C. Muratori u.a. (Hrsg.): Ethical Perspectives on Animals

Cover
Titel
Ethical Perspectives on Animals in the Renaissance and Early Modern Period.


Herausgeber
Muratori, Cecilia; Dohm, Burkhard
Reihe
Micrologus’ Library 55
Erschienen
Anzahl Seiten
VII, 319 S.
Preis
€ 52,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Eva Wannenmacher, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Dieser Band war ein Desiderat. Zwar nimmt die Zahl der Publikationen über Tiere, Tierethik, -philosophie, -recht und sogar -theologie inzwischen jährlich zu, an Zahl wie an Qualität, dennoch gab es bisher eine schmerzliche Lücke, was die Zeit zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit anbetrifft oder sogar zwischen der Antike und der Moderne.

In ihrer Einleitung beschreiben Cecilia Muratori und Burkhard Dohm die eigenartige Forschungslage, bei der in der Darstellung der Geschichte der Tiere allzu oft direkt nach dem Mittelalter, öfter noch unmittelbar nach der Antike die Schilderung der Sicht Descartes’ und ihrer Folgen für die Tierethik der frühen Neuzeit folgt. Wenig differenziert werde dabei meist in eine prä- und eine postcartesische Tierethik eingeteilt, wobei nicht nur die Sichtweise Descartes’ selbst oft holzschnittartig vereinfacht werde. Vor allem bleibe die Vielfalt der Texte, die vom 14. bis ins 18. Jahrhundert zur Tierethik geschrieben wurden (mit Michel de Montaigne als gelegentlicher Ausnahme), weitgehend unbeachtet.

Tiere standen, so die Herausgeber, wenn, dann regelmäßig als Symbole im Blick der Forschung, nicht als reale Tiere, die das Leben der Menschen teilten (oder, wie hinzufügen wäre, allenfalls als Ware und Gebrauchsgegenstand). Der Gedanke an eine Tierethik scheint so erst der post-cartesischen Ära zu entstammen, als Reaktion darauf, dass gerade Descartes die Tiere aus dem Feld der Ethik ausschloss und sich die Frage nach einer Tierethik in der Zeit vor Descartes erst gar nicht mehr zu stellen schien.

Die zentrale Fragestellung des Bandes lautet daher, welche Tierethik möglich war vor dem Hintergrund der Philosophie des Aristoteles und der sich auf ihn berufenden Theologen von Augustinus über Thomas von Aquin bis zu den Reformatoren. Denn bei ihrer humanistisch geprägten Forderung nach einer Rückkehr zu den Urtexten kamen auch die Reformatoren nirgends anders als bei Aristoteles an, mithin bei einer Ethik, die Tiere unter Verweis auf das Fehlen des Logos und der Sprache zu vernunftlosen und damit oft auch seelenlosen Geschöpfen erklärte, sie aus der Schöpfungsunmittelbarkeit ebenso wie der Erlösungsbedürftigkeit und dem zukünftigen Heil kategorisch ausschließend – ein Ausschluss, an den sich allerdings schon mittelalterliche Denker nicht unbedingt gehalten haben und noch viel weniger die hier diskutierten Autoren der Renaissance und der frühen Neuzeit aus Italien, Frankreich, Deutschland und England, von Michele Savonarola bis Thomas Hobbes, John Locke und Gottfried Wilhelm Leibniz. Sie zeigen dabei in eindrucksvoller und oft überraschender Weise, dass die Diskussion philosophischer Themen wie Anthropozentrismus, ethischer Vegetarismus für Menschen und (Haus-)Tiere, aber auch die Erörterung politischer Fragen wie Bürgerrechte für Tiere, die in der Gegenwart unter anderem durch Will Kymlicka und Sue Donaldson zur Diskussion gestellt wird, im Europa der frühen Neuzeit ungeahnte Vorläufer hatte.

Der erste Aufsatz demonstriert die Schwierigkeit, Anthropozentrismen zu vermeiden. Amber D. Carpenter untersucht, wie moralisches Handeln gegenüber Tieren begründet werden kann. Ausgehend von der Feststellung, dass die Fähigkeit, Mitgefühl als Grundlage moralischer Entscheidungen zu verwenden, exklusiv menschlich sei, schlussfolgert sie, dass es in diesem Sinne gerade menschliches Handeln sei, das Tiere in den Bereich der Moral stelle. Aus Mitgefühl mit sterbenden und leidenden Tieren auf das Essen von Tieren zu verzichten, ist eine moralische Entscheidung, zu der nur der Mensch fähig sei und es sei daher im besten Sinne menschlich, Tiere nicht zu essen.

Trotz der stringenten Herleitung ihrer Schlussfolgerungen aus der griechischen und indischen Philosophie ist die anthropozentrische Sichtweise Carpenters, dass nur der Mensch zu Moral fähig sei, zumindest fragwürdig. Denn erstens ist der Biologie bekannt, dass es auch bei Tieren Handlungen gibt, deren Motive wir bei Menschen mit Altruismus, Mitgefühl, aber auch Hass und Bosheit beschreiben würden und die nicht evolutionsbiologisch erklärbar sind; wie also kann behauptet werden, dass Tiere keine Moral haben? Zweitens muss vor der Feststellung, wer über Moral verfügt und wer nicht, der Moralbegriff selbst definiert werden. Ist es legitim, unseren Moralbegriff, der selbst wandlungsfähig ist, in dieser Weise absolut zu setzen, ohne die Beschränkungen seines Geltungsbereichs zu berücksichtigen? Zu hinterfragen ist schließlich auch die Beschreibung von „Menschlichkeit“ oder „menschlichem“ Handeln als etwas, das von Weisheit, Großmut und Mitgefühl geprägt ist – Charakteristika, die ein Ideal repräsentieren, mit dem realen Verhalten von Menschen aber nur sehr wenig zu tun haben. Vielmehr wäre es an der Zeit, Sprache realistisch werden zu lassen und uns von den Gleichungen „menschlich“ = vernünftig, moralisch, kultiviert und rücksichtsvoll versus „tierisch“ = unmäßig, unvernünftig und rücksichtslos endgültig zu verabschieden.

