J. Ludwig: Deutschland und die spanische Revolution

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Titel
Deutschland und die spanische Revolution 1820–1823.


Autor(en)
Ludwig, Jörg
Erschienen
Anzahl Seiten
246 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Späth, Historisches Institut, Universität des Saarlandes

Lange war es still geworden um die südeuropäischen Revolutionen von 1820–1823. Erst im Umfeld der beiden großen Jubiläen 200 Jahre Spanischer Unabhängigkeitskrieg 1808–1814 und Verfassung von Cádiz 1812 sind zahlreiche neue Studien entstanden, die auch die Einführung dieser Konstitution in vier Staaten des Mittelmeerraums in den Jahren 1820–1823 untersuchen. Deutsche Historiker haben substantielle Beiträge zur Geschichte der politischen Öffentlichkeit, der Publizistik sowie zu einer vergleichenden und beziehungsgeschichtlichen Perspektive dieser südeuropäischen Revolutionen geleistet.1 Dass schon die Zeitgenossen überall in Europa leidenschaftlich darüber diskutierten, ist erst in jüngster Zeit wieder in den Fokus der Forschung gerückt. So verwundert es nicht, dass die Rezeption besonders der spanischen Revolution im Rahmen des Dekolonisationsprozesses in Mittel- und Südamerika inzwischen weitaus besser erforscht ist als die Kommunikationsträger und -wege in den meisten europäischen Ländern selbst.2

Die im Folgenden zu besprechende Arbeit von Jörg Ludwig stellt deshalb ein hochwillkommenes Desiderat der Forschung dar, weil sie erstmals umfassend die Rezeption der spanischen Revolution in Deutschland in den drei Jahren der konstitutionellen Monarchie 1820–23, dem sogenannten „Trienio liberal“, in den Blick nimmt. Unter „Deutschland“ versteht der Dresdner Archivar und Historiker dabei die Staaten des Deutschen Bundes, wobei er Österreich aus arbeitstechnischen Gründen nicht auf der Basis archivalischer Quellen behandelt, sondern für das Handeln der Großmacht bereits gedruckte Dokumente heranzieht. Die Untersuchung basiert auf breit angelegten Recherchen zu Bayern, Kurhessen, Preußen, Sachsen und Württemberg in den entsprechenden Staatsarchiven, zu Spanien im Historischen Nationalarchiv in Madrid und zur zeitgenössischen Publizistik. Einen schnellen und systematischen Überblick der herangezogenen Dokumente kann der interessierte Leser sich am Ende der Arbeit leider nicht verschaffen, denn die Bibliografie enthält weder ein Verzeichnis der verwendeten Archivmaterialien noch eine separate Aufstellung der gedruckten Quellen und aller zitierten Schriften.

Ludwig gliedert seine Studie in drei Teile und analysiert nacheinander „den Widerhall des Trienio liberal in Deutschland“ (S. 9) für die Bereiche Politik, Publizistik und Wirtschaft. Zunächst skizziert er in zwei kürzeren Kapiteln die Situation in den Staaten des Deutschen Bundes sowie die Ereignisse in Spanien im Untersuchungszeitraum. Das erste Hauptkapitel nimmt dann die Reaktionen der politischen Sphäre auf die spanische Revolution in den Blick. Ludwig geht hierbei chronologisch-thematisch vor und untersucht zunächst das von großer Freude liberaler Anhänger bis zu eindeutig ablehnenden Positionen der konservativen Groß- und Mittelmächte reichende Meinungsspektrum unmittelbar nach Ausbruch der Revolution. In weiteren Schritten thematisiert er den Umgang der deutschen Staaten mit spanischen Reisenden und mit Spaniern, die, wie in Hamburg, längere Zeit in Deutschland lebten; die Versuche radikaler Kreise, die politischen Verhältnisse mittels einer Militärrevolte wie in Spanien (pronunciamiento) umzustürzen; sowie die von den europäischen Großmächten auf dem Kongress von Verona 1822 beschlossene Intervention Frankreichs gegen die konstitutionelle Regierung in Spanien und die gleichzeitig stattfindende „konservative Gegenoffensive in Deutschland“ (S. 109). Ludwig berücksichtigt ferner die ab 1821 einsetzende Welle transnationaler liberaler Solidarität in Europa und untersucht, ob sich deutsche Liberale in Italien, Griechenland und vor allem in Spanien engagierten. Für die Präsenz deutscher Liberaler in Spanien spricht demnach eine Reihe von Indizien wie Kontakte deutscher Militärs zu spanischen Diplomaten, der gesicherte Aufenthalt deutscher Emigranten in Katalonien, die Erwähnung deutscher Offiziere in der Freiwilligenarmee des britischen Generals Robert Wilson und einige weitere Anhaltspunkte.

