Cover
Titel
Miniature Monuments. Modeling German History


Autor(en)
Puff, Helmut
Reihe
Media and Cultural Memory / Medien und kulturelle Erinnerung 17
Erschienen
Berlin 2014: de Gruyter
Anzahl Seiten
X, 300 S., 53 Abb.
Preis
€ 79,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Inge Marszolek, Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung (ZeMKI), Universität Bremen

Das Buch des Literaturwissenschaftlers und Historikers Helmut Puff ist in vieler Hinsicht ungewöhnlich: Es beschäftigt sich mit Modellen von Stadtansichten, wie wir sie aus zahlreichen stadthistorischen Museen kennen. Dabei wählt Puff solche Modelle aus, die die Zerstörungen von Städten abbilden, hier von deutschen Städten im Bombenkrieg, und setzt diese „in Dialog“ zu den Modellen von „Residenzstädten“ aus der Renaissance, hier vor allem denen aus Bayern, wie zu den „gebauten Ruinen“ und deren Faszination, wie sie uns in Kunstwerken, aber auch in Parklandschaften begegnen, um schließlich über den Umweg nach Hiroshima und Alain Resnais’ Film „Hiroshima, mon amour“ (1959) zum Untertitel des Buches zurückzukehren: Der Autor fragt nach der Bedeutung und Funktion dieser Modelle für die Prägung des deutschen kulturellen Gedächtnisses seit 1945.

Puff selber schlägt in seiner Einleitung verschiedene Lesemöglichkeiten vor – eine, die primär interessiert ist am Nachkriegsdeutschland und der Repräsentation des Bombenkrieges, eine eher chronologische (ausgehend von den Fallstudien zu Modellen bzw. Ruinen in München, Schwetzingen, Heilbronn / Heidelberg), schließlich eine dritte, die der Kapitelanordnung folgt. Erleichtert wird die Lektüre dadurch, dass den Fallstudien thesenhafte Scharniertexte vorangestellt sind.

Die Bedeutung der Stadtmodelle als Repräsentationen für Erinnerungsprozesse an den Bombenkrieg sei bisher unterschätzt worden, was unter anderem an der immer noch dominanten Skepsis von Historikern gegenüber „Dingen“ liege. Dabei, so Puff, dienen diese als Medien der historischen Imagination mit einer ganz eigenen Geschichte: Sie sind visuelle Erinnerungsmarker des Verlustes, aber als Betrachter schauen wir auf sie herab, gehen um sie herum, und zugleich entfalten sie einen eigenen Sog auf uns. Sie sind „paradoxe Objekte“, eben weil sie das Vergangene mit der Gegenwart und der Zukunft verbinden (S. 7). Das gilt indes für alle Memorabilia sowie für die Geschichtspolitiken allgemein. Einen weiteren Aspekt streift Puff nur: Auch wenn der Bombenkrieg ein europäisches Phänomen war, sind die Modelle in die Lokalgeschichte eingebettet; sie wurden und werden in Museen gezeigt, die sich eben dieser Lokalgeschichte widmen. Damit bestätigt sich einmal mehr, dass zumindest auf lokaler Ebene die Erinnerung an den Bombenkrieg nach 1945 keinesfalls ein Tabu war.

Nun zu den Fallstudien, wobei ich der erstgenannten Lesart mit Schwerpunkt auf dem Bombenkrieg und der Nachkriegsgeschichte folge. Das Kapitel zu Frankfurt am Main setzt das dortige „Trümmermodell“ in Dialog zu zeitgenössischen Diskursen. Angefertigt ursprünglich für eine Landesausstellung in Wiesbaden 1947, stand es lange Zeit vergessen am Sitz der Landesregierung und wurde erst in den 1970er-Jahren im Historischen Museum in Frankfurt gezeigt. Im Modell ragen lediglich die Fassaden des Kaiserdoms, der Paulskirche, der Alten Nikolaikirche und des Römers über die Trümmer der Innenstadt heraus, die ausgesprochen realistisch gestaltet sind. Puff setzt dieses Modell in Dialog zu den zeitgenössischen Diskursen des Wiederaufbaus, der Trümmermetapher, wie sie in der Literatur, der Politik, aber auch im Alltag ubiquitär war. Die Nachkriegsdiskurse waren unterlegt mit Fragen nach Schuld und Verantwortung; zugleich aber handelten sie von der Zukunft, indem sie den Wiederaufbau thematisierten. Dabei standen sie in Kontinuität zu Überlegungen, die nationalsozialistische Politiker sowie Architekten und Stadtplaner noch während des Krieges angestellt hatten.

In diese komplexen Aushandlungsprozesse hinein präsentierte Benno Elkan, ein aus Frankfurt emigrierter jüdischer Künstler, eine Maquette für ein „Mahnmal für die wehrlosen Opfer des Bombenkrieges“ (1954). Der Vorschlag war bei der Bevölkerung wie auch bei Experten von Anfang an umstritten. Letztendlich überwog die Furcht, dass dieses Mahnmal als eine Exkulpation der deutschen Zivilbevölkerung gesehen werden könne – ein für die frühe Nachkriegszeit durchaus ungewöhnliches Argument –, und es wurde nicht gebaut. Für Puff zeigt der Frankfurter Fall, wie lohnend es sein könne, die zeitgenössischen Diskurse am materiellen Beispiel zu ordnen und so die unterschiedlichen Zeitschichten der Wahrnehmung freizulegen. Allerdings stellt sich ein Problem: Für das geplante Mahnmal erläutert Puff die damaligen Diskurse; das Modell jedoch war bis in die 1970er-Jahre quasi von der Öffentlichkeit ausgeschlossen, so dass zu fragen ist, ob es für die Erinnerungsprozesse der 1950er- und 1960er-Jahre tatsächlich bedeutsam war.

Puffs Recherchen zufolge gibt es wohl zehn „Trümmermodelle“ in Westdeutschland, die allerdings zu sehr unterschiedlichen Zeiten entstanden sind: Frankfurt (1946/47), Hamburg (ca. 1950), Hannover (ca. 1951), Kassel (1955), Heilbronn (1960), Münster (ca. 1966). Dann entstanden mit einer Pause von 20 Jahren Modelle von Bielefeld (1985), Würzburg (1989), Trier (2001) und Pforzheim (2000, aber nicht fertiggestellt). Puff betont, dass in den historischen Ausstellungen, wo diese Modelle heute präsentiert werden, den Besuchern viel Raum gegeben wird für eigene Assoziationen und eventuell auch eigene Erinnerungen.

Doch zunächst arbeitet Puff die Differenz heraus: Die frühen Modelle, ähnlich der Fotografie in dieser Zeit, verbergen, indem sie die Zerstörung des städtischen Raumes zeigen, das Leiden der Menschen im Feuersturm. Während der Kriegsjahre im Nationalsozialismus waren Darstellungen des Leidens verboten, und der visuelle Code, nämlich die Darstellung von „dead cities“, scheint bis weit in die 1950er-Jahre stabil gewesen zu sein. Als der Schutt beiseite geräumt und der Wiederaufbau das Stadtbild, aber auch das Leben in der Stadt tiefgreifend verändert hatte, setzte die Wende ein: Nicht länger die Zerstörung, sondern der Wiederaufbau sollte durch die Abbildung des Verlorenen präsentiert werden. In diesem Kontext ergibt sich für mich die Frage, ob die Ausstellung solcher Modelle, oftmals offenbar zusammen mit Modellen, die das neue Stadtbild zeigten, der Konstruktion neuer städtischer Identitäten diente. In den 1960er-Jahren wurde der Wiederaufbau auch international ausgestellt, etwa auf der Internationalen Gartenausstellung in Hamburg und gar im Zeichen des Kalten Krieges in Leningrad, Kiew und Moskau. In all diese Ausstellungen waren die Trümmermodelle einbezogen.

Heilbronn errichtete bereits 1963 eine „Ehrenhalle“ für die Kriegsopfer. Zwar konnte man nun – anders als in den Diskussionen über den Mahnmal-Entwurf in Frankfurt zu Beginn der 1950er-Jahre – bereits von einer gewissen zeitlichen Distanz zur Zerstörung der Stadt ausgehen, in der bei einem einzigen Angriff der alte Kern vernichtet worden war und 6.530 Menschen gestorben waren. Aber auch für Heilbronn konstatiert Puff die Wendung von Trauer und Gedenken hin zu einer „glücklicheren Zukunft“. Unmittelbar neben dem neuen Rathaus wurde vom Stadtrat ein altes, stehengebliebenes Wohnhaus als Ort der Ehrenhalle festgelegt. Das Haus wurde völlig entkernt, doch blieb der alte Stuck erhalten. Innen brachte Karl Knappe, der auch einen Kirchenraum in Hiroshima gestaltet hatte, eine abstrakte Wand aus unterschiedlichen Steingrößen an. Obgleich die lokalen Eliten eine abstrakte Darstellung zunächst ausdrücklich gewünscht hatten, erschien es ihnen nunmehr erforderlich, mit Reliefs und Fotografien an der Wand wie durch ein Modell das Ausmaß der Zerstörung der Stadt konkret zu machen. Ferner entschied man sich gegen Bronze oder ähnliches Material und bevorzugte Gips. Puff interpretiert dies dahingehend, dass das blasse Weiß des Gipses den Eindruck einer melancholischen Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart hervorrufe. Allerdings könnte man auch sagen, dass Bronze oder sonstiges Metall andere Kontinuitäten etwa von Grabstätten insinuiert hätte. Ob nun gerade der Gebrauch von Gips auf ein für den Faschismus und den Nationalsozialismus typisches Material verweist, wäre zu überprüfen.1 Zu Recht betont Puff, dass die Ehrenhalle und andere Gedenkformen den bestehenden Mythos einer Trennung zwischen familiären / kommunikativen Erinnerungsprozessen und offiziellen nationalen unterlaufen. Die Ehrenhalle als „Kubus des Schweigens“ bot einen architektonisch gestalteten Raum für Erinnerung und stellte zugleich ein „Grab der Erinnerung“ dar (S. 215).

Blättern wir im Buch noch einmal zurück: Mit seinem kenntnisreichen Ausflug in die Kunst-Geschichte der Stadtmodelle zur Zeit der Renaissance bzw. zu den Modellen Münchens im 16. Jahrhundert erarbeitet Puff, wie neue visuelle Technologien den Stadtraum neu konstruierten. Er zeichnet nach, wie sich aus den ersten eher künstlerisch-handwerklichen Modellen schließlich detail- und maßstabsgetreue Abbildungen entwickelten, die in der Kriegsführung strategisch wichtig wurden. Am Beispiel der gebauten Ruine von Schwetzingen aus dem späten 18. Jahrhundert zeigt der Autor, dass solche künstlichen Ruinen nostalgisch die Zeit vor der Französischen Revolution mit der damaligen Gegenwart verbanden, was ihn wiederum zu den Trümmermodellen der Nachkriegszeit führt.

Im Epilog widmet sich Puff den im Hiroshima Peace Memorial Museum ausgestellten Modellen von Hiroshima und Nagasaki, den architektonischen Umgestaltungen durch Kenzo Tange sowie dem Film von Resnais. Er schildert unter anderem, wie „Hiroshima, mon amour“ die architektonischen Umgestaltungen aufgreift. Puff wendet sich gegen die Interpretation, dass der Film zentral Trauma und Geschichte abhandle. Stattdessen, so Puff, verweigere er eine Antwort darauf, ob vergangenes Leid und Trauma repräsentierbar sei. Abschließend reflektiert Puff selber über sein außergewöhnliches Thema und die außergewöhnliche Weise, sich diesem zu nähern: nämlich das zusammenzubinden, was in der Kulturgeschichte normalerweise nicht zusammenzugehören scheint.

Wenngleich ich einige Mühen hatte, diesen Verflechtungen nachzuspüren, und immer wieder eine größere historische Genauigkeit der Argumentation vermisste, habe ich das Buch mit großem Gewinn gelesen. Gerade die Ausflüge in die Kunstgeschichte, in die Literatur, bis hin zum Film, die Einbettung der Trümmermodelle in die „Memory Studies“ bieten oftmals unkonventionelle Einblicke. Zudem korrigiert das Buch einige immer noch bestehende Mythen hinsichtlich der vermeintlichen Differenz von kommunikativem und kulturellem Gedächtnis in Bezug auf das Reden über und das Gedenken an den Bombenkrieg. Wer jedoch stärker sozialgeschichtliche Erkenntnisse oder Einbettungen der Modelle in eine Repräsentationsgeschichte des Bombenkrieges erwartet, wird von diesem Buch eher enttäuscht sein.

Anmerkung:
1 Vgl. Christian Fuhrmeister, Beton, Klinker, Granit – Material, Macht, Politik. Eine Materialikonographie, Berlin 2001.