Die Mehrzahl der Beiträge zeigt eine behutsame Herangehensweise, die weder die zeittypischen Charakteristika und die Unterschiede zum gegenwärtigen Stand der Ethik ignoriert, noch unkritisch die anthropozentrische Perspektive vergangener Jahrhunderte übernimmt.

So betont etwa Matthias Roick, dass die Sichtweise von Autoren der Renaissance sinnvollerweise weder als Vorläufer heutiger Tierethik gesehen werden kann, noch sich darum notwendigerweise auf die Beschreibung des Symbolgehalts der Tiere beschränken muss und beschreibt, wie Tiere in den von ihm vorgestellten Texten unter anderem Lorenzo Vallas im Kontext ihrer Entstehungszeit Objekte ethischen Handelns werden. Ausgehend von seinen antiken Vorbildern, untersucht Nicola Panichi die Tierethik Montaignes. Das sprechende Schwein Gryllos, einer der Gefährten des Odysseus, die Circe verwandelt hatte, zieht die Tiergestalt der menschlichen vor, denn: „Becoming a beast allows for an understanding of what is human“ (S. 96). Die Dekonstruktion der menschlichen Überlegenheit, die Montaigne ausgehend von Plutarch, den Stoikern und Lactantius vornimmt, ist der Weg zu einer Rekonstruktion des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur – vorweggenommen von Circes „benevolent magic“ (S. 110).

Guido Giglioni beschäftigt sich mit den Grenzen unserer Kenntnisse des tierlichen Bewusstseins. Er interpretiert Überlegungen Giordano Brunos, Tommaso Campanellas und vor allem einen Brief Pierre Gassendis an Jan Baptiste van Helmont über Vegetarismus und Ethik, dessen Argumente, wie das biologische der Zahnstellung, teilweise durchaus modern erscheinen und kommt zu dem Schluss, dass „a less straighforward view of the human mind might in fact promote a more open communication involving human and nonhuman animals“ (S. 136). Cecilia Muratori zeigt, wie die Frage des Porphyrius, ob die Zuschreibung von Rationalität an Tiere ein Grund für Vegetarismus sei, bei Tommaso Campanella zu einer negativen Antwort führt: Indem Campanella die Pflanzenwelt in die Gemeinschaft der fühlenden Lebewesen mit einschließt, gibt es keinen Grund mehr für Campanella, nur Tiere, nicht aber Pflanzen zu verschonen.

Mäßigkeitsforderungen bis zum Fleischverzicht, oft verbunden mit einer eschatologischen Weltsicht und der Erwartung einer Allversöhnung (Apokatastasis), konstatiert Burkhard Dohm für die Autoren des Spiritualismus im 16. und 17. Jahrhundert, die das Leiden der Tiere mit der Ausbeutung menschlicher Sklaven verglichen. Während der Mensch durch sein Verhalten die Gottesebenbildlichkeit verlor, sind Tiere von Natur aus religiös und rational, so vor allem der englische Philosoph Thomas Tryon. Tryon verurteilt nicht nur die Verschmutzung der Natur, die Zerstörung des Lebensraums und das Essen von Tieren, sondern auch den Konsum jeglicher Tierprodukte, einschließlich von Leder. Sein Weltbild, das Burkhard Dohm „im spiritualistischen Sinn theozentrisch“ (S. 191) nennt, konterkariere anthropozentrische Positionen und mute in seinem Biozentrismus überraschend modern an.

Im „Journal of George Fox“, des Gründervaters der Quäker-Bewegung, findet James Vigus neben der Forderung schonender Behandlung der Tiere dieselben auch als gute oder schlechte Beispiele; das tatsächliche Böse sieht Fox im Verhalten der Menschen, manifestiert in schlechter Behandlung der Tiere.
Kathrin Schlierkamp zeigt, wie die englische Philosophin Anne Conway unter Rückgriff auf antike Philosophen eine Alternative zum Cartesischen Dualismus entwickelt, bei der sie menschliches Wohlverhalten gegenüber Tieren als wahrhaft menschlich herausstellt und zu der Überzeugung gelangt, dass der Unterschied zwischen Tier und Mensch nur graduell, nicht kategorisch sei – eine philosophische Erkenntnis, die Charles Darwin hundert Jahre später naturwissenschaftlich untermauern sollte.

Zwei sorgfältig erstellte Register und ein Handschriftenverzeichnis schließen den Band ab, der allen, die an den vorgestellten Autoren wie an Tierethik interessiert sind, empfohlen sei, da er nicht nur das Bild dieser Autoren um eine oft wenig bekannte Facette ihrer Werke ergänzt, sondern vor allem die Darstellung der Geschichte des Denkens über Tiere enorm, im gesetzten Zeitrahmen gar grundlegend, bereichert.