Im zweiten Hauptteil beschäftigt sich Ludwig mit dem Widerhall der spanischen Revolution in der deutschen Publizistik. Im Zentrum steht dabei die Spanienberichterstattung in vier wichtigen Periodika: in der vom preußischen Staat herausgegebenen gemäßigt-konservativen „Allgemeinen Preußischen Staatszeitung“, die auf eine Reform der Verfassung von 1812 drängte und ihre Tendenz zur Mäßigung erst mit dem Einmarsch der Franzosen in Spanien 1823 aufgab; in der vom Privatunternehmer Johann Friedrich Cotta begründeten (Augsburger) „Allgemeinen Zeitung“, die im Ganzen gesehen eine proliberale Haltung zu Spanien einnahm, auch wenn sie immer wieder konservative Stimmen zu Wort kommen ließ; sowie schließlich in den liberalen Zeitungen „Oppositions-Blatt“ aus Weimar und dem „Teutschen Beobachter“ aus Stuttgart, die 1820 bzw. 1823 wegen ihrer uneingeschränkt proliberalen Spaniensicht von der Bundesversammlung verboten wurden. Ludwig sieht in diesen Verboten zu Recht Parallelen zwischen der gewaltsamen französischen Intervention gegen die spanischen Liberalen und der Politik der konservativen Regierungen in Deutschland gegen die liberale Presse. Neben der periodischen Publizistik zieht er ferner je zwei liberale und konservative zeitgenössische Bücher von Heinrich August Meisel beziehungsweise Clemens Wenzel Freiherr von Hügel und Johann Baptist Pfeilschifter für das Meinungsbild in Deutschland über die spanische Revolution heran. Außerdem handelt er die ebenfalls das gesamte Meinungsspektrum umfassenden Reaktionen im Bereich Literatur und Dichtung ab.

Erfreulicherweise lässt es Ludwig nicht bei der Rezeption durch Politik und Presse bewenden, sondern bezieht im deutlich kürzeren dritten Teil der Studie auch die Wechselwirkungen zwischen der spanischen Revolution und der deutschen Wirtschaft mit ein. Hier erfährt der Leser viel Interessantes über den deutschen Exporthandel nach Spanien, der vor allem in Leinenprodukten bestand. Gegen Ende des liberalen Trienniums erstreckten sich deutsche Wirtschaftsinteressen auch auf potentielle Waffenlieferungen, Schlachtvieh für die französische Invasionsarmee und Spekulationen auf steigende Kolonialwarenpreise. Einen weiteren interessanten Aspekt bildet der Handel mit spanischen Staatspapieren, den Spanien nutzte, um seinen wachsenden Finanzbedarf zu decken. Auch deutsche Anleger bekundeten ab Frühjahr 1820 Interesse an solchen Staatsanleihen, die ihren Höchststand im November 1822 erreichten und nach dem Beschluss der Heiligen Allianz zur französischen Invasion in Spanien Anfang 1823 deutlich an Wert verloren.

