U. Häußer u.a. (Hrsg.): Vergnügen in der DDR

Titel
Vergnügen in der DDR.


Herausgeber
Häußer, Ulrike; Merkel, Marcus
Erschienen
Berlin 2009: Panama
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christopher Görlich, Münster

20 Jahre nach dem Mauerfall haben sich Ulrike Häußer und Marcus Merkel der verdienstvollen Aufgabe angenommen, einen Sammelband mit dem Titel „Vergnügen in der DDR“ herauszugeben. Der Leser, der das 464 Seiten starke Buch des Panama-Verlags in die Hand nimmt, sieht sich einer erstaunlich vielfältigen und facettenreichen Sammlung gegenüber. Die Autoren beleuchten unterschiedlichste Aspekte des Vergnügens in der DDR, des Lachens, des Spaßhabens und des Späßemachens, der Freizeitgestaltung und der Erholung. Der Vielfalt der Themen entspricht auch eine Vielfalt der Zugangsweisen. Die Aufsätze sind nicht in ein starres Korsett gezwungen, so versammelt der Band wissenschaftlichen Beiträge, Essays und literarische Texte. Oft finden sich subjektive Zugriffe, die die Pluralität der Themenwahl noch einmal unterstreichen.

In vier Abschnitten werden die Bereiche „feiern“, „amüsieren“, „unterhalten“ und „entspannen“ thematisiert, wobei die Abgrenzung willkürlich erscheint und keinem logischen Zwang unterliegt. Unter dem Oberbegriff „feiern“ eröffnen Michael Hofmann und Ute Mohrmann mit zwei Beiträgen über die Festkultur der DDR den bunten Reigen. Hans Schubert thematisiert die Karnevalsclubs in der DDR, Jeannette Madarász wendet sich dem Vergnügen in der Kleinstadt Premnitz zu. Eckart Schörle schreibt über den Witz in der DDR, Moritz Ege befasst sich mit ihren Diskotheken. Die thematisch nahestehenden Aufsätze von Katharina Gadjdukowa und Dirk Moldt über Punks und von Edward Larkey über die leichte Musik finden sich unverständlicher Weise über den Band verteilt unter den Rubriken „amüsieren“ und „unterhalten“.

Die Rubrik „amüsieren“ leitet Markus Merkel mit seinem Aufsatz über das Glücksspiel in der DDR ein, Frank Willmann schreibt einen kurzen szenischen Prosatext über die Hooligans des Berliner Fußballclubs. Von Harald Hauswald finden sich ein Fotoessay und ein literarischer Text über „Sex und Saufen“ in der DDR. Vergnügungspark und Zirkus sind die Themen von Liza Candidi T.C. und Dietmar Winkler.

Im Abschnitt „unterhalten“ diskutieren zunächst Gerd Dietrich und Cornelia Kühn die politisch-ideologischen Rahmenbedingungen des Vergnügens. Gleich drei Aufsätze (Michael Meyen, Hanno Hochmuth, Ulrike Häußer) thematisieren die unterschiedlichen Aspekte des Fernsehens. Über das Kabarett in der DDR schreibt Sylvia Klötzer, Thomas Irmer hat das sozialistische Boulevardtheater untersucht.

Der letzte Teil ist dem Thema „entspannen“ gewidmet. Isolde Dietrich schreibt über das „Laubenpiepervergnügen“, Gerlinde Irmscher wendet sich dem Camping zu, Lutz Thormann untersucht das FKK-Baden. Andreas Stirn und Heike Wolter nehmen den Leser schließlich auf Reisen mit. Stirn beschreibt die Kreuzfahrtschiffe der DDR und Heike Wolter verortet die Reisen der DDR-Bürger zwischen Privatreise und Staatsangelegenheiten.

Es ist schlicht unmöglich, die qualitativ durchweg hochwertigen Aufsätze in der gebotenen Kürze einer Würdigung zu unterziehen. Der Leser verbringt angenehme Stunden mit diesem Buch; er wird schmunzeln und lachen. Einen wichtigen Anteil an dem Spaß, den dieses Buch bereitet, haben nicht zuletzt die zahlreichen Fotos mit vergnüglichen Szenen aus der DDR. Die Detailkenntnis der Autoren verdient durchweg Respekt, ihre Detailverliebtheit stört bisweilen. Der subjektive Zugriff in manchen Aufsätzen macht das Schmökern in diesem Buch höchst angenehm, mehrt jedoch nicht zwangsläufig den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn.

Eine Gemeinsamkeit ist jedoch unübersehbar. In allen Beiträgen ist eine – manchmal gewiss übertriebene – Vorsicht zu spüren; behutsam versuchen die Autoren ihr Vorhaben zu rechtfertigen, sich mit dem Vergnügen in der DDR zu befassen. Allgegenwärtig ist das Bemühen, auf keinen Fall den Verdacht zu erwecken, man wolle den diktatorischen Charakter der DDR leugnen und sich in bloßer ostalgische Schönfärberei ergehen.

Folgerichtig beginnt das Buch nicht, wie bei Sammelbänden üblich, mit einer Einleitung der Herausgeber, sondern mit einem recht ausführlichen Vorwort von Stefan Zahlmann, das den bezeichnenden Untertitel „Unvereinbarkeit als Möglichkeit“ trägt. Zahlmann begreift den Titel des Buches als Oxymoron und spricht davon, dass „Vergnügen in der DDR“ die „Kopplung des scheinbar Unvereinbaren“ (S. 10) bedeute. Aufgelöst werden könne die Spannung, die sich aus dem Denken speise, „das einen Widerspruch zwischen Alltagsleben und Totalitarismuserfahrung unterstellt“ (S. 9), nur, wenn man das Vergnügen als selbstverständlichen Bestandteil des Lebens in der DDR begreife und die „Gemengelage des scheinbar Widersprüchlichen in wohlgeordneten Einzelfallbeschreibungen“ auffächere (S. 12).

Das Vorwort ist brillant geschrieben – es macht Vergnügen. Gleichwohl sind es recht alte Argumente, die hier angeführt werden, um kritische Geschichtswissenschaft zu postulieren, die weder totalitaristischen Ansätzen folgt noch ostalgischen Verklärungen Vorschub leistet. Über die „Grenzen der Diktatur“ und den „Eigen-Sinn“ der DDR-Bürger ist in den letzten Jahren so viel diskutiert und geschrieben worden, dass man sich fragt, warum eigentlich so viel Mühe auf die Verteidigung des Selbstverständlichen verwandt wird.

In ähnlicher Weise gilt das Gesagte auch für die weiteren 27 Beiträge. Als Beispiel sei der Betrag von Eckart Schörle erwähnt. Der Artikel trägt die durchaus spannende Überschrift „Anmerkungen zum sozialistischen Gelächter“. Tatsächlich behandelt Schörle aber weniger das Lachen an sich mit seinen psychologischen, gesellschaftlichen und politischen Aspekten. Vielmehr ist es ein Parforce-Ritt durch den politischen und vermeintlich unpolitischen Witz in der DDR. In dem sehr amüsant zu lesenden Text kontextualisiert Schörle Bekanntes und weniger Bekanntes aus dem reichen Fundus des DDR-Witzes. Gekonnt umschifft Schörle dabei die unweigerlichen Schwierigkeiten, die darin bestehen, einen Witz erklären zu müssen, ohne diesem Witz all seiner Witzigkeit zu berauben. Wesentliche neue Impulse gibt der Aufsatz jedoch nicht. Viel zu kurz leuchtet der Gedanke auf, dass sich das Lachen in der DDR nicht nur auf Witze beschränkte, sondern sich beispielsweise – eine innerliche Distanz zur DDR vorausgesetzt – auch angesichts des „Schwarzen Kanals“ entzünden konnte.

Insgesamt muss festgestellt werden: Ob es sich um den Karneval in der DDR, das Glücksspiel, die Gartenlaube oder die Diskothek handelt, immer wieder findet der Leser das in den 1990er-Jahren konstatierte Bild der DDR bestätigt, das die „Durchherrschung“ der Gesellschaft durch Partei und Staat als Postulat und Versuch ernst nimmt, und doch auf die Grenzen der Herrschaft von Partei und Staat und den bisweilen mächtigen Eigen-Sinn der DDR-Bürger verweist. Es kann zwanzig Jahre nach dem Mauerfall nicht mehr überraschen, dass auch beim Vergnügen in der DDR die „Durchherrschung“ scheitern musste und die Bürger sich in und bisweilen auch an der Diktatur recht köstlich vergnügen konnten.

Gleichwohl sei abschließend noch einmal betont: Es macht einfach Spaß, dieses Buch zu lesen, vielleicht auch gerade deshalb, weil man eben nicht gezwungen ist, sein Geschichtsbild zu überdenken oder gar in Frage zu stellen. Vielmehr bestätigt der Band über das Vergnügen einmal mehr, wie produktiv jene Thesen über die DDR sind, die ihre innere Widersprüchlichkeit nicht leugnen, sondern zum integrativen Bestandteil des politischen und gesellschaftlichen Systems erklären. Und nicht zuletzt bietet „Vergnügen in der DDR“ eine Reihe witziger Begebenheiten und Details, die man sich gerne merkt, um die nächste wissenschaftliche Konferenz damit aufzulockern.

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