S. Klapp: Äbtissinnenamt in den unterelsässischen Frauenstiften

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Titel
Das Äbtissinnenamt in den unterelsässischen Frauenstiften vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Umkämpft, verhandelt, normiert


Autor(en)
Klapp, Sabine
Reihe
Studien Zur Germania Sacra. Neue Folge 3
Erschienen
Berlin 2012: de Gruyter
Anzahl Seiten
X, 621 S.
Preis
€ 129,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Teresa Schröder-Stapper, Graduiertenkolleg „Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage. Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln“, Universität Duisburg-Essen

In diesem Jahr traf sich erstmals in Weingarten der Arbeitskreis zur Erforschung süddeutscher Damenstifte. Ziel der Initiatoren ist es, Forschungen zu süddeutschen Damenstiften anzuregen und eine Diskussionsplattform zu bieten, um das Gefälle zwischen Nord- und Süddeutschland innerhalb der Stiftsforschung aufzulösen.1 Einen ersten Beitrag, um das häufig konstatierte Desiderat expliziter Studien zur süddeutschen Stiftslandschaft zu beheben2, bietet die 2009 an der Universität Trier eingereichte Dissertation der Mainzer Historikerin und Mitbegründerin des erwähnten Arbeitskreises Sabine Klapp, in deren Mittelpunkt die Äbtissinnen der vier unterelsässischen Frauenstifte Andlau, Hohenburg, Niedermünster und St. Stephan in Straßburg stehen. Es handelt sich dabei um zwei freiweltliche Stifte (Andlau, St. Stephan) sowie zwei seit dem 12. Jahrhundert regulierte Augustiner-Chorfrauen-Stifte (Hohenburg, Niedermünster). Während sich das Stift Andlau zudem als papst- und reichsunmittelbares Stift auszeichnete, waren die anderen drei Stifte dem Straßburger Bischof untergeordnet. Die Auswahl trägt somit nicht nur der Uneinheitlichkeit der unterelsässischen Stiftslandschaft Rechnung, sondern leistet zugleich einen wichtigen Beitrag zur Vergegenwärtigung ihrer Heterogenität.

Klapp verfolgt in ihrer Arbeit zwei Forschungsinteressen: Erstens sollen die „Geschichte und Strukturen“ der Stifte, die bisher kaum Beachtung gefunden haben, analysiert werden, um somit einen weiteren „Baustein zum Verständnis des Phänomens ‚Kanonissenstift‘“ zu liefern (S. 3). Der eigentliche „Hauptfokus der Untersuchung“ (ebd.) richtet sich dann zweitens auf die Äbtissinnen und deren Handlungsspielräume als Vorsteherinnen der vier Stifte. Hierbei werden vor allem ihre Einbindung in verwandtschaftliche, politische und institutionelle Beziehungsnetze sowie die Bedeutung des Geschlechts untersucht. Ziel der Arbeit ist es, Strukturgeschichte mit praxeologischen Ansätzen (Bourdieu) zu verbinden, um „die Stiftsleiterinnen als handelnde Subjekte jenseits normativer und struktureller Vorgaben [zu] erfassen“ (S. 357).

Die Arbeit gliedert sich in zwei Hauptkapitel, die den beiden leitenden Forschungsinteressen gewidmet sind. Ergänzt werden sie durch einen umfangreichen historischen sowie prosopographischen Anhang. Das erste Hauptkapitel steckt den strukturellen Handlungsrahmen der Äbtissinnen ab, indem hier sowohl die historische Entwicklung der Institution ‚Damenstift‘ unter besonderer Berücksichtigung der vier unterelsässischen Stifte als auch die Lebensform des jeweiligen Stifts, die soziale Zusammensetzung, die Beziehungen zu Reich, Papst und Bischof sowie die besitz- und herrschaftsrechtliche Entwicklung in den Blick genommen werden. Zusätzlich wird im Anhang die Geschichte der vier Stifte noch einmal ausführlicher dargestellt. Dennoch, so Klapp, ersetzen diese Ausführungen keine „ausführliche[n] Stiftsmonographien“ (S. 47), deren Fehlen sie beanstandet. Die Behandlung zunächst der historischen Entwicklung sowie dann einzelner Teilbereiche führt verschiedentlich zu Redundanzen.

Im Mittelpunkt des zweiten, umfangreicheren Hauptkapitels stehen die Äbtissinnen der Stifte sowie ihr institutionelles (Kanonissen, Kanoniker), politisches (Bischof von Straßburg, Papst, Kaiser) und verwandtschaftliches Umfeld. Die verschiedenen Teilkapitel folgen einer chronologischen Erzählstruktur, die sich an ausgewählten Konflikten entlangarbeitet. Wesentliche Grundlage und Bezugspunkt sind die Statuten der Stifte sowie die Institutio sanctimonialium von 816, durch die erstmals die kanonische Lebensform neben der monastischen eingeführt wurde, deren tatsächliche Anwendung aber kaum nachzuvollziehen ist.3 Zwar kann Klapp überzeugend darlegen, dass normative Quellen wie die Stiftsstatuten einen Aussagewert für die Praxis haben, indem sie „tatsächliche[] Probleme“ (S. 160) thematisieren. Insgesamt überwiegen in der Arbeit aber doch normative, strukturelle Aussagen. Das Potential, dass die eingestreuten Fallbeispiele andeuten, wird daher nicht vollständig ausgeschöpft, praxeologische Ansätze wie die Kapitaltheorie Bourdieus bleiben oberflächlich.