Es ist gewiss richtig, wenn Ludwig im Nachwort schreibt, dass nicht nur die Liberalen überall in Europa das Ende der konstitutionellen Regierung in Spanien bedauerten, sondern selbst konservative Politiker wie Metternich ihre Unzufriedenheit über den rücksichtslosen absolutistischen Regierungsstil König Ferdinands VII. nach der erneuten Restauration äußerten. Es ist ferner zutreffend, dass das politische und publizistische Interesse der deutschen Staaten an Spanien nach 1823 deutlich zurückging, da das Land den „1820 errungenen Nimbus eines politischen Vorreiters und konstitutionellen Vorbilds“ (S. 233) einbüßte und ab 1830 an die französische Julirevolution abtreten musste. Es ist jedoch unvollständig zu sagen, das liberale Triennium habe keine bleibenden Spuren im deutschen politischen Denken der Zeit hinterlassen und die Verfassung von 1812 lediglich „hier und da“ (S. 234) Eingang in die Verfassungsdiskussionen deutscher Staaten 1830/31 gefunden. An dieser Stelle wäre eine Berücksichtigung des einschlägigen Aufsatzes von Horst Dippel zur Rezeption der spanischen Verfassung von 1812 für den deutschen Frühliberalismus hilfreich gewesen, denn darin wird deutlich, wie intensiv deutsche Intellektuelle wie Dahlmann, Welcker oder Rotteck auch nach 1823 diese Verfassung rezipierten und dass in der kurhessischen Verfassung von 1831 deutliche Anleihen am spanischen Modell erkennbar sind.3 Auch die letztmalige Wiedereinführung der Verfassung von Cádiz in Spanien 1836 sowie die Diskussion um einen ebensolchen Schritt in der Revolution im Königreich beider Sizilien 1848 zeigen, dass der Text zwar nicht mehr das liberale Referenzmodell schlechthin bildete, aber zumindest bis zur Mitte des Jahrhunderts auch über Spanien hinaus nachwirkte.

Doch diese kleinen Einwände vermögen ebenso wenig wie die eingangs angesprochenen Mängel der Bibliografie die Leistung Ludwigs zu schmälern. Er hat es nicht nur geschafft, erstmals eine derart tiefschürfende Synthese des Themas vorzulegen, dabei eine Fülle interessanter Details zutage zu fördern und die Ergebnisse anschaulich mit nützlichen Listen und Grafiken darzustellen. In seiner flüssig geschriebenen Studie knüpft er zudem an aktuelle Tendenzen transnationaler Geschichtsforschung an und zeigt an mehreren Stellen künftige Forschungsperspektiven auf, etwa hinsichtlich der Rezeption der spanischen Revolution in Österreich oder in der deutschen Publizistik insgesamt sowie bezüglich der liberalen Netzwerke in Europa. Ludwigs Studie macht einmal mehr deutlich, dass die Rezeption der spanischen Revolution 1820–1823 und ihres wichtigsten Exportguts, der Verfassung von Cádiz, noch großes Potential für weitere Untersuchungen bietet.

Anmerkungen:
1 Werner Daum, Oszillationen des Gemeingeistes, Öffentlichkeit, Buchhandel und Kommunikation in der Revolution des Königreichs beider Sizilien 1820–21, Köln 2005; Andreas Timmermann, Die „gemäßigte Monarchie“ in der Verfassung von Cádiz (1812) und das frühe liberale Verfassungsdenken in Spanien, Münster 2007; Christiana Brennecke, Von Cádiz nach London. Spanischer Liberalismus im Spannungsfeld von nationaler Selbstbestimmung, Internationalität und Exil (1820–33), Göttingen 2010; Jens Späth, Revolution in Europa 1820–23. Verfassung und Verfassungskultur in den Königreichen Spanien, beider Sizilien und Sardinien-Piemont, Köln 2012.
2 Manuel Chust Calero, Doceañismos, constituciones e independencias: la Cosntitución de 1812 y América, Madrid 2006; Ivana Frasquet / Andréa Slemian (Hrsg.), De las independencias iberoamericanas a los estados nacionales (1810–1850). 200 años de historia, Madrid 2009; Rechtsgeschichte 16, 2010.
3 Horst Dippel, Die Bedeutung der spanischen Verfassung von 1812 für den deutschen Frühliberalismus und Frühkonstitutionalismus, in: Martin Kirsch / Pierangelo Schiera (Hrsg.), Denken und Umsetzung des Konstitutionalismus in Deutschland und anderen europäischen Ländern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1999, S. 219–237.

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