andos. Etwas aus dem Rahmen des auf rechtliche Aspekte konzentrierten ersten Teils des Bandes fällt der Aufsatz über „Claude de Lyon, Ancus Marcius et l’âge royal: d’une intégration l’autre“ (S. 57–74): Anne Daguet-Gagey versucht darin vor allem anhand der Rede des Claudius für die Verleihung des ius honorum an gallische Notabeln und der Pomeriumserweiterung zu zeigen, dass der Kaiser in auffälligem Maß auf Maßnahmen des Ancus Marcius, aber auch des Servius Tullius als Exempla und Präzedenzfälle Bezug genommen habe, dabei aber dennoch sehr modern anmutenden Leitlinien gefolgt sei.

Der zweite Block des Sammelbands ist der Behandlung der „adoption of Roman law in specific areas or periods of time“ (S. XI) gewidmet. Eröffnet wird die Sektion durch Werner Eck, der in seinem Beitrag „Das Leben römisch Gestalten. Ein Stadtgesetz für das municipium troesmis aus den Jahren 177–180 n. Chr.“ (S. 75–88) eine vor wenigen Jahren bekannt gewordene Fassung der in sehr ähnlicher Form von der iberischen Halbinsel bekannten Munizipalgesetzgebung präsentiert, die aus Troesmis in der Provinz Moesia inferior stammt. Leider legt er keine vollständige Edition des Textes vor, sondern beschränkt sich auf überblickshafte Darlegungen und Auszüge. Diese lassen aber deutlich ein höchst interessantes Dokument erahnen, dessen Publikation mit eingehendem Kommentar Eck in Bälde nachzuholen ankündigt.

Der Aufsatz über „Goths and Romans in the leges visigothorum“ von John H. W. G. Liebeschuetz (S. 89–104) betrachtet die Entwicklung des (rechtlichen) Miteinanders von Goten und (Ibero-)Römern im spanischen Westgotenreich. Liebeschuetz stellt fest, dass eine offenbar stark ethnisch-genealogisch fundierte, sich von den Römern ohne offene Diskriminierung absetzende gotische Rechtsidentität einer weitgehenden sprachlichen und kulturellen Annäherung der Goten an die Römer gegenüberstand, was er als Anzeichen der Loslösung römischer Kultur von römischer Identität deutet.

Im dritten Teil des Bandes sollen anhand dualistischer Konzepte wie ‚römisch-nichtrömisch‘, ‚frei-versklavt‘ oder ‚männlich-weiblich‘ verschiedene Stufen der sozialer Integration untersucht werden (vgl. S. IX). Demgemäß befasst sich Egbert Koops in „Masters and Freedmen: Junian Latins and the Struggle for Citizenship“ (S. 105–126) mit dem Status der Latini Iuniani (also informell Freigelassener, die dadurch Bürger latinischen Rechtes ‚zweiter Klasse‘ wurden) und dessen integrativer Funktion für Gesellschaft und Staat. Er identifiziert als zentrales Motiv für diese Rechtsform das Interesse Roms, „unsuitable ex-slaves“ von voller Teilhabe auszuschließen (S. 126), was durch das Interesse der Patrone an der gesteigerten Abhängigkeit solcher Freigelassener gewährleistet worden sei. Laurens E. Tacoma verfolgt in seinem Artikel „Migrant Quarters at Rome?“ (S. 127–145) die „seemingly simple question: where did migrants live in the city of Rome under the Principate?“ Seine Antwort darauf beruht wesentlich auf dem Umstand, dass „[a]ll we have in terms of hard evidence is one passage in Philo“ (S. 137), nämlich legatio ad Gaium 155, sodass er zu der (wenig überraschenden) Antwort kommt, ein explizites Migrantenviertel sei nur mit dem ‚jüdischen Trastevere‘ zu greifen.

Der Beitrag von Emily A. Hemelrijk mit dem Titel „Roman Citizenship and the Integration of Women into the Local Towns of the Latin West“ (S. 147–160) thematisiert die Frage, inwieweit für soziale und politische Teilhabe eine „gender barrier“ in den westlichen Provinzstädten bestanden habe. Hemelrijk legt auf epigraphischer Basis nahe, dass eine solche Vorstellung zu kurz greift und dass andere – insbesondere sozioökonomische – Faktoren für die Ausprägung gesellschaftlicher Integration provinzialer Frauen eine überragende Bedeutung besitzen. Einen Schritt weiter ist in diesem Sinne Anthony Álvarez Melero, wenn er in „Du foyer au forum. La place des matrones équestres dans les activités économiques“ (S. 161–186) ebenfalls auf epigraphischer Grundlage spezifischer vorgeht und nur mehr oder weniger sicher zuzuordnende Frauen aus Familien des Ritterstands behandelt. Er diagnostiziert, dass diese „furent loin de jouer un rôle passif dans la vie économique de leurs cités“ (S. 182), und betont im Einklang mit Hemelrijk die hohe Bedeutung (sozio-)ökonomischer Ressourcenausstattung für gesellschaftliche Teilhabe.

Die vierte Sektion des Sammelbands thematisiert laut den Herausgebern „specific aspects of integration within the army, in cities and in territories belonging to the Roman Empire“ (S. XII) – man mag dies überspitzt als „Diverses“ paraphrasieren. Lukas de Blois befasst sich hier mit den kulturellen Auswirkungen des Militärdienstes und den diesbezüglichen Eigenheiten der römischen Armee im 3. Jahrhundert („Integration or Disintegration? The Roman Army in the Third Century A.D.“, S. 187–196). Er begreift das römische Militär als sozial integrative Kraft, die Menschen verschiedenster Identitäten zusammengeführt habe. In seinem Aufsatz „Differentiated Integration Trajectories of the Nomadic Population in Roman North Africa (1st–3rd Cent. A.D.)“ fragt Wouter Vanacker nach der gesellschaftlichen Integration nomadisch lebender Bevölkerungsteile (S. 197–216). Er kann diesbezüglich weder auf der Seite der Nomaden noch auf der der römischen Politik ein einheitliches Konzept oder Verhalten feststellen; von einer allgemeinen ‚Nomadenpolitik‘ Roms könne keine Rede sein.

Günther Schörner legt unter dem Titel „Wie integriert man Rom in die polis? Der Kult des Senats in Kleinasien“ (S. 217–242) eine vorwiegend numismatisch fundierte Studie vor. Die kultische Verehrung des Senates in Gestalt der – ungeachtet des grammatischen Geschlechtes des Begriffs – weiblichen Personifikation „Synkletos“ habe sich dynamisch entwickelt und in Asia einer hohen Beliebtheit erfreut, sich dabei aber in gewisser Weise verselbstständigt, ohne je ganz den Konnex zur oder die Bedingtheit durch die römische Herrschaft einzubüßen. Eine Untersuchung von ‚öffentlichen‘ (also als Initiatoren der Herstellung munizipale Beamte oder Institutionen ausweisenden) Ziegelstempeln aus Italien, Gallien und Britannien als Zeugnissen der Munizipalisierung bietet Monique Dondin-Payre in „Les marques civiques sur briques et tuiles, témoins de l’intégration des cités dans le monde romain“ (S. 243–262). Dass derartige Stempel aus den Provinzen nur in geringer Zahl bekannt sind, interpretiert sie als Ausdruck der tiefgreifenden Ruptur, die dieser Prozess für viele provinziale Gemeinschaften bedeutet habe.

Der letzte Beitrag des Bandes, der explizit keiner Sektion angehört, stammt von Frederick G. Naerebout: „Convergence and Divergence: One Empire, Many Cultures“ (S. 263–281). In seinem ebenso unterhaltsam geschriebenen wie polemischen Text beschäftigt sich Naerebout mit möglichen Bedeutungen und Implikationen sozialwissenschaftlicher Konzepte und Theorien zu kultureller, sozialer und politischer Integration für die Erforschung des Imperium Romanum. Seiner verschiedentlich heftigen Kritik an neueren, altertumswissenschaftlichen Arbeiten zu derartigen Integrationsphänomenen steht leider ein nur begrenzter Gewinn an neuer Erkenntnis gegenüber, der sich wesentlich so zusammenfassen lässt, dass für das Reich eine starke Diversität im Detail bei gleichzeitig starker Integration in Bezug auf das ‚große Ganze‘ festzustellen sei, was Naerebout als ‚imperiale‘ Form des Multikulturalismus ansieht. Beschlossen wird der Band durch angenehm übersichtliche und differenzierte Indizes zu Namen (S. 283–287), Orten (S. 288–290), einschlägigen Realia und Abstracta (S. 291–293) sowie den im Band besprochenen antiken Zeugnissen (S. 294–302).

Wie wohl sehr viele Sammelbände hinterlässt auch dieser einen gemischten Eindruck. Nicht alle Beiträge überzeugen im selben Maße durch Innovativität, Originalität und Sinnhaftigkeit. Dass etwa Claudius’ integrativ anmutende Politik wenigstens vorgeblich stark an Exempla aus der Frühzeit Roms orientiert ist, springt dem Leser der Tafeln von Lyon ohnehin gewissermaßen ins Gesicht. Auch dass Werner Eck einen zweifellos höchst interessanten und gewohnt kundigen, aber mit Blick auf seine angekündigte kommentierte Edition der Inschrift wahrscheinlich sehr kurzlebigen Beitrag zur Munizipalgesetzgebung von Troesmis hier publiziert, mutet etwas merkwürdig an und ist vielleicht nicht zuletzt durch das rationale Interesse der Herausgeber an ‚großen Namen‘ unter den Beiträgern zu erklären.

Andererseits bietet der Sammelband aber in seiner grundlegenden Beschäftigung mit Integrationsphänomenen im Imperium Romanum einen wichtigen Beitrag hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit derartige Konzepte für die Erforschung antiker Verhältnisse zu gebrauchen sind. Und nicht wenige der Autoren liefern dabei sehr solide Untersuchungen zu Detailfragen; gerade jenen, die sich dem Studium der „Romanisierung“ bzw. „Romanisation“ verschrieben haben oder die der Disziplin der Rechtsgeschichte nahestehen, dürfte der Band einige wertvolle, bereichernde und anregende Anstöße geben. Der Sammelband ist zudem ansprechend gestaltet und recht gründlich lektoriert. Der hohe Preis führt aber dazu, dass ein Kauf von „Integration in Rome and in the Roman World“ nur für große wissenschaftliche Bibliotheken möglich sein wird.

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