S. Meder (Hrsg.): Family Law in Early Women's Rights Debate

Cover
Titel
Family Law in Early Women's Rights Debate. Western Europe and the United States in the nineteenth and early twentieth centuries


Herausgeber
Meder, Stephan; Christoph-Eric Mecke
Reihe
Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung 14
Erschienen
Köln 2013: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
410 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Margareth Lanzinger, Historisches Seminar, Leibniz Universität Hannover

Dem Band ging eine Konferenz in Hannover im Herbst 2011 voraus. Als Echo dieses Tagungszusammenhanges sind im Anschluss an die Mehrzahl der Texte Diskussionsbeiträge abgedruckt. Das grundsätzliche Anliegen des Unterfangens ist, die Debatten über Aspekte des Ehe- und Familienrechts, wie sie in verschiedenen europäischen Ländern – Belgien, England, Frankreich, Italien, Skandinavien – und den USA im 19. und frühen 20. Jahrhundert geführt wurden, sowie Misserfolge und Erfolge von entsprechenden Reformbestrebungen zu analysieren, und zwar in Relation gesetzt zum politischen Engagement der Frauenbewegung.

Die ersten drei Darstellungen sind internationalen Perspektiven gewidmet. Ute Gerhard setzt sich mit Grundsatzfragen auseinander, zum einen mit den Voraussetzungen des Zustandekommens sozialer Bewegungen, konkret: Wie sind Frauen auf beiden Seiten des Atlantiks von erfahrenem bzw. erlittenem Unrecht zu einem Unrechtsbewusstsein und zu einem feministischen Bewusstsein gelangt, das handlungsfähig machte und zu mobilisieren vermochte? Zum anderen fragt sie nach den methodischen Erfordernissen des Vergleichs im Bereich des Familienrechts. Als systematischen Zugang schlägt sie vor, von Familienregimen und Rechtsregimen auszugehen. Karen Offen stellt den französischen Code civil von 1804 ins Zentrum, der einen großen Einfluss in Europa und darüber hinaus ausgeübt hat, obwohl darin unter anderem die Position verheirateter Frauen sehr traditional ausgerichtet war: angefangen von der Gehorsamspflicht über den eingeschränkten Zugriff auf das Vermögen bis zu den geschlechtsspezifisch sehr unterschiedlichen Konsequenzen eines Ehebruchs. Sie rekonstruiert den langen Weg, bis die Kritik daran, die maßgeblich von frauenbewegten Aktivistinnen und Aktivisten getragen wurde und auch auf internationalem Parkett ihren Niederschlag fand – so im International Council of Women (ICW, 1888 gegründet) und im Völkerbund (ab 1920), zu Reformen führte, in wesentlichen Punkten erst zwischen 1965 und 1975. Um den International Council of Women geht es auch im Text von Anja Schüler, die dessen Bedeutung als weltumspannendes Netzwerk der Kommunikation und Aktion hervorhebt, das sich durch die großen Kongresse – 1904 etwa in Berlin und 1909 in Toronto – internationale Präsenz und Sichtbarkeit verschafft hat. Bezogen auf die rechtliche Situation von Frauen regte letzterer Länderberichte an. Diese zeigen, dass Frauen in all jenen Staaten, die sich daran beteiligt hatten, mit Ungerechtigkeit und Ungleichheit konfrontiert waren, deren Ausprägungen und Brennpunkte aber sehr unterschiedlich sein konnten – in Bezug auf die Möglichkeit einer Scheidung, auf die Vormundschaft, auf Besitz- und Eigentumsrechte etc. In den wenigen Ländern, in denen das Frauenwahlrecht vor 1914 realisiert war, hatten sie nicht weniger damit zu kämpfen.

Die auf diesen Abschnitt folgenden Artikel adressieren spezifische Problemlagen in den einzelnen Ländern. Nadine Lefaucheur thematisiert Gesetzeslage, Reformbestrebungen, dahinter stehende Paradigmen, sich daraus ergebende Widersprüche und Dilemmata in Hinblick auf die Situation lediger Mütter und nicht ehelich geborener Kinder im französischen Familienrecht des 19. Jahrhunderts. Die 1793 im Gefolge der Französischen Revolution eingeführte Möglichkeit der anonymen Geburt war ein bleibendes Ergebnis jener Zeit, während der Code civil von 1804 das Erbrecht nicht ehelicher Kinder gegenüber ihren Vätern wiederum abschaffte und Vaterschaftsklagen, abgesehen von wenigen Ausnahmefällen, verbot. Catherine Jacques setzt ebenfalls beim Code civil von 1804 an, der auch in Belgien Geltung hatte. Sie fokussiert auf die zwischen 1880 und 1940 erfolgten Änderungen der rechtlichen Stellung von verheirateten Frauen – insbesondere in Hinblick auf deren Rechts- und Geschäftsfähigkeit – und verbindet dies mit dem Einsatz der Frauenbewegung, die sich hier erst Ende des 19. Jahrhunderts formiert hatte und Anfang des 20. Jahrhunderts entsprechende Forderungen verstärkt in die Debatte einbrachte.

Elisabeth Dickmann stellt Anna Maria Mozzoni als Protagonistin der italienischen Frauenbewegung in den Mittelpunkt ihres Beitrags, die in ihren Schriften dem Familienrecht eine große Bedeutung in Hinblick auf Demokratisierung und sozialen Wandel zuschrieb. Sie unterzog die im Codice Albertino von 1837–1839 und dem 1865 im geeinten Italien in Kraft getretenen Codice Pisanelli grundgelegte Konzeptualisierung von Ehe und Familie einer grundsätzlichen Kritik: unter anderem hinsichtlich der erforderlichen Zustimmung des Ehemannes zu ökonomischen Aktivitäten der Ehefrau, der Vertretung durch den Ehemann oder Vater als Zeugen vor Gericht, der sehr beschränkten Scheidungsmöglichkeiten, der väterlichen Entscheidungsmacht über die Kinder etc. Rebecca Probert zeigt ebenfalls den Einsatz einzelner Frauen für rechtliche Veränderungen auf, und zwar in England und Wales zwischen 1813 und 1914: Vormundschaft über Kinder, Scheidung, Eigentumsrechte von Frauen und Ehegüterrecht sowie außerhäusliche Arbeit waren ihre zentralen Anliegen. Marion Röwekamp beleuchtet die in den einzelnen US-Bundesstaaten divergierende Rechtssituation im Bereich des Sorgerechts, das deshalb eng an die Entscheidungen einzelner Gerichte gebunden war. Zunehmend getragen von wertbetonten Zuschreibungen an Frauen, Mütter und Häuslichkeit erhielt das Wohlergehen von Kindern und das Kindesinteresse verstärkte Aufmerksamkeit und damit auch das Sorge- und Vormundschaftsrecht von Müttern, vor allem im Gefolge von Witwenschaft und Scheidung. Der Kampf um eine Reform des Scheidungsrechts in den USA ist Thema bei Bonnie S. Anderson, und zwar aus der Sicht einer in den 1850er-Jahren führenden Persönlichkeit der Frauenbewegung, der aus Polen stammenden Ernestine L. Rose. Als Atheistin mit jüdischem Hintergrund musste sie dabei gegen einen religiös bestimmten Diskurs um Ehe und Familie antreten. Gleichzeitig forderte sie bessere Ausbildung und Berufschancen für Frauen als Alternative zur Versorgungsehe.

Christina Carlsson Wetterberg und Harry Willekens arbeiten in ihren Beiträgen schließlich jene Wege, Prozesse und Kontexte in den skandinavischen Ländern heraus, die vergleichsweise frühe Reformerfolge in familienrechtlichen Belangen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ermöglicht hatten. Ablesbar sind diese unter anderem an der weitgehenden Gleichstellung der Ehepartner, an der Verantwortung beider für den Familienunterhalt, an der Liberalisierung des Scheidungsrechtes oder an der rechtlichen Besserstellung nicht ehelich geborener Kinder. Den Abschluss macht eine Rückblende auf römisch-rechtliche Aspekte geschlechterspezifischer Differenz im Ehe- und Scheidungsrecht der Antike, die Okko Behrends ausgehend vom Konzept der persona diskutiert.

Im Ergebnis ist aus geschlechtergeschichtlicher Sicht vieles bereits bekannt. Was der Band jedoch leistet, sind Verknüpfungen über den Themenschwerpunkt Familienrecht und Frauenbewegungen hinaus, Kontextualisierungen sowie Differenzierungen nach innen und außen. Die Frauenbewegungen der einzelnen Länder waren – wie auch die Beiträge gezeigt haben – keine homogenen Gruppen, sondern setzten sich aus verschieden ausgerichteten Flügeln zusammen, die eigene Prioritäten setzten. So standen die Reformbestrebungen im Familienrecht in einer jeweils spezifischen Gemengelage mit anderen Forderungen. Ein Spannungsfeld konnte sich dabei zwischen der Bewegung und einzelnen Protagonistinnen als agents of change auftun. Unterschiedlich gestaltete sich die Chronologie der erreichten Veränderungen, wobei es aufgrund der situativen Komplexität in den einzelnen Ländern verfehlt wäre, einen direkten Zusammenhang zwischen Stärke bzw. Schwäche der Frauenbewegung und frühen bzw. späten Reformerfolgen herzustellen. Zu fragen ist nicht nur nach dem sozio-politischen Kontext der Zeit, sondern auch danach, welche Formen des Zugangs zu politischen Entscheidungsinstanzen genutzt werden konnten und welche Verbündeten sich gewinnen ließen.

Welche Konsequenzen unterschiedliche konzeptuelle Modelle haben können, zeigt sich in den skandinavischen Ländern, in denen eine Umsetzung der Geschlechtergleichstellung bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts als wichtig erachtet wurde. Staatliche Eingriffe und individuelle Rechte konstituieren gerade im Bereich des Familienrechts ein weiteres Spannungsfeld. Familienrecht lässt sich nicht in lineare Narrative der Modernisierung einfügen, vielmehr war dieses Verhältnis von Paradoxien und Verwerfungen gekennzeichnet. Ehe und Familie liegen auf unterschiedlichen Achsen im Koordinatensystem der Macht. Für ein noch klareres Konturieren von geschlechtsspezifischen Konzeptualisierungen könnte es sinnvoll sein, einen analytisch getrennten Blick darauf zu werfen: Wo sind Männer als Ehemänner oder als Väter oder in beiden Positionen adressiert bzw. Frauen als Ehefrauen oder Mütter oder als beides? Hiervon könnten dann auch Vergleichsperspektiven in der von Ute Gerhard vorgeschlagenen Form ihren Ausgang nehmen.