In einem ersten Schritt wird zunächst „der Weg zum Äbtissinnenamt“ (S. 162) betrachtet. Neben den verschiedenen Etappen des Besetzungsverfahrens und ihrer Genese werden hier sowohl die Einflussnahme durch Familie und Bischof auf die Besetzung betont als auch die Versuche der Kapitel und des Straßburger Bischofs aufgezeigt, bereits im Umfeld von Wahl und Amtseinführung die Handlungsspielräume der Äbtissin zu begrenzen und den eigenen Einfluss auf Ausrichtung und Verwaltung des Stifts zu vergrößern. In einem zweiten Schritt geht es ausdrücklich um das Verhältnis zwischen Äbtissin und Kanonissen sowie Kanonikern. Trotz der immer wieder von Klapp hervorgehobenen Verpflichtung von Kanonissen und Kanonikern zu Gehorsam gegenüber der Äbtissin sowie deren Disziplinargewalt zeugen die Fallbeispiele von dem nicht zu unterschätzenden Einfluss der Kapitelmitglieder. Aufgrund ihrer sozialen Herkunft, ihrer verwandtschaftlichen und politischen Beziehungen sowie ihrer zunehmenden Bedeutung innerhalb der Stiftsverwaltung (akademisch graduierte Kanoniker) gelang es ihnen, sich den (Reform-)Maßnahmen der Äbtissinnen zu widersetzen und auf ihrer standesgemäßen Ausstattung und Behandlung sowie ihrer Partizipation an der Stiftsadministration zu bestehen.

Die Umbruchphase der Reformation wird von Klapp vor allem in Hinsicht auf sich wandelnde Geschlechterrollen gedeutet. Forschungsmeinungen, wonach die Reformation zu einer Domestizierung aller Frauen geführt und ihren Wirkungskreis auf das Haus beschränkt habe, sind jedoch mit Blick auf die Ordensneugründungen, Fortexistenz von Damenstiften sowie die Möglichkeit weiblicher Regentschaft und Witwenherrschaft relativiert worden.4 Das Geschlecht der Äbtissin wurde von den Kanonikern anscheinend vielmehr als ein Argument neben anderen genutzt, um die Reformation des Stifts voranzutreiben. Der von Klapp unterstellte mentalitätsgeschichtliche Wandel zeitigte im weiteren Verlauf keine Konsequenzen. Weiterhin standen Frauen als Äbtissinnen dem nun evangelischen Damenstift St. Stephan vor.

Der unschätzbare Wert der Arbeit liegt in der Prosopographie, dem akribischen Quellenstudium sowie der detailreichen Darstellung in der longue durée. Auf diese Weise ist es Klapp gelungen, historische Entwicklungen zum Beispiel in Bezug auf die ständische Zusammensetzung der Stifte nachzuzeichnen, konnte sie Fehler in den Listen der Äbtissinnen verbessern und Fehleinschätzungen wie in Bezug auf die Reformation von St. Stephan, deren Ursprung viel stärker aus den Reihen der Kanoniker herrührte, widerlegen. Damit bietet Klapp mit ihrer Arbeit nicht nur eine hervorragende Grundlage sowie Anknüpfungspunkte für weitere Studien, sondern öffnet erstmals den Blick der Forschung auf eine bisher wenig beachtete Stiftslandschaft.

Anmerkungen:
1 Erste Ansätze hierzu wurden bereits 2009 auf einer Tagung im Stift Buchau am Federsee gemacht, deren Ergebnisse und Anregungen für weitergehende Forschung in einem Sammelband publiziert wurden: Dietmar Schiersner / Volker Trugenberger / Wolfgang Zimmermann (Hrsg.), Adlige Damenstifte Oberschwabens in der Frühen Neuzeit. Selbstverständnis, Spielräume, Alltag, Stuttgart 2011.
2 Vgl. Dietmar Schiersner, Einleitung, in: ebd., S. 1–15, hier: S. 6.
3 Thomas Schilp, Norm und Wirklichkeit religiöser Frauengemeinschaften im Frühmittelalter. Die Institutio sanctimonialium Aquisgranensis des Jahres 816 und die Problematik der Verfassung von Frauenkommunitäten, Göttingen 1998.
4 Vgl. u.a.: Heide Wunder, „Er ist die Sonn’, sie ist der Mond“. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992, S. 237; Anne Conrad, Zwischen Kloster und Welt. Ursulinen und Jesuitinnen in der katholischen Reformbewegung des 16./17. Jahrhunderts, Mainz 1991; Pauline Puppel, Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500–1700, Frankfurt am Main 2004; Martina Schattkowsky (Hrsg.), Witwenschaft in der frühen Neuzeit. Fürstliche und adlige Witwen zwischen Fremd- und Selbstbestimmung, Leipzig 2003.