: Künstliche Tiere. Zoologische Gärten und urbane Moderne. Berlin 2008 : Kulturverlag Kadmos, ISBN 978-3-86599-057-0 167 S. € 19,90

Ash, Mitchell G. (Hrsg.): Mensch, Tier und Zoo. Der Tiergarten Schönbrunn im internationalen Vergleich vom 18. Jahrhundert bis heute. Wien 2008 : Böhlau Verlag, ISBN 978-3-205-77614-7 376 S. € 35,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Pascal Eitler, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin

So verhältnismäßig unbekannt die Geschichte des Mensch-Tier-Verhältnisses im 19. und 20. Jahrhundert auch nach wie vor ist, die Erforschung dieser Geschichte – dieser Tiergeschichte – besaß von Anfang an einen theoretischen und einen thematischen Schwerpunkt: Theoretisch ist sie zumeist kulturgeschichtlichen Fragestellungen verbunden, thematisch bildet der Zoo bzw. der Zoologische Garten ein bevorzugtes Studienobjekt.1 Der Zoo scheint die vielfältigen und sich wandelnden Beziehungen zwischen Menschen und Tieren besonders anschaulich – und wohl auch unterhaltsam – vor Augen zu führen. Insofern betreten die beiden vorliegenden Untersuchungen von Mitchell Ash und Christina Wessely kein vollkommenes Neuland; sie konturieren und kontextualisieren jedoch einen ebenso umfassenden wie vielschichtigen Untersuchungsgegenstand und setzen dabei sinnvolle und neuartige Schwerpunkte, die es lohnen, weiter verfolgt zu werden. Im Zentrum des Interesses stehen dabei der Wiener Tiergarten Schönbrunn und der Berliner Zoologische Garten insbesondere zwischen der Mitte des 19. und dem Anfang des 20. Jahrhunderts.

Vor allem die Studie von Wessely verdeutlicht, inwiefern Wien und Berlin exemplarische Entwicklungen und wichtige Aspekte einer Geschichte des Zoos im Besonderen wie der Tiergeschichte im Allgemeinen zu erschließen erlauben. Wessely bietet eine ebenso konzentrierte wie ambitionierte Untersuchung, die den Zoo als „Schlüsselstelle zum Verständnis moderner Urbanität“ zu rekonstruieren und zu analysieren sucht (S. 140). In kulturgeschichtlicher Perspektive betont sie dabei stets den konkreten Entstehungs- und Entwicklungsgang, der im Fall Wiens vielfach ganz anders verlaufen sei als im Fall Berlins. Im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit steht diesbezüglich das mannigfach umkämpfte Verhältnis von naturkundlicher Aufklärung auf der einen und großstädtischer Unterhaltung auf der anderen Seite.

Während der Tiergarten Schönbrunn als kaiserliche Menagerie bereits Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden war und sich bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts weitgehend der tendenziell vorherrschenden Ökonomisierung des Zoos seit Mitte des 19. Jahrhunderts entzogen habe, gebe der Berliner Zoologische Garten ein sprechendes Beispiel dafür, wie rasch und nachhaltig diese Institution zu einem Zentrum des massenhaften Vergnügens und einer urbanen Eventkultur avancierte. An diesem Ort habe die Ausstellung und Erfahrung von „exotischen“ Tieren letztlich vor allem als Folie für städtische und bürgerliche Ordnungsansprüche gedient. Der Zoo, so Wesselys zentrale These, war in diesem Zusammenhang nicht nur ein Ort der Exotisierung des „Fremden“, er operierte ebenfalls als eine Projektionsfläche des „Eigenen“ – im Hinblick auf urbane Baustile, Produktionsweisen, Freizeitchancen und Konfliktlagen zwischen bürgerlichen und unterbürgerlichen Schichten.

Zu Recht betont Wessely diesbezüglich den Ort des Zoos innerhalb der Stadt, die mannigfachen Kontaktzonen, die den permanenten Versuch, zwischen Natur und Kultur oder Tier und Mensch strikt zu differenzieren, ebenso permanent unterlaufen hätten: Der Zoo veränderte den urbanen Raum im 19. Jahrhundert genauso vielfältig, wie die Großstadt unaufhörlich in den Zoo hineinwirkte. In diesem Sinne werden museale Ausstellungstechniken ebenso zum Gegenstand ihrer Untersuchung wie städtische Gehgewohnheiten und die konsumgeschichtlichen Parallelentwicklungen von Zoologischem Garten und Warenhaus. Auch der Tiergarten Schönbrunn konnte sich den Anforderungen und Paradigmen einer urbanen Massenunterhaltung, so Wessely, nur scheinbar entziehen – die Eventindustrie habe sich im Fall von Wien schließlich ganz einfach in der unmittelbaren Umgebung des Zoologischen Gartens angesiedelt.

Die vermeintliche Authentizität des Zoos und der dort präsentierten Tiere war dabei an deren „richtige“, nämlich „natürliche“ Darbietung bzw. Unterbringung gebunden – vor allem an eine entsprechend „exotisch“ eingerichtete Umgebung. In eben diesem Sinne spricht Wessely von „künstlichen Tieren“, die zu Sinnbildern der „wechselseitigen Durchdringung“ von Natur und Kultur geworden seien (S. 140). Im Anschluss an neuere Fragestellungen innerhalb der „animal studies“ gilt es allerdings zu konstatieren, dass Tiere hierbei fast ausschließlich als Objekte eines menschlichen bzw. städtischen Gestaltungswillens in den Blick der historischen Forschung geraten. Das Problem steht jedoch im Raum, ob sich Tiere – im Anschluss an Donna Haraway oder Bruno Latour – nicht auch als Akteure oder besser noch als Aktanten historisch perspektivieren und empirisch analysieren lassen. 2 Dieses Problem nimmt auch der dem Tiergarten Schönbrunn gewidmete Sammelband von Ash nicht näher in den Fokus.

Ash präsentiert sechzehn Studien, die der Geschichte des Tiergartens Schönbrunn zwischen Mitte des 18. und Anfang des 20. Jahrhunderts nachgehen, und diese sowohl in stadt- und wissenschafts- als auch in medienhistorischer Perspektive erkenntnisförderlich zu kontextualisieren und zu konturieren wissen. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle die Untersuchungen von Annelore Rieke-Müller, Marianne Klemun, Annette Graczyk, Gerhard Heindl, Nigel Rothfels und Gertrud Koch.

Annelore Rieke-Müller widmet sich einer Geschichte der Repräsentation von Tieren und Menschen im Rahmen der fürstlichen Menagerie im Übergang vom späten 18. zum frühen 19. Jahrhundert.3 Sie akzentuiert in diesem Zusammenhang vor allem die konkurrierenden Tier- und Menschenbilder, die in diesem Zeitraum fortwährend aufeinander geprallt seien und die sich um die auszustellenden Tiere und deren – auch das menschliche Verhalten womöglich beeinflussende – Verhalten gedreht hätten. Zwei Fragen hätten dabei unter anderem im Raum gestanden: Zum einen, ob lebende Tiere mehr über die Natur berichteten als tote, und zum anderen, ob die Beobachtung bestimmter Tiere nicht nur etwas über diese Tiere, sondern auch etwas über den Menschen verrate. Die fürstlichen Menagerien, so Rieke-Müller, „stellten dem Betrachter nicht nur die Vielfalt in der Natur, sondern auch das Verhältnis von Mensch und Tier und damit ein anthropologisches Modell vor Augen“ (S. 32). Die Tiergeschichte wird in diesem Zusammenhang zu einem brisanten Kapitel der Wissenschaftsgeschichte.

Auch Annette Graczyk beschäftigt sich mit dieser Verknüpfung von Tier- und Wissenschaftsgeschichte und begreift die fürstliche Menagerie bzw. den späteren – öffentlichen, bürgerlichen, städtischen – Zoo als Teil eines „enzyklopädischen Gesamtprojekts“ vor allem des 18. Jahrhunderts (S. 103). Sie konzentriert sich dabei auf die notwendige Reduktion der potenziellen Vielfalt von möglichen Exponaten und verhandelt diese unter dem Begriff des „Tableaus der Gattungen und Arten“ (S. 105). Dieses „Tableau“ ordnete das drohende Wirrwarr, wenngleich die imaginierten und inszenierten Grenzen der Gattungen und Arten in der Praxis des Unterbringens und Ausstellens sehr häufig verwischt oder überschritten worden seien. Dieses „Tableau“ habe die Menagerie bzw. den Zoo im 18. und 19. Jahrhundert in die Nähe des Museums oder des Lexikons gerückt – gewissermaßen als eine „lebende Enzyklopädie“ (ebd.).

Den Besucherinnen und Besuchern im Tiergarten Schönbrunn in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und deren jeweiligen bzw. vorherrschenden Blick auf die dort beheimateten Tiere widmet sich Marianne Klemun. Der Beitrag verspricht in dieser Hinsicht, einen „Wechsel der Perspektive“ vorzunehmen (S. 73): Nicht die Theorie der Zooanlage, sondern die Praxis des Zoobesuchs solle nunmehr endlich in das Zentrum des Interesses gerückt werden – diesem überaus ambitionierten Anspruch vermag Klemun allerdings aufgrund einer eher schwierigen Quellenbasis lediglich bedingt nachzukommen. Die „Dominanz des Auges“ (S. 88) oder besser noch des Blicks im Rahmen des Zoobesuchs kann auf dieser Basis zwar begründet vermutet, aber nicht wirklich befriedigend nachgewiesen werden.

Einen lesenswerten Überblick zur Entwicklung des Tiergartens Schönbrunn zwischen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts bietet Gerhard Heindl. Er untersucht und gewichtet insbesondere die zahlreichen Übergänge und Verunsicherungen zwischen alten und neuen Gestaltungsmomenten – zwischen kaiserlicher Menagerie und bürgerlichem Zoo. Wie Wessely konstatiert auch Heindl einen zumindest oberflächlich erfolgreichen Widerstand der Administration gegenüber der die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts insgesamt prägende Ökonomisierung und Kommerzialisierung des bürgerlichen Zoos. Bezogen auf die Besucherinnen und Besucher hingegen war der Tiergarten Schönbrunn bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts immer auch und immer mehr ein „Zoo der Wiener“ (S. 176) – nicht nur mit bildendem, sondern auch mit unterhaltendem Charakter.

Einem größtenteils vollkommen unterschiedlich konzipierten und organisierten Zoo, dem Hagenbeckschen Tierpark, widmet sich kontrastierend Nigel Rothfels.4 Carl Hagenbeck habe mit seinen weltberühmten Freiluftgehegen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur die Gestalt des Zoos verändert, er habe vielmehr, so die zentrale These, „auch das Denken der Menschen über das Tier in Gefangenschaft“ neuartig bestimmt (S. 213). Der Zoo sei in diesem Zusammenhang immer öfter als ein Ort begriffen und behandelt worden, der nicht nur der Bildung oder Unterhaltung von Menschen, sondern zuvörderst dem „Glück von Tieren“ diene (S. 220). So bedenkenswert und weiterführend diese These ist, so verrennt sich Rothfels meinem Eindruck nach in moralische Fragestellungen, wenn er danach fragt: „Aber ist all das gut für die Tiere?“ (S. 221). Tiere treten vor diesem Hintergrund nur als Objekte oder besser noch als Opfer in den Blick der historischen Forschung – neuartige Fragestellungen nach dem Status von Tieren als Aktanten hingegen bleiben ausgeblendet oder werden unbeantwortbar.

Eine medienhistorische und -theoretische Perspektive auf den Zoo und den Film entwirft schließlich Gertrud Koch. Sie interessiert sich insbesondere für die „vorsprachliche Kodierung“ von Mensch-Tier-Verhältnissen und die „physiognomische Empathie“ von Menschen mit Tieren (S. 283). Unter anderem mit Bezug auf die Theorie der Emotionen von Darwin begreift Koch dabei sowohl den Zoo als auch den Film als „ästhetisch affizierend“ (S. 284). In diesem Rahmen sei es vor allem die Bewegung bzw. die Beweglichkeit der Tiere, die Menschen an Tieren „ästhetisch affiziert“. Die theoretischen Momente überwiegen an dieser Stelle eindeutig gegenüber den historischen. Dass Mensch-Tier-Beziehungen fortwährend und vielfältig zwischen „Identifikation und Fremdheitserfahrung“ changieren und diffundieren, ist nach meinem Dafürhalten ebenso altbekannt wie auslegungsbedürftig (S. 292). Aus Sichtweise der Tiergeschichte nimmt die historische Forschung in diesem Zusammenhang allenfalls ihren Anfang – und keinesfalls ihr Ende.

Fazit: Die vorliegenden Untersuchungen von Wessely und Ash bieten einen überaus gelungenen Einblick in die Geschichte des Zoos im engeren und die Geschichte des Mensch-Tier-Verhältnisses im weiteren Sinne. Sie konzentrieren sich dabei auf das 19. und 20. Jahrhundert und setzen vor diesem Hintergrund zwar unterschiedliche, aber doch stets sinnvolle Schwerpunkte: Ebenso innovativ wie produktiv erscheint mir diesbezüglich vor allem der stadthistorische Zugriff von Wessely. Dieser Zugriff erlaubt es besonders gut, die Tiergeschichte umfassend zu kontextualisieren und ansprechend in eine Gesellschaftsgeschichte zu integrieren.

Anmerkungen:
1 Siehe zum aktuellen Stand der Tiergeschichtsschreibung lediglich: Linda Kalof / Brigitte Resl (Hrsg.), A Cultural History of Animals, 6 Bde., Oxford 2007.
2 Siehe beispielsweise: Silke Bellanger u.a. (Hrsg.), Tiere – eine andere Geschichte?, Zürich 2008 [= Traverse. Zeitschrift für Geschichte/Revue d’Histoire 15 (2008)].
3 Siehe auch: Lothar Dittrich / Annelore Rieke-Müller, Der Löwe brüllt nebenan. Die Gründung Zoologischer Gärten im deutschsprachigen Raum 1833-1869, Köln u. a. 1998; dies., Unterwegs mit wilden Tieren. Wandermenagerien zwischen Belehrung und Kommerz 1750-1850, Marburg 1999.
4 Siehe zudem: Nigel Rothfels, Savages and Beasts. The Birth of the Modern Zoo, Baltimore 